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Ein Professor soll weg

Das Studentenmagazin der ZEIT veröffentlicht einen 8-seitigen Artikel über den Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen. Dieser soll „Verschwörungsmythen verbreiten“. Das Magazin fragt: „Warum darf er immer noch lehren?“ Der Text ist ein Rufmord mit Ansage  – und eine Lektion in Konformismus.
PAUL SCHREYER, 10. Februar 2022 - übernommen von multipolar-magazin.de
29. August 2023
Michael Meyen | Bild: Screenshot KenFM
Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen.

ZEIT CAMPUS ist nach eigener Aussage „das junge Magazin“ der ZEIT: „Es bietet Abiturientinnen und Abiturienten, Studierenden, Absolventinnen und Absolventen und Young Professionals Orientierung und Inspiration in gut recherchierten Geschichten aus ihrer unmittelbaren Lebenswelt.“ Mehr noch, das fünfmal im Jahr erscheinende Magazin mit einer verkauften Auflage von 90.000 Exemplaren „bereichert und empowert“ seine Leser auch und ist dabei „kritisch, reflektiert und exzellent gestaltet“   – so zumindest der Werbetext für Anzeigenkunden (eine Seite kostet laut Preisliste 20.000 Euro).

Geleitet wird das Blatt von Martina Kix, Jahrgang 1985, die zwischen Abi und Studium ein Jahr in New York verbrachte und ihre journalistische Karriere anschließend als „Aushilfe Ressort Nachrichten & Unterhaltung“ bei der Bild am Sonntag startete. Autor des Artikels (online hinter Bezahlschranke) ist Paul Hildebrandt, Jahrgang 1990, der laut eigenen Angaben nach seinem Studium der Politikwissenschaft Gelegenheit hatte, ein Jahr auf „Weltreisen“ zu gehen und dessen Arbeit seither durch zahlreiche Stipendien wohlhabender Verbände unterstützt wird.

Meyen   – der auch für Multipolar schreibt   – kommt aus einem anderen Milieu. Kein New York, keine Weltreisen und Stipendien, stattdessen geboren in der DDR (1967), wo auch seine Ausbildung zum Journalisten begann. Vor dem Hintergrund dieses Karrierestarts hat sein Sprung auf einen Lehrstuhl in einer westdeutschen Metropole (LMU München) bundesweiten Seltenheitswert. Meyen fällt auf und eckt an (hier eine Kritik des BR, hier Meyens Replik darauf). Er hält mit seinen politischen Ansichten und Analysen nicht hinter dem Berg, sondern publiziert sie und gibt dazu Interviews, auch und gerade dann, wenn sie regierungskritisch sind. Das irritiert nicht wenige.

„Ein Prof driftet ab“ lautet denn auch die Überschrift des am Dienstag dieser Woche veröffentlichten Artikels über Meyen. Untertitel: „Ein Münchner Medienwissenschaftler verbreitet Verschwörungsmythen. Warum darf er immer noch lehren?“ Sucht man im Text nach ebenjenen „Verschwörungsmythen“ wird man allerdings nicht fündig. Auf Twitter bewirbt das Magazin den Beitrag etwas anders:

„Ein Münchner Professor trat bei RT Deutsch auf und empfiehlt seinen Studierenden KenFM. Was hat ihn nur so radikalisiert?“

Mit dieser Einordnung kommt man dem Text schon näher. Denn tatsächlich geht es kaum um vermeintliche "Verschwörungsmythen", als vielmehr um abweichende Ansichten   – sowie bestimmte Portale, auf denen Meyen aufgetreten ist: #allesaufdentisch, KenFM, RT Deutsch sowie sein im Verlag des Magazins Rubikon erschienenes Buch. Die konkreten Vorwürfe bleiben schwer greifbar. So heißt es im Artikel in Bezug auf Meyens Auftritt bei der Interview-Reihe #allesaufdentisch:

„Er behauptet, Faktenchecker seien zu einer 'internationalen Bewegung' geworden, die von Philanthropenstiftungen gekapert worden sei, und es ginge ihnen nicht um Objektivität und Transparenz.“

