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Medienkritik: Macht sie noch Sinn?

Noch vor wenigen Jahren gehörte das Lesen einer oder gar mehrerer Tages- und Wochenzeitungen zur Pflichtlektüre. Man wollte, als politisch und wirtschaftlich Interessierter, ja schließlich nicht nur von der allabendlichen  – bildorientierten  – TV-Show abhängig sein, sondern breiter und tiefer informiert werden.
Von Christian Müller, 15. April 2023 - übernommen von globalbridge.ch

Globalbridge Berzins LifschitzDie Antwort auf die Frage, ob Konstantin Lifschitz in Russland auftreten dürfe, gibt Christian Berzins im letzten Abschnitt seines Textes mit einem Seitenblick nach Estland. Dort wurde ein sehr beliebter Musiker entlassen, nachdem bekannt wurde, dass er in Novosibirsk auftreten würde.

Heute sind, zumindest im deutschsprachigen Raum, die Zeitungen geopolitisch so einäugig wie das Fernsehen. Wichtigster Punkt ist heute auch in den gedruckten Medien, die Ukraine zu verherrlichen, weil sie, wie da immer wieder behauptet wird, die «Europäischen Werte» verteidige   – die die Ukraine selbst, notabene, nie gelebt hat (Aber das ist eine andere Geschichte). Wichtig ist jetzt vor allem, nicht nur Putin, sondern ganz Russland und alle Russen und Russinnen zu kritisieren, zu verleumden, zu verurteilen, sprich: den Russenhass zu fördern. 

Macht Medienkritik also überhaupt noch Sinn? Ja, man muss, um schlaflose Nächte zu verhindern, manchmal trotz allem in die Tasten greifen. Zum Beispiel diese Woche. Christian Berzins ist bei den Schweizer CH-Media-Zeitungen, die sich rühmen, mit ihrer Samstagausgabe die meistgelesene Zeitung der Schweiz zu sein, im Kulturbereich für das Thema klassische Musik zuständig. Dass an einem Musikfestival in St. Gallen wegen des Ukraine-Krieges die Aufführung einer Oper des russischen Komponisten Peter Tschaikowsky (1840-1893) abgesagt wurde, hat zu beurteilen Berzins anderen Journalisten überlassen. Dass an der Scala in Milano im Dezember 2022 Modest Mussorgskys Oper «Boris Godunov» aufgeführt wurde und die russische Sängerin Anna Netrebko dort weiterhin auftreten darf, ist für Berzins «Ganz nach Putins Geschmack» und deshalb «haltungslos». Und jetzt empfiehlt er der Hochschule Luzern in den CH-Media-Zeitungen und auf Watson, den Klavierprofessor Konstantin Lifschitz zu entlassen, weil sich dieser   – notabene ein Schweizer Bürger   – erlaubt hat, in Novosibirsk in Russland zweimal am «Trans-Siberian Art Festival»   – bei Berzins «Transibirian Art Festival»   – aufzutreten. Nein, nicht Christian Berzins orthographische Fehler sind besonders ärgerlich, selbst wenn er den Musiker im sogenannten Lead und auch auf Twitter «Valentin Lifschitz» statt Konstantin Lifschitz nennt. Damit kann man leben. Aber seine Haltung, dass auch die Welt der Musik jetzt Russland ausgrenzen soll, ist schlicht unerträglich. Wie soll wieder Friede entstehen, wenn ausgerechnet die Musik, die einzige Sprache, die von allen Menschen verstanden wird, politisch als Waffe eingesetzt wird?

Die Ukraine eine westliche Marionette?

Aber auch in der NZZ war es diese Woche wieder eine ganze Seite, die einen hätte schlaflos machen können. Da schreibt doch der Schweizer Jung-Historiker Fabian Baumann, sogenannter Dr. des., Doctor designatus, also Doktor-Prüfung bestanden, aber Dissertation noch nicht abgenommen, eine ganze Seite unter der Headline «Das Märchen vom Marionettenstaat; Das Streben der Ukraine nach Eigenständigkeit ist historisch gewachsen, kein Werk westlicher Mächte.» Der Text ist ein Musterbeispiel, wie man die Geschichte mit der Weglassung von Fakten verfälschen kann.

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Mit freundlicher Genehmigung von globalbridge.ch


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