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Gibt es das Karriere-Gen?

Was darüber entscheidet, ob wir erfolgreich sind.
01. April 2013
Diese Fragen stellt das Frauenmagazin "Annabelle" und organisiert dazu eine Podiums-Diskussion im Kaufleuten Zürich am 9. Juni 2011. Auf dem Podium sind Valerie Gürtler-Doyle (Biochemie Studium), Susanne Rietiker (Marketingleiterin), Alice Walder (Chefärztin Innere Medizin), Ueli Mäder (Studium Soziologie, Philosophie, Psychologie, Psychotherapie). Moderator ist Filippo Leutenegger (Politiker, Ökonom, Jurist).

Die provokative Frage nach dem "Karriere-Gen"   – natürlich gibt es das nicht und das wissen wohl auch die meisten Menschen   – hat mich bewogen, dem Moderator und dem Humanwissenschaftler zu schreiben:

Sehr geehrter Herr Leutenegger,

Sie werden den Annabelle-Business-Talk mit dem Titel „Gibt es das Karriere-Gen?“ moderieren. 

Dazu habe ich eine Frage und eine Bitte an Sie: Was soll bei dem Talk herauskommen? Wissen Sie es   – als Moderator?

Wissenschaftlich korrekt lautet die kurze Antwort auf die   – m.E. provokante   – Frage nach dem „Karriere-Gen“: Nein, ein Karriere-Gen gibt es nicht, genau so wenig, wie es ein Intelligenz-Gen, ein „Hunter-Gen“ oder ein ADHS-Gen gibt. Punkt. 

Man könnte das belanglose, vielleicht unterhaltsame Geplauder über Karriere und Vitamin-B als Marketinggag einer Publikumszeitung abtun, schliesslich ist die Annabelle ja kein medizinisches Fachblatt. Wäre da nicht die grosse Orientierungslosigkeit der Eltern über die Bedeutung von Genen für die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder. Und viele junge Mütter lesen Annabelle. Eine klare Antwort auf die Frage wäre für Eltern segensreich! 

Daher nun meine Bitte an Sie, sehr geehrter Herr Leutenegger: Gut wäre, wenn zu Beginn der Diskussion die Gen-Frage geklärt werden könnte   – Nein, die Gene sind es nicht   – es ist die Art und Weise, die gefühlsmässige Stimmung und Haltung, wie Eltern ihre Kinder ins Leben einführen vom ersten Lebenstag an. Kurz: Es ist die Erziehung. Punkt. Ob Herr Mäder hierbei eine klare Position vertritt, weiss ich nicht, schön wär’s. 

Es könnte auch für Annabelle vorteilhaft sein, wenn in Zukunft wissenschaftlich fundierte Artikel über Kindererziehung publiziert würden. 

Wenn Sie möchten, lesen Sie in Vorbereitung auf Ihre Moderation folgende Publikationen: 

Über eine Rückmeldung würde ich mich freuen.

Mit freundlichen Gruessen
Willy Wahl

. . .

Sehr geehrter Herr Mäder, 

ich sandte Herrn Leutenegger eine Nachricht, worauf er kurz antwortete. Ich gebe Ihnen diese gerne (weiter unten) zur Kenntnis. 

Ich wende mich an Sie, da Sie meines Erachtens der am meisten ausgewiesene Wissenschaftler auf dem Podium sind, der Fundiertes zur Frage der Gene für die Charakterentwicklung, für menschliche Verhaltenweisen und letztlich für die Karriere eines Menschen sagen kann. 

Wäre es nicht sinnvoll, wenn als Fazit der Podiumsdiskussion stünde: Nein, die Gene sind es nicht, es ist die Erziehung. Der Mensch ist nicht   – er wird! Punkt. 

Die beiden Damen Rietiker (angeborener „Hunter-Instinkt“) und Walder (genetische Veranlagung für individuelle Persönlichkeitsstruktur) werden wohl nicht einverstanden sein, falls Sie diese wissenschaftlich längst geklärte Position in so klarer Form vertreten sollten. Aber Pharmazeuten und Mediziner sind in Psychologie, Pädagogik und Hirnforschung in der Regel nicht auf dem neuesten Stand. 

Mit grossem Unbehagen beobachte ich die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich gesicherter Erkenntnis über die Bedeutung der Erziehung für die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen und der Orientierungslosigkeit der Eltern.

Ich sehe vor allem zwei sich einen wissenschaftlichen Anstrich gebenden Gruppierungen, die ungeachtet aller Fakten gnadenlos an der Verunsicherung der Eltern arbeiten: die Ritalin-Lobby und die am Oben und Unten festhaltenden Befürworter einer Elite, die an einem „Intelligenz-Gen“ festhalten, ähnlich dem seinerzeitigen „blauen Blut“. 

