(Red.) Die in den USA aktive Info-Plattform Mondoweiss.net, die auf die Berichterstattung und Kommentierung des Geschehens in Palästina und Israel spezialisiert ist, hat einen Aufruf einer arabischen Gruppe publiziert, gemäß dem die Schweiz wirtschaftlich boykottiert werden müsse, um sie von ihrer einseitig Israel-freundlichen Haltung abzubringen. Wir publizieren diesen Aufruf, um den Schweizern und Schweizerinnen zu zeigen, dass auch sie als Bürger und Bürgerinnen eines kleinen Landes international beobachtet – und gelegentlich auch hart kritisiert – werden. (cm)
In einer Zeit, in der Israels völkermörderischer Krieg gegen Gaza zunehmend international verurteilt wird, hat die Welt begonnen, Maßnahmen zu ergreifen, um die täglichen Massaker an der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza zu stoppen, zuletzt mit der fast einstimmigen Verabschiedung einer Resolution der UN-Generalversammlung, die einen Waffenstillstand fordert. Doch einige internationale Akteure kommen ihrer Rolle und ihren Verpflichtungen nicht nach. Dazu gehört vor allem auch die Schweiz, die gegen ihre eigene Neutralitätsverpflichtung verstoßen hat, indem sie sich entschieden auf die Seite der Täter gestellt hat.
Aus diesem Grund haben wir, eine Reihe von arabischen Palästina-Solidaritätsgruppen, am 9. Dezember, dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Völkermordes und der Verhütung dieses Verbrechens, eine Kampagne zum wirtschaftlichen Boykott der Schweiz aufgrund ihrer prinzipienlosen Haltung und ihrer Komplizenschaft bei israelischen Kriegsverbrechen gegen die Palästinenser und Palästinenserinnen gestartet.
Zwei Jahrhunderte lang hatte die Schweiz weltweit den Ruf, ein politisch neutrales Territorium zu sein und eine sich selbst auferlegte Neutralitätspolitik zur Förderung des Friedens zu betreiben, wie sie behauptet.
Als Reaktion auf diese Selbstdarstellung hat unsere Kampagne, die von acht Solidaritätsgruppen vom Arabischen Golf bis zum Atlantischen Ozean ins Leben gerufen wurde, versucht aufzudecken, dass die Schweizer Regierung weit davon entfernt ist, diese angebliche Neutralität zu wahren, und dass sie in Wirklichkeit am völkermörderischen Krieg Israels gegen die Menschen in Gaza beteiligt ist.
Seit dem 7. Oktober hat die Schweizer Regierung eine Reihe von undemokratischen Maßnahmen gegen ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger ergriffen und dabei die Meinungsfreiheit im öffentlichen Leben völlig missachtet, sei es am Arbeitsplatz oder in Institutionen, einschließlich hochrangiger akademischer Einrichtungen, die eigentlich die freie Meinungsäußerung hochhalten sollten. Diese repressiven Maßnahmen haben die Form von Einschüchterung und Drohungen angenommen, man werde gegen Widerhandelnde wegen Antisemitismus ermitteln. Der öffentliche Druck verlangt, die offizielle israelische Ansicht ungefiltert und ohne unabhängige Überprüfung zu übernehmen. Dies fördert den antipalästinensischen, antiarabischen und islamfeindlichen Diskurs in der Schweiz, indem die staatlichen Medien als Plattform für irreführende israelische Propaganda genutzt werden.
Die Schweizerische Eidgenossenschaft hat die Verfolgung der Palästinenserinnen und Palästinenser noch verschärft, indem sie die Verträge mit drei palästinensischen Bürgerrechtsorganisationen gekündigt und die Hamas als Terrororganisation bezeichnet und damit zusätzlich kriminalisiert hat.
