Der nach Freiheit strebende Mensch sucht und findet immer wieder neue Wege
Hannes Hofbauer ist ein Wiener Publizist und Verleger. Er hat Wirtschafts- und Sozialgeschichte studiert. Mit Büchern wie «Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung» (2016), «Kritik der Migration. Wer profitiert und wer verliert» (2018) oder «Europa. Ein Nachruf» (2020) hat er gezeigt, dass er ein politisch motivierter Autor ist, sich aber allem Schubladendenken entzieht. Er ist ein eigenständiger Denker, der pointiert Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen sowie wirtschaftlichen und politischen Machtstrukturen übt. Das gilt auch für sein neues, im Frühjahr 2022 erschienenes Buch «Zensur. Publikationsverbote im Spiegel der Geschichte. Vom kirchlichen Index zur YouTube-Löschung.»*
600 Jahre Zensurgeschichte
Da Machtfragen nicht nur unsere Gegenwart bestimmen, legt Hannes Hofbauer seine Analyse historisch an – mit einer Konzentration auf Europa und insbesondere den deutschsprachigen Raum. Diesem Blick auf die Geschichte ist die erste Hälfte des Buches gewidmet. Sie beginnt mit der Zeit des Buchdrucks in der Mitte des 15. Jahrhunderts – eben nicht nur eine Zeit ganz neuer Verbreitungsmöglichkeiten des menschlichen Wortes, sondern auch eine Zeit grundlegender gesellschaftlicher und politischer Umbrüche. Zensor war hier vor allem die Kirche.
Auf den folgenden 100 Seiten geht es um Zensurmassnahmen vom 16. bis ins 20. Jahrhundert, immer anschaulich belegt und in gut verständlicher Art und Weise dargelegt. So erfährt der Leser, dass mit Beginn des 16. Jahrhunderts immer öfter staatliche Instanzen Zensurmassnahmen ergreifen. Kaiser und Papst arbeiteten nun Hand in Hand, und selbst die Post erlässt Transportverbote für «anstössiges und widerständiges Druckwerk». Während man im 17. Jahrhundert «weitgehend ungestört publizieren konnte», änderte sich dies im 18. Jahrhundert – auch wenn es damals noch leicht war, den Zensurmassnahmen der seit dem Dreissigjährigen Krieg machtpolitisch den Ton angebenden Landesfürsten auszuweichen: Man verlegte die Publikation eines Buches in ein anderes, liberaleres deutsches Land. Auch das Zeitalter der Aufklärung im 18. Jahrhundert erlebte Zensurmassnahmen. Zensur wurde zum «Instrument obrigkeitlich geförderter Aufklärung oder Gegenaufklärung». Mit der Französischen Revolution fühlten sich die Fürsten der anderen europäischen Staaten aufs äusserste in ihrer Machtstellung bedroht. Entsprechend hart waren die Zensurmassnahmen. Das hinderte den politischen und militärischen «Revolutionär» und Eroberer Napoleon allerdings nicht daran, mit nicht weniger brutaler Gewalt gegen abweichende Meinungen in seinem Herrschaftsbereich vorzugehen.
Von den Karlsbader Beschlüssen bis zum Sozialistengesetz
Der endgültigen Niederlage Napoleons 1815 folgten im deutschsprachigen Raum Biedermeier und Vormärz im Deutschen Bund, eine Zeit scharfer Zensur («Karlsbader Beschlüsse» von 1819) und Drangsalierung Andersdenkender, dem auch namhafte Literaten zum Opfer fielen. Die Hoffnung vieler auf mehr Freiheit durch die Revolution 1848/49 wurde mit deren Scheitern zerschlagen. Die Zielgruppe der Zensurmassnahmen waren jetzt vor allem politisch links stehende Kräfte und sozialkritische Schriftsteller. Heraus ragte dabei das am 21. Oktober 1878 vom Reichstag verabschiedete «Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie».