Ginge es journalistisch mit rechten Dingen zu, müsste diese Behauptung Meyens nun eigentlich vom Autor widerlegt oder zumindest mit fundierten Fakten in Zweifel gezogen werden. Warum genau also liegt Meyen hier falsch? Wo irrt er sich ganz konkret? Doch genau dieser Teil fehlt im Text. Unterstellt wird stattdessen, es sei Konsens und hinreichend bekannt, dass die Position Meyens unsinnig sei. Das aber ist mehr als problematisch, denn an dieser Stelle verabschiedet sich der Artikel vom Anspruch eines kritischen Journalismus und betritt stattdessen die heimelige Arena des Konformismus, einer Zone des Gleichklangs, wo alle Mitspieler immer schon vor jeder Diskussion wissen, was richtig ist und was falsch und man sich mühselige Erörterungen deshalb sparen kann. So mogelt sich der Autor um eine sachliche Auseinandersetzung herum und fährt fort:

„Über Meyens These in diesem Video berichten überregionale Zeitungen und Radiosender. Ein Autor des Bayerischen Rundfunks schreibt: 'Meyen ist ein gutes Beispiel dafür, wie Verschwörungsmythen funktionieren.'“

Die Argumentation, die Widerlegung, die Auseinandersetzung werden also ersetzt durch eine Anschuldigung, die eine höhere Autorität („Autor des Bayerischen Rundfunks“) geäußert hat. Eine Erklärung oder Erläuterung der Anschuldigung fehlt. Ein weiteres Beispiel aus dem Artikel unterstreicht dieses Vorgehen:

„Im April 2017 stellt Meyen ein neues Blog online: Medienrealität. Es soll eine Plattform für seine Mitarbeitenden sein: Medienkritik aus wissenschaftlicher Perspektive. Im Impressum: die offizielle Adresse der Universität, auf der Homepage des Instituts verlinkt er sein Blog. Doch Meyen tritt dort nicht nur als Wissenschaftler auf, immer öfter äußert er sich politisch. Beim Nachlesen kann man das Gefühl bekommen, dass seine Thesen mit jedem Eintrag steiler werden. Er mokiert sich über den ZDF-Journalisten Claus Kleber, vergleicht die Tagesschau mit russischem Staatsfernsehen, schreibt von 'Regierungs-PR'.“

Wiederum müsste nun eigentlich die sachliche Auseinandersetzung folgen. Warum ist es falsch, sich über Claus Kleber spöttisch zu äußern? Weshalb ist der Begriff „Regierungs-PR“ bei der Tagesschau objektiv unsinnig? Würde der Autor das näher ausführen, dann könnte der Leser die vorgebrachten Argumente mit denen von Meyen vergleichen (sofern er dessen Argumentation ebenfalls näher vorstellen würde, was im Text nicht geschieht). Der Autor vermeidet aber auch an dieser Stelle eine konkrete Auseinandersetzung mit den Thesen, die er ablehnt. Das ist vor allem deshalb journalistisch unhaltbar, da er mit dieser Ablehnung begründet, Meyen solle nicht mehr an der Universität lehren dürfen.

Deutlich wird: Paul Hildebrandt (und die Redaktionsleitung, die diesen Text des freien Autors ins Blatt genommen hat) haben eine Mission: Sie möchten Universitäten von Lehrkräften befreien, deren Ansichten sie nicht teilen, ja, für gefährlich halten (siehe auch dieser Angriff des Autors auf den kritischen Epidemiologen Prof. Kekulé). Sie berufen sich dabei auf einen Konsens, der bei näherer Betrachtung aber kein gesamtgesellschaftlicher ist, sondern bloß der einer bestimmten Gruppe. Diese Gruppe will nun allein   – aber eben für die ganze Gesellschaft   – entscheiden, wer etwas wo sagen darf und wer nicht. Der Artikel zitiert überraschenderweise sogar Meyen selbst mit einer ganz ähnlichen Einschätzung, geäußert vor einigen Jahren im Gespräch bei KenFM:

„'Diejenigen, die heute News machen können, die also heute bestimmen, was Realität ist, weil es in den News ist, bekämpfen die alternative Erzählung, die uns sagt, es gibt was anderes draußen, mit Labeln wie Fake-News und Hatespeech, um sie unterdrücken zu können.' Jebsen hakt nach: 'Die Vorform der klassischen …' Und Meyen ergänzt: 'Die Vorform der Zensur. Zunächst grenze ich aus, und dann verbiete ich.'“

