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Zweiter Tag des NATO-Gipfels in Vilnius: Interview im Fernsehsender WION (Indien)

Gilbert Doctorow im führenden englischsprachigen indischen Fernsehsender WION im Gespräch mit Susan Tehrani
Von Gilbert Doctorow 13.07.2023 - übernommen von gilbertdoctorow.com
13. Juli 2023

Es war ziemlich verblüffend, die Berichterstattung in den Hauptnachrichten über den zweiten und letzten Tag des Gipfels in Vilnius zu verfolgen, als das Scheitern der Einigung auf einen Zeitplan für die mögliche Aufnahme der Ukraine in die NATO durch schöne Worte über die Schaffung eines NATO-Ukraine-Rates und die Bereitschaft, die Ukraine aufzunehmen, wenn alle nicht näher spezifizierten Voraussetzungen für die Mitgliedschaft erfüllt sind, überdeckt wurde. Parallel dazu erfuhren wir, dass die G7-Staaten der Ukraine Sicherheitsgarantien auf bilateraler Basis anbieten, wobei allerdings unklar war, ob mit diesen "Garantien" die Bereitstellung von Bodentruppen gemeint ist oder lediglich die weitere Lieferung von Kriegsmaterial.

Ich habe mich sehr gefreut, dass der führende englischsprachige indische Fernsehsender WION mir die Gelegenheit geboten hat, die Doppelzüngigkeit zu durchbrechen und auf die Realität hinzuweisen, dass die Ukraine nun wahrscheinlich von ihren Sponsoren in Washington zu Verhandlungen mit Russland gedrängt wird, so wie sie auch zum Start ihrer Gegenoffensive gedrängt wurde, obwohl sie keine Luftunterstützung hatte, die für solche Operationen unerlässlich ist.

Die einzige Überlegung, die hinter der veränderten US-Politik gegenüber der Ukraine steht, ist die Innenpolitik im Vorfeld des nächsten Präsidentschaftswahlkampfes, der im Frühherbst beginnt.

Übersetzung und Transkript besorgte Andreas Mylaeus

Bemühungen des ukrainischen Präsidenten in Litauen, die NATO-Mitgliedschaft zu sichern, scheitern | WION

Susan Tehrani im Interview mit Gilbert Doctorow

12. Juni 2023

Transkript (Auszug)

Susan Tehran:

Mehr dazu erfahren wir jetzt von Dr. Gilbert Doctorow aus St. Petersburg. Doctorow ist ein Analyst für internationale Angelegenheiten. Vielen Dank, dass Sie bei uns sind, und willkommen zurück. Es scheint ein wenig verfrüht zu sein, dass die Ukraine um einen NATO-Beitritt bittet, obwohl sie sich mitten im Krieg mit Russland befindet. Was denken Sie darüber?

Gilbert Doctorow:

Sie befindet sich nicht mitten in einem Krieg mit Russland. Sie steht kurz vor dem Ende eines Krieges mit Russland   – eines Krieges, der verloren ist.

Die heutigen Ankündigungen von Stoltenberg und anderen auf dem NATO-Treffen in Vilnius machen die Kommentatoren von CNN oder Euro News lächerlich. Aber sie sollten ihr Publikum nicht täuschen. Tatsache ist, dass die ukrainische Gegenoffensive, die von den NATO-Ländern massiv mit Ausrüstung und Ausbildung unterstützt wurde, kläglich gescheitert ist. Die neuesten Zahlen, die uns vorliegen, besagen, dass in den letzten 30 Tagen 26.000 ukrainische Soldaten und Offiziere bei der Gegenoffensive gegen Russland getötet oder außer Gefecht gesetzt wurden. Sie haben Hunderte von Panzern verloren. Sie haben den größten Teil der modernen militärischen Ausrüstung verloren, die ihnen die NATO-Länder in den vergangenen Wochen geliefert hatten.

