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Rahmenbedingungen statt Rahmenabkommen

Die Schweiz sollte nicht der EU hinterherhecheln, sondern bleiben, was sie bisher war: exzellent anders.
Von Gerhard Schwarz / Ein Gastbeitrag im Tages-Anzeiger vom 25. 05. 2021
27. Mai 2021
Von den Anhängern des Rahmenabkommens der Schweiz mit der EU wird gern empört (oder resigniert?) die Frage aufgeworfen, was die Alternative wäre. Natürlich bringt der Aussenhandel zumal mit den Nachbarn Wohlstand, aber wichtiger sind die Rahmenbedingungen, die das Land selbst setzt. Und hier fehlt es nicht an Reformpotenzial, an Möglichkeiten, die Schweiz innovativer und effizienter zu machen. Wichtig ist hierfür, sich nicht an den Nachbarn zu messen, sondern an den weltweit Exzellentesten. Nur daraus wird Reformschub wachsen.

Entscheidend ist jedoch der Wille, ja Mut, exzellent anders unterwegs zu sein. Dazu müssen wir aufhören, an der Kleinheit des Landes zu leiden. Wir müssen die von der Kleinheit, Kleinräumigkeit und Vielsprachigkeit gespeiste Weltoffenheit als Trumpf pflegen. Die Schweiz ist internationaler als die meisten Staaten dieser Erde - das sollte so bleiben.

«Exzellent und anders» ist daher eine valable Vision. Auf Märkten können Unternehmen den erfolgreichen Konkurrenten entweder mit einem ähnlichen Produkt kopieren oder aber sich bewusst von ihm differenzieren. Für kleine Unternehmen empfiehlt sich meist die Nischenstrategie - auch für kleine Staaten. Coco Chanel meinte, wer unersetzbar sein wolle, müsse immer anders sein. Die Schweiz ist für ihre Bürgerinnen und Bürger, selbst für viele besonders kritische, letztlich unersetzbar. Das könnte sie dank ihrem Anderssein auch für die EU werden.

Das im besten Sinne konservative Beharren auf dem Bewährten, eine «No-nonsense»-Kultur, findet man in dieser Ausprägung nicht so leicht irgendwo sonst. Dieses Anderssein im Staatsverständnis lässt sich aber nur rechtfertigen und auf Dauer halten, wenn es mit Exzellenz gepaart ist, mit wirtschaftlicher Exzellenz ebenso wie mit ausgeprägter Bürgersouveränität und Bürgernähe.

Will sich die Schweiz mit und dank ihren Eigenarten in der Moderne behaupten, muss es ihr allerdings besser gelingen, Reformen anzupacken, Risiken einzugehen und selbstbewusst, aber ohne Arroganz im Ausland die eigenen Interessen zu vertreten. Dazu muss sie den Hang zur Nabelschau und die gelegentlich überhebliche Selbstzufriedenheit überwinden. Dagegen sollte sie bei der Zuwanderung an der kontrollierten Offenheit festhalten. Sie hat Reichtum gebracht, wirtschaftlich wie kulturell. Neue Völkerwanderungen drohen, da werden jene Länder, die die Zuwanderung nicht kontrollieren, ebenso untergehen wie jene, die sich ihr völlig verschliessen.

Die Schweiz sollte, statt den Nachbarn nachzuhecheln, mutig eigenständiges Profil zeigen:

Sie sollte sich gegenüber vermeintlichen Fortschritten vorsichtig abwägend verhalten. Oft geht vergessen, dass Zukunftssicherung auch darin besteht, Zeitgeistmoden zu erkennen und sich ihnen zu verweigern.

Sie sollte ihre politischen Institutionen gegen die Modernisten verteidigen und doch klug anpassen. Sie sind ja insofern hochmodern, als sie der Vermassung, Anonymisierung und Entmachtung entgegenwirken.

Die Schweiz sollte ihre Kleinheit und Kleinteiligkeit für wirtschafts- und gesellschaftspolitische Reformen nutzen. Gemeinden und Kantone sind dafür ein ideales Experimentierfeld.

Mit dieser Strategie kann das Land Eigenständigkeit und Identität bewahren, die Bürgerinnen und Bürger können mehr mitbestimmen als anderswo, und dank marktwirtschaftlichen Reformen steigt der Wohlstand.

So macht sich die Schweiz zugleich nützlich. Sie ist nicht nur unbequemer Stachel, sondern ein Widerspruch gegen die sich verflachende und damit verarmende Welt. Von dieser Schweiz kann man lernen, von ihren Fehlern ebenso wie von ihren Erfolgen.

Gerhard Schwarz Der Ökonom und ehemalige Direktor von Avenir Suisse ist Präsident der Progress Foundation.

Quelle: https://epaper.tagesanzeiger.ch/#article/20/Tages-Anzeiger/2021-05-25/13/122928065

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