Auf der anderen Seite hat sie ihre moralische und finanzielle Unterstützung für „Israel“ verdoppelt. So kündigte der Kanton Zürich öffentlich eine großzügige Spende in Höhe von 500.000 CHF aus seinem Wohltätigkeitsfonds zur Unterstützung der israelischen Stiftung Ha’Amuta Lekidum Toshevei Hevel Eshkol an, „mit der Begründung, dass das Geld den Überlebenden der Terroranschläge in Israel und dem Wiederaufbau ihrer Dörfer zugute kommen wird.“ Zu einer Zeit, in der 85 Prozent der Gebäude im Gazastreifen entweder teilweise oder vollständig zerstört sind, wurde den Palästinenserinnen und Palästinensern auch nach über zwei Monaten zerstörerischen Krieges keine solche Geste zuteil.
Darüber hinaus hat die Schweizerische Eidgenossenschaft eine auffällige Doppelmoral an den Tag gelegt, als sie den Angriff vom 7. Oktober verurteilte, aber keine Erklärung abgab, in der sie Israels Aggression gegen Gaza und den anhaltenden Völkermord in Palästina verurteilte, der von unabhängigen Experten dokumentiert wurde. Dabei ignorierte sie die Tötung von 20.000 Palästinensern, von denen 45 Prozent Kinder sind. Diese Doppelmoral wird dadurch untermauert, dass die Schweiz weiterhin, wenn auch unbemerkt, wirtschaftliche und militärische Beziehungen zur Kriegsmaschinerie der israelischen Besatzung pflegt.
Militärische Beziehungen
2015 bestellte die Schweiz bei der israelischen Firma ELBIT Systems 6 Hermes 900 HFE-Drohnen, das gleiche Modell, mit dem auch der Gazastreifen bombardiert wird, zum Preis von 326 Millionen US-Dollar. Vier Jahre später wurde ein neuer Vertrag mit ELBIT und eine Zusammenarbeit mit dem staatlichen Schweizer Waffenhersteller RUAG unterzeichnet.
Im Gegenzug vermittelte das Schweizer Verteidigungsdepartement (VBS) Gegengeschäfte mit rund 40 Schweizer Unternehmen, die das Schweizer Know-how zur „Erweiterung und Perfektionierung der Kampfdrohne“ nutzen. An den vom VBS arrangierten Gegengeschäften ist die Schweizer Vorzeigehochschule EPFL (École Polytechnique Fédérale de Lausanne) beteiligt. Ihre Schwesterhochschule, die ETH Zürich, ist hingegen zusammen mit dem israelischen Rüstungsunternehmen IAI an einem 65 Millionen Euro teuren Forschungsprojekt über Flugzeugtechnologien beteiligt.
Es überrascht nicht, dass die renommierte Schweizer Hochschule ETH, die in eine unethische Zusammenarbeit mit dem Siedlerstaat verwickelt ist, aktiv dafür gesorgt hat, dass kritische Stimmen unter ihren Studierenden und Lehrkräften zum Schweigen gebracht werden, wenn sie nur über Fakten berichten oder kritische akademische Forschung zu Palästina betreiben, während sie ihnen keine Sicherheit und Unterstützung gewährt.
Noch erschreckender ist, dass das israelische Unternehmen VERINT, das von einem ehemaligen Agenten des Mossad und der Einheit 8200 der israelischen Armee gegründet wurde, Abhörsysteme an das Bundesjustizministerium und die Polizei liefert. Im Jahr 2021 deckte RTS auf, dass auch die Schweizer Behörden israelische Spionagesoftware, PEGASUS, bei ihren Ermittlungen einsetzen.
Es wird geschätzt, dass die Schweiz zwischen 1996 und 2005 insgesamt militärische Ausrüstung im Wert von über einer halben Milliarde Dollar von Israel gekauft hat.
Doch die Schweiz beschränkt sich nicht auf den Kauf von Militärgütern. Sie trägt auch durch den Verkauf von Militärgütern wie Panzern, Flugzeugen, Ausrüstungen und Munition zu Kriegsmaterial bei. In der Vergangenheit haben staatliche und private Schweizer Unternehmen mit israelischen Partnern bei der Entwicklung von Streumunition, Drohnen, Aufklärungssystemen, INTAFF und anderen Produkten zusammengearbeitet. Im Laufe von fünf Jahren zwischen 2008 und 2013 hat die Schweiz Verkäufe in den Kategorien Kriegsmaterial und Militärgüter an Israel getätigt.