Ob Sie sich, sehr geehrter Herr Mäder, dem vermutlich zu erwartenden Widerstand dieser Leute aussetzen wollen weiss ich nicht, aber es wäre diringend an der Zeit, endlich mit der Produktion von ADHS-Kindern aufzuhören. Untersuchungen wie die nachstehende von Todd Elder müsste Ärzte, Pädagogen, Eltern und Politiker aufschrecken:

„Rund eine Million falsche ADHS-Diagnosen bei Kindern in den USA“

Lesen Sie bitte auch den brillanten Vortrag von Matthias Wenke.

Kennen Sie das Buch von Peter Kropotkin „Die gegenseitige Hilfe in der Tier-und Menschenwelt“? Falls nicht, kann ich es sehr empfehlen, ebenfalls „Wie der Mensch zum Menschen wurde“ von Leaky und Lewin. Aber wahrscheinlich kennen Sie das alles. 

Die Frage nach dem Erfolg ihrer Kinder in der heutigen knallharten Geschäftswelt brennt den meisten Eltern unter den Nägeln. Da hat Annabelle sicher einen Nerv getroffen und viele Leserinnen, worunter wahrscheinlich zahlreiche junge Mütter sind, werden mit Interesse in den kommenden Ausgaben die „Karriere-Gen-Diskussion“ verfolgen. Ich wünschte mir, der zu erwartende Feedback würde den Eltern Orientierung geben. 

Über eine Rückmeldung von Ihnen würde ich mich freuen.

. . .

Sowohl Herr Leutenegger wie auch Herr Mäder haben mir sehr freundlich geantwortet.

Im Vorspann zur Podiums-Diskussion geht Annabelle unter dem Titel "Zum Leader geboren?" auf die Biografie der zweifachen "Unternehmerin des Jahres"  Heliane Canepa ein:

"Heliane Canepa wurde bereits als kleines Mädchen gefordert. Doch bei ihr stimmte die Mischung aus Fördern und Fordern. Sie war die Zweitälteste von fünf Geschwistern, doch da die älteste Schwester schüchtern und gemäss Canepa vor allem an ihrem Aussehen interessiert war, war die vorwitzige Heliane zur Stelle. Man sieht ihr den kindlichen Stolz noch an, wenn sie erzählt, dass sie vom Vater jeweils den Hausschlüssel bekommen habe mit dem Auftrag, zum Rechten zu sehen, wenn die Eltern in die Ferien fuhren und ihre Kinderschar allein zuhause liessen. Der Vater ging mit der damals Neunjährigen durchs Haus und erklärte ihr, welche Fensterläden sie schliessen müsse, wenn ein Gewitter im Anzug sei. Am Tag vor der Rückkehr der Eltern organisierte Heliane jeweils das Aufräumen. «Ich verteilte die Aufgaben. Selber habe ich kaum geputzt», sagt sie und lacht wieder ihr ansteckendes Lachen. Den Kindern so früh so viel Verantwortung übergeben   – welche Eltern würden sich das heute getrauen? Nun, Heliane Canepa ist überzeugt, dass es nicht geschadet hat. Im Gegenteil."

Der pädagogisch aufmerksame Leser erkennt rasch, welche Bedeutung die Vater-Tochter-Beziehung für die Persönlichkeitentwicklung von Frau Canepa hatte.

Ferner zitiert Annabelle eine amerikanische Studie, die explizit auf die Bedeutung der Erziehung hinweist:

"Wie wichtig Selbstdisziplin für den späteren Erfolg ist, bestätigen US-Forscher von der Duke-Universität, die in einer Langzeitstudie die Charakterentwicklung von tausend Kindern von ihrem 3. bis zum 32. Lebensjahr beobachtet haben. Sie fanden heraus, dass sich Wohlstand, Gesundheit und soziale Lebensumstände deutlich positiver entwickeln, wenn die Studienteilnehmer schon als Dreijährige vergleichsweise selbstbeherrscht waren. Dagegen neigen Personen, die sich als Kleinkinder nicht im Griff hatten, später zu Verarmung, Drogensucht und Kriminalität. Die Forscher weisen auf die wichtige Rolle der Erziehung hin: Kinder lernen Selbstdisziplin, wenn sie dazu angehalten werden."

Quelle:
http://www.annabelle.ch/gesellschaft/karriere/auf-dem-podium-zum-business-talk-gibt-es-das-karriere-gen-16301

Beiträge zu Alfred Adler und Friedrich Liebling