Das 20. Jahrhundert
In der Weimarer Republik gewährte die Verfassung zwar ausdrücklich die Meinungsfreiheit, Hannes Hofbauer spricht aber auch für die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg von Zensurmassnahmen, die sich vor allem gegen «Unsittlichkeit und Unzucht» richteten – nicht zuletzt wegen der Angst vor dem Überschwappen sexueller Freizügigkeiten in den Anfangsjahren der kommunistischen Sowjetunion –, aber in der Endphase der Republik auch gegen Antikriegsliteratur wie das Werk von Erich Maria Remarque. Dass die nationalsozialistische Herrschaft eine Zeit härtester Zensur war, ist allgemein bekannt. Diese Zeit war aber auch eine Hochzeit der Zwillingsschwester der Zensur, der staatlichen Propaganda.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestimmten zuerst die Besatzungsmächte in Deutschland und Österreich, was publiziert werden durfte. Die ab 1949 verabschiedeten Verfassungen für Westdeutschland, Ostdeutschland und für Österreich bekannten sich zwar ausdrücklich erneut zur Meinungsfreiheit, und im westdeutschen Grundgesetz heisst es sogar: «Eine Zensur findet nicht statt». Aber auch für die fünf Jahrzehnte nach dem Krieg konstatiert Hannes Hofbauer in den deutschsprachigen Ländern faktische Zensurmassnahmen, nicht nur im Bereich der literarischen und journalistischen Darstellung als anstössig empfundener sexueller Praktiken, sondern auch gegen «Staatsfeinde» (in West und Ost).
Gibt es Grenzen der Meinungsfreiheit?
Hier und da mag man einwenden, der Autor fokussiere seinen Blick zu stark auf die macht- und interessenpolitische Komponente bei Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Gibt es nicht auch gute Gründe für solche Einschränkungen? Schliesslich kann eine Gefährdung von Freiheit – im Sinne einer der menschlichen Sozialnatur gemässen Entfaltung der Persönlichkeit – und Gemeinwohl nicht nur von staatlicher Machtpolitik, sondern auch von privaten Akteuren ausgehen. Man kann dabei an den Schutz der Jugend, an das Recht der persönlichen Ehre, an die Abwehr gegen gewaltbereiten politischen oder religiösen Extremismus oder allgemeiner: an die «Rechte anderer», die «verfassungsmässige Ordnung» und das «Sittengesetz» denken – so wie es zum Beispiel das deutsche Grundgesetz formuliert.
Indes: Wer hieran denkt, muss ehrlich sein und genauer hinschauen, ob es wirklich um die Sache oder lediglich um die Rechtfertigung reiner Machtpolitik und wirtschaftlicher Interessen geht. Dass es heute, im Europa nach 1990, mehr um solche Rechtfertigungen geht, zeigt Hofbauers zweiter Buchteil, «Zensur im digitalen Zeitalter».
Neoliberalismus, Digitalisierung und geopolitische Verschiebungen
Hannes Hofbauer leitet auch diesen zweiten Buchteil mit einer kompakten polit-ökonomischen Analyse der Gesamtlage ein. So schreibt er: «Das neue 21. Jahrhundert reflektiert in seiner Zensur-Politik den jahrzehntelangen Siegeszug des Wirtschaftsliberalismus, der nicht-staatlichen Akteuren, sogenannten Global Playern, eine Machtfülle in die Hand gegeben hat, wie sie zuvor nicht denkbar war. Die ungebremste Kapitalmacht stärkte in den 1990er Jahren das ökonomische Primat über politische Prozesse, was sich auch im Zensurgeschehen niederschlägt. Die technische Entwicklung einer Durchdigitalisierung von immer mehr Arbeits- und Lebensbereichen spielte monopolartig auftretenden Medienkonzernen die Definitionshoheit von Meinungs- und Pressefreiheit in die Hände, die sie – mit staatlicher bzw. EU-suprastaatlicher Unterstützung – für sich zu nutzen wissen.»
Mit den weltweiten geopolitischen Verschiebungen der vergangenen 20 Jahre gelte heute aber auch: «Gerade das Wissen um den geopolitischen und wirtschaftlichen Abstieg schlägt sich in der Frage des Umgangs mit der Meinungsfreiheit nieder. Längst hat sich die in Washington, Brüssel und Berlin als Bedrohung empfundene Konsolidierung des eurasischen Raumes auch kulturell und diskursmässig niedergeschlagen. Der vom missionarischen Eifer angestachelte Wertediskurs des ehemaligen politischen ‹Westens› wird angesichts sich verändernder Machtverhältnisse im Weltmassstab zunehmend unglaubwürdig. […] Um diesen Verlust aufzuhalten, ist vor allem Brüssel angetreten, die EU-europäischen Völker mit anfangs verdeckten und später immer offener formulierten Wahrheitsdekreten zu versorgen, auf dass die historische, politische und kulturelle Lesart der Selbstdarstellung möglichst alternativlos das diskursive Terrain beherrscht.»