Wirtschaftliche Bindungen
Abgesehen von den militärischen Beziehungen ist Israel der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz im Nahen Osten. Seit der Staatsgründung 1948 bestehen regelmäßige Wirtschaftsbeziehungen und Kooperationen, und seit 1993 gibt es ein Freihandelsabkommen. Die Schweiz hat weder diese Handelsabkommen noch eine andere offizielle Zusammenarbeit mit Israel an die Einhaltung der Genfer Konventionen oder die Achtung des Völkerrechts und der Menschenrechte durch Israel geknüpft. Obwohl die Schweiz eine Zwei-Staaten-Lösung fordert, verbietet sie solche Wirtschaftsbeziehungen nicht, schließt keine Firma von der Finanzierung aus oder warnt sie davor, in den besetzten palästinensischen Gebieten tätig zu werden oder mit Siedlungsgütern zu handeln – ein Verstoß gegen das Völkerrecht, gegen den sogar die EU konkrete Maßnahmen ergriffen hat.
Zu den Argumenten unserer Kampagne gehört Folgendes: „Die Schweiz hat millionenschwere Geschäfte mit israelischen Waffen- und Sicherheitsfirmen wie ELBIT und VERINT abgeschlossen“ und „mindestens sieben Schweizer Unternehmen sind in Aktivitäten in den besetzten palästinensischen Gebieten verwickelt, darunter Liebherr, Nestle/Osem, HBI Haerter AG, Lonza, Perapa AG, Tyco International, Von Roll Transformers.“
Da die Schweiz Mitglied und Depositarstaat der Genfer Konvention ist, muss sie als Antwort auf die israelischen Verstöße gegen das Völkerrecht und die Genfer Konventionen eine stärkere Haltung einnehmen.
Da die Schweiz bis heute an ihrem Neutralitätsprinzip festhält, ist sie verpflichtet, die Anforderungen an einen neutralen Staat zu erfüllen. Sollte die Schweizerische Eidgenossenschaft tatsächlich den Frieden im Nahen Osten unterstützen, für den sie sich angeblich einsetzt, muss sie sofort einen Waffenstillstand im besetzten Gazastreifen und das Ende der Blockade fordern. Sie muss das Leid und die Unterdrückung des palästinensischen Volkes anerkennen, Israel auffordern, sich an das Völkerrecht zu halten, die Besatzung zu beenden und öffentlich die Abschaffung des Apartheidsystems fordern, das Israel gegen die Palästinenser und Palästinenserinnen errichtet hat.
In offiziellen Erklärungen erwähnt die Schweiz immer wieder das Recht Israels, sich zu verteidigen, und übersieht dabei völlig, dass seit dem 7. Oktober über 20.000 Palästinenser getötet wurden. Nach internationalem Recht und verschiedenen Resolutionen der UN-Generalversammlung haben Palästinenserinnen und Palästinenser das Recht auf Selbstverteidigung und auf Widerstand gegen Besatzung und Kolonialisierung, auch durch bewaffneten Kampf. Deshalb muss die Schweiz die Kriminalisierung palästinensischer Gruppen, die diesen rechtmäßigen Widerstand gegen die Besetzung und Kolonialisierung ihres Landes leisten, zurücknehmen. Außerdem darf ein Land, das sich auf seine Neutralität beruft, keinen militärischen Austausch mit einer Militärmacht haben, die fremdes Land illegal besetzt. Die Schweizerische Eidgenossenschaft muss jegliche militärische Zusammenarbeit mit Israel, israelischen Waffen und Sicherheitsfirmen beenden und alle ihre Geschäfte mit Israel davon abhängig machen, dass dieses das Völkerrecht, die Menschenrechte und die Genfer Konventionen einhält. Die Schweizerische Eidgenossenschaft muss außerdem Maßnahmen ergreifen, die verhindern, dass Schweizer Unternehmen von der israelischen Besatzung profitieren oder mit Produkten aus den Siedlungen handeln – eine Politik, die sogar die EU verfolgt.
