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Professor Ilan Pappé  – Krise des Zionismus, Chance für Palästina?

Ein Vortrag von Professor Ilan Pappé, Professor für Geschichte, Direktor des Europäischen Zentrums für Palästinastudien, Universität Exeter, UK.
19.10.2023 University of California, Berkeley - Video-Vortrag von Ilan Pappé - Transkript

Das Video startet bei 0:0137

(Red.) Es ist erschütternd, wie wenig wir über die Geschichte und die Kultur Palästinas wissen. Gleiches gilt für die Geschichte und Kultur Israels. In dem Propaganda-Trommelfeuer der täglichen schrecklichen Bilder und Berichte über den unmenschlichen Krieg in Palästina den moralischen Kompass zu behalten, ist extrem herausfordernd. Da ist es wichtig, einen Schritt zurück zu tun und sich helfen zu lassen: Ilan Pappé versucht in diesem Vortrag und bei der Beantwortung von Fragen von Studenten einen geschichtlichen Hintergrund für diese Situation zu skizzieren, ohne den man nicht verstehen kann, was vor sich geht. Gleichzeitig deutet er an, wie dies alles menschenwürdig gelöst werden könnte.(am)

Das Transkript und die Übersetzung für seniora.org besorgte Andreas Mylaeus

Ussama Makdisi:

Guten Abend und herzlich willkommen. Mein Name ist Ussama Makdisi und ich bin der Chancellor's Chair und Professor am Fachbereich Geschichte hier an der UC Berkeley.

Bevor ich unseren Redner und die Veranstaltung heute Abend vorstelle, wurde ich gebeten, eine Erklärung der juristischen Fakultät zu verlesen, an der wir gerade tagen. Die Rechtsfakultät sagt:

"Freie Meinungsäußerung und akademische Freiheit sind grundlegende Werte für die Universität von Kalifornien. Die UC Berkeley hat sich der Überzeugung verschrieben, dass Äußerungen, die uns nicht gefallen oder mit denen wir nicht einverstanden sind, mit respektvollem Umgang und nicht mit Zensur begegnet werden sollten. Die Gemeinschaftsprinzipien der UC Berkeley verlangen Höflichkeit und Respekt im persönlichen Umgang miteinander. Wenn Sie einen anderen Standpunkt vertreten möchten als die Gäste des heutigen Abends, können Sie dies in jedem Bereich des Campus tun, der für die freie Meinungsäußerung zugänglich ist. Sie können natürlich zu gegebener Zeit Fragen stellen   – und Sie werden die Notizen bekommen, die verteilt werden   –, aber Sie dürfen die Veranstaltung nicht stören. Wir bitten Sie als Zuhörer, sich den Rednern und den anwesenden Studenten gegenüber respektvoll zu verhalten und von jeglichem störenden Verhalten Abstand zu nehmen. Wenn Sie versuchen, die Veranstaltung zu stören, werden Sie aufgefordert, den Veranstaltungsort zu verlassen und müssen mit disziplinarischen Maßnahmen rechnen."

[Beifall]

Nun also zu weniger disziplinarischen Dingen. Ich möchte mich bei allen Sponsoren dieses Vortrags an der UC Berkeley bedanken. Das sind die Law Students for Justice in Palestine [Beifall], das Department of History, das Center for Middle Eastern Studies, das Department of Ethnic Studies, das Islamophobia Research and Documentation Project of the Center for Race and Gender. Ich muss auch die Unterstützung von [?], Dr. Hatim Bazian sowie die unverzichtbare Hilfe von Herrn Hassan Fuda [?] erwähnen.

Mir ist natürlich klar, dass wir angesichts der anhaltenden unmenschlichen Brutalisierung des Gazastreifens unter außergewöhnlichen Umständen hier zusammengekommen sind. Mir ist auch klar, dass es in diesem Raum viel Schmerz und Wut gibt. Viele von Ihnen leiden wie ich. Viele von Ihnen haben Freunde in Palästina und Israel, und einige von Ihnen haben aufgrund der anhaltenden Situation Freunde oder Angehörige verloren. Viele von Ihnen sind wie ich wütend über die offensichtliche Doppelmoral, die wir überall in diesem Land sehen, über die Abwertung der palästinensischen Menschlichkeit und Geschichte, auch durch Mitglieder dieser Institution. Viele von Ihnen werden eingeschüchtert, vor allem die Studenten hier, weil sie sich für Gerechtigkeit und Gleichheit in Palästina einsetzen. Ich hoffe jedoch, Sie schöpfen ein wenig Hoffnung aus der Tatsache, dass wir eine so angesehene Persönlichkeit wie Professor Ilan Pappé zu Gast haben [Beifall].

Vornehm und gleichzeitig bodenständig. Es gibt nur wenige Persönlichkeiten, die so erhaben, so intelligent und so brillant wie Ilan und gleichzeitig so bodenständig sind. Ich sage das, weil Ilan nicht nur ein brillanter Historiker und Kollege ist. Er ist auch ein wundervoller Mensch, dessen Anwesenheit hier dringend erforderlich ist, um den entscheidenden Kontext zu liefern, der uns hilft, die Geschehnisse in Israel und natürlich im besetzten Palästina zu verstehen.

Professor Ilan Pappé ist der Direktor des Europäischen Zentrums für Palästinastudien an der Universität von Exeter im Vereinigten Königreich, des ersten Zentrums dieser Art, soweit ich weiß, in ganz Europa, ja sogar in ganz Europa und den Vereinigten Staaten. Seinen Doktortitel erwarb er 1984 an der Universität Oxford, wo er unter der Leitung von Professor Albert Hourani arbeitete. Bis 2007 war Ilan Professor an der Universität von Haifa, von der er aufgrund seiner ideologischen Positionen verwiesen wurde. Mit anderen Worten: Er bestand darauf, die Forschung über die Nakba von 1948 auszugraben und zu unterstützen. [Beifall] Er zog nach Exeter, wo er heute am Institut für Arabische und Islamische Studien lehrt. Professor Pape hat bisher 20 Bücher geschrieben, von denen das berühmteste zweifellos sein 2006 erschienenes Buch Die ethnische Säuberung Palästinas ist, das natürlich den Zorn vieler im politischen Establishment und vieler im akademischen Establishment auf sich zog, weil Ilan einer der ersten war   – zumindest in englischer Sprache und aus israelischer Sicht, einer Dissidentenperspektive   –, der die Frage der ethnischen Säuberung direkt aufgeworfen hat, so dass es in gewisser Weise schwer zu leugnen war.

Er ist auch Autor von The Biggest Prison On Earth   – a History of the Israeli Occupation. Sein neuestes Buch, das er gemeinsam mit Ramzy Baroud herausgegeben hat, trägt den interessanten Titel Our Vision For Liberation (Unsere Vision für die Befreiung).

Vor allem aber erinnert uns Professor Pappé an die ethischen Herausforderungen, die mit einer guten historischen Arbeit verbunden sind. Bei dieser guten Arbeit zeigt er auch die Folgen einer heimtückischen, entmenschlichenden und enthistorisierten Arbeit auf. Professor Pappé ist   – natürlich   – nicht nur ein Freund, nicht nur ein Kollege. Er stammt auch aus Haifa und wurde dort geboren. Er diente 1973 in der israelischen Armee und ist heute einer der führenden Kritiker des kolonialen Zionismus und eine der klarsten Stimmen gegen die unmenschliche und unethische Behandlung des palästinensischen Volkes. Dafür wird Ilan   – wie ich bereits festgestellt habe   – verfolgt, eben weil er die Vorstellung widerlegt, dass das, was in Palästina und in Israel geschieht, ein inhärenter oder uralter religiöser Konflikt sei. Er beharrt   – meiner Meinung nach zu Recht   – darauf, dass das, was in Palästina und Israel geschieht, ein säkularer Konflikt ist, ein kolonialer Konflikt, bei dem jeder von uns die Möglichkeit hat, sich der Gerechtigkeit anzuschließen oder nicht. Aber es ist eine säkulare Entscheidung. Er erinnert uns daran, dass es heute um die Frage geht, wie wir uns unsere Zukunft vorstellen wollen, für welche Art von Zukunft wir kämpfen wollen, und um das zu tun, hat Ilan immer gesagt: "Wir müssen wissen, was für eine Vergangenheit wir durchgemacht haben, um an den Punkt zu gelangen, an dem wir heute sind."

Begrüßen Sie also mit mir Professor Ilan Pappé, der zum Thema Die Krise des Zionismus, Chancen für Palästina sprechen wird.

Zum Schluss noch eine Erinnerung: Dieser Titel kam vor Monaten auf. Die Dinge haben sich also in den letzten Wochen geändert. Aber ich bin mir sicher, dass Professor Pappé in der Lage sein wird, eine Lösung dafür zu finden. Bitte begrüßen Sie also Professor Ilan Pappé.

[Beifall]

Ilan Pappé:

Vielen Dank, ich danke Ihnen sehr. [Beifall]

Vielen Dank, Ussama, für Ihre sehr freundliche Einführung. Ich danke Ihnen allen, dass Sie heute hier sind. Ich möchte allen Organisationen danken, die diese Veranstaltung möglich gemacht haben, und ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie sich die Zeit genommen haben, in diesem entscheidenden und schmerzhaften Moment in der Geschichte Israels und Palästinas bei uns zu sein.

Vor dem 7. Oktober 2023 blickte ein Großteil der israelisch-jüdischen Gesellschaft mit einer gewissen Angst und Besorgnis auf die letzten Wochen dieses Monats. Der Hauptdiskurs in Israel bis zum 7. Oktober 2023 war: Was wird die Zukunft Israels sein? Wöchentliche Demonstrationen von Hunderttausenden von Israelis waren Teil einer Protestbewegung gegen den Versuch der Regierung, die israelische Verfassung zu ändern und ein neues politisches System zu schaffen, in dem die politischen Mächte die totale Kontrolle über das Justizsystem haben und der öffentliche Bereich weitaus stärker von messianischen und religiösen jüdischen Gruppen kontrolliert wird.

In einem meiner Artikel beschreibe ich diesen besonderen Kampf um die Identität Israels, der bis zum 7. Oktober 2023 das Hauptthema war, als einen Kampf zwischen dem Staat Judäa und dem Staat Israel. Der Staat Judäa war der Staat, der im Westjordanland von jüdischen Siedlern gegründet wurde und der eine Art Kombination aus messianischem Judentum, zionistischem Fanatismus und Rassismus darstellte und zu einer Art Machtstruktur wurde, die in den letzten Jahren, insbesondere unter der Netanjahu-Regierung, sehr viel stärker in den Vordergrund trat und im Begriff war, ihre Lebensweise, ihre Lebensauffassung dem Rest Israels jenseits dessen, was wir Judäa nennen, in gewissem Sinne jenseits des Westjordanlands oder des jüdischen Raums im Westjordanland aufzuzwingen.

