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Die Souveränität des Irak

Bagdad fordert nach dem jüngsten US-Drohnenmord am Kommandeur einer irakischen Miliz den Abzug der US-geführten Militärkoalition aus dem Irak. Betroffen sind auch Einheiten der Bundeswehr.
Von German-Foreign-Policy.com 08. Januar 2024

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German-Foreign-Policiy/BAGDAD/BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht)   – Die Bundeswehr steht vor einem möglichen erzwungenen Abzug aus dem Irak. Grund dafür ist der US-Drohnenmord an dem Kommandeur einer irakisch-schiitischen Miliz vom vergangenen Donnerstag. Wie der irakische Ministerpräsident Mohammed Shia al Sudani in Reaktion auf den Angriff erklärt, sei er entschlossen, die Präsenz der US-geführten Militärkoalition im Irak zu beenden, zu der auch die Bundeswehr gehört; eigenmächtige US-Operationen auf irakischem Territorium wie der jüngste Drohnenmord würden nicht mehr toleriert. Die auswärtige Militärpräsenz wird schon seit Jahren vor allem von Organisationen der schiitischen Bevölkerungsmehrheit attackiert, darunter Kräfte, die Iran nahestehen. Die westlichen Staaten wiederum, die ihre Truppenstationierung bis heute mit dem Kampf gegen den IS legitimieren, bestehen darauf, die Einheiten im Irak zu belassen; das gilt als nützlich im Einflusskampf gegen Teheran. Die Spannungen verschärfen sich im Gefolge des Kriegs im Gazastreifen. Ein etwaiger Abzug liefe auf einen empfindlichen Einflussverlust auch Deutschlands im Mittleren Osten hinaus.

Militärpräsenz im Irak

Die US-geführte Militärkoalition, die sich im Irak und in Syrien ab 2014 am Krieg gegen den IS beteiligte, hat noch heute Truppen im Irak stationiert. Der Sieg über den IS als territoriales Gebilde auf irakischem Hoheitsgebiet war bereits am 10. Dezember 2017 mit einer großen Militärparade in Bagdad gefeiert worden. Die Tatsache, dass IS-Trupps im Untergrund weiter aktiv waren, diente den USA und mit ihnen verbündeten Staaten als Anlass, um die internationale Truppenpräsenz aufrechtzuerhalten. Die Formate dazu waren die schon im Juni 2014 initiierte US-Operation Inherent Resolve (OIR), die von einer breiten internationalen Staatenkoalition (Counter Daesh) unterstützt wird, sowie die im Oktober 2018 eingerichtete NATO Mission Iraq. Die Vereinigten Staaten führten mehrere Jahre lang noch Kampfeinsätze auf irakischem Territorium durch. Am 10. Dezember 2021 bestätigten US-Militärs, die von ihnen geführte Koalition habe ihre Kampfhandlungen im Irak jetzt eingestellt; doch werde sie im Land bleiben, um den irakischen Streitkräften bei deren Operationen gegen den IS zur Seite zu stehen, unter anderem mit Luftunterstützung.[1] Im Rahmen der NATO Mission Iraq bilden Soldaten aus NATO-Staaten außerdem Einheiten der irakischen Streitkräfte aus und beraten verschiedene irakische Stellen.[2]

Bis zu 500 Soldaten

An den Maßnahmen beteiligt sich auch die Bundeswehr   – im Rahmen von Counter Daesh seit 2015, im Rahmen der NATO Mission Iraq seit 2020. Das Mandat dafür ist zuletzt am 18. Oktober 2023 vom Deutschen Bundestag verlängert worden. Es läuft bis zum 31. Oktober 2024 und erlaubt die Entsendung von bis zu 500 deutschen Soldaten.[3] Diese sind über mehrere Standorte verteilt. Die Kontingentführung befindet sich am Luftwaffenstützpunkt Al Azraq in Jordanien, wo auch deutsche Tankflugzeuge stationiert sind, die Einsätze begleiten. Einige deutsche Soldaten nehmen an den Planungen im Combined Air Operations Centre auf der Al Udeid Air Base in Qatar teil, in dem auch die Einsätze der deutschen Tankflugzeuge koordiniert werden. Darüber hinaus sind deutsche Soldaten in Bagdad und im nordirakischen Erbil stationiert; sie beteiligen sich unter anderem an Trainingsmaßnahmen und an weiteren Maßnahmen zum Aufbau der irakischen Streitkräfte. In der NATO Mission Iraq gehört ein deutscher Brigadegeneral zur Führungsebene: Stephan Willer fungiert als Director Training Development Division. Willer verfügt über Einsatzerfahrung insbesondere aus den Einsätzen der Bundeswehr im Kosovo (KFOR) und in Afghanistan (ISAF).[4]