Wir sind der festen Überzeugung, dass unsere Kampagne ein entscheidender Schritt ist, um das Engagement der Schweiz in der Region für die Öffentlichkeit transparent zu machen und um sicherzustellen, dass sich die Schweiz nicht an Verstößen gegen das Völkerrecht beteiligt und dass die uneingeschränkte Unterstützung und Finanzierung der Besetzung Palästinas beendet wird.
Wir fordern die arabischen Staaten und die internationale Gemeinschaft insgesamt auf, ihre Investitionen in der Schweiz sofort zurückzuziehen, den Tourismus in die Schweiz einzustellen und die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Land auszusetzen.
Die arabische Welt ist mit 4,9 % an den gesamten Exporteinnahmen der Schweiz beteiligt, während die GCC-Länder allein 3,5 % ausmachen. Der arabische Tourismus in der Schweiz füllt die Schweizer Kassen jährlich mit fast einer halben Milliarde Dollar und macht mehr als 5 % aller Hotelübernachtungen aus. Im Jahr 2021 verfügten allein die VAE über Kapitalbeteiligungen in der Schweiz in Höhe von 1,335 Milliarden Franken (1,450 Milliarden Dollar). Im Jahr 2022 gehörten fünf arabische Länder zu den Top 30 Märkten für Schweizer Uhrenexporte, auf die 2,07 Milliarden Franken entfallen, was 8,3 % des gesamten Schweizer Uhrenexportanteils ausmacht.
Nur wenige Tage nach der Lancierung gab die Schweizerische Eidgenossenschaft nicht nur die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand auf, sondern eskalierte ihre Haltung noch weiter, indem sie die Hilfe für die führende UN-Hilfsorganisation im Gazastreifen, UNRWA, kürzte – zu einem Zeitpunkt, an dem ihr Engagement für das Überleben der bombardierten Palästinenser und Palästinenserinnen entscheidend ist.
Die Reaktion auf die Schweizer Positionierung in Form eines organisierten Boykotts könnte zu erheblichen finanziellen Verlusten führen, da die arabische Welt mit 4,9 % an den gesamten Exporteinnahmen der Schweiz beteiligt ist.
Länder, die an der systematischen ethnischen Säuberung der Palästinenser durch den Siedlerkolonialstaat Israel beteiligt sind, müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Der Boykott ist zweifelsohne ein wichtiges Instrument, um Druck auf diese Regierungen auszuüben, damit sie ihre illegale Hilfe für Israel einstellen.
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Zum Originalartikel auf der US-amerikanischen Plattform Mondoweiss in englischer Sprache, mit einigen zusätzlichen Illustrationen und Verlinkungen auf die Quellen. Globalbridge.ch hat die in diesem Artikel aufgeführten Massnahmen der Schweizer Regierung und die genannten Wirtschaftszahlen nicht überprüft. Die Übersetzung besorgte Christian Müller.
PS: Dass die Schweizer Regierung, der Bundesrat, die historisch gewachsene Neutralität der Schweiz zur Zeit nicht einhält – zum Beispiel mit der skandalösen pauschalen (!) Übernahme der EU-Sanktionen gegen Russland – ist auch die Beobachtung und Analyse des Herausgebers der Plattform Globalbridge.ch, Christian Müller. Die Schweiz ist prädestiniert, bei internationalen Konflikten eine Vermittlerrolle spielen zu können. Er empfiehlt deshalb die Unterzeichnung der sogenannten Neutralitätsinitiative, damit es zu einer Volksabstimmung zu diesem wichtigen Punkt in der Schweizer Außenpolitik kommen muss.
Quelle: https://globalbridge.ch/auch-die-kleine-schweiz-wird-international-genau-beobachtet-und-kritisiert/
Mit freundlicher Genehmigung von und Dank an Christian Müller/Globalbridge.ch