Dagegen stand der Staat Israel. Der Staat Israel, wenn Sie so wollen, wird am besten durch die Stadt Tel Aviv verkörpert, die Idee, dass Israel pluralistisch, demokratisch, säkular, vor allem westlich oder europäisch ist, wenn Sie so wollen, und der um sein Leben gegen den Staat Judäa kämpft. Dies schien der Schwerpunkt zu sein   – fast könnte man es einen Bürgerkrieg nennen, wenn auch nicht einen echten Bürgerkrieg, so doch zumindest einen kalten Bürgerkrieg, einen kulturellen Krieg, den die israelischen Juden untereinander führen. Als einige Leute zu beiden Seiten dieses inner-israelischen Streits sagten: "Was ist zum Beispiel mit der Besetzung des Westjordanlandes? Sollte das nicht Teil der Diskussion über die Zukunft Israels sein?" Ihnen wurde gesagt: "Nein! Die Besatzung sollte von keiner Seite erwähnt werden. Die Besatzung ist irrelevant für die Zukunft Israels", wurde uns gesagt. Tatsächlich wurde jeder, der versuchte, die Besatzung als Thema in die Proteste, die wöchentlichen Proteste, gegen die Gesetzesreform oder Gesetzesrevolution, wie sie es gerne nennen, einzubringen, aufgefordert, zu gehen und nicht mit einer größeren Gruppe von Demonstranten zu erscheinen, die die israelische Flagge schwenkten.

Wenn Sie die palästinensische Flagge zu dieser Demonstration mitgebracht hätten, wären Sie mit Sicherheit zusammengeschlagen und aus der Demonstration geworfen worden. Wenn Sie die Tatsache erwähnen würden, dass die Zukunft Israels vielleicht auch die Bedingungen und die Situation der fast zwei Millionen palästinensischen Bürger Israels einschließt, die im letzten Jahr durch einen Prozess der Kriminalisierung gegangen sind... Kriminelle Banden terrorisieren immer noch das Leben der palästinensischen Bürger in Israel, überall in Israel... Bewaffnete Banden, kriminelle Banden, viele von ihnen sind ehemalige Kollaborateure Israels im Westjordanland und im Gazastreifen, die nach dem Osloer Abkommen aus diesen Gebieten abgezogen wurden, die sehr, sehr gut mit Waffen ausgerüstet und völlig immunisiert sind gegen jede polizeiliche Verfolgung oder jede Art von wirksamen Maßnahmen zur Bekämpfung der Kriminalität, was bedeutet, dass, wie viele von Ihnen vielleicht wissen, Palästinenser, die in Israel selbst leben   – ich spreche von israelischen Bürgern   – Angst haben, nachts auf die Straße zu gehen, wegen der neuen Realität in ihren Straßen und Plätzen. Auch das sollte also kein Thema sein, das in der Öffentlichkeit über die Zukunft Israels diskutiert werden sollte.

Wenn man Ostjerusalem und die ethnische Säuberung der arabischen Stadtteile Jerusalems erwähnen wollte, sagten die Demonstranten und ihre Anführer erneut: "Das ist kein wichtiges Thema." Oder wie Amira Hass, die mutige Journalistin von Haaretz, es ausgedrückt hat: "Soweit es die Israelis betrifft   – und das ist bis zum 7. Oktober 2023   – existierte die Besatzung nicht." Was bedeutet: Sie existierte nicht mehr als Problem. Das Problem ist gelöst. Es ist gelöst. Es gibt eine PA (die Palästinensische Autonomiebehörde). Es gibt eine sehr intensive jüdische Präsenz von Siedlungen im Westjordanland. Niemand muss sich mehr damit befassen. Wenn man sich die letzten vier Wahlkämpfe in Israel ansieht   – und davon gab es einige, wie Sie sich vielleicht erinnern, einen nach dem anderen im Jahresrhythmus: Niemand hat das Palästina-Thema erwähnt, die Palästina-Frage, die Besatzung   – nennen Sie es, wie Sie wollen   – das war kein Thema, über das die Israelis abstimmen sollten, weil es als Problem nicht mehr existierte.

Wenn man den Gazastreifen erwähnte, wenn man über die Belagerung des Gazastreifens sprach, sagten die Leute wieder: "Wovon redest du? Das ist doch auch ein Thema, das niemanden mehr stört." Und sie wurden auf die tägliche Tötung von Palästinensern im letzten Jahr   – sagen wir, in den letzten zwei Jahren   – hingewiesen, auf die tägliche Tötung von Palästinensern im Westjordanland, und darauf, dass die schwache Palästinensische Autonomiebehörde nicht in der Lage ist, die Palästinenser vor der Gewalt der Siedler, der israelischen Armee und der israelischen Grenzpolizei zu schützen, nicht bedeutet, dass es keine palästinensischen Gruppen gibt, die versuchen werden, die Palästinenser zu verteidigen, nicht nur im Gazastreifen, sondern auch in anderen Teilen des historischen Palästina. Das wurde der israelischen Öffentlichkeit, den politischen Entscheidungsträgern und den Chefs des israelischen Militärs und Geheimdienstes immer wieder gesagt. Aber sie sagten: "Nein, es gibt kein Problem. Das einzige Problem ist die Gesetzesreform, ob wir sie nun akzeptieren oder nicht."

Und es war ganz klar, warum all diese anderen Themen nicht behandelt wurden, denn im Wesentlichen hatten wir in Israel einen Kampf zwischen zwei Formen der Apartheid: Es gab die säkulare israelische Apartheid, in der die israelischen Juden definitiv das Leben in einer Demokratie genießen, in einer pluralistischen Demokratie, wenn Sie so wollen, einer Demokratie westlichen Stils. Das ist die Art von Apartheid, die sie aufrechterhalten wollen. Und es gab die Gegenversion der Apartheid, die messianische, die religiöse, die theokratische Version. Der Kampf war also eine inner-jüdische Angelegenheit, bei der es darum ging, wie das jüdische Leben in der Öffentlichkeit aussehen soll, ohne Bezug auf das Leben der Palästinenser, sei es unter der Besatzung im Westjordanland, unter der Belagerung im Gazastreifen oder unter einem diskriminierenden System innerhalb Israels, ganz zu schweigen von den vielen Millionen palästinensischer Flüchtlinge.

All das war da, und es ist den Israelis am Morgen des 7. Oktobers um die Ohren geflogen. Und es gibt jetzt eine optische Täuschung, als ob aufgrund des Schocks, den Israel am Morgen des 7. Oktober erlitten hat, all diese Risse im Gebäude, im zionistischen Gebäude, verschwunden seien, weil der Hamas-Angriff so brutal, so verheerend war, dass alle internen Debatten vergessen seien und alle hinter der Armee und ihrem gegenwärtigen Plan stünden, in den Gazastreifen einzumarschieren und mit der bereits begonnenen völkermörderischen Politik vor Ort zu beginnen. Ich glaube, das ist eine optische Täuschung. Ich denke, dass die israelischen inneren Unruhen nicht verschwinden werden. Sie werden zurückkehren. Ich weiß nicht wann, aber sie werden zurückkehren.

Aber was noch wichtiger ist, und darauf sollten wir, denke ich, als Aktivisten, als Akademiker, als jeder, der auf die eine oder andere Weise mit Palästina und dem palästinensischen Kampf zu tun hat, bestehen, ist unser Beharren darauf, dass die Ereignisse des 7. Oktober   – wie auch immer wir sie verstehen, wie auch immer wir sie betrachten: vom menschlichen Standpunkt aus, vom strategischen Standpunkt aus, vom moralischen Standpunkt aus   – wie auch immer wir uns ihnen nähern, wir sollten nicht in die Falle tappen   – wie es scheint, tappen sogar viele gute Leute in diesem Land in diese Falle   – die Ereignisse des 7. Oktobers zu dekontextualisieren und zu dehistorisieren.

Und daran wird sich auch in den kommenden Wochen nichts ändern: Die grundlegende Realität vor Ort ist immer noch dieselbe Realität vor Ort wie vor dem 7. Oktober. Das palästinensische Volk befindet sich seit wahrscheinlich 1929, wahrscheinlich seit 1929, in einem Befreiungskampf. Es ist ein antikolonialistischer Kampf. Es ist ein antikolonialistischer Kampf gegen die Siedler. Und jeder antikolonialistische Kampf hat seine Höhen und Tiefen. Jeder antikolonialistische Kampf hat glorreiche Momente und schwierige Momente der Gewalt. Die Entkolonialisierung ist kein pharmazeutischer Prozess. Sie ist kein steriler Prozess. Es ist eine chaotische Angelegenheit, und je länger der Kolonialismus und die Unterdrückung andauern, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Ausbruch gewalttätig und verzweifelt ist, in vielerlei Hinsicht.

Und das ist so wichtig, um die Menschen an die Geschichte der Sklavenaufstände in diesem Land zu erinnern und wie sie endeten. Die Aufstände der amerikanischen Ureinwohner, die Rebellionen der Algerier gegen die Siedler in Algerien, das Massaker von Oran während des Befreiungskampfes der FLN. Dies ist Teil des Befreiungskampfes. Man kann manchmal einige der strategischen Ideen in Frage stellen, man kann einige unangenehme Momente haben, und das zu Recht, über die Art und Weise, wie die Dinge gemacht wurden. Aber man darf nie seinen moralischen Kompass verlieren, damit man das Ereignis selbst nicht dekontextualisiert und enthistorisiert.

Sie scheinen gegen eine typische Berichterstattung anzukämpfen, sowohl in den Medien als auch in der Wissenschaft in diesem Land und im Westen im Allgemeinen und im globalen Norden im Allgemeinen, die die Fähigkeit hat, ein Ereignis zu nehmen und mit dem Ereignis zu beginnen, als ob es keine Geschichte hätte, als ob es keine Konsequenzen hätte. Ich meine, selbst die Geschichten über die Party oder das Festival, das am 7. Oktober überfallen wurde, erwähnen nicht die Tatsache, dass dies ein Fest der Liebe und des Friedens war, anderthalb Kilometer vom Ghetto von Gaza entfernt. Die Menschen feierten Liebe und Frieden, während die Menschen in Gaza zwei Kilometer von diesem Zaun entfernt unter einer der brutalsten Belagerungen in der Geschichte der Menschheit standen, die seit mehr als 15 Jahren andauert und von den Israelis kontrolliert wurde, die entschieden, wie viele Kalorien in den Gazastreifen gelangen, die entschieden, wer rein und wer raus geht, und die zwei Millionen Menschen im größten Gefängnis, einem offenen Gefängnis der Welt, festhielten.

In all diesen Kontexten kann man sich, denke ich, moralisch bewegen, ohne den Kompass zu verlieren. Aber viel wichtiger als der unmittelbare Kontext und sogar der Kontext der Belagerung   – und darauf möchte ich mich heute Abend konzentrieren   – ist die Tatsache, dass eine der größten Herausforderungen für Palästina-Aktivisten oder Palästina-Wissenschaftler, die Aktivisten sind, darin besteht, dass wir eine jahrzehntelange Propaganda und Fälschungen und Gegenerzählungen nicht mit Soundbites bekämpfen können. Das ist unser Hauptproblem, denke ich. Wir brauchen Raum. Wir brauchen Zeit, um die Realität zu erklären, denn so viele Kanäle, so viele Informationsquellen, so viele Orte, an denen Wissen produziert wird, haben ein Bild, eine Analyse von Palästina gezeichnet, die falsch und fabriziert ist und die über die Jahre mit Hilfe der akademischen Welt, der Medien, Hollywood, Fernsehserien und so weiter aufgebaut wurde. Ich meine, das sind Medien, die auf den Verstand und die Emotionen der Menschen einwirken, und sie haben eine bestimmte Geschichte geschaffen, die man nicht mit einem einzigen Soundbite widerlegen kann.

