Psychologe Dr. Albert Wunsch: Ich bin gegen eine Frühsexualisierung von Kindern, weil ...
Psychologe Dr. Albert Wunsch: Ich bin gegen eine Frühsexualisierung von Kindern, weil ...
es nicht die Aufgabe von Schulen ist, staatliche Beihilfe zum ‚geistigen Missbrauch von Schutzbefohlenen’ zu gewährleisten.
Dazu einige Erläuterungen
Bildung ist nicht das automatische Ergebnis einer Vermittlung von Fakten. Wenn dem so wäre, hätten wir auf Grund unseres großen Wissenstandes ja eine super Bildungs-Situation.
Schule präsentiert sich seit Jahren immer stärker als Institution der Wissensvermittlung. Im Sinne der Ausführungen Adornos zum Phänomen der Halbbildung ist hier zu fragen, ob dieses überhaupt zu Bildung führt.
Soll im Rahmen organisierter Lernstoff-Vermittlungs-Prozesse in Schulen trotzdem Bildung ermöglicht werden, ist ein guter pädagogischer Bezug zwischen Lernenden und Lehrenden unabdingbare Voraussetzung. Dieser kann in der Schule nicht automatisch voraus gesetzt werden.
Ergänzend benötigen Informations-Vorgänge jeder Art zur angemessenen Aufnahme neben einem guten Bezug zum Informierenden auch eine passgenaue Anknüpfung an das Denken, Empfinden und die Nachvollziehbarkeit des Gegenübers. Dies ist besonders bei Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen.
Je substantieller und wertorientierter Bildungsimpulse zu vermitteln sind, je ungeeigneter ist das System Schule, weil eine Vermittlung von Fakten selten Haltungen grundlegen.
In einer Zeit, in welcher sich die eigene Sexualität erst im Aufbau befindet, ist ein Querschnitts-Unterrichtsthema ‚Sexuelle Vielfalt’ nicht nur nicht zu empfehlen, sondern kontraproduktiv und destruktiv. Wer lehrt schon mathematische Kurvendiskussionen in einer zweiten Klasse?
Jede Information, welche zu früh, in falschen Rahmenbedingungen oder von ungeeigneten Personen an Kinder und Jugendliche herangetragen wird, löst leicht Verwirrung oder Ablehnung aus. Nicht selten bewirkt sie das Gegenteil.
Diese Zusammenhänge sind besonders beim Thema Sexualität berücksichtigen. Eltern und andere Bezugspersonen haben immer die Aufgabe, auftretenden Fragen angemessen zu beantworten. Hier steckt in jeder verfrüht oder in falschen Situationen angetragenen Information die große Gefahr, erst recht wenn es um funktionalisierte Lehrpläne geht, dass sie nicht verarbeitet werden kann. Halb Verstandenes ist jedoch Gift für eine Kinderseele, falsche bzw. fehlende Zuordnungen lösen Unsicherheit und Angst oder eine Früh-Sexualisierung aus.
Alle Menschen im Umfeld von Heranwachsenden müssten erkennen und berücksichtigen, dass ganz nahe an den Persönlichkeitskern herangehende Themen nur mit viel Fingerspitzengefühl, einer großen eigenen Authentizität und in einem sicheren Bezug vermittelbar sind. Ob dies um sexuelle, ethnische, religiöse, ethische, auf das Aussehen bezogene oder weitere Eigenheiten geht.
Das Thema ,sexuelle Aufklärung’ im Sinne was geht wie, mag in einem begrenzten Umfang auch von der Schule einzubringen sein. Die gezielte Hinführung zu einer bestimmten sexuellen Identität steht niemand zu, weil diese sich aufgrund der körperlich-psychischen Disposition des Einzelnen ab der Pubertät immer stärker – nicht selten fast lebenslang – entwickelt. Stattdessen ist hier eine sehr behutsame Begleitung von Kindern und Jugendlichen angesagt, welche in erster Linie – so wird dies ausdrücklich im Grundgesetz geregelt – Chance, Aufgabe und Pflicht der Eltern ist.
Das Vermitteln von Toleranz ist – gerade in einer ‚Multi-Kulti-Welt’ – ein wichtiges gesamtgesellschaftliches Ziel. Zur Umsetzung haben alle ihren Teil beizutragen, ob Eltern, Verwandte, Kindergärten, Schulen, Arbeitsstätten, Sozialverbände, Medien, Parteien und Glaubensgemeinschaften. Sie lässt sich aber nicht einfach per Lehrplan abarbeiten sondern wird am Stärksten durch einen angemessen Umgang mit der Auffassung Anderer deutlich. Kinder und Jugendliche nehmen diese Vorgänge sehr intensiv auf. Eltern, pädagogische Fachkräfte und Politiker haben da eine besonders wichtige Vorbild-Funktion.
