Der Fall verdeutlicht, unabhängig von der konkreten rechtlichen und moralischen Beurteilung der ungarischen Gesetzgebung, dass die Auslegung und der Rahmen der Menschenrechte die bedeutendsten Konfliktfelder der heutigen politischen Debatte sind. Und dass schon die Frage, ob beispielsweise die Kindererziehung den Eltern oder eher dem Staat gehört, selbst Gegenstand einer moralischen – ideologischen – Vorannahme ist. Das kann daher nicht nur diskutiert werden, sondern muss diskutiert werden.
In den letzten Tagen hat das ungarische Parlament auf Vorschlag der Regierung ein Paket von mehreren Gesetzesänderungen unterschiedlicher Gesetze in Bezug auf den Schutz von Kindern verabschiedet. Von den Änderungen wurde vor allem der Teil kritisiert, der die Darstellung von Pornografie und Inhalten, die Sexualität als „selbstzweckhaft” darstellen oder die Geschlechtsumwandlungen zeigen oder die Geschlechtsumwandlung oder Homosexualität (!) fördern, für Kinder unter 18 Jahren verbietet.
Es ist daher wichtig zu betonen, dass nicht die Aufklärung über Homosexualität im Allgemeinen und auch nicht die Darstellung dieser, sondern speziell die propagandistische Förderung durch das Gesetz eingeschränkt wird. Dennoch halten einige Verfassungsrechtler die besondere Hervorhebung der Homosexualität für verfassungswidrig, da nach bestimmten verfassungsrechtlichen Argumenten nicht zwischen Hetero- und Homosexualität unterschieden werden kann.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán reagierte auf die internationale Kritik und gab eine Erklärung ab: Der Sinn der Regelung sei, dass der ungarische Staat das Recht der Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder anerkenne. Daher haben Eltern in bestimmten moralischen Fragen, wie zum Beispiel der Sexualität, das Recht zu entscheiden, wie sie ihre Kinder erziehen.
Trotz ernsthafter Kritik sagen einige Experten, dass die ungarische Gesetzgebung in ihrer jetzigen Form einen großen Spielraum lässt und dass die tatsächliche Praxis der entscheidende Faktor sein wird. Der Verweis des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, dass Eltern das Recht haben, bei der Bildung ihrer Kinder mitentscheiden zu können, hat aber auch die wachsenden theoretischen und inhaltlichen Unterschiede deutlich gemacht.
Während das ungarische Grundgesetz vorschreibt, dass die Familie auf der Eltern-Kind-Beziehung beruht und die Eltern das Recht haben, die Bildung ihres Kindes frei zu wählen, gewinnt in vielen westlichen Ländern der staatliche Trend der sogenannten Defamilisierung zunehmend an Bedeutung. Das Konzept der Defamilisierung tauchte erstmals Anfang der 1990er-Jahre vor allem im feministischen Kontext auf.
Das Wesen der Defamilisierung besteht darin, die Rolle des Staates gegenüber Mutter und Vater bei der Erziehung und Betreuung von Kindern zu stärken. Wir sehen, wie dieses Modell vor allem für die skandinavischen Wohlfahrtsstaaten funktioniert: Der Staat übernimmt eine tragende Funktion in der Erziehung, insbesondere was die finanziellen Belastungen angeht, und setzt gleichzeitig die Rechte der Kinder mit staatlichen Mitteln durch, gegebenenfalls auch gegen die moralische Wahrnehmung und das Erziehungsrecht der Eltern. Die Stärkung der Rolle des Staates in Bezug auf die elterliche Freiheit – genau das Gegenteil von dem, was der Liberalismus einst proklamierte.
Und genau dieser Aspekt – die Rolle des Staates – ist für moderne „Ausgleichs“-Bewegungen wie die Gender- bzw. LGBTQI-Bewegung von besonderer Bedeutung: Da Geschlechterungleichheiten als allein durch die Sozialisation entstehend wahrgenommen werden, also sexuell staatlich kontrollierte Kindererziehung und Erziehung sowie die „Verhinderung“ der Entwicklung verschiedener negativer soziomoralischer Instinkte spielen eine Schlüsselrolle bei der Gleichstellung von Minderheiten. Das Problem ist jedoch, dass es die Beziehung zwischen der Sexualität und dem Frau-Mann-Prinzip und insbesondere dem Eltern-Kind-Prinzip ist, die von unseren moralischen Vorstellungen und kulturellen Innervationen geprägt ist, die sich von der Gender-Ideologie völlig unterscheiden. In Europa beispielsweise ist die christlich geprägte moralische Auffassung, dass Kinder und Jugendliche nicht frühzeitig an sexuellen Beziehungen „gewöhnt“ oder in sexuelle Abhängigkeiten gedrängt, sondern von propagandistischen sexuellen Reizen ferngehalten werden sollten.