Sie können sie nicht einmal allein durch Ihr Gerechtigkeitsempfinden anfechten. Man kann sie nur widerlegen, wenn der Gerechtigkeitssinn auf einer profunden Kenntnis der Geschichte, einer profunden und genauen Analyse der Realität und der richtigen Sprache beruht. Denn die Sprache, die sogar von liberalen, so genannten progressiven Kräften verwendet wird, ist eine Sprache, die Israel immunisiert und es nicht zulässt, dass der palästinensische antikoloniale Kampf gerechtfertigt, akzeptiert und legitimiert wird.

Und wissen Sie, im Pantheon des antikolonialen Kampfes, in das viele Menschen viele Helden von Nelson Mandela über Gandhi bis hin zu anderen wichtigen Führern der Befreiungsbewegungen aufnehmen würden, werden Sie keinen einzigen Palästinenser finden. Die werden immer als Terroristen behandelt, obwohl sie im Grunde genommen auch eine antikolonialistische Bewegung waren.

Und diese Art von Beharrlichkeit, die richtige Sprache zu verwenden, die Geschichte des Ortes zu kennen und die richtige Analyse zu haben, ist etwas, wie ich schon sagte, wofür man Raum braucht. Man kann nicht einfach kommen und sagen. "Du hast Unrecht und ich habe Recht." Und das ist eine große Herausforderung für uns alle, denke ich, in einem Moment, wie zum Beispiel in diesen Tagen in Amerika, wo es diese bedingungslose Unterstützung für Israel und eine heuchlerische Haltung gegenüber dem Leiden der Israelis zu geben scheint, die zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte Palästinas gegenüber dem Leiden der Palästinenser gezeigt wurde.

Die Geschichtsstunde, die das Gegenmittel gegen die Enthistorisierung der Ereignisse des 7. Oktobers und der Ereignisse ist, die sich heute und wahrscheinlich in den nächsten Wochen, wenn nicht Monaten, vor unseren Augen abspielen, hat zwei Ebenen, zwei Grundpfeiler, auf denen sie stehen sollten und die meiner Meinung nach für jeden sehr wichtig sind, egal ob er auf individueller oder institutioneller Basis im akademischen Bereich oder im Medienbereich an öffentlichen Debatten beteiligt ist, diese gleichen Pfeiler sind für alle diese Arten von Kämpfen relevant.

Einer davon ist: Niemals von unserem Beharren auf einer genauen Definition des Zionismus abzulassen. Das ist so wichtig. Man kann, man sollte keine Diskussion darüber zulassen, was heute in Israel oder in Palästina vor sich geht, ohne über den Zionismus zu sprechen. Und deshalb   – und das ist kein Zufall   – haben Israel und seine Unterstützer in diesem Land und in anderen Ländern so viele Anstrengungen unternommen, um Antizionismus mit Antisemitismus gleichzusetzen. Wer das Wort Zionismus auch nur erwähnt, befindet sich bereits im Bereich, im gefährlichen Bereich, als Antisemit zu gelten und wird deshalb zum Schweigen gebracht. Das heißt aber nicht, dass dies nicht der einzige und richtige Weg ist, die Geschichte zu beginnen.

Die Geschichte beginnt mit einer Ideologie, die rassistisch ist. In ihrem Kern ist sie eine rassistische Ideologie. Sie gehört zur Genealogie des Rassismus   – und nicht zur Geschichte der Befreiungsbewegungen, wie sie an den meisten amerikanischen Universitäten gelehrt wird   – und auch nicht zur Geschichte der nationalen Bewegungen, wie sie in den meisten Ländern des globalen Nordens gelehrt wird oder über die die westlichen Medien sprechen und berichten. Nein! Sie gehört zur Geschichte des Rassismus. Sie ist eine Ideologie, die nicht an ihrem Ursprung gemessen werden darf, sondern in der Art und Weise, wie sie sich in dem Land Palästina manifestiert hat. Und dieser Rassismus ist Teil des siedlungskolonialen Charakters der zionistischen Bewegung.

Es handelt sich nämlich um eine Bewegung, die nicht außergewöhnlich ist, die Sie auch hierzulande [in den USA] von Europäern kennen, die aus Europa hinausgeworfen wurden und einen anderen Ort finden mussten, um anderswo Europäer zu sein, weil sie als Europäer nicht akzeptiert wurden. Und sie fanden Länder, in denen bereits andere Menschen lebten, und wie der verstorbene Patrick Wolfe gesagt hat, wurde bei dieser Begegnung die Logik der Eliminierung des Eingeborenen in dem Moment aktiviert, als diese Siedler auf die Eingeborenen trafen. Und das trifft auch auf Palästina zu. Eine Politik der Eliminierung war die DNA der zionistischen Begegnung mit den Palästinensern seit den Anfängen der zionistischen Bewegung im späten 19. Jahrhundert. Um es in weniger akademischen Worten auszudrücken: Man wollte so viel Palästina wie möglich mit so wenigen Palästinensern wie möglich. Es gab immer die demografische und die geografische Dimension, die Bevölkerungsdimension und die Raumdimension. Je mehr Raum man hat, desto weniger will man die einheimische Bevölkerung darin haben.

Eliminierungspolitik kann Völkermord, ethnische Säuberung oder Apartheid sein. Sie nimmt an verschiedenen Orten unterschiedliche Formen an, und sie nimmt an ein und demselben Ort unterschiedliche Formen an, je nach Kapazität, historischen Umständen und Bedingungen. Aber man kann das, was in Gaza geschah, nicht aus dieser israelischen und davor zionistischen Eliminierungspolitik herausnehmen, aus der Eliminierung der Eingeborenen, einer Eliminierung der Eingeborenen, die zuerst im zionistischen Denken, in den Zeichnungen zionistischer Maler, in den Schriften zionistischer Denker begann und in den 1930er Jahren zu einer Strategie wurde, die 1948 in der ethnischen Säuberung Palästinas erstmals umgesetzt wurde, die mit der Vertreibung der Hälfte der Palästinenser und der Zerstörung der Hälfte der Dörfer Palästinas endete. Übrigens sind viele dieser Dörfer... Auf den Ruinen dieser Dörfer... Einige der Kibbuzim, die von der Hamas für ein paar Stunden besetzt wurden, wurden auf den Ruinen dieser palästinensischen Dörfer von 1948 gebaut. Und nicht wenige der Palästinenser, die in diese Kibbuzim gingen, waren eine dritte Generation palästinensischer Flüchtlinge aus eben diesen zerstörten Dörfern, nicht weit von Gaza entfernt. Auch das ist Teil der Geschichte.

Nicht alles, was ich hier sage, bedeutet, dass ich alles rechtfertige, was getan wurde. Nein! Das tue ich nicht! Aber es bedeutet, dass es Ihnen einen historischen Kontext gibt, ohne den Sie nicht an die Quelle der Gewalt herankommen und nur die Symptome der Gewalt behandeln. Und man muss an die Quelle der Gewalt gehen. Und die Quelle der Gewalt ist eine bestimmte Ideologie, eine bestimmte rassistische Ideologie, eine zionistische Ideologie, die im Kern die Idee der Eliminierung der Eingeborenen ist.

Wie ich bereits sagte, ist dies nicht nur im Zionismus der Fall. Es gab auch andere europäische Siedlerkolonialbewegungen, die definitiv von der Idee der Eliminierung der Eingeborenen motiviert und inspiriert waren.

Wenn man sich also nur oberflächlich mit dieser Geschichte befasst, versteht man, dass für eine ideologische Bewegung, die von der Idee motiviert ist, so viel neues Land wie möglich mit so wenig Einheimischen wie möglich zu besitzen, die historische Periode, in der sie konzipiert wurde, und die historische Periode, in der sie ihre Politik der Eliminierung umsetzte, wirklich wichtig ist. Wenn man nun diese Politik der Eliminierung im 19. Jahrhundert durchgeführt hat, wie es in den Vereinigten Staaten geschehen ist, dann spricht man von einer Welt, die dem Kolonialismus, dem Rassismus und anderen kollektiven Menschenrechten oder Bürgerrechten gegenüber ziemlich gleichgültig war.

Aber wenn Sie sich sagen: Moment mal, das wurde doch nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht. Es geschah im Jahr der Erklärung der Menschenrechte, auf die die Welt so stolz war, weil sie der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg sagte: Wir haben jetzt die moralische Grundlage, die sicherstellt, dass das massive Töten von Menschen, wie wir es im Zweiten Weltkrieg gesehen haben, der Rassismus, den wir an so vielen Orten gesehen haben, ausgerottet wird, weil es einen moralischen Konsens gibt. Wenn man bedenkt, dass Südafrika im selben Jahr das Apartheidgesetz erließ und Israel die ethnische Säuberung Palästinas durchführte, beginnt man die Botschaft zu verstehen, die sowohl das Apartheidregime in Südafrika als auch, was noch wichtiger ist, der zionistische Staat 1948 von der internationalen Gemeinschaft erhielten: Ja, wir verkünden mit Stolz die Erklärung der Menschenrechte, aber wir sagen euch auch: Sie gilt nicht für euch. Sie gilt nicht für euch.

Die Botschaft der Welt war, dass die ethnische Säuberung Palästinas hauptsächlich aus dem Grund akzeptabel ist   – ich meine, das war die Propaganda, ich glaube nicht, dass das der wahre Grund war   – aber es war die Art zu sagen, in den Worten eines amerikanischen Intellektuellen: Es war die Tolerierung einer kleinen Ungerechtigkeit, um eine viel größere Ungerechtigkeit zu korrigieren, nämlich: Die Palästinenser mussten die Juden für tausend Jahre europäischen und christlichen Antisemitismus entschädigen.

Und die Abmachung war sehr klar, und deshalb war Israel der erste Staat, der ein neues Deutschland anerkannte   – die Menschen in Europa und im Westen zögerten sehr, ob sie Westdeutschland als Mitglied der zivilisierten Nationen akzeptieren sollten, so wenige Jahre nach dem Naziregime   – aber in dem Moment, in dem sie grünes Licht von Israel bekamen   – das vorgab, und das nicht zu Recht, sowohl die Überlebenden des Holocausts als auch die Opfer des Holocausts als ultimativer Vertreter des Holocausts zu vertreten   – sagten sie: "Wir werden ein neues Deutschland ausrufen und im Gegenzug wollen wir, dass sich der Westen nicht in das einmischt, was wir in Palästina tun."

Man hätte erwartet, dass Israel zumindest das dritte Land ist, das ein neues Deutschland anerkennt, nicht das erste. Aber es war sehr wichtig für sie [die Israelis], dieses Abkommen zu schließen. Es bedeutete auch, dass das neue Deutschland Israel mit einer enormen finanziellen Unterstützung versorgte, die dazu beitrug, die moderne israelische Armee bereits in den frühen 1950er Jahren aufzubauen.

Wenn nun die Botschaft aus der Welt kam, dass ethnische Säuberungen im Falle des Staates Israel eine akzeptable Methode der nationalen Sicherheitsstrategie sind, ist es nicht so überraschend, dass die ethnischen Säuberungen fortgesetzt wurden. Israel hat zwischen 1948 und 1967 36 Dörfer innerhalb Israels vertrieben. Israel hat 300.000 Palästinenser aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen während des Juni 1967 Krieges vertrieben. Von 1967 bis heute hat Israel fast 700.000 Palästinenser aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen vertrieben, und während wir hier sprechen, setzt Israel die ethnische Säuberung in Orten wie Masafi [?], Yata [?], den südlichen Hebron-Bergen, dem Großraum Jerusalem und anderen Teilen Palästinas fort.