Herr Zelensky mag seine Gelegenheit als Redner auf der NATO-Tagung genutzt haben, um die NATO zu beschimpfen, weil sie ihn nicht aufgenommen hat. Tatsache ist jedoch, dass die Vorbedingung für eine Aufnahme in die NATO darin bestand, dass er eine erfolgreiche Gegenoffensive mit den ihm zur Verfügung gestellten gewaltigen Mitteln durchgeführt hätte. Das hat er nicht. Tatsächlich haben die Russen seit gestern eine Gegenoffensive gestartet und an einem Tag an einer der Fronten anderthalb Kilometer des von Herrn Zelenskys Truppen gehaltenen Gebiets eingenommen. Und das, obwohl sie (die Ukrainer) in den vorangegangenen 30 Tagen der ukrainischen Gegenoffensive hier und da ein paar Meter vorgerückt sind. Das Ergebnis ist also eine katastrophale ukrainische Gegenoffensive, die sie gestartet haben, und eine neue Offensive der Russen, und die ukrainischen Personalreserven sind erschöpft. Der Westen kann der Ukraine so viel Ausrüstung liefern, wie er will, aber die Ukraine hat nicht mehr die Soldaten, um sie einzusetzen und einen erfolgreichen Krieg zu führen.

In den letzten Tagen haben wir verstanden, dass die Vereinigten Staaten kleine Signale aussenden, dass sie die Ukraine zu Verhandlungen mit Russland drängen werden, um den Krieg zu beenden. Die Signale kamen von Jake Sullivan, der Biden auf seinem Weg nach Europa zu dem Treffen in Vilnius begleitete und mit Reportern sprach. Es war ein unmissverständliches Signal: Zum ersten Mal seit Monaten wurde nicht in feindseliger Weise über Russland gesprochen. Präsident Putin wurde nicht beschimpft und verflucht. Es wurde in einer sehr neutralen Sprache über Russland gesprochen, was das reinste, das deutlichste Signal ist, dass die Vereinigten Staaten bereit sind zu verhandeln. Und das ist das Ende der ganzen Angelegenheit.

Verhandlungen bedeuten für Russland vor allem eines. Die territorialen Grenzen sind nicht die entscheidende Frage. Die Ukraine wird neutral! Sie wird nicht nur kein NATO-Bündnis eingehen, sondern sie wird auch nicht mehr in der Lage sein, irgendwelche ausländischen Truppen oder Einrichtungen auf ihrem Territorium zu unterhalten. Das wird die nicht verhandelbare russische Forderung für jeden Frieden sein, und damit ist die NATO weg vom Fenster.

Susan Tehran:

Ja, nun, wir werden sehen, ob die NATO aus dem Fenster fliegt oder nicht. Wir werden das sehr genau beobachten. Aber ich möchte an das anknüpfen, was Sie gesagt haben. Es ist sehr interessant, zwischen den Zeilen zu lesen, auch wegen der Tatsache, dass die NATO oder die Vereinigten Staaten nicht mehr über den Sieg der Ukraine sprechen, sondern nur über die Zukunft. Normalerweise sprechen sie darüber, dass die Bereitstellung von Waffen letztlich dazu dient, dass die Ukraine bei den Verhandlungen mit Russland die Oberhand behält, und jetzt hören wir, dass die Vereinigten Staaten Streumunition bereitstellen wollen, und dann ist da noch der Deal mit den F-16. Wir werden sehen, wie sich das entwickelt. Können Sie darüber sprechen? Glauben Sie, dass die Ukraine mit allem, was sie hat, in einer besseren Position sein wird, um mit Russland zu verhandeln, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Ukraine sagt, dass Russland alle seine Truppen aus der Ukraine abziehen muss, einschließlich der Krim?

Gilbert Doctorow:

Nun, die Ukraine ging unter massivem Druck der Vereinigten Staaten und anderer NATO-Länder zum Gegenangriff über, um zu beweisen, dass ihre Investitionen in die Ukraine gerechtfertigt waren. Aber heute und aus diesem Grund sind sie sozusagen voreilig in eine Gegenoffensive gegangen, da sie keine Luftdeckung hatten. Nach aller normalen Militärdoktrin war das zum Scheitern verurteilt. Um das zu tun, was sie tun wollten, muss man Luftdeckung haben. Die hatten sie nicht. Und zu sagen, dass sie Anfang nächsten Jahres F-16 bekommen werden... Anfang nächsten Jahres wird es keine Ukraine mehr geben, über die man reden kann, wenn dieser Krieg weitergeht. Die Russen werden weiter vorrücken, bis sie die polnische Grenze erreichen, es sei denn, die Ukrainer erklären sich bereit, ein neutrales Land ohne NATO zu sein.