Der Autor ordnet das von Meyen Gesagte nicht ein, sondern setzt seinen Text so fort:

„Nur wenige Tage später postet ein Journalist Auszüge aus dem Gespräch auf Twitter. Er schreibt: 'Wenn das den Stand der Medienforschung an der @LMU_Muenchen @ifkw_lmu repräsentiert, dann gute Nacht.' Erstmals beschweren sich auch Kolleg:innen bei der Institutsleitung: Meyen schade mit solchen Auftritten dem Ruf des Instituts. Leiter Carsten Reinemann erzählt am Telefon: Damals hätte er gemeinsam mit anderen Kolleg:innen versucht, das Thema im persönlichen Gespräch zu klären. Das sollte die Wogen glätten. Doch Teilnehmer:innen berichten, Meyen sei nicht auf Kritik eingegangen, stattdessen hätten beide Seiten aufgehört, miteinander zu sprechen.“

Wieder fehlt die sachliche Auseinandersetzung mit Meyens Aussagen. Sie wird ersetzt durch Berichte über Anschuldigungen Dritter. An anderer Stelle wertet der Autor dann aber auch persönlich. So heißt es etwa zu Meyens Buch „Die Propaganda-Matrix“:

„Das Buch ist eine Verschwörungserzählung, gespickt mit unseriösen Fußnoten. Es wird ein Spiegel-Bestseller, der erste in Meyens Karriere.“

Auch hier fehlt jede Begründung oder Erläuterung für diese Wertung. Was genau ist unseriös und warum? Deutlich wird das Unbehagen des Autors, das, so scheint es, vor allem auch ein Unbehagen an Meyens Abweichen von der herrschenden Meinung ist. Dieses Abweichen wird offenbar als so falsch und gefährlich angesehen, dass keine weitere Erörterung oder Begründung nötig erscheint. Kronzeugen dafür sind dann stets gesellschaftliche Autoritäten: der „Autor des Bayerischen Rundfunks“, die „Kolleg:innen bei der Institutsleitung“ und so weiter. Paul Hildebrandt, Anfang 30, gefördert durch Stipendien, anerkannt von Leitmedien, die seine Texte veröffentlichen, geht mit diesen Autoritäten konform.

Gegen Ende des Artikels heißt es: „Meyen selbst zeigt sich bis heute nicht einsichtig.“ Hier blitzt kurz das Rollenverständnis des Autors auf, der bei diesem Text offenbar nicht angetreten ist, sein Weltbild zu erweitern und neue Blickwinkel zu prüfen, sondern, viel einfacher, aber auch viel härter: zu richten. Dass hier Vorsatz im Spiel ist, belegt eine E-Mail, die Hildebrandt im Rahmen der Arbeit an dem Artikel im November letzten Jahres an Meyen sandte. Darin heißt es:

„Ich recherchiere momentan zum Konflikt um Ihre Person und würde mich dazu gerne mit Ihnen unterhalten. Mich interessiert sehr Ihre Position zu dieser Kontroverse. Was macht es mit Ihnen, dass sich Ihr Institut von Ihnen distanziert hat und Kolleg:innen Ihnen vorwerfen, nicht wissenschaftlich zu arbeiten? Wie gehen Sie damit um, dass sich Studierende über Sie beschweren? Wie reagieren Sie auf die Vorwürfe, Sie würden Ihre Position als Professor einer renommierten Universität für eine persönliche Kampagne missbrauchen? Können Sie die Kritik der Kolleg:innen eigentlich nachvollziehen? Und vor allem: Wie sind Sie eigentlich inmitten dieser Debatte gelandet   – und wie kommen Sie da wieder raus?“

Meyen selbst erklärt auf Nachfrage, die Formulierung habe ihm „die Sprache verschlagen“. Tatsächlich handelt es sich um eine brandgefährliche Grenzüberschreitung, wenn Journalisten sich zu Richtern im Dienste des Konformismus aufspielen. Dass diese Grenzüberschreitung schon längst Alltag geworden ist   – das ist das Problem.


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