Zensurwellen seit 2008
Hannes Hofbauer verortet den ersten «Verstoss gegen die Meinungsfreiheit im 21. Jahrhundert» am 28. November 2008 mit einem Rahmenbeschluss der EU, der sich, oberflächlich betrachtet, «gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus» richten sollte. In Tat und Wahrheit ging es um etwas anderes: Die EU wollte die Definitionshoheit darüber erlangen, was künftig als «Völkermord», «Verbrechen gegen die Menschheit» oder «Kriegsverbrechen» zu gelten habe, und jegliche kontroverse Diskussion über konkrete Ereignisse unterbinden. Das betraf damals vor allem die Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien. Und es ging darum, die öffentliche Debatte über die Rechtfertigung des völkerrechtswidrigen Vorgehens der Nato-Staaten mit einem Tabu zu belegen.
Die zweite Zensur-Welle im 21. Jahrhundert folgte nach dem gescheiterten Gipfel in Vilnius am 29. November 2013, der die östliche Partnerschaft der EU mit sechs osteuropäischen Staaten besiegeln sollte, aber am Widerspruch des damaligen ukrainischen Präsidenten Janukowitsch scheiterte. Die Folge waren die von EU und US-Regierung unterstützen Demonstrationen und Gewalttaten auf dem Maidan in Kiew und das EU-US-Narrativ von der «demokratischen Revolution» – das aber von russischen Medien sehr anschaulich widerlegt wurde. Nun wurden diese russischen Medien zur Zielscheibe der EU und ihrer Mitgliedsstaaten. Unter dem Vorwand, gegen «fake news» und «hate speech» vorzugehen, kam es in den Folgejahren zu einer konzertierten Aktion der EU, nationalstaatlicher Stellen, vor allem in Deutschland, und weltweit operierender US-Konzerne im Bereich von Internet und anderer elektronischer Kommunikationsnetzwerke. Hannes Hofbauer geht ausführlich auf diese Vorgänge ein.
Hier seien nur Stichworte genannt: die EU Task-Force «Strategisches Kommunikationsteam Ost» vom März 2015 mit dem Anspruch, definieren zu wollen, was die historische und politische «Wahrheit» sein soll und Russlands Öffentlichkeitsarbeit auf eine Stufe mit der Propaganda des IS stellte; das deutsche «Netzwerkdurchsetzungsgesetz» vom Oktober 2017, das Netzwerke wie Facebook oder Twitter mit der Androhung hoher Geldstrafen verpflichtet, «fake news» und «hate speech» zu eliminieren – ohne rechtsstaatliche Kontrolle und in willkürlicher Hand der Medienkonzerne. Der deutsche Medienstaatsvertrag vom 7. November 2020, der eigens eingerichtete Behörden der Landesmedienanstalten verpflichtet, die digitale Publikationswelt auf «wahre» Nachrichten hin zu untersuchen und bei festgestellter Zuwiderhandlung Internetseiten abzumahnen und dann auch zu verbieten. Schliesslich die vor allem in öffentlich-rechtlichen Medien aus dem Boden spriessenden «Faktenchecker», die sich anmassen, über wahr und unwahr entscheiden zu können.
Wie ein Fazit zu diesen Entwicklungen schreibt Hannes Hofbauer: «Bis zur Einrichtung eines Wahrheitsministeriums, wie es aus dem Roman ‹1984› von George Orwell bekannt ist, sind noch mehrere Schritte nötig – und wäre noch gehöriger gesellschaftlicher Widerstand zu überwinden. Doch die politische Elite in vielen EU-Ländern arbeitet zäh und verbissen in diese Richtung.»
An zwei Beispielen wird dies im Buch vertiefend beleuchtet.
«Der Kampf gegen den russischen Feindsender»
Hofbauers erstes Beispiel ist der Umgang mit russischen Medien, insbesondere mit rt deutsch. rt ist die Abkürzung für Russia today. Diesem vom russischen Staat finanzierten deutschsprachigen Sender wurde es mit allen Mitteln verunmöglicht, als Fernsehprogramm in Europa auf Sendung zu gehen. Die plumpe Begründung: Der Sender verbreite nichts als russische Propaganda. Hannes Hofbauer hat sein Buch vor dem 24. Februar 2022 geschrieben. Hätte er etwas mehr Zeit gehabt, hätte er dieses Kapitel ausweiten müssen. Nun ist nicht mehr nur der Fernsehsender von rt betroffen, sondern das gesamte Internetprogramm von rt (und auch von sputnik) sind in ganz EU-Europa verboten – und diejenigen, die trotzdem für eine Verbreitung sorgen wollen, sollen sich sogar strafbar machen. Sanktionen drohen allen, die das US-Nato-EU-Narrativ über den Krieg in der Ukraine in Frage stellen.