Die ethnische Säuberung der Palästinenser wurde zur DNA der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern, und sie beschäftigt Hunderttausende von Menschen, um sie durchzuführen, denn es handelt sich nicht um massive ethnische Säuberungen wie 1948. Es handelt sich um schrittweise ethnische Säuberungen. Manchmal handelt es sich um die Vertreibung einer Person, einer Familie. Manchmal handelt es sich nicht einmal um eine Vertreibung. Manchmal handelt es sich um die Schließung eines Dorfes oder die Abriegelung des Gazastreifens. Das ist auch eine Form der ethnischen Säuberung, denn wenn man das Gaza-Ghetto schafft, muss man die zwei Millionen Palästinenser nicht in das demografische Gleichgewicht zwischen Arabern und Juden einrechnen, weil diese Palästinenser kein Mitspracherecht bei der Zukunft des historischen Palästina haben.

Das ist die eine historische Säule, die notwendig ist für jeden, der diese abscheuliche Sprache benutzt, die jetzt gegen die Palästinenser verwendet wird, wenn Leute uns sagen, dass wir den Terrorismus unterstützen, wenn Leute das, was am 7. Oktober morgens passiert ist, mit dem Holocaust vergleichen und damit die Erinnerung an den Holocaust völlig missbrauchen   – entweder verstehen sie es nicht oder sie wissen nicht, was sie tun   – aber selbst wenn sie sich darauf einlassen und die hohe moralische Warte einnehmen, es ist so wichtig, dieses besondere Ereignis in die breitere Geschichte des modernen Palästinas und die besondere Geschichte der Belagerung des Gazastreifens einzuordnen, die 2007 begann, die unmenschliche Belagerung von 2 Millionen Menschen in einer der längsten, wahrscheinlich der längsten Belagerung, die es je für eine so große Anzahl von Menschen in Bezug auf Nahrung, Wasser, Bewegungsfreiheit und andere grundlegende Lebensbedürfnisse gegeben hat, die bereits die Vereinten Nationen im Jahr 2020 zu der Feststellung veranlasste, dass das Leben im Gazastreifen für Menschen unerträglich ist. Schon vor drei Jahren waren sie der Meinung, dass wir die rote Linie in Gaza überschritten haben.

Seien Sie also nicht überrascht, wenn die Leute dort ausbrechen. Es gibt Empörung. Es gibt Rache. Es gibt Gewalt. Natürlich gibt es das. Das Gleiche geschah bei den Aufständen der Sklaven, der indianischen Ureinwohner Amerikas, der kolonisierten Völker von Indien bis Nordafrika. Der antikoloniale Kampf ist, wie ich bereits sagte, kein Werk von Quäkern und Pazifisten. Er kann sehr gewalttätig und sehr friedlich sein, und vieles davon hängt davon ab, wie sehr der Kolonisator, der ethnische Säuberer, bereit ist, die Tatsache zu akzeptieren, dass die Menschen, die kolonisiert oder unterdrückt werden, nicht verschwinden und ihren Kampf nicht aufgeben werden. Je eher man das begreift, desto wahrscheinlicher ist ein friedlicher Übergang von einer kolonialistischen zu einer postkolonialistischen Realität.

Wenn ihr euch weigert, dies zu verstehen, wird es euch immer wieder ins Gesicht schlagen, und der 7. Oktober ist nicht der letzte Moment eines solchen Ereignisses.

Aber es gibt noch einen anderen historischen Kontext, auf den ich Sie aufmerksam machen möchte, und der ist sehr wichtig, denn bei all dem Diskurs, der die Berichterstattung in den Medien und von den Politikern in diesem Land und im Westen im Allgemeinen begleitet, war sehr gut zu beobachten, wie die Menschen zu Verallgemeinerungen über die Palästinenser übergingen, wie sie diese Adjektive über die Palästinenser, die allgemeinen Eigenschaften der Palästinenser, verwendeten. Wir haben das schon nach 911 über Muslime im Allgemeinen gehört. Wir haben es während der Kolonialzeit gegen alle Menschen getan, die es wagten, das Imperium herauszufordern. Das ist nichts Neues. Aber es ist wichtig, die Menschen daran zu erinnern, dass der Zionismus eine Katastrophe war, die ein Palästina zerstört hat, das ohne den Zionismus anders gewesen wäre.

Es ist so wichtig, die Menschen daran zu erinnern, wie Palästina vor 1948 war. Ein Palästina, in dem Muslime, Christen und Juden nebeneinander lebten, als die Koexistenz keine erfundene Idee von "leben und leben lassen" war, sondern eine ursprüngliche, echte Form des Zusammenlebens. Man sollte das natürlich nicht idealisieren. Es gab Spannungen, es gab Krisenmomente. Aber es war ein Mosaik des Lebens, das es den Menschen besonders in Palästina ermöglichte, auch das zu genießen, was das Land zu bieten hatte. Und das Land hatte etwas zu bieten, was man heute in Palästina nicht mehr findet. Das Land bot zum Beispiel Wasser im Überfluss. Nur Menschen, die sich an Palästina vor 1948 erinnern, wissen, dass jedes palästinensische Dorf einen Bach mit frischem Wasser hatte. Wissen Sie, diese zionistische Fabel, die der Präsident der EU erst kürzlich wiederholt hat, indem er sagte, dass der Zionismus die Wüste zum Blühen gebracht habe... Das ist eine solche Fälschung der Geschichte.

Der Zionismus hat ein blühendes Land an vielen Stellen in eine Wüste verwandelt. Das ist etwas, das man... Aber man kann es nur tun, wenn man   – mit Hilfe von Historikern   – das Palästina rekonstruiert, das es vor 1948 gab, sowohl in Bezug auf die Menschen und die menschlichen Beziehungen als auch in ökologischer Hinsicht. Die ganze Verbindung zwischen Palästinensern und Kräutern zum Beispiel, eine Natur, die der Zionismus zerstört hat, war Teil der Lebensqualität, die die Palästinenser hatten.

Wie der verstorbene Emil Habibi es ausgedrückt hat, als er in der Abbas-Straße in Haifa lebte. Er sagte: "Vor 1948 wusste ich nicht, wer in meiner Straße ein Christ oder ein Muslim war." Und ich denke, das ist etwas, das keine Nostalgie um der Nostalgie willen ist. Dies ist eine alternative Geschichte, wenn Sie so wollen, in dem Sinne, dass es die Möglichkeit eines anderen Palästinas gab.

Und in diese Geschichte sollten wir auch die Tatsache einbeziehen, dass die palästinensische Nationalbewegung, die palästinensische antikolonialistische Nationalbewegung, von dem Moment an, als der Zionismus in Palästina, im historischen Palästina, Fuß fasste, zwei Prinzipien treu war, und das ist so gut dokumentiert, dass man sich nicht sehr anstrengen muss, es zu finden: Es gab zwei Prinzipien, denen die Palästinenser treu waren, und sie sagten es insbesondere den Amerikanern, denn die Amerikaner brachten dieses Prinzip durch Präsident Woodrow Wilson 1918 in die arabische Welt, insbesondere in den östlichen Mittelmeerraum, und die Vereinten Nationen wiederholten diese Prinzipien.

Ein Grundsatz war das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Palästinenser sagten: "Wir verdienen auch das Recht auf Selbstbestimmung, wie die Iraker, wie die Libanesen, wie die Ägypter."

Das zweite Prinzip war die Demokratie: "Wissen Sie, wenn Sie uns aus der osmanischen Herrschaft herausholen, unter der wir 400 Jahre lang standen, und Sie wollen, dass wir über unsere Zukunft nach der osmanischen Herrschaft entscheiden, was wird dann unsere Zukunft sein? Wie wird unser Regime, unser Staat, unsere politische Existenz aussehen? Wir wollen demokratisch   – durch die Abstimmung der Mehrheit   – entscheiden, ob wir Teil von Großsyrien sein wollen, ob wir ein unabhängiges arabisches Palästina sein wollen, vielleicht wollen wir in einer föderierten panarabischen Republik sein, aber das ist unsere Sache."

Und jede amerikanische Delegation, die von 1918 bis 1948 dorthin reiste, jede internationale Delegation, ob angloamerikanisch oder eine andere Organisation, antwortete den Palästinensern, dass das Prinzip der Demokratie und der Selbstbestimmung zwar von der westlichen Welt hochgehalten wird und sie es als die richtigen Pfeiler ansehen, auf denen die neue post-osmanische arabische Welt aufgebaut werden soll, dass es aber nicht auf Palästina angewendet werden kann, weil das britische Empire versprochen hatte, aus Palästina einen jüdischen Staat zu machen. Und weil die Juden eine so winzige Minderheit sind, kann der Grundsatz der Selbstbestimmung nicht auf die Palästinenser angewandt werden, und natürlich kommt der Grundsatz der Mehrheit oder demokratischer Wahlen für die Palästinenser nicht in Frage.

Dies ist auch wichtig im Zusammenhang mit unserer historischen Reise in die Vergangenheit, um die Art der Unterdrückung, die Art der Geschichte oder die Genologie des Rassismus zu kontextualisieren, die vom Westen gebilligt und unterstützt wurde, als es um Palästina ging. Diese andere Säule ist nicht nur wichtig, um uns daran zu erinnern, was der Zionismus getan hat oder was Palästina hätte sein können.

Dies ist das Fundament, auf dem wir ein Palästina nach der Befreiung, ein post-koloniales Palästina aufbauen werden. Dies ist das Fundament. Und denken Sie über die Elemente dieser Vergangenheit nach und darüber, wie sie sich auf eine andere Realität beziehen als die, die wir hatten, und lassen Sie sich durch den aktuellen Angriff auf den Gazastreifen, die völkermörderische Politik Israels, nicht davon abhalten, weiter über die Befreiung Palästinas nachzudenken und darüber, wie das befreite Palästina aussehen würde.

Und sprechen Sie mit den Palästinensern, die nicht nur über den taktischen Schritt von morgen nachdenken, sondern die sich das vorstellen   – so habe ich es in meinem Buch mit Ramzy Baroud gemacht, wir haben mit 40 palästinensischen Denkern gesprochen und sie gefragt: Wie stellen Sie sich ein befreites Palästina vor? Und wenn man sich anschaut, wie die Vision, ihre Vision für die Befreiung und die Vision der Befreiung nicht nur darin besteht, wie man für die Befreiung kämpft, sondern was wird die Befreiung mit sich bringen?

Es sind all die Elemente, die es in Palästina vor 1948 gab: Eine Gesellschaft, die nicht aufgrund von Religion, Sekte oder kultureller Identität diskriminiert, eine Gesellschaft, die die Demokratie respektiert, eine Gesellschaft, die die Prinzipien von "leben und leben lassen" respektiert, und   – was vielleicht noch wichtiger ist   – eine Gesellschaft, die Palästina organisch in die arabische Welt, in die muslimische Welt zurückbringt, an den Ort, aus dem es mit Gewalt herausgeholt wurde. Teil der arabischen Welt zu sein, ist für viele Menschen kein einfaches Szenario, und das zu Recht. Aber man kann nicht Teil der Lösung oder der positiveren Szenarien für die arabische Welt sein, wenn man nicht Teil der Probleme der arabischen Welt ist. Man kann keine Diskussion über die Menschenrechte im Iran oder die Bürgerrechte in Ägypten führen, wenn man die Bürger- und Menschenrechte der Palästinenser nicht mit einbezieht. Diese Diskussionen sind sinnlos, weil man immer wieder auf den Exzeptionalismus des palästinensischen Mangels an diesen Rechten stößt und sich in einer unterlegenen Position wiederfindet, wenn man der arabischen Welt von außen helfen will, mit diesen Fragen der Menschenrechte und Bürgerrechte umzugehen. Und nur wenn Palästina, das zukünftige Palästina, Teil der arabischen Welt wäre, wäre es Teil ihrer Probleme, aber auch Teil ihrer Lösung.

