Skip to main content

Doctorow: Die Schatten von 1968: Der Angriff der New Yorker Polizei auf die Demonstranten der Columbia University

Bis ich sehe, dass sich unsere Universitäten von ihrem Rausch der Russophobie erholen, werde ich nicht glauben, dass die Meinungsfreiheit auf dem Campus wiederhergestellt ist, unabhängig vom Ausgang der derzeitigen Auseinandersetzungen über den israelischen Völkermord.
Von Gilbert Doctorow 01.05.2024 - übernommen von gilbertdoctorow.com
01. Mai 2024

Die gestrige Erstürmung der Hamilton Hall auf dem Campus der Columbia University durch die New Yorker Polizei, die von studentischen Demonstranten besetzt worden war, die gegen den israelischen Völkermord in Gaza protestiert haben, hat die Aufmerksamkeit der weltweiten Medien auf den Zusammenstoß zwischen Amerikas nicht-akademischen, Washington-freundlichen Universitätsverwaltern und ihren idealistischeren Studenten gelenkt. Nachdem die Polizei das Gebäude eingenommen hatte, verhaftete sie die Demonstranten und führte sie vor laufenden Fernsehkameras mit gefesselten Handgelenken zu wartenden Bussen, die sie ins Gefängnis brachten.

Als ehemaliger Columbia-Absolvent, der dort in den Monaten nach ähnlichen, sagen wir, revolutionären Entwicklungen in der Studentenschaft im Frühjahr 1968 sein Studium aufnahm, habe ich ein besonderes Interesse an dieser Entwicklung. Damals war der Campus von Berkeley in Kalifornien die Brutstätte politischer Aktionen im ganzen Land. Columbia gehörte nicht zu den Vorreitern, obwohl der Campus von internen Spaltungen heimgesucht wurde.

Damals stand ein Großteil der Columbia-Fakultät auf der Seite der rückschrittlichen Verwaltung, wie ich in meinem eigenen Fachbereich, der russischen Geschichte, feststellen konnte. Mein akademischer Berater, Leopold Haimson, ein führender Gelehrter der menschewistischen Bewegung und selbst bekennender Marxist, war entsetzt darüber, dass er sich inmitten einer echten Revolution von unten nach oben befand, und stellte sich auf die Seite der Verwaltung. Es dauerte lange, bis die Wunden in der Institution verheilt waren, nachdem die Ordnung wiederhergestellt war.

Als heutiger politischer Analytiker verfolge ich diese Entwicklungen an der Columbia aus ernsthafteren Gründen als der Nostalgie für die Vergangenheit. Sie versprechen eine Wiederbelebung des studentischen Aktivismus und der Antikriegsstimmung unter der Jugend, die von Richard Nixon und seinen unmittelbaren Nachfolgern sehr zynisch, aber effektiv ausgelöscht wurde, als sie die Wehrpflicht abschafften und eine rein freiwillige Berufsarmee einführten.

Es liegt auf der Hand, dass die Republikaner und andere politisch Konservative mit ihrer uneingeschränkten Unterstützung für Israel, was auch immer es tut, die Studenten einheitlich als "Antisemiten" verurteilen würden. Die Liberalen ihrerseits sind in dieser Frage gespalten, obwohl viele verabscheuen, was Israel im Gazastreifen und in der Westbank tut, und mit den demonstrierenden Studenten sympathisieren. Die Liberalen sind auch besorgter über die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung, ausgerechnet auf dem Campus, was die Polizeirazzia in der Hamilton Hall bedeutet. Viele sagen laut, dass der Versuch, ein einheitliches Denken in der Israel-Frage durchzusetzen, die grundlegenden Prinzipien der Hochschulbildung, die auf Meinungsvielfalt und zivilisierter öffentlicher Debatte beruhen, zerstört.

In diesem Zusammenhang rufe ich zu einer Auszeit auf, um über die Zerstörung der Sozial- und Geisteswissenschaften an amerikanischen Universitäten nachzudenken, die nicht erst gestern begonnen hat, sondern mindestens 15 Jahre zurückreicht. Dies bleibt von unseren Liberalen unbemerkt, weil es mit ihrer eigenen politischen Korrektheit kollidiert, die keine anderen Ansichten als die eigenen zu einem bestimmten Thema anerkennt. Ich denke dabei an die Anti-Putin- und Anti-Russland-Doktrin, die die Politik der Universitäten in Bezug auf die freie Meinungsäußerung völlig vereinnahmt hat, als Washington seinen Informationskrieg gegen Russland begann.

Im akademischen Jahr 2010/11 war ich Gastwissenschaftler an der Columbia University und besuchte eine ganze Reihe öffentlicher Veranstaltungen des Harriman-Instituts zum Thema Russland. Der vorherrschende Eindruck war, dass die antirussischen Redner und das Publikum, bestehend aus Studenten, Lehrkräften und externen Besuchern, völlig gleichgeschaltet waren und aus denselben Gesangbüchern sangen. Wenn man es wagte, in der für die "Diskussion" vorgesehenen Zeit eine Frage zu stellen, die von diesem Konsens abwich, wurde man sofort als "Handlanger Putins" denunziert. In der Tat war diese Hochschule auf das Niveau eines kindergarten (sic!) herabgesunken.

Wenn man die Entwicklungen auf dem Campus seither anhand der wöchentlichen Programmankündigungen des Harriman verfolgt, ist es glasklar, dass sich die Situation in Bezug auf die Rede- und Gedankenfreiheit zum Thema Russland nur verschlechtert hat. Darüber hinaus wurde in den letzten zwei Jahren der Moskauer Sonder-Militäroperation die gesamte Disziplin der Russischstudien an der Columbia bei den Wurzeln ausgerissen und durch Ukrainistik und Studien über die angeblich kolonisierten Nationalitäten des ehemaligen Russischen Reiches ersetzt. Dieser Prozess wird als "Entkolonisierung" bezeichnet.

Bis ich sehe, dass sich unsere Universitäten von ihrem Rausch der Russophobie erholen, werde ich nicht glauben, dass die Meinungsfreiheit auf dem Campus wiederhergestellt ist, unabhängig vom Ausgang der derzeitigen Auseinandersetzungen über den israelischen Völkermord.

Aber wer weiß? Vielleicht wird jemand unter den heutigen Rebellen über die Empörung über 34.000 ermordete Palästinenser hinausgehen und die Möglichkeit von Hunderten von Millionen toten Zivilisten weltweit, einschließlich innerhalb der guten alten U.S. von A, in Betracht ziehen, sollte der gegenwärtige Konflikt in der Ukraine zu einem Dritten Weltkrieg eskalieren.

Quelle: https://gilbertdoctorow.com/author/gilbertdoctorow/
Mit freundlicher Genehmigung von Gilbert Doctorow
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus

Weitere Beiträge in dieser Kategorie