Der Umgang mit Gegnern staatlicher Corona-Massnahmen
Hofbauers zweites Beispiel sind der staatliche und mediale Umgang mit denjenigen, die in den vergangenen zwei Jahren Gegner der staatlichen Massnahmen gegen die Corona-Pandemie waren. Er verbindet diese Massnahmen und das Vorgehen gegen deren Gegner eng mit den Wirtschaftsinteressen der Pharmaindustrie und illustriert am Beispiel von Ken Jebsen, wie einem deutschen Journalisten, der viele Jahre bei einem staatlichen Sender (bei Rundfunk Berlin-Brandenburg RBB) tätig war, wegen Kritik an der Politik Israels den Sender verlassen musste, sich mit einem eigenen Internetportal, KenFM, selbständig machte und sehr viel Erfolg damit hatte, in jeder Hinsicht Knüppel zwischen die Beine geworfen wurden, nachdem er die staatlichen Corona-Massnahmen kritisiert hatte. Das Ergebnis war, dass sein Internetportal keine Sendemöglichkeit mehr hatte und ihm jeglicher Geldhahn zugedreht wurde, so dass er sich schliesslich entschieden hat, Deutschland zu verlassen.
In der Tat: Der staatliche und mediale Umgang mit denjenigen, die Gegner der staatlichen Corona-Massnahmen waren, war in Ländern wie Deutschland und Österreich einer freiheitlichen Demokratie nicht würdig. Pauschalisierend bekamen diese Bürger stark abwertende Attribute wie «Verschwörungstheoretiker» oder «rechts» angehängt, die SPD-Vorsitzende sprach von «Covid-ioten», der deutsche Verfassungsschutz ersann sogar eine neue Form von Verfassungsfeindlichkeit, nämlich die «Delegitimierung des Staates». Eine ernsthafte Diskussion in der Sache fand fast nicht statt. Hannes Hofbauer greift all dies und noch mehr auf.
Hannes Hofbauer hätte hinzufügen können, dass es durchaus auch sachliche Gründe für staatliche Coronamassnahmen gab (und gibt) und dass nicht jeder Befürworter dieser Massnahmen macht- oder interessenpolitisch motiviert war (und ist). Und dass auch die Sorgen, neben der Pandemie könne es eine «Infodemie» geben, also ein die Bekämpfung der Pandemie erschwerendes Meinungswirrwarr, nicht ganz unberechtigt waren.
Gegenöffentlichkeit kann nicht auf Dauer erstickt werden
Es ist gut, dass Hannes Hofbauer immer wieder zwischendurch und dann vor allem auch in einem kurzen Schlusskapitel mit dem Titel «Zensurmassnahmen werden immer umgangen» deutlich macht, dass machtpolitisch motivierte Zensurmassnahmen nicht nachhaltig sind. Die reine Machtpolitik eines eigentlich geschwächten Machtsystems ist zwar ein hochgefährlicher Frontalangriff auf Freiheit und Gemeinwohl, und viele Opfer sind zu beklagen. Aber der nach Freiheit strebende Mensch sucht und findet immer wieder neue Wege. Deshalb sei hier auch der letzte Satz aus dem Buch zitiert: «Und so lautet die abschliessende Botschaft dieses Buches, das Publikationsverbote durch die Jahrhunderte beobachtete, dass Gegenöffentlichkeit zum herrschaftlichen Diskurs mit Verboten zwar behindert, aber nicht erstickt werden kann.»
Mein Prädikat für das Buch: empfehlenswert – und Hannes Hofbauer würde sicher hinzufügen, dass auch hier gilt: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! •
Quelle: https://www.zeit-fragen.ch/archiv/2022/nr-14-28-juni-2022/der-nach-freiheit-strebende-mensch-sucht-und-findet-immer-wieder-neue-wege
Mit freundlicher Genehmigung von Zeit-Fragen
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