Abschließend möchte ich sagen, dass ich den wichtigsten Punkt wiederholen möchte, den ich heute Abend wirklich ansprechen möchte: Es gibt immer eine Illusion mit einer Dramatik, und man darf das Drama, das wir sehen, nicht unterschätzen, die menschliche Katastrophe, und wir sehen leider, denke ich, nur den Anfang der menschlichen Katastrophe, die Israel leider nicht nur im Gazastreifen, sondern auch im Westjordanland anrichten wird. Sie werden dies als Vorwand nutzen, um ihre Politik auch im Westjordanland zu ändern. Natürlich ist es am dringlichsten, zu versuchen, dies mit allen uns in diesem Land zur Verfügung stehenden Mitteln zu stoppen, um Druck für eine internationale Intervention auszuüben und diese völkermörderische Politik zu stoppen, die, wie gesagt, ich befürchte, auch auf das Westjordanland ausgedehnt werden könnte. Aber ein Teil dessen, was wir immer tun müssen ist, Strategien für die Zukunft zu entwickeln, denn die grundlegenden Fragen werden auch nach dem Ende dieses besonderen Augenblicks auf die eine oder andere Weise weiter bestehen.

Und es ist diese Art von Diskussion, die meiner Meinung nach sicherstellen würde, dass wir unseren moralischen Kompass nicht verlieren. Wir lassen uns nicht davon abschrecken, dass man uns zu sagen versucht: "Nach dem, was am 7. Oktober geschehen ist, könnt ihr doch nicht eure alten Positionen zur Moral beibehalten." Und wir sollten die Menschen daran erinnern, dass niemand das Recht Algeriens, frei zu sein, das Recht Kenias, frei zu sein, das Recht Indiens, frei vom Kolonialismus zu sein, in Frage gestellt hat, ungeachtet aller Zwischenfälle im Befreiungskampf, ungeachtet des Ausmaßes der Gewalt, die dort herrschte, ungeachtet der Art und Weise, in der die antikolonialistischen Kräfte mit den kolonialistischen Kräften aufeinandertrafen.

Wir stellen niemals das Grundrecht auf Befreiung und Unabhängigkeit in Frage, und das sollten wir auch im Falle Palästinas nicht tun. Wenn man ein friedliches Palästina will, muss man zuallererst über ein freies Palästina sprechen.

Ich danke Ihnen.

[Beifall]

Ussama Makdisi:

Ilan, ich danke Ihnen für diesen außergewöhnlichen Vortrag, der wieder einmal die Bedeutung der Geschichte verdeutlicht hat. Es sind also zwei Historiker hier, viele aus dem Fachbereich Geschichte, Studenten und Dozenten.

Einerseits, Ilan, gibt uns der Blick auf die Geschichte und das Beharren auf einer ehrlichen Interpretation und Wiedergabe der Vergangenheit, insbesondere des palästinensischen Kolonial-Zionismus, die Möglichkeiten der Geschichte Palästinas vor dem Zionismus, den ökumenischen Charakter Palästinas, den Pluralismus Palästinas, wie Sie sagten, eine Vision für die Zukunft.

Aber wenn ich ein paar Fragen stellen dürfte, Ilan, um diese Sache fortzusetzen. Die erste Frage lautet also: Sie haben die ganze Genealogie der antikolonialen Bewegungen erwähnt, und wir sollten uns mit ihnen und ihren Erfahrungen befassen und einerseits differenziert betrachten, was heute vor sich geht, und nicht vor der Tatsache zurückschrecken, dass es selbst auf Seiten der antikolonialen Befreiungsbewegungen außerordentliche Gewalt gibt. Aber was ist mit der Tatsache, dass hier   – und Sie erwähnten Joe Biden oder Sie spielten auf Joe Biden an, Sie spielten auf den Holocaust an... Sie sprachen vom Missbrauch der Erinnerung an den Holocaust. Wenn also Joe Biden sagt, dass der Hamas-Angriff   – das direkte Zitat lautet "so folgenreich wie der Holocaust ist"   – und angesichts der Tatsache, dass es eine so starke Identifikation mit Israel gibt, wie es sie nie mit Südafrika, nie mit Algerien oder Französisch-Algerien, vielleicht in den Vereinigten Staaten, nie mit einer dieser anderen kolonialen Bewegungen gegeben hat   – wie stellen Sie sich vor, die antikoloniale Vergangenheit zu nutzen, um uns in der Zukunft zu helfen?

Ilan Pappé:

Wissen Sie, als Sie sprachen, dachte ich an ein bestimmtes Jahrzehnt der Geschichte: Die 1970er Jahre, als die afrikanischen Mitgliedsstaaten in den Vereinten Nationen, die gerade ihre antikolonialistische Befreiung hinter sich hatten, Palästina als eine offene Wunde der Kolonialisierung betrachteten, die geheilt werden musste, was zu ihrer Initiative führte   – die Leute denken, es wäre eine arabische Initiative gewesen, aber es war eine afrikanische Initiative   –, den Zionismus in der berühmten UN-Resolution von 1975 mit Rassismus gleichzusetzen.

Und wenn man sich anschaut   – und viele der Dokumente aus dieser Zeit sind jetzt offengelegt   – und ich verdanke es einigen meiner Leute, die daran arbeiten   – den amerikanischen Druck auf die afrikanischen Delegationen, der etwa 15 Jahre lang aufrechterhalten wurde, damit sie das zurücknehmen und diese Resolution zurückziehen, wobei sie Einschüchterung und Bestechung einsetzten. Der Druck der Amerikaner auf die afrikanischen Delegationen hielt etwa 15 Jahre lang an, um diese Resolution zurückzuziehen, indem sie Einschüchterung, Bestechung und alles, was sie in der Hand hatten, einsetzten   – das ist ein sehr wichtiges Kapitel in der Geschichte, denn es zeigt, dass es im globalen Süden immer noch einen grundlegenden Instinkt gibt, Palästina als kolonisierten Raum zu betrachten, den palästinensischen Widerstand als antikolonialistische Bewegung zu sehen und ihm Solidarität und Hilfe zu gewähren. Aber die politischen und vor allem die wirtschaftlichen Umstände lassen es nicht zu, dass dieses Gefühl   – sogar in der arabischen Welt   – zum Vorschein kommt.

Mit anderen Worten: Ich denke, was wir suchen sollten   – weil die Palästinenser allein nicht in der Lage sein werden, dies zu tun   – wir sollten nach der Art von Solidarität suchen, die es, wie Sie wissen, in den 70er Jahren von Lateinamerika bis Südostasien gab. Es gab diese Solidarität zuerst mit Algerien und dann mit Palästina: Das sind die beiden Bastionen des Kolonialismus, die befreit werden mussten.

Wir müssen sehen, ob es einen Weg gibt, diese Intersektionalität, diese transnationale Solidarität wieder zu schaffen. Diesmal haben wir gelernt, und wir haben es von Gruppen hier in den Vereinigten Staaten gelernt, dass wir nicht mehr im Zeitalter der nationalen Befreiungskämpfe sind. Vielerorts befinden wir uns vielmehr im Zeitalter des Kampfes von Minderheiten, von kulturellen Gruppen, von Afroamerikanern, von amerikanischen Ureinwohnern, First Nations und so weiter. Das ist die neue internationale Solidaritätsbewegung, von der ich denke die palästinensische antikoloniale Bewegung getragen werden kann.

Und es gibt zumindest Anzeichen dafür, dass die Produktion von Wissen an einigen Orten dekolonisiert wird. Ich meine die Tatsache, dass man über Palästina in akademischen Zeitschriften über indigene Studien lesen kann. Zeitschriften, die sich mit Siedlerkolonialismus befassen, haben Sonderausgaben zu Palästina. Es ist nicht leicht...

Ich habe heute Nachmittag, heute Mittag, mit Ihren Studenten gesprochen und ihnen gesagt: Es ist sehr schwierig, Palästina in einem allgemeinen Kurs über Kolonialismus und Antikolonialismus, Rassismus und Völkermord zu behandeln. Es ist also noch ein langer Weg zu gehen, und natürlich muss das Thema aus den Elfenbeintürmen in die Öffentlichkeit und den öffentlichen Diskurs getragen werden. Aber ich glaube, es ist möglich, weil es dort passiert ist. Es muss einen Grundinstinkt geben.

Und sehen Sie, was heute in der arabischen Welt passiert: Der ganze [Son of Abraham-Kult?] scheint viel unbeständiger und unsicherer zu sein als vor dem 7. Oktober, und schon damals stand er nicht auf festem Boden, was die Gesellschaften anging. Ich denke also, dass es die Möglichkeit gibt, diese historischen Momente zu betrachten und sich daran zu erinnern, dass es Momente des Zusammenhalts und der nationalen Solidarität gab, die wiederbelebt werden könnten, natürlich angepasst an die neue Realität des 21. Jahrhunderts.

Ussama Makdisi:

Okay, Ilan, ich danke Ihnen dafür. Aber ehrlich gesagt, wir leben hier. Sie sind gerade erst gekommen, Sie haben eine Woche in den USA verbracht. Aber für diejenigen von uns, die unterrichten und sich in anderen Bereichen für Gerechtigkeit in Palästina einsetzen, waren die letzten zwei Wochen nicht nur ein Schock und ein Horror, zu sehen, was in Gaza und mit Gaza und den Palästinensern passiert. Aber die Reaktion im Westen ist durchweg heftiger und entmenschlichter, als ich mich erinnern kann, und ich unterrichte seit 25 Jahren. Wie bringen Sie also dieses Sprechen über Solidarität und Intersektionalität mit der Tatsache in Einklang, dass wir in gewisser Weise rückwärts zu gehen scheinen? Können Sie mir ein paar...?

Ilan Pappé:

Ja, ich glaube, ich möchte hier zwei Punkte ansprechen: Der eine Punkt ist, dass wir unser strategisches Denken von unserer taktischen Reaktion trennen müssen. Ja, es gibt eine Welle des Schweigens, der Unterdrückung der Meinungsfreiheit, der Nutzung der Ereignisse vom Samstag als Vorwand und eine Lizenz, die Palästinenser als Nazis zu bezeichnen und den 7. Oktober mit dem Holocaust zu vergleichen. Das wird vorübergehen. Das wird vorbeigehen, weil die israelische Politik vor Ort   – es ist zynisch, was ich jetzt sage, und es ist schrecklich, was ich jetzt sage   – aber Sie können sich auf die Israelis verlassen, dass die Bilder des 7. Oktobers ersetzt werden oder dass zumindest zu diesen Bildern die Bilder hinzukommen, die wir bereits zu Beginn gesehen haben, und dass selbst Leute wie Biden nicht in der Lage sein werden, diese einseitige Vorstellung aufrechtzuerhalten, dass es nur Opfer und Gewalt auf einer Seite gab, leider. Da zähle ich auf die Israelis. Ich wünschte, ich würde es nicht sehen, aber das ist eine Möglichkeit.