Machtkampf gegen Iran

Die Forderung, die auswärtigen Truppen müssten aus dem Irak abziehen, ist nicht neu. Schon am 1. März 2018 verlangte das irakische Parlament von der Regierung in Bagdad, sich bei den Soldaten höflich für ihre Unterstützung im Krieg gegen den IS zu bedanken und einen Zeitplan für ihre Heimkehr auszuhandeln. Nachdrücklich wiederholte das Parlament die Forderung zwei Tage nach dem US-Mord an dem Kommandeur der iranischen Quds-Brigade, Qassem Soleimani, der am 3. Januar 2020 unmittelbar nach der Ankunft auf dem Flughafen in Bagdad mit Hilfe einer US-Drohne getötet wurde.[5] Die Forderungen wurden von der irakischen Regierung ignoriert. Zur Erläuterung heißt es gewöhnlich, zwar unterstützten vor allem die Iran nahestehenden Teile der schiitischen Bevölkerungsmehrheit das Verlangen, die US-geführte Militärkoalition solle das Land verlassen. Für einen Verbleib der Truppen aber sprächen sich die sunnitische Minderheit sowie irakisch-kurdische Organisationen aus   – auch um ein Gegengewicht gegen den iranischen Einfluss zu sichern. Zudem üben, wie kürzlich der irakische Parlamentsabgeordnete Saad al Saadi bestätigte, die USA sowie Großbritannien hinter den Kulissen erheblichen Druck auf Iraks Regierung aus, ihre Militärpräsenz nicht anzutasten [6], die westlichen Einfluss zu sichern hilft.

Drohnenmord in Bagdad

Seit dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober und dem folgenden Beginn der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen nimmt der Druck auf die Regierung in Bagdad zu, den Abzug der US-Streitkräfte sowie der von diesen geführten Militärkoalition endlich durchzusetzen. Zugleich eskalieren die Auseinandersetzungen zwischen schiitischen Milizen im Irak und in Syrien auf der einen sowie den US-Streitkräften auf der anderen Seite. Berichten zufolge haben schiitische Milizen vom 17. Oktober bis zum 4. Januar 136 Attacken auf US-Truppen im Irak und in Syrien durchgeführt; die Vereinigten Staaten sind mit 2.500 Militärs im Irak und mit 900 Militärs in Syrien präsent. Die US-Truppen hätten, heißt es weiter, zunächst mit dem Beschuss von Milizenstandorten in Syrien reagiert, um im Irak keine allzu massiven Proteste auszulösen. Im November seien sie zwar dazu übergegangen, vereinzelt auch Milizenstandorte im Irak anzugreifen, hätten aber das Führungspersonal verschont. Erst mit einem Angriff am 4. Januar hätten sie gezielt einen Milizenkommandeur ermordet.[7] Der Drohnenmord galt einem Kommandeur der Miliz Harakat al Nujaba, der das Washington Institute for Near East Policy 69 Prozent der Angriffe auf US-Truppen im Irak und in Syrien seit dem 17. Oktober zuschreibt.[8]

„Kein Rückzieher mehr“

Auf den Mordanschlag hat Iraks Ministerpräsident Mohammed Shia al Sudani mit scharfer Kritik reagiert. Seine Regierung habe „wiederholt betont“, dass auf irakischem Territorium lediglich irakische Stellen befugt seien, gegen Rechtsbrüche wie etwa den Beschuss von US-Stellungen einzuschreiten, ließ Al Sudani mitteilen.[9] Er bekräftige nun seinen festen Entschluss, die andauernde Präsenz der US-geführten Militärkoalition im Irak „zu beenden“, da „die Rechtfertigungen für ihre Existenz nicht mehr gegeben sind“. Seine Regierung wolle deshalb umgehend Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten aufnehmen, um den Abzug der US-Truppen zu besprechen. Dies sei „eine Verpflichtung“, bei der Bagdad „keinen Rückzieher machen“ werde. Es gehe um die „vollständige nationale Souveränität über Land, Luftraum und Gewässer des Iraks“.

Der dritte unfreiwillige Abzug

Al Sudanis Ankündigung trifft auch die Bundeswehr, deren Soldaten im Rahmen der US-geführten Militärkoalition im Irak stationiert sind. Kann die irakische Regierung ihren Abzug durchsetzen, dann müssen die deutschen Streitkräfte nach Afghanistan und Mali einen dritten Einsatzort unfreiwillig räumen. Kann sie ihn nicht durchsetzen, dann bleibt die Bundeswehr gegen den erklärten Willen von Parlament und Regierung im Irak. Beides läuft auf einen weiteren deutschen Machtverlust im Mittleren Osten hinaus.

[1] Lolita C. Baldor, Robert Burns: General says US troops to remain in Iraq. militarytimes.com 10.12.2021.

[2] NATO Mission Iraq. nato.int 01.12.2023.

[3] Jordanien und Irak   – CD/CBI. bundeswehr.de.

[4] Director Training Development Division. jfcnaples.nato.int.

[5] S. dazu Ein Mord und die Folgen.

[6] Dana Taib Menmy: Growing divide in Iraq on continued US military presence as Israel’s war on Gaza persists. newarab.com 14.11.2023.

[7] Nancy A. Youssef, Michael R. Gordon: U.S. Killing of Militia Leader Marks Bid to Stop Attacks on Its Forces in Iraq. wsj.com 04.01.2024.

[8] Michael Knights: Who Are Nujaba and Why Did the U.S. Just Strike Them? washingtoninstitute.org 04.01.2024.

[9] Brad Dress: Iraq moving to remove US-led military coalition, prime minister says. thehill.com 05.01.2024.

Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9445


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