Skip to main content

Konzerne als versteckte Abstimmungskämpfer -Anmerkungen zu den Abstimmungen in der Schweiz am 13. Juni 2021

Wissen die Stimmbürger, dass sie mit der nächsten Volksabstimmung einige der weltgrössten Konzerne in Alarmstimmung versetzen und internationale Wirtschaftspolitik schreiben?
Von Rudolf Strahm*
19. Mai 2021
Formal betrachtet, geht es bei den Abstimmungsvorlagen um Pestizide und um fossile Brenn- und Treibstoffe. Doch bei vertieftem Blick ins politische Kräftespiel steuern und finanzieren hinter den Kulissen grosse, in die Defensive geratene multinationale Konzerne den Abstimmungskampf.

Diese Abstimmungskampagne ist eine Art Krieg der Stellvertreter. Die multinationalen Konzerne setzen Millionen ein, weil die Abstimmungsresultate in der Schweiz als Akzeptanzmesser mit globaler Signalwirkung wahrgenommen werden.

In den Konzernzentralen von Syngenta und Bayer-Monsanto ist die Nervosität wegen der zwei Pestizidinitiativen gross. Ihre Beteiligung im Abstimmungskampf ist verdeckt.

Die Mitfinanzierung der Nein-Kampagne läuft über Economiesuisse, deren Präsident zuvor 18 Jahre lang Manager bei Syngenta war.

Direkter und transparenter ist der Referendumskampf der multinationalen Öl- und Gas-konzerne gegen das CO2-Gesetz. Weil sich zunächst keine politische Kraft für eine Abstimmung einspannen lassen wollte, lancierte der Brenn- und Treibstoffverband Avenergy Suisse gleich selbst das Referendum und fand einzig die SVP als vorgeschobene politische Kraft.

Die Avenergy-Kampagne wird nach eigener Angabe von den Filialen der weltgrössten Ölkonzerne finanziert. Die kleine Schweiz ist für diese Ölgiganten nicht bedeutend. Aber mit ihrer Einmischung wollen sie die Signalwirkung auf die EU und die USA, die sich ebenfallsauf die Strategie «Klimaneutral bis 2050» verpflichtet hatten, im Keim unterdrücken.

Dieses CO2-Gesetz ist vom Parlament sorgfältig austariert worden. Es enthält keine Verbote. Niemand muss auf Wärmekomfort verzichten. Es lenkt die neuen Energietechnologien viel effizienter mittels Kostenwahrheit, ökonomischer Anreize und Innovationen.

Deshalb wird das Gesetz von allen Parteien auf Bundesebene ausser der SVP und von den namhaften Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften unterstützt. Die SVP schickt bloss ihre Rechtsaussentruppe in den Stellvertreterkampf gegen das Gesetz.

Doch vor allem Bauern und Gewerbler in der SVP-Basis unterstützen es. Sie profitieren direkt von dessen Fördergeldern. Der von SVP-Politikern dominierte Hauseigentümerverband (HEV) betreibt bei seiner Ablehnung des CO2-Gesetzes mit bizarrer Schwarzmalerei («Wohnungen für alle verteuern», «Zwangskündigungen für Mieter») reine SVP-Parteipolitik und irritiert damit viele seiner Mitglieder.

Denn viele Einfamilienhausbesitzer haben als Erste Fördergelder für den Ersatz ihrer Ölheizung durch Wärmepumpe und Solaranlage bezogen. Niemand muss mit dem Gesetz seine funktionierende Ölheizung verschrotten. Jeder geniesst Besitzstandsgarantie. Der Wechsel zu einer Wärmepumpe ist erst nach dem Ausstieg des alten Ölbrenners und nur bei nicht isolierten Bauten vorgeschrieben. Für die Heizungserneuerung und die Isolation gibt es Fördergelder. Das kommt auch allen Mietern zugute. Die Gegner argumentieren mit einem Kleinkrieg von Behauptungen um Benzinrappen und Förderfranken.

Unterdrückt wird, dass sich der technologische Kurswechsel gesamtwirtschaftlich mehrfach auszahlt. Jährlich verschwenden wir 8 Milliarden Franken Zahlungen ans Ausland für die Öl- und Gasimporte.

Diese Milliarden stattdessen für energetische Investitionen im Inland einzusetzen, ist doch effizienter!

Das Energieeffizienzprogramm des CO2-Gesetzes pusht zukunftsfähige gewerbliche Branchen: etwa Gebäudeautomatik, Gebäudetechnik für Heizung, Lüftung, Sanitär, Montage für Heizung, Sensortechnik, Wärmepumpen, Solaranlagen, Automobil-gewerbe-Mechatronik.

Die Lehrlinge in diesen energietechnischen Berufen sind die eigentlichen «Klimaaktivisten» unter den Jugendlichen. An den Streiks und Platz-besetzungen der zur Selbsterweckungsbewegung gewandelten Fridays for Future der Gymnasiasten und Studenten sieht man sie nicht. Denn am Werktag müssen sie in ihrer Firma arbeiten. Sie sind aber jene, die heute und in Zukunft dafür sorgen, dass wir von den fossilen Energien effektiv wegkommen.

Es irritiert, dass die radikalisierte Klimabewegung der akademischen Jugendlichen das CO2-Gesetz unerwähnt beiseite liegen lässt. Wollte man gemäss den Forderungen der Klimaaktivisten schon bis 2030 zwangsweise auf Öl, Benzin und Gas verzichten   – anstatt bis 2050 gemäss der Perspektive des Gesetzes   – müsste man in den nächsten zehn Jahren über eine Million Heizungen und zwei Millionen Autos vorzeitig verschrotten. Das wäre sicher nicht klimakonform. Eine Ablehnung des CO2-Ge-setzes wäre allein der Sieg der Erdölkonzerne. Man würde ihnen ermöglichen, mit ihrer Auslauftechnologie den dringenden Effizienzumbau in der Wirtschaft um viele Jahre hinauszuzögern.

Rudolf Strahm
Rudolf Hans Strahm ist ein Schweizer Ökonom und Politiker. Er war von 1991 bis 2004 Nationalrat und von 2004 bis 2008 Preisüberwacher. Strahm hat zahlreiche Bücher zu wirtschaftspolitischen Themen publiziert:

Die Akademisierungsfalle : warum nicht alle an die Uni müssen und warum die Berufslehre top ist,

Quelle: Tagesanzeiger vom 18.05.2021

Weitere Beiträge in dieser Kategorie