Eine Frage ist also, wie man mit dem taktischen Sperrfeuer umgeht. Wie ein Freund von mir zu sagen pflegte: "Du wirst jetzt aus der Luft bombardiert und bist im Bunker. Vielleicht ist es kein guter Zeitpunkt, den Bunker zu verlassen, weil du getötet werden könntest. Aber die Bombardierung wird vorübergehen. Das erste Bombardement wird vorübergehen. Dann werdet ihr eine Chance haben."

Ich glaube nicht, dass die letzten zwei Wochen ein Indikator für eine Kampagne sind, die so lange aufrechterhalten werden kann. Schließlich hat es auch nach dem 11. September einige Zeit gedauert, bis die Akademiker und Studienvereinigungen und andere ihre Kritik ein wenig zurückgenommen haben und sogar im Falle Israels zum Boykott der israelischen Hochschulen zurückgekehrt sind usw. Das ist also ein Punkt.

Aber nicht weniger wichtig ist natürlich, dass Sie alle Ihnen zur Verfügung stehenden Mittel, insbesondere die rechtlichen Mittel, einsetzen, um gegen diese Mobber vorzugehen. Das ist jetzt ein Akt des Mobbings. Wenn es sich bei dem Mobber nicht um eine Person, sondern um die Universitätsleitung oder die Verwaltung handelt, ist es natürlich sehr schwierig, dagegen vorzugehen. Aber dennoch, die Basis... Ich weiß nicht, das ist zumindest das, was ich meinen Kindern sage: Die Basis, wenn man mit einem Tyrannen konfrontiert wird, ist, keine Angst zu haben und sich nicht einschüchtern zu lassen.

[Beifall]

Und sagen Sie es ihnen: Nein! Wir akzeptieren das nicht. Wir akzeptieren es nicht. Wir akzeptieren es nicht, dass wir die palästinensische Flagge nicht schwenken dürfen. Für uns ist dies die Flagge des Kampfes gegen Ungerechtigkeit. Für uns ist dies die Flagge der Gerechtigkeit. Nein, wir scheuen uns nicht zu sagen, dass wir das Recht der Menschen in Gaza verteidigen, sich selbst zu verteidigen. Wissen Sie, all diese Dinge, wenn man in seiner moralischen Auffassung vom Leben gefestigt ist, kann man diese Art von Mobbing, denke ich, in den Griff bekommen.

Wenn Sie sich in einer gefährdeten akademischen Position befinden, sollten Sie natürlich vorsichtiger vorgehen. Aber nicht alle von uns befinden sich in einer prekären Lage. Einige von uns haben eine solidere Position im Leben, und wir sollten sie nutzen, um anderen, die sich in einer schwächeren Position befinden, zu helfen, ob es sich nun um Studenten oder Akademiker ohne Lehrauftrag usw. handelt, um sicherzustellen, dass die Leitung Ihre Position kennt, denn Sie dürfen nicht vergessen: Universitäten sind immer zweierlei: Eine Universität ist ein Unternehmen mit einem Management, aber sie ist auch eine Gemeinschaft von Wissenschaftlern, und als Gemeinschaft von Wissenschaftlern können wir sicher ein bestimmtes Verhalten fordern, das wir von der Leitung vielleicht nicht erwarten können. Aber es ist eine weitaus komplexere Institution als nur das Management. Die Menschen hier sind nicht nur Arbeiter in einem Unternehmen. Es handelt sich um eine weitaus komplexere Beziehung, und wir sollten diese Beziehung nutzen, um zu unseren Prinzipien zu stehen und ihnen treu zu sein.

[Beifall]

Ussama Makdisi:

Vielen Dank, das ist richtig. Und eigentlich, Ilan, sollte ich sagen, dass es jetzt nach den Ereignissen zwei Petitionen oder Erklärungen gibt, die auf diesem Campus im Umlauf sind. Eine, die die Palästinenser einfach dehistorisiert   – Sie benutzen das Wort dehistorisiert   – und völlig dekontextualisiert, ihre Geschichte auslöscht und nicht zu einem Ende der Gewalt aufruft. Und das andere, an dem ich   – ehrlich gesagt   – einen kleinen Anteil hatte, nur um ehrlich zu sein. Interessant ist jedoch, dass viele Assistenzprofessoren und Dozenten die Erklärung unterschrieben haben. Denn wenn man sich nicht wehrt, spielt es keine Rolle, wie sicher der Lehrstuhl ist, wenn man sich als Assistent nicht wehrt, wird man sich auch als ordentlicher Professor nicht wehren...

[Beifall]

Ilan Pappé:

Auf jeden Fall, auf jeden Fall. Ich möchte Ihnen nur sagen, dass wir... In meiner Universität bat die Abteilung, der ich angehöre, das Institut für Arabische Islamstudien, keine offizielle Stellungnahme des Instituts zu Palästina zu veröffentlichen. Also haben wir gesagt, okay. Aber sie hatten auch gesagt, ihr könnt individuell unterschreiben. Also hat jedes einzelne Mitglied des Instituts unterschrieben. Es war also gewissermaßen die institutionelle Position, ohne eine institutionelle Position zu haben.

Ussama Makdisi:

Ja, in Ordnung, etwas Hoffnung.

Also ein paar Fragen. Es gibt viele, viele verschiedene Fragen. Eine Frage, die mehrmals wiederholt oder mehrmals gestellt wurde: Sie haben viel über die Palästinenser im Gazastreifen gesprochen, die, wie Sie wissen, bombardiert und verfolgt werden, und jetzt auch im Westjordanland, mit der ethnischen Säuberung, von der Sie sprachen. Was ist mit den Palästinensern innerhalb von Israel? Befürchten Sie nicht, dass die jetzige Situation mit dieser Art von Regierung und Politik und der Entfesselung dieser Art von völkermörderischem Verhalten gegenüber den Palästinensern die Demographie neu gestalten wird, und die Frage ist dann die nach den Menschen innerhalb Israels, den Palästinensern innerhalb Israels, aber auch die Angst vor einer weiteren Nakba?

Ilan Pappé:

Zunächst einmal müssen wir sagen, dass die Situation der Palästinenser in Israel schon vor den Ereignissen vom Samstag, den 7. Oktober, unerträglich war. Jeden Tag wurde jemand ermordet oder getötet. In den meisten palästinensischen Dörfern und Städten Israels gehen die Menschen abends nicht mehr auf die Straße, weil sie Angst vor dem Terror der kriminellen Banden haben. Die Minister, die für das Leben und das Wohlergehen der Palästinenser in Israel verantwortlich sind, sind die fanatischsten, messianischsten Zionisten. Ihre Lage war also bereits prekär und führte bereits zur Auswanderung, was meiner Meinung nach das Hauptziel dieser Politik war.

Ich denke also, dass die Ereignisse dies noch gefährlicher machen, und deshalb halte ich es für so wichtig, den Unterschied zu erklären zwischen einer Reaktion auf eine bestimmte Aktion, die am 7. Oktober stattfand, und der Art und Weise, wie Israel die Ereignisse des 7. Oktobers ausnutzt, um eine Ideologie und eine Vision, die es schon vorher und unabhängig von den Ereignissen am 7. Oktober hatte, auf eine viel rücksichtslosere und brutalere Weise umzusetzen.

Das ist nicht neu. Ich meine, Israel hat das von 1948 bis heute immer getan. Manchmal ohne Vorwand und manchmal unter einem Vorwand, der eine Reaktion oder Vergeltung oder sogar Rache zu sein schien, aber in Wirklichkeit eine viel nüchternere Umsetzung der Vision ist, die es als Siedler-Kolonialbewegung hat, von einem entvölkerten Palästina.

Ussama Makdisi:

Also noch eine Frage, Ilan. Mehrere Fragen beziehen sich auf die palästinensische Führung. Angesichts der Tatsache, dass die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) jahrzehntelang mit den Israelis und den Vereinigten Staaten kollaboriert hat, um die Palästinenser zu unterdrücken, vor allem im Westjordanland, wie stellen Sie sich das vor   – ich meine, es ist natürlich nicht Ihre Rolle als solche   – aber Ihre Analyse: Wo sehen Sie eine strukturelle Veränderung, angesichts der Zersplitterung der Palästinenser und angesichts der Tatsache, dass das Westjordanland und Ostjerusalem getrennt wurden und natürlich die Palästinenser außerhalb?

Ilan Pappé:

Wie Sie sagen: Es ist sehr schwierig, das vorherzusagen. Aber nach dem, was ich gelesen habe   – und nicht, weil ich in die strategischen Überlegungen Israels eingeweiht bin   –, habe ich das Gefühl, dass sie die israelische Gesellschaft auf eine lange, lange Operation im Gazastreifen vorbereiten, auch nach dem zu urteilen, was ich aus den öffentlichen Äußerungen israelischer Generäle und israelischer Politiker höre. Im Gegensatz zu dem, was die Leute denken, werden sie also nicht an einem Tag in den Gazastreifen einmarschieren, sondern sie werden ihn Stück für Stück einnehmen und daraus eine sehr lange Wiederbesetzung des Gazastreifens machen.

Übrigens ohne Rücksicht auf die 200 Israelis, die sich in den Händen der Hamas und des Islamischen Dschihad befinden   – das nur am Rande.

Da dies meiner Meinung nach schrittweise erfolgen wird und langwierig ist, gehen die Israelis hier meiner Meinung nach das Risiko ein, dass die Palästinensische Autonomiebehörde, die, wie Sie sagen, ohnehin unbeständig ist und heftig kritisiert wird, weil sie die Menschen im Westjordanland nicht vor den Angriffen der Siedler, vor den Angriffen der Armee und der Grenzpolizei schützt, nicht sicher ist, dass ihre eigenen Streitkräfte, die auch Palästinenser sind, untätig bleiben und nicht anfangen, sich zu beteiligen, selbst wenn es nicht das ist, was ihre politische Führung von ihnen verlangt.

Dies ist wahrscheinlich   – und ich sage es sehr vorsichtig, weil ich keine Vorhersage machen will   – aber es ist wahrscheinlich das Gesicht der dritten Intifada. Es ist sehr schwer zu sagen, was das Gesicht des dritten Aufstands im Westjordanland sein wird, aber man hat das Gefühl, dass man genau hier ansetzen muss. Nicht nur der Zusammenbruch der Palästinensischen Autonomiebehörde, sondern auch die Art und Weise, wie einige Strukturen der Palästinensischen Autonomiebehörde Teil des Aufstandes sein werden. Ich denke also, dass dies etwas ist, das...

Sie müssen daran denken: Viele Menschen im Westjordanland, die die Hamas nicht unterstützen   – und Sie können es sehen, wenn Sie das palästinensische Fernsehen sehen oder das palästinensische Radio hören... Wenn Sie in den letzten zehn Tagen das palästinensische Radio aus Ramallah hören, so wie ich es getan habe, dann ist das eine sehr interessante Botschaft, über die meiner Meinung nach nicht gesprochen wird. Zwei wichtige Botschaften, die uns meiner Meinung nach in Erinnerung gerufen werden sollten: Erstens, die Bedeutung der Frage der politischen Gefangenen für die Palästinenser. Dies ist das Thema, das für die Palästinenser am konsensfähigsten ist. Es spielt keine Rolle, ob man der Hamas, der Fatah, den Linken, den Kommunisten, den Säkularen, den Religiösen, den Christen oder den Muslimen angehört. Die Frage der politischen Gefangenen ist das brennendste Thema für alle Palästinenser. Und die PA unternimmt nichts dagegen.

