„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist am Ende – Aber ein Ende ist nicht in Sicht“
Rezension
„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist am Ende – Aber ein Ende ist nicht in Sicht“
von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam„Sagen, was ist“
„Sagen, was ist“ war das bekannteste Zitat des Spiegel- Gründers Rudolf Augstein und definiert die Aufgabe von Journalisten.
„Einer Wahrheit ans Licht zu helfen, die unter der glatten Oberfläche der Volksmeinung schlummert, diese notwendige Wahrheit unangreifbar zu fassen und bis in den hintersten Winkel auf die Reise zu schicken, sodass niemand mehr sagen kann, sie sei ihm nicht zugänglich gewesen, eine Wahrheit, der die etablierten Führer und Meinungsmacher aus Bequemlichkeit und Eigensucht bislang ausgewichen sind – das sei die einzige Möglichkeit für den Journalisten, die Wirklichkeit zu verändern: Er kann sagen, was ist.“
Auch wenn der Spiegel im zweiten Quartal 2023 mit einer verkauften Auflage von knapp 702.500 Exemplaren unter den großen deutschen Nachrichtenmagazinen am erfolgreichsten abschnitt, wird er die „hintersten Winkel“ nicht erreichen.
George Orwell: «In Zeiten, da Täuschung und Lüge allgegenwärtig sind, ist das Aussprechen der Wahrheit ein revolutionärer Akt».
Rosa Luxemburg:: «Wie Lassalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer 'das laut zu sagen, was ist'!»
Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer „sagen, was ist“.
Seit vielen Jahren, in zahlreichen Büchern, Artikeln, Vorträgen und in direkter Kommunikation mit den Sendeanstalten in Form von Programmbeschwerden und -kritiken. Beide Autoren kennen das Innenleben des NDR noch aus einer Zeit, in der das Privatfernsehen den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch nicht durch Quotenfixierung, Boulevardisierung und Verflachung zum nachhaltigen Identitätsverlust verhalf. Sie kennen nicht nur das Innenleben von Redaktion und Verwaltung, sondern auch die defizitäre Rolle der „Anwälte des Publikums“ im Kontrollgremium Rundfunkrat.
Ihr aktuelles Buch „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist am Ende“ ist eine thematische Fortsetzung der vorangegangenen Bücher „Die Macht um Acht“ und „Zwischen Feindbild und Wetterbericht“ und dokumentiert die Ergebnisse ihrer systematischen Programmbeobachtung der Angebote des Flaggschiffs der deutschen Nachrichtengebung, der Tagesschau.
Früher, so die Autoren, berichteten öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehjournalisten, was die Oberen in Politik und Wirtschaft sagten. Heute vermitteln sie, was Sie zu denken haben. Die Nachrichten von heute sind ideologisch gesteuert.
„Was Ihnen die ARD-aktuell (oder ein anderer öffentlich-rechtlicher Nachrichtenanbieter) garantiert nicht ins Wohnzimmer bringt, ist ein zweifelsfrei seriöses Informationsangebot an durchweg sachlichen, um Objektivität bemühten Nachrichten. Betonung auf „durchweg“. Manchmal kommt es nämlich vor, dass der Redaktion ARD-aktuell doch etwas halbwegs Brauchbares durch den transatlantisch-ideologischen Filter flutscht. Auch eine kaputte Uhr zeigt schließlich zweimal am Tag die richtige Zeit an.“
Ein Grund dafür ist die Exklusivität westlicher Nachrichtenagenturen, die dafür sorgen, dass in den Nachrichten der Tagesschau immer nur eine Seite der Medaille gezeigt wird. Diese Selbstzensur ist fatal, denn sie widerspricht klar den Vorgaben des Rundfunkstaatsvertrages, der „einen objektiven und umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und länderbezogene Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen“ vorschreibt.
„Die Redaktion ARD-aktuell, zuständig für Tagesschau, Tagesthemen, Nachtmagazin, tagesschau.de und Tagesschau24, übt überdies schon seit vielen Jahren Selbstzensur. Sie verarbeitet nämlich ausschließlich Material der westlichen Nachrichtenagenturen:
– AP (Associated Press, USA, kommerziell, aber unter starker staatlicher Kontrolle)
– TRI (Thomson Reuters, Kanada, kommerziell)
– AFP (Agence France Presse, Frankreich, halbstaatlich)
– dpa (Deutsche Presseagentur, kommerziell, kooperiert mit AP)
– sid (Sport Informationsdienst, kommerziell).Nicht bezogen werden Agenturen aus Russland (ITAR-TASS, Interfax, APN), China, (Xinhua, CNS), Indien (Asian News International unter anderem), Afrika (SAPA unter anderem) und Lateinamerika (teleSUR unter anderem). Die Konsequenz: selbst verschuldete Einseitigkeit. Die Nachrichtengestaltung trieft vor eurozentristischer Arroganz und USA-höriger Gefolgschaftstreue.“
Der Öffentlich-rechtliche Rundfunk erweist sich nach Ansicht der Autoren als hocheffektives Machtinstrument, mit dem „herrschende Meinung“ hergestellt wird. Er gewährleiste unserer politischen Führung und dem Geldadel die Deutungshoheit über alles, was das Staatsvolk betrifft und bewegt. Er bestärke das „Wir-Gefühl“, die Guten zu sein und immer auf der richtigen Seite zu stehen. Zweifel an dieser Schein-Realität lasse er nicht aufkommen.