Eine Hinführung zu einem nicht hetero-sexuellen Lebenskonzept durch ein Aufzeigen angeblicher Nachteile oder durch Fragen, z.B. ‚wann sich Kinder oder Jugendliche für ein hetero-sexuelles Leben entschieden haben’, wie dies auch im Zusammenhang der LSBTTI-Initiative mehr oder weniger offensichtlich gefordert wird, ist nicht hinnehmbar, weder per schulischem Lehrplan, noch durch andere Initiativen.
Wenn jedoch LSBTTI-Initiativen die Entwicklung zu einer sexuellen Identität als von außen direkt formbar ansehen, dann dürften die Schwulen- und Lesben-Verbände nicht mehr gegen therapeutische Maßnahmen mit dem Ziel einer hetero-sexuellen Umorientierung Sturm laufen. Die Steuerung des Bildungsinhaltes konnte demnach also nicht von einem repräsentativen Querschnitt der sich benachteiligt fühlenden Gruppe ausgehen.
Wenn es den LSBTTI-Vertretern wirklich um mehr Toleranz gegen Andersartigkeit bzw. um eine größere Akzeptanz von Vielfältigkeit ginge, würden sie ihre Forderungen nicht einseitig auf die „sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität“ fokussieren. Stattdessen hätten sie ein Diversity-Konzept vorlegt, um so einen deutlichen Impuls für ein Leben in Vielfalt ohne jegliche Diskriminierung zu setzen. Ein solches ist jedoch nicht zu finden.
Auch eine Gruppierung, welche nur einen kleinen Prozentsatz innerhalb der Gesamt-Bevölkerung ausmacht, hat in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung das Recht, eigene Auffassungen frei leben zu können, solange sie nicht gegen geltendes Recht verstoßen. Will eine Minderheit ihre Grundsätze jedoch der Mehrheit aufpfropfen, stellt sie sich damit selbst ins Aus. Sie erweist sich gar als gewalttätig und missbrauchend.
An der Art, wie in der nächsten Zukunft die Befürworter eines Bildungsplanes für mehr sexuelle Vielfalt und Toleranz mit der Auffassung und den sachlichen Einwänden anders Denkender umgehen, wird deutlich, ob der Toleranz-Begriff wirklich ins Leben getragen oder nur als Kampfmittel zur Durchpeitschung eigener Standpunkte genutzt wird.
Immer dann, wenn gesellschaftliche Gruppen ihre ganz speziellen Forderungen durchdrücken wollen, hat ein demokratischer Staat darauf zu achten, dass dabei keine Majorisierung stattfindet. Wenn andere gesellschaftliche Gruppen mit ihren speziellen Inhalten auch auf die Idee der LSBTTI-Vertreter kämen, die Schule für ihre Ziele zu nutzen, würde von dort der größte Aufschrei erwartbar sein.
Übrigens kann »sexueller Vielfalt« im Grunde alles bedeuten und legitimieren, denn zu einer solch schwammigen Forderung gehört auch – selbst wenn ich dies den Befürwortern der Forderung nicht unterstelle – Sex mit Kindern, Sex mit Tieren, Sex per Exhibition, Sex in Verbindung mit Gewaltanwendung. Es wird reichlich Menschen geben, welche ihre eigenen verwerflichen sexuellen Verhaltens-Praktiken auf diese Weise legitimiert sehen.
So wichtig eine Hinführung zu Toleranz als Querschnittsaufgabe in Erziehung und Bildung auch ist, Schritte zur Umsetzung setzen ein wesentlich reflektierteres Vorgehen voraus, als dies innerhalb der aktuellen politischen Diskussion bisher erfolgte. Auch die Auffassung, dass eine Umsetzung viel eher ins Elternhaus gehört, wird derzeit ausgeklammert. Denn nur dort ist am ehesten eine dem jeweiligen Entwicklungsstand angemessene sprachliche und atmosphärische Herangehensweise möglich. Auch gilt für alle Werte-Themen, dass eine Übernahme auf ein starke positive Beziehung zwischen Kind und Erwachsenem angewiesen sind. Beides kann und soll nach unserer Verfassung die Schule nicht leisten. Von daher ist es nur logisch und konsequent, dass die pauschale Forderung einer »Akzeptanz sexueller Vielfalt« als Leitlinie und fächerübergreifender Lehrstoff aus schulischen Bildungsplänen zu streichen ist.