Wir sollten uns daran erinnern: Seit 1967 haben eine Million Palästinenser als politische Gefangene in israelischen Gefängnissen gesessen. Eine Million verbringt ihre Zeit so... Dies ist also das wichtigste Thema. Das PA-Radio in Ramallah widmet jeden Tag drei Stunden den Gesprächen mit den Familien der Gefangenen. Wenn also die Hamas hinausgeht und sagt   – und sie hat es sehr deutlich gesagt, und übrigens hat sie Israel vor Samstag gewarnt   – sie hat gesagt: Wir werden nicht untätig bleiben, solange die politischen Gefangenen nicht freigelassen werden. Und eines der Dinge... Es war kein großes Geheimnis. Dafür brauchte man keinen brillanten israelischen Geheimdienst. Die Hamas sagte: Wir werden alles tun, was wir können, um israelische Soldaten und Bürger zu entführen, damit wir etwas haben, womit wir handeln können, um das wichtigste Problem für unsere Gesellschaft zu lösen, nämlich die politischen Gefangenen. Das ist also ein Punkt.

Der zweite Punkt ist die Verwundbarkeit der Palästinenser im Westjordanland. Wir vergessen das immer wieder, weil die israelische Politik des Völkermords und der ethnischen Säuberung normalerweise schrittweise erfolgt. Die Schritte sind nicht massiv, sie geschehen nicht an einem einzelnen Tag. Jeden Tag wurden in den letzten zwei Jahren im Westjordanland junge Menschen, manchmal Kinder, getötet. Die PA war wehrlos. Die einzige Gruppe, die zumindest rhetorisch sagte: "Wir werden diese Menschen schließlich verteidigen", war die Hamas. Und die Leute, die   – wie die kleinen Gruppen im Flüchtlingslager von Dschenin und in der Kasbah von Nablus, die mit spärlichen militärischen Mitteln versuchten, die Palästinenser zu verteidigen   – sagten: "Ja, wir sind von der Hamas inspiriert, denn sie sind diejenigen, die zurückschlagen. Wir sind nicht untätig." Dies ist auch ein Teil des Kontextes, den man meiner Meinung nach unbedingt berücksichtigen muss.

Ussama Makdisi:

Okay, ich weiß nicht, wie viel Zeit wir noch haben. Aber lassen Sie mich einfach ein paar Fragen stellen. Ich werde zwei Fragen zusammenfassen. Viele fragen: Wie widerlegen sie die ständige Verquickung, wenn sie für Gerechtigkeit in Palästina kämpfen, mit Antisemitismus? Und dann: Was sagen Sie Juden wie jüdischen Aktivisten, insbesondere antijüdischen Aktivisten, die des Selbsthasses oder des Verrats bezichtigt werden? Das sind einige der Fragen, die uns gestellt werden. Ich bin sicher, Sie haben diese Fragen schon oft gestellt bekommen.

Ilan Pappé:

Ja, aber sie sind wichtig. Zur ersten Frage: Ich denke, dass es bei solchen Anschuldigungen und Behauptungen, wenn man die Palästinenser unterstützt oder wenn man den Zionismus als Rassismus kritisiert, dass man ein Antisemit sei, sehr wichtig ist, das Gespräch zu kontrollieren. Anstatt in die Defensive zu gehen, sollte man den Leuten sagen   – und ich meine es ernst, und ich tue es so oft ich kann   – indem man ihnen sagt: Sie sind wahrscheinlich... Ich kann es auf höfliche und nicht auf unhöfliche Weise tun, ich sage auf höfliche Art und Weise: "Sie wissen wahrscheinlich nicht genug über die Geschichte des Zionismus und des Judentums." Auf eine unhöfliche Art sage ich: "Sie sind ein Schwachkopf, der nichts über die Geschichte weiß."

Es kommt also darauf an, und das ist der Punkt, an dem ich sagte, dass Schlagworte hier nicht funktionieren, weil man wirklich den Unterschied zwischen Glauben und Ideologie erklären muss.

Es ist erstaunlich: Wenn es um den Islamischen Staat geht, sind die Menschen sehr intelligent. Sie sagen: "Ach ja. Das eine ist Ideologie und das andere ist Religion." Wenn es um die weiße Vorherrschaft in den Vereinigten Staaten geht, sagen die Leute natürlich: "Das ist nicht das Christentum. Das ist eine Ideologie, die sich des Christentums bedient." Wenn es um die rassistische jüdische Ideologie geht, heißt es, dass man ein Antisemit ist, wenn man das sagt. Man ist nicht antichristlich, wenn man gegen die Aryan Nation ist, und man ist nicht anti-islamisch, wenn man den Islamischen Staat nicht mag. Und das Gleiche gilt für den Zionismus. Das ist also ein Punkt, den ich sagen würde. Und indem man das Gespräch kontrolliert, indem man sagt: "Lassen Sie mich Ihnen den Unterschied zwischen Religion und Ideologie erklären und was passiert, wenn die Ideologie die Religion für ihre politischen Ziele benutzt." Ich denke also, dass es sehr wichtig ist, sicherzustellen, dass man die Geschichte kennt, selbst wenn man sie nur flüchtig kennt, so dass man das Gespräch leicht auf das mangelnde Wissen derjenigen lenken kann, die einen beschuldigen.

Was den Selbsthass angeht: Ich weiß nicht... Vielleicht liegt es an meiner synkretistischen Natur... Es amüsiert mich immer. Ich muss sagen, es amüsiert mich. Ich erinnere mich, dass ich es zum ersten Mal in Cleveland, Ohio, richtig deutlich gehört habe. Ich habe dort in einem Club gesprochen. Ich erinnere mich nicht mehr an den Namen des Clubs. Die Hälfte der Zuhörer waren zionistische Juden und Christen, die andere Hälfte waren Palästinenser. Aus irgendeinem Grund waren sie alle Ärzte und Mediziner. Die meisten Palästinenser in Cleveland sind Ärzte. Ich weiß nicht, warum, aber sie sind alle Ärzte. Und der Rabbiner von Cleveland sagte: "Ich weiß nicht, wie Sie damit leben können, dass Sie sich selbst als Jude hassen." Und ich sagte: "Moment mal, wissen Sie, ich habe viele befreundete palästinensische Ärzte hier, und ich war in all ihren Kliniken, und ich befürchte, ich muss Ihnen sagen, dass sie mir mitgeteilt haben, dass diese Krankheit unheilbar ist. Ich bin eben wahrscheinlich der Selbsthasser... Es gibt keine Pille dagegen. Es gibt keine Impfung dagegen." Also sagte ich ihm: "Sie haben Recht. Sie haben Recht. Ich werde damit leben müssen. Manche Menschen leben mit chronischen Krankheiten und schaffen es auch." Also ja, ich denke, diese ganze Idee ist so absurd, dass man sie eher ins Lächerliche ziehen sollte, als sich ernsthaft mit ihr auseinanderzusetzen.

[Beifall]

Ussama Makdisi:

Vielen Dank, Ilan. Es gibt mehrere Fragen zur Hamas, wie Sie sich vorstellen können. Und eine der Fragen über die Hamas ist, angesichts dessen, was Sie über die westliche Welt gesagt haben, die Konstruktion der westlichen Moral nach dem Zweiten Weltkrieg, die einerseits all diese liberalen Werte verkündet und sie andererseits natürlich entweder nicht anwendet oder tatsächlich zu extremer Gewalt übergeht und diese rechtfertigt, wie wir jetzt in Gaza sehen.

Wenn also islamistische Bewegungen wie die Hamas oder andere Bewegungen oder auch der Iran, die iranische Revolutionsregierung, wenn die Gewalt ausüben, dann sagen die: "Es hat keinen Sinn, auf den Westen oder auf diese so genannten universellen Werte des Westens zu vertrauen, denn sie wurden noch nie angewandt oder richtig umgesetzt. Sie sind immer irgendwie ignoriert worden." Und in Anbetracht der Tatsache, dass die Hamas und andere tatsächlich die Kämpfe führen, sind sie diejenigen, die... Wie gehen Sie damit um? Denn die stellen nicht unbedingt die universelle säkulare Vision eines Staates dar, den Sie als Zukunft sehen. Wie lösen Sie diesen Widerspruch oder wie gehen Sie mit diesem Widerspruch um?

Ilan Pappé:

Ganz genau. Ich denke, das ist eine wichtige Frage. Es ist ganz klar, dass die Art und Weise, wie der westliche Imperialismus   – und dazu zähle ich auch den Zionismus   – die so genannten universellen Werte der Menschenrechte und Bürgerrechte in Ländern wie der arabischen Welt eingeführt hat, manipulativ und diskriminierend war und zum Teil durch kapitalistische und imperialistische Interessen motiviert war. Und das ultimative Beispiel für diese Art der Einführung war der Versuch, den Irak in die Demokratie zu bomben.

Deshalb versteht man, warum viele Menschen in der arabischen Welt sagen: Demokratie wird überbewertet, denn Demokratie ist für uns Imperialismus, ist Besatzung, ist Kolonialismus. Und es ist nicht verwunderlich, dass in den Momenten, in denen säkulare westliche, westlich geprägte Ideologien versagen, die Menschen woanders hingehen. Das ist nicht überraschend. Es ist sehr menschlich.

Das bedeutet aber nicht, dass die arabische Welt   – und das gilt übrigens auch für die ganze Welt   – das Problem der dialektischen Beziehung zwischen säkularen und religiösen Menschen gelöst hat. Es bedeutet nicht, dass wir als menschliche Gesellschaft   – nicht nur in der arabischen Welt   – die universelle moralische Grundlage soweit gefunden haben, dass wir genau wissen, wer die höchste moralische Instanz ist und wer nicht. Ich bin kein moralischer Relativist. Damit will ich nicht sagen, dass jede beliebige Moral in Ordnung ist. Ich bin kein Postmodernist. Ich sage nur, dass es im Gegensatz zu den westlichen Lösungsvorstellungen in den Gesellschaften eine nicht-westliche Lösungsvorstellung gibt, zum Beispiel im Islam, sogar in vorislamischen Gesellschaften. Die Menschen suchten eher nach einem Konsens als nach einer Mehrheitsentscheidung.

Und Konsens   – und darüber haben Sie auch in Ihrem Buch geschrieben   – manchmal "leben und leben lassen", ohne alle Differenzen in der Art und Weise, wie sie die Welt in moralischer und sogar ideologischer Hinsicht wahrnehmen, zu lösen. Es ist die Art von "leben und leben lassen", die dialogische, nicht die dialektische, sondern die dialogische Realität, in der man leben kann. Ich glaube, dass die Menschen... Und wir kennen die arabische Welt, wir kennen die Gesellschaften sehr gut und sehr genau. Es gab lange Perioden in der Geschichte, in denen sie dazu in der Lage waren, und es war in der Regel eine Intervention von außen, die die Idee in eine sektiererische Gesellschaft, in etwas Negatives, verwandelt hat, anstatt in ein Mosaik von Menschen mit unterschiedlichen kollektiven Identitäten.

Und das Gleiche gilt für Palästina. Mit anderen Worten: Ich glaube nicht, dass die Hamas und die Hisbollah notwendigerweise die Vision der Zukunft der arabischen Welt oder Palästinas repräsentieren, nicht einmal so, wie sie es sich vorstellen. Was die Menschen von ihnen lernen, ist ihre Unverwüstlichkeit, ihr Mut und ihr Widerstand.  [Beifall] Ich glaube nicht, dass die Menschen blind sind für den Teil von derer theokratischen Zukunftsvision.