Die Kontrolleure des Ganzen, die Rundfunkräte, werden „ausgekungelt in den Hinterstübchen von allen möglichen Vereinen und Kanzleien“. Welche gesellschaftliche Gruppe „relevant“ ist, bestimmen und beschließen die Länderparlamente, gemäß „parteipolitischer Zweckmäßigkeitsüberlegungen.
„Der Rundfunkrat, laut Gesetz das Kontrollgremium einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, sollte sich aus Mitgliedern sogenannter „gesellschaftlich relevanter“ Gruppen zusammensetzen. Darunter werden in der Praxis die politischen Parteien verstanden (vorrangig CDU/CSU und SPD), die DGB-Gewerkschaften, die Arbeitgeberorganisationen, die großen Kirchen, Heimat- und Sportverbände, Landfrauen, Umweltschutzorganisationen und ausgewählte Vereine. Mit einem Anteil von etwas mehr als 27 Prozent sind die staatsnahen Institutionen am besten bedient.“
Die Mischung aus domestizierten, politisch einseitig veranlagten Journalisten, der einst von einer Führungskraft als „Laienspielgruppe“ verspotteten Kontroll-Gremien und einem Betriebsklima „unter aller Sau“, das anlässlich einer Umfrage unter den Beschäftigten des NDR diagnostiziert wurde, gebiert nach Ansicht der Autoren ein Angstprodukt, welches als veritabler Grund für die nicht enden wollende „mediale Massenverblödung“ (Peter Scholl-Latour) erachtet werden kann.
Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam begnügen sich nicht mit der Bestandsaufnahme, sie legen auch Lösungsvorschläge vor, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk wieder seinen Kernaufgaben gerecht werden könnte.
Die Autoren widmen sich nach ihren Schilderungen der Unzulänglichkeiten des ÖRR, in themengerecht gegliederten Rubriken, der Zensur (wozu auch die Selbstzensur gehört), den gebotenen journalistischen Grundsätzen (sagen, was ist) und der mangelnden Distanz zu den Mächtigen innerhalb der Berichterstattung. In insgesamt 24 geharnischten Programmkritiken legen sie den Finger in die offene Wunde des angeschlagenen Apparates.
„Welchen Rundfunk hätten Sie denn gerne?“
Diese Frage überschreibt das Schlusskapitel und erinnert an die politisch orchestrierte Geschichte der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die inzwischen zu Hauptakteuren demokratiegefährdender Meinungsmache geworden sind.
„Die Diskrepanz zwischen dem, was berichtet wird, und dem, was ist, würde (und wird) bei Verbleib auf diesem Kurs immer größer werden. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht.“
Das aktuelle Buch von Buch von Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer ist neben der Kritik an den Institutionen eine unterhaltsame Gebrauchsanweisung zur Rezeption öffentlich-rechtlicher Nachrichtenangebote, die seit geraumer Zeit von einer „trügerischen Mixtur aus Halbwahrheiten, Weglassung und Schönfärberei bis hin zu Falschmeldungen“ durchsetzt sind.
Ich wünsche viel Vergnügen und Erkenntnisgewinn bei der Lektüre.
Maren Müller
Vorsitzende Ständige Publikumskonferenz
Diesem Wunsch schliessen wir uns gerne an!
Margot und Willy Wahl
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Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist am Ende – Aber ein Ende ist nicht in Sicht
- fifty-fifty
- Softcover, 24.00 €
- 284 Seiten
- Artikelnummer 978-3-946778-45-5
Das Buch von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam kann ab sofort in Deutschland und auch in der Schweiz im guten Buchhandel bezogen werden.
Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.
Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 Mitarbeiter des NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1992 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehrauftrag an der Fu-Jen-Universität in Taipeh.
Quelle: https://publikumskonferenz.de/blog/der-oeffentlich-rechtliche-rundfunk-ist-am-ende-aber-ein-ende-ist-nicht-in-sicht/
Mit freundlicher Genehmigung der Autoren
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