Die beiden Ansichten lassen sich nicht vollständig vereinen und basieren beide auf unterschiedlichen ideologischen Annahmen: Während moderne politisch-egalitäre Bewegungen hinsichtlich der Gleichstellung „sexueller Minderheiten“ behaupten, dass Kinder das Menschenrecht hätten, durch entsprechende Bildung bereits in jungen Jahren Sexualität zu erfahren und ihre eigene sexuelle Identität auszubilden und anzunehmen, ist die konservative Sichtweise grundlegend anders: Gerade weil die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern durch eine vorzeitige Sexualisierung stark geschädigt werden kann und ein Kind überhaupt noch nicht in der Lage ist, sich in Bezug auf diese Fragen bewusst und sachlich zu entscheiden, ist es das, was moralische Anleitung für Erwachsene, insbesondere für Eltern überaus wichtig macht.
Die Debatte macht deutlich, dass die heutigen politischen Kämpfe die Auslegung der Menschenrechte fokussieren: Bestimmte ideologische Bewegungen versuchen, die Menschenrechte als Mittel zur Durchsetzung ihrer eigenen ideologischen Vorstellungen und politischen Interessen zu nutzen.
Es ist kein Zufall, dass sich in einigen Ländern konservative gesellschaftliche Gruppen gegen den Einsatz politischer Mittel zur Durchsetzung der Gender-Ideologie als eine Art Staatsdoktrin aussprechen. Während also in Ungarn kritisiert wird, dass der Staat in Bezug auf Kinderschutz und Erziehung eine relativ neutrale Rolle einnimmt und dabei bestimmte konservative Aspekte berücksichtigt, ist die Situation in vielen westlichen „Wohlfahrts”-Ländern umgekehrt: Das Schlagwort der „sexuellen Vielfalt” wird immer mehr zu einer allgemeinen Staatsideologie. In diesem Zusammenhang werden staatliche Mittel an solche Organisationen vergeben, die sexuelle Vielfalt fördern. Materialien, die sexuelle Vielfalt fördern, werden in die Lehrpläne aufgenommen und die öffentlichen Medien geben den ideologischen Vorstellungen von Geschlecht zunehmend mehr Raum.
Die Realität ist, dass z. B. die Regenbogenflaggen, die in Deutschland – eher provokativ – wegen des Besuchs der ungarischen Fußballmannschaft gehisst werden, immer mehr auf eine reale ideologisch-globale Differenz und eine Art spezifische staatspolitische Doktrin hinweisen.
Diese Doktrin spiegelt sich auch zunehmend in der Politik der Europäischen Union wider: Erst vor einem Jahr wurde beispielsweise der Entwurf des Fünfjahresprogramms für die Gleichstellung der Geschlechter verabschiedet, das über die Idee der Gleichstellung von Frauen und Männern hinausgeht. Das Programm will die Gleichstellung von Männern und Frauen sowie von „Jungen und Mädchen” „in all ihrer Vielfalt” („in all their diversity”) verwirklichen.
Zur Veranschaulichung und zum Verständnis der Gründe und der Relevanz der ungarischen Gesetzgebung werden im Entwurf des EU-Programms als Modell Aktionspläne wie die Bereitstellung von „geschlechtsstereotypenfreier, offener, pluralistischer und ermutigender Kinderliteratur” bei Kinderlesungen und in Kinderbibliotheken genannt.
Die große Frage ist, ob Ungarn oder ein anderer Mitgliedstaat in dieser Situation noch das Recht hat, als Mitgliedstaat der Europäischen Union eine bestimmte politische Ansicht in diesen Fragen zu vertreten.
Es ist wichtig zu sehen, dass auch nach dem Vertrag von Lissabon gilt, dass die Europäische Union auf der Grundlage völkerrechtlicher Verträge geschaffen wurde, nach denen die Mitgliedstaaten – im Rahmen eines Staatenbundes – bestimmte Werte als gemeinsam akzeptieren, aber gleichzeitig ihre eigene verfassungsrechtliche Identität bewahren.
Die Mitgliedstaaten haben die Gründungsverträge der Europäischen Union als gleiche Vertragsparteien unterzeichnet, und so muss die Möglichkeit einer demokratischen Wertedebatte zwischen den Mitgliedstaaten respektiert und gewährleistet werden. Aber nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Union selbst hat die Pflicht, ihrer eigenen kulturellen Vielfalt Rechnung zu tragen, was im Übrigen in Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union unmissverständlich deklariert ist. Die Europäische Union ist also ausdrücklich in der Pflicht. Und wo zeigt sich die „kulturelle Vielfalt” am deutlichsten, wenn nicht im Bereich der Wertvorstellungen von Familie und Kindererziehung?
Auch wenn man über bestimmte Punkte der ungarischen Gesetzgebung streiten kann, widerspricht die radikale Durchsetzung der Gender-Ideologie und der „sexuellen Vielfalt” als eine Art Staatsideologie, die mit dem föderalen Charakter der Europäischen Union unvereinbar ist und die traditionellen europäischen Werte und Moralvorstellungen unmöglich macht, ebenso den Menschenrechten und den ursprünglichen Vertragszielen der Europäischen Union.
Quelle: https://www.epochtimes.de/meinung/gastkommentar/ungarns-ziel-gender-ideologie-darf-in-europa-nicht-zur-staatsdoktrin-werden-a3543114.html
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