Bröckers: Notizen vom Ende der unipolaren Welt
Oder zumindest der “Führer”, der am 2. Juli 1942 dort sein östliches Hauptquartier “Werwolf” bezogen hatte, um für drei Monate den Krieg an der Ostfront zu beaufsichtigen. Das Country Club-artige Gelände mit 81 Gebäuden, drei Bunkern, Kino, Sauna und Swimmingpool wurde von 4000 Zwangsarbeitern errichtet, die anschließend in Massengräber verscharrt wurden.
Dem Bestreben, dort nicht nur eine Gedenkstelle für die Opfer, sondern ein Museum einzurichten, hatte sich die Regierung Yanukowitsch 2011 noch widersetzt, 2016 jedoch wurde ein Museum errichtet – der Hitler-Bunker, berichtete die “Welt”, soll Besucher in die Ukraine locken. Zu besichtigen ist dort allerdings nichts mehr, die Anlage wurden von den Deutschen bei ihrem Rückzug gesprengt und besteht nur noch aus einem Trümmerfeld. Zu einem solchen hatte die Naziarmee bei ihrem Rückzug auch die angrenzende Stadt Winniza gemacht, die dann von der Sowjetunion wieder aufgebaut wurde – unter anderem mit einem stattlichen, neo-klassischen Bau im Zentrum, dem “Haus der Offiziere”. Dieses liegt seit dem vergangenen Mittwoch, wie das russische Verteidigungsministerium am 14.7. meldete, ebenfalls in Trümmern:
“Am 13. Juli wurden auf das “Haus der Offiziere” der Garnison in Winniza die hochpräzisen, seegestützten Kalibr-Raketen gestartet. In der Einrichtung fand eine Konferenz der ukrainischen Streitkräfteführung mit Vertretern ausländischer Waffenlieferanten statt, auf der die Entsendung einer weiteren Charge von Flugzeugen, Zerstörungsmitteln sowie die Organisation der Reparatur ukrainischer Flugzeuge erörtert werden sollten. Der Angriff führte zur Ausschaltung der Konferenzteilnehmer.”
Letzteres wurde von ukrainischer Seite nicht bestätigt, dass aber das Haus der Offiziere dahin ist, zeigen zahlreiche Fotos und Videos des Gebäudes, zu denen von westlicher Seite aber nur von russischen “Angriffen auf Zivilisten” (und 24 Toten) die Rede ist – dass der Offiziersclub ein “mögliches Ziel” der Attacke gewesen ist, wird von der “New York Times” im sechsten Abschnitt des Artikels eher nebenbei erwähnt. Tatsächlich war er das eigentliche Ziel und wurde aus 200 Kilometern Entfernung exakt getroffen, was für die triumphalistischen Medien aber nicht ins Bild passt und besser unerwähnt bleibt. Zumal man dann auch hinzufügen müsste, dass derartige Treffer auch auf jedes andere Gebäude, jeden anderen Treffpunkt, jederzeit möglich sind und selbst neuartige Führerbunker vor Kinzhal, Sarmat & Co. nicht sicher.
Für NATO-Berater, Waffenhändler und ihre Freunde gilt: ukrainische Offiziersclubs besser meiden – die Russen haben da ungute Erinnerungen. Sie sehen das mit Autokratie vs. Demokratie historisch und aktuell genau anders herum als der kollektive Westen.
Und sie haben offensichtlich die besseren Raketen, was den “Experten” des US-Imperiums allerdings schwer in den Kopf geht. Wenn sie sich ihr Budget ansehen, kann und darf das eigentlich nicht sein. Deshalb wurde schon im März verkündet, dass Russland bald die Raketen ausgehen. Im Juli aber dann festgestellt, dass schon 2.500 gefeuert wurden und kein Ende abzusehen ist.
Dass im Gegenzug mit den amerikanischen HIMARS jetzt auch ein paar Munitionsdepots und zivile Gebäude hinter der Frontlinie zerstört werden konnten, wird in den Medien zwar als Erfolgsgeschichte verkauft, ist aber nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Seit dem 24. Februar werden //eng.mil.ru/en/news_page/country/more.htm?id=12429464@egNews">jeden Tag und jede Nacht ukrainische Depots, Stützpunkte und Militäreinrichtungen von russischen Raketen getroffen. Selbst wenn morgen nicht nur ein halbes Dutzend, sondern von Zauberhand 100 HIMARS an der Donbass-Front stünden, würde das die Schlacht zwar verlängern, aber nicht entscheiden.