Theodor W. Adorno hat in seiner Schrift zur Theorie der Halbbildung verdeutlicht, dass „Halbbildung“ als eine je nach Perspektive des Urteilenden lückenhafte, oberflächliche Bildung sei, welche nur als Selbstzweck oder zur Anpassung erworben wird. Im Kern bezeichnet er das ‚Halbverstandene als den Todfeind wirklicher Bildung’. In seiner Theorie der Unbildung hat Konrad Paul Liessmann – basierend auf Adornos Vorgaben zur Halbbildung – herausgestellt, dass Bildung meist auf die Vermittlung von Informationen reduziert werde, die irgendwie verwertbar seien, und, dass assoziatives Denken nicht mehr gefordert, sondern nur noch Informations-Fragmente verlangt werden. Die mit Bildung verbundene Handlungs-Verantwortung bleibt dabei außen vor.
Insgesamt täte allen Menschen gut, welche für eigene Standpunkte – oft lauthals und kompromisslos – Toleranz einfordern, ein paar Nachhilfestunden bei einem großen Vordenker der europäischen Aufklärung zu nehmen: „Ich teile Ihre Meinung nicht, ich werde aber bis zu meinem letzten Atemzug kämpfen, dass Sie Ihre Meinung frei äußern können.“ (Voltaire).
Immer wenn das Eintreten ‚für Toleranz’ gegenüber eigenen Lebensgrundsätzen mit intoleranten, aggressiven und diffamierenden Mitteln durchzusetzen versucht wird, entlarvt sich ein solches Agieren als Indoktrination. Dies ist das exakte Gegenteil von dem, was der große Soziologe Jürgen Habermas schon innerhalb der 68ziger Umbrüche forderte: „Einen herrschaftsfreien Diskurs.“
In Ergänzung zu diesem Offenen Brief ein zum selben Thema veröffentlichtes Interview von mir:
http://www.medrum.de/content/buergerinnen-und-buerger-sollten-wachsam-sein
Copyright: Dr. Albert Wunsch, 41470 Neuss, Im Hawisch 1
Angaben zur Person:
Dr. Albert Wunsch ist Erziehungswissenschaftler, Psychologe, Supervisor (DGSv) und Konflikt-Coach. In Neuss leitete er ca. 30 Jahre ein Jugendamt, bevor er an die KaHo Köln wechselte. Außerdem lehrt er seit über 25 Jahren an der Uni Düsseldorf. Seit dem 1.1.2013 ist er hauptberuflich an der FOM in Essen und Neuss tätig. Er arbeitet in eigener Praxis als Paar-, Lebens- und Erziehungs-Berater. Seine Bücher, Die Verwöhnungsfalle (auch in Korea und China erschienen), Abschied von der Spaßpädagogik und Boxenstopp für Paare lösten ein starkes Medienecho aus und machten ihn im deutschen Sprachbereich sehr bekannt. Er ist Vater von 2 erwachsenen Söhnen und Großvater von 3 Enkeltöchtern. Sein neustes Buch: Mit mehr Selbst zum stabilen ICH – Resilienz als Basis der Persönlichkeitsbildung, ist im Herbst 2013 erschienen.
Ein Kurztext von der Basis, damit möglichst viele Menschen begreifen: Es geht hier nicht um Bildung, sondern um eine massive Störung der kindlichen Entwicklung. Und das geschieht schon aktuell, ohne neue Bildungspläne
"Meine Tochter (8) wird jetzt gerade im der 3. Klasse auch damit konfrontiert. Sie lernt alle „inneren Organe“ im Unterleib, erzählte mir gerade gestern von Eichel und Schwellkörper. Wichtiges Basiswissen für den Umgang mit Lego und Playmobil. Oh nein, einige Kamerad/innen haben schon ihre Tabletts und schauen Barbie-Filme, in denen es nur um Aufreißen und Geilsein geht. In der Schule gab es den Film „HILFE, ich bin ein Junge!“, den will ich jetzt selbst noch suchen. Nach einer Woche Sexualkunde mit 8 stehen für sie zwei Erkenntnisse fest, ich zitiere sie hier erstmalig:
"Ich will nie ein Kind kriegen!"
"Ich will nie erwachsen werden!"
Und heute Morgen (ganz beiläufig auf dem Klo): „Papa, ich will immer Kind bleiben, geht das nicht irgendwie?“ Sie hat auch gelehrt bekommen (so kam es bei ihr an), dass Jugendliche ab 10 (!) in der Pubertät dann nicht mehr das tun müssen, was die Erwachsenen ihnen sagen. Diese Kinder merken es nicht mehr selbst, sie kriegen es schon als Ziel in den Kopf gesetzt. Wozu müssen sie mit 8 wissen, was vier Jahre später die Pubertät ist und wie dann die Geschlechtsorgane beim Sex funktionieren?"
Quelle: Ein besorgter Vater in einer Mail an Albert Wunsch: „Was soll / kann ich tun?“
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