Ich glaube nicht, dass die Menschen, die die Position Syriens oder des Irans respektieren, in der die gesamte arabische Welt Schlange stand, um die Beziehungen zu Israel zu normalisieren, dass die Menschen nicht das Gefühl hatten... Einerseits sagten sie, dass dies eine mutige Position ist, die sie einnehmen. Aber das bedeutete nicht, dass sie blind für die Menschenrechtsverletzungen in Syrien oder im Iran gewesen wären.

Als Menschen können wir mit beiden Polen jonglieren, wissen Sie. Wir können jonglieren. Wir können mit diesen moralischen Fragen auf eine komplexere Weise jonglieren. Wir können genau sagen, was wir bewundern, und wir können genau sagen, was wir nicht akzeptieren, und wir können gemeinsam einen Mechanismus aufbauen, mit dem wir diesen Dialog führen können. Und dieser Dialog zwischen Moderne und Tradition, Religion und Säkularismus ist nicht nur ein Problem der arabischen Welt. Es ist auch ein Thema für Europa. Es ist auch ein Thema für die Vereinigten Staaten.

Wir waren irgendwie fasziniert von dieser westlichen Welt, dieser demokratischen Welt, und dann vergisst man irgendwie die Tatsache, dass in den Vereinigten Staaten mehr Menschen hingerichtet werden als irgendwo sonst auf der Welt. Darüber wird nicht gesprochen. Dass das amerikanische Wahlsystem eines der antiquiertesten und undemokratischsten ist, das jemandem wie Trump die höchste Position im Land verschaffen kann. All diese Dinge müssen neu aufgerollt werden.

Ussama Makdisi:

Okay, aber es gibt immer noch die Frage, dass es zwei verschiedene Wege des Widerstands zu geben scheint, und das geht aus einigen der hier gestellten Fragen hervor. Die eine ist, dass Sie gerade die Hamas und die Hisbollah und den islamistischen Widerstand erwähnt haben. Unabhängig davon, was die Menschen von denen halten, ob sie gut oder schlecht sind, sind sie diejenigen, die sich, wie Sie sagten, dem Normalisierungsprozess entgegenstellen, und das ist ein sehr spezifischer Diskurs, den sie führen. Sie tun nicht so, als ob. Sie sprechen nicht die westlichen liberalen Werte an, weil sie die Heuchelei dort erkannt haben. Sie machen ihr eigenes Ding. Und Sie sagten, es gibt ein theokratisches Element, es gibt ein religiöses Element. Es gibt all diese Dinge. Wie bringen Sie diese Realität dort mit der Tatsache in Einklang, dass hier Studenten, Dozenten und Mitarbeiter, Sie selbst heute in Ihrem Vortrag, für zivile, säkulare Gerechtigkeit eintreten? Das sind zwei getrennte Wege. Betrachten Sie sie als Widersprüche oder sehen Sie, dass sie irgendwann einmal zusammenlaufen?

Ilan Pappé:

Ja, ja. Das ist eine gute Frage, denn ich denke, wenn man sich die Geschichte erfolgreicher antikolonialer Kämpfe ansieht, nicht nur antikolonialer Kämpfe gegen Unterdrückung durch mächtige politische Strukturen, dann wurden sie immer durch eine Koalition von Kräften erreicht, die nicht in allem übereinstimmten, die eine unterschiedliche Haltung zu moralischen Fragen, ideologischen Fragen, vielleicht sogar Visionen hatten.

Es gibt aber auch die gegenteiligen Beispiele. Denken Sie an das Deutschland der Weimarer Republik, wo die Sozialdemokraten und die Kommunisten sich weigerten, bei der Niederschlagung des Nationalsozialismus zusammenzuarbeiten, weil sie der Meinung waren, dass sie die Zukunft nicht genau gleich sehen, was es den Nazis ermöglichte, in Deutschland an die Macht zu kommen. Das ist der Punkt, an dem sich meiner Meinung nach diese unterschiedlichen Strömungen einander annähern.

Es ist jetzt das Bündnis der Menschen, die zusammenarbeiten, um die Auslöschung des palästinensischen Volkes zu verhindern. [Beifall] Sie werden nicht an der Feinabstimmung arbeiten. Wenn ich Recht habe und wir uns in einem existenziellen Kampf befinden, um den Völkermord am palästinensischen Volk zu verhindern, dann kann ich mir nicht den Luxus leisten, mich auf Argumente darüber einzulassen, was in Palästina passieren wird, wenn es uns gelingt, den Völkermord zu stoppen. Ja, es wird Auseinandersetzungen geben, natürlich. Es wird Auseinandersetzungen geben und ich weiß, wie es anders geht, ich meine sogar aus eigener Erfahrung.

Als wir in [Belahin?] gegen die Apartheid-Mauer demonstriert haben, waren wir alle gemeinsam dort: Hamas-Leute, Dschihad-Leute, Fatah, antizionistische Juden. Ich habe das Gefühl, dass ich, wenn ich ein Mitglied gewesen wäre, jemand, der in Gaza lebt und vielleicht kein Muslim ist, vielleicht nicht diese Art von Gefühl empfunden hätte. Das ist möglich. Ich bin also nicht blind für diese komplexen Zusammenhänge. Ich sage nur, dass dies genau eine Möglichkeit ist   – es hängt alles davon ab, wie man den Moment definiert, in dem man sich befindet. Das bedeutet nicht, dass man blind ist für all diese Themen, die wir ansprechen. Ich denke also, sie konvergieren. Aber noch einmal, ich sage, dass sie in eine Realität konvergieren, die sehr schwierig sein wird.

Ich meine, stellen Sie sich vor, ein postkoloniales Palästina aufzubauen, von dem selbst die Hamas-Leute anerkennen müssten, dass es Millionen von Juden umfassen würde. Wie auch immer die Leute im Islamischen Dschihad oder im Iran oder in der Hamas über ein post-befreites Palästina denken, es wird Millionen von Juden enthalten. Es gibt keine Möglichkeit, dass es in einem befreiten Palästina nicht Millionen von Juden geben wird. Das müssen sie also berücksichtigen. Und sie werden darüber nachdenken müssen. Aber sie müssen nicht heute darüber nachdenken. Sie müssen wirklich nicht heute darüber nachdenken. Aber sie werden darüber nachdenken müssen. Sie werden darüber nachdenken müssen. Wissen Sie, das ist wie bei den palästinensischen Freunden, die an einen Staat glauben und alle Juden in einen Staat stecken wollen, und er sagt: Ihr braucht also nicht den einen Staat, nur die Juden […technische Störung   – unverständlich…].

Ich glaube, dass diese Dinge vorhanden sind. Und wenn Sie wie ich vor Ort sind, wissen Sie, dass die meisten Menschen meine Ansicht teilen. Die meisten Menschen teilen meine Meinung. Was sie aus politischen Gründen, zu öffentlichen Zwecken, nach außen hin sagen, ist etwas anderes, weil es Druck gibt. Ich denke, die große Mehrheit der Palästinenser und definitiv alle Antizionisten, die mit ihnen solidarisch sind, haben diese tiefe Erkenntnis und wissen um die Unterscheidung zwischen dem Kampf für die Befreiung und der Frage, was man nach der Befreiung aufbaut.

Ussama Makdisi:

Die Zeit ist fast abgelaufen und die letzte Frage kommt von den Studenten, die Sie fragen: Was raten Sie ihnen angesichts des enormen Drucks, unter dem sie stehen, angesichts des Doxing, der Einschüchterung, des Mobbings und all dem, was auf diesem Campus und auf anderen Campi im ganzen Land passiert? Wie können sie weiter für das kämpfen, was eigentlich grundlegender Anstand ist, wenn sie ständig verläumdet werden?

Und das ist die letzte Frage. Es gibt hunderttausend Fragen. Ich werde sie Ihnen zusammenstellen. Sie können sie heute Abend lesen.

Ilan Pappé:

Wahrscheinlich kann ich nicht einmal alle mit Sicherheit beantworten, also ist das gut.

Ja, ich denke, zunächst einmal, wissen Sie, eine Art von Grundregeln, die sich nur aus der Erfahrung im Alter ergeben und nicht aus einer besonderen Weisheit, die man auf die harte Tour lernt. Eine davon ist: Sei niemals allein in diesen Kämpfen. Stelle sicher, dass Du Teil einer größeren Gruppe bist... Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie der Einzige sind oder nur eine kleine Gruppe haben, dann tun Sie nichts. Tun Sie wirklich nichts. Warten Sie, bis Sie eine größere Koalition gefunden haben. Das ist die eine Sache.

Die zweite Sache ist: Man muss taktisch vorgehen. Man muss taktisch vorgehen und wie ich schon sagte: Wenn man im Bunker unter Beschuss steht, darf man den Kopf nicht sofort herausnehmen. Sie können warten. Ich meine es wirklich ernst. Ich glaube wirklich, dass wir unter dem falschen Eindruck stehen… Wenn Sie den falschen Eindruck haben, dass das Mobbing, das Sie jetzt sehen, und diese Art von Bedürfnis, Ihre Reaktion auf das, was am Samstag passiert ist, etwas ist, das Sie für längere Zeit begleiten wird, dann irren Sie sich aus allen möglichen Gründen, von denen ich einige heute Abend versucht habe zu erläutern. Vielleicht wird es nicht nachlassen, vielleicht wird es nicht versiegen, aber es wird weniger stark sein.

Da bin ich mir sicher. Es passiert nichts, wenn Sie warten. Wenn Sie glauben, dass die Reaktion Ihrer akademischen Laufbahn oder Ihrem Leben als Student sehr schaden könnte... Wenn Sie ein Shahid werden wollen, gehen Sie nach Palästina. Tun Sie es nicht in Berkeley. Berkeley ist kein Ort für Shuhad. Es ist ein Ort für ein gutes Leben und so weiter. Also tun Sie das nicht. Aber beziehen Sie Stellung. Setzen Sie sich zur Wehr und seien Sie ein Schickanierer und gegen die Schickanierer, wenn Sie wollen. Und geben Sie nicht nach.

Aber noch einmal: kalkulieren. Ich denke, das ist es, was ich sagen würde, und für Studenten ist das natürlich nicht einfach. Und es ist nicht leicht für mich, in diese Schuhe zu schlüpfen, weil ich nicht in dieser Position bin. Aber ich denke, Sie haben etwas sehr Wichtiges gesagt: Wenn Sie es jetzt nicht tun, wenn Sie in einer schwachen Position sind, werden Sie es auch nicht tun, wenn Ihre Position stärker geworden ist. Und das ist eine sehr wichtige Lektion für das Leben. Und wenn Sie mit sich selbst im Reinen sind und wissen, dass Sie auf festem moralischen Boden stehen, werden Sie überrascht sein, dass es nicht so einfach sein wird, Sie zu entfernen, zu unterdrücken oder zum Schweigen zu bringen. Es wird nicht leicht sein, aber das bedeutet nicht, dass es nicht machbar ist. Es ist machbar.

Ussama Makdisi:

Danke, danke, Ilan, vielen Dank.

Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=1OcjOP8iUCU

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Das Transkript und die Übersetzung für seniora.org besorgte Andreas Mylaeus

 


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