Dass der regierende Komiker Zelenski jetzt tönt, die Ost-Ukraine und die Krim zurückzuerobern, hat wenig mit irgendeiner realistischen Aussicht zu tun, sondern eher mit zu viel kolumbianischem Marschierpulver – sowie der Anweisung seiner transatlantischen Overlords, bis zum letzten Ukrainer kämpfen zu lassen. Was gnadenlos grausam ist: allein bei den Raketenangriffen, so der Blog “Military Summary”, der ukrainische und russische Quellen auswertet, kommen derzeit etwa 25.000 Soldaten und Söldner der ukrainischen Armee ums Leben.
Dass es zu diesem schrecklichen, sinnlosen Blutvergießen kommen wird, hatte ich hier seit Anfang März vorhergesagt und deshalb im Namen realpolitischer Vernunft sofortige Verhandlungen gefordert. Das hätte zigtausende Tote und unendliches Leid erspart, doch der kollektiv wahnsinnige Westen hat noch immer nicht genug davon und lässt weiter kämpfen und sterben. Kriegskanzler Scholz haute dafür vor seinem Urlaub im Allgäu in einem Gastbeitrag für die FAZ noch einmal auf den Putz:
“Dass wir unsere Sanktionen womöglich lange Zeit aufrechterhalten müssen, war uns von Beginn an klar”, schrieb Scholz. Präsidenten Wladimir Putin müsse klar sein, dass bei einem russischen Diktatfrieden in der Ukraine keine einzige Sanktion aufgehoben werde.
Auch wenn man den Unsinn noch so oft wiederholt, dass man sich keinen Frieden “diktieren” lassen will: wer im Krieg verliert, kommt um Diktate nicht herum. Und wer “zum geopolitischen Akteur” werden will, was Scholz angeblich möchte, kann das niemals, wenn er sich als unterwürfiger Vasall von der Energieversorgung abschneidet und den Industriestandort Deutschland mit Vollgas an die Wand fährt. Die Drohung, dass auch bei Kriegsende keine einzige Sanktion aufgehoben wird, war den Russen von Beginn an klar, damit kann Scholz Putin nicht erschrecken.
Ihm sollte aber mit Blick auf die Außenhandelsbilanz, die Euro-Talfahrt, die Inflation und Rezession langsam klar werden, wer der große Verlierer bei den geostrategischen Ukraine-Russland-China-Schachzügen des US-Imperiums sein wird. Und dass es höchste Zeit wird, sich aus dieser gefährlichen militärischen Durchsetzung unipolarer Hegemonie zu verabschieden und an einer neuen multipolaren Welt zu bauen. Nicht utopisch, sondern realpolitisch: “Wo sind die Realos geblieben?” fragt die Ex-Ober-Reala der Grünen, Antje Vollmer:
Ich verstehe das Dilemma der aktuellen Politik. Ich verstehe sogar, dass sie sagt: Das alles hat uns Putin aufgezwungen. Aber das ist eben nur die halbe Wahrheit. Noch sind wir selbst Herren unserer politischen Entscheidungen. Wir müssen nicht aus Angst vor dem moralischen Tod Selbstmord begehen.
Es gibt keine ernsthafte Alternative zu nüchterner Realpolitik. Wir leben in einer Welt und auf einem Kontinent. Der Traum der demokratisch-moralischen Weltmission des Westens hat einerseits viel liebenswerten Enthusiasmus, andererseits viel Doppelmoral und politische Unvernunft befördert. Die Aufgabe des Augenblicks ist, den fahrenden Zug Richtung Eskalation anzuhalten, nachzudenken und wieder ins Gespräch zu kommen.
Wo sind die diskreten Emissäre aus Frankreich und Deutschland vom Kaliber eines Egon Bahr, die erst einmal dauerhaft ihre Zelte in Moskau und in Kiew aufschlagen, um zu sehen, wo es einen Ausweg geben könnte? Wo ist die Delegation der Uno, die mit einem Mandat der Vollversammlung das Gleiche versucht? Wer greift das durchaus überzeugende Konzept einer Experten-Kommission auf, die im Vatikan getagt und Bedingungen für einen Waffenstillstand erkundet hat? Wo ist die Debatte über dieses Papier in den deutschen Leitmedien? Wo ist eine neue Bewegung der blockfreien Staaten, gestützt auf die wichtigen und bevölkerungsreichen Länder, die sich in der Uno bei der Resolution gegen Russland enthalten haben?
Es stimmt nicht, dass es angesichts dieses Krieges keine Alternativen zur Sanktionspolitik gibt. Es wird nicht einfach, das Steuer herumzureißen. Zu viele waren beteiligt am Weg in die falsche Richtung. Aber sage keiner, die Bevölkerung würde einen solchen Ausweg nicht unterstützen. Das Gegenteil ist der Fall: Alle warten endlich auf ernsthafte Verhandlungen.
Quelle: https://www.broeckers.com/2022/07/18/notizen-vom-ende-der-unipolaren-welt-39/
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