Aber lassen Sie uns zu einer anderen Frage kommen, die in Ihrer Einführung zu diesem Interview aufkam, und zwar sprach Herr Zelensky mit großer Dankbarkeit davon, dass die verschiedenen NATO-Mitglieder bilaterale Sicherheitsabkommen zum Schutz der Ukraine schließen werden. Dies ist ein Ersatz für die NATO.

Lassen Sie uns über eines im Klaren sein: Die Vereinigten Staaten können das nicht tun. Der Kongress der Vereinigten Staaten wird der Gewährung von Sicherheitsgarantien für die Ukraine nicht zustimmen, und ohne eine Sicherheitsgarantie der Vereinigten Staaten sind alle anderen Mitgliedsländer der NATO oder außerhalb der NATO in der G7, die der Ukraine vielleicht Sicherheitsgarantien geben wollen, wertlos. Nur die amerikanische Garantie hat einen Wert, und die Vereinigten Staaten werden und können eine solche Garantie auf keinen Fall geben.

Susan Tehran:

Herr Doctorow, vielen Dank, dass Sie bei uns waren und uns einen umfassenden Einblick in die Situation gegeben haben. Ich freue mich darauf, bald wieder mit Ihnen zu sprechen, und natürlich werden wir diese Entwicklungen sehr genau verfolgen.

Gilbert Doctorow:

Es war mir ein Vergnügen. Danke, dass ich dabei sein durfte.

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https://www.youtube.com/watch?v=Tlp-hGyx37E

Ukraine President's efforts in Lithuania fail to secure NATO membership | WION

Susan Tehrani, interview with Gilbert Doctorow

June 12, 2023

Transcript (Excerpt)

Susan Tehran:

For more on this, we are now being joined by Dr. Gilbert Doctorow from St Petersburg. Doctorow is an international affairs analyst. Thank you so much for joining us on weon and welcome back. It seems a little premature for Ukraine to ask to join NATO when it is in the middle of a war with Russia. What are your thoughts?

Gilbert Doctorow:

It is not in the middle of a war with Russia. It is close to the end of a war with Russia   – a war that is losing.

Today's announcements by Stoltenberg and by others at the NATO meeting in Vilnius make fools of commentators at CNN or Euro News. But they shouldn't fool your audience. The fact is, that the counter-offensive that received massive support in equipment and training from NATO countries, that Ukrainian counter-offensive has failed miserably. The latest figures that we have is that 26.000 Ukrainian soldiers and officers were killed or taken out of action on the counter-offensive against Russia in the last 30 days. They have lost hundreds of tanks. They have lost most of the advanced military equipment supplied to them by NATO countries in the preceding weeks.

Mr. Zelensky may have used his opportunity as a speaker in the NATO meeting to berate NATO for not taking him in. But the fact is, the precondition for any admittance to Nato was, that he would have had a successful counter-offensive, using the vast resources he had been given to effect. He didn't. In fact, as of yesterday the Russians have now gone on a counter counter-offensive and they have in one day taken on one of the fronts one and a half kilometers of territory that was held by Mr. Zelensky's forces. This despite the fact that in the preceding 30 days of Ukraine's counter-offensive they moved a few meters here and there forward. So the result is a disastrous Ukrainian counter-offensive they started and a new offensive by the Russians and the Ukrainian manpower reserves are depleted. The West can supply all of the equipment he wishes to Ukraine, but Ukraine no longer has the manpower to use it and to wage a successful war.

In recent days we understand that the United States is giving little signals that it is going to push Ukraine into negotiations with Russia to end the war. The signals came from Jake Sullivan speaking to reporters when he accompanied Biden on his way to Europe for the meeting in Vilnius. It was an unequivocal: For the first time in months, Russia was not spoken of in hostile terms. President Putin was not reviled and cursed. They were taken in very neutral language about Russia, which is the purest, the most obvious signal that the United States is ready to negotiate. And that is the end of the whole issue.

Negotiations for as far as Russia is concerned mean one thing. Territorial boundaries are not the important issue. Ukraine becoming neutral! It is no longer not only have no NATO alliance, but it is on its inability to maintain any foreign troops or institutions on its territory. That will be the non-negotiable Russian demand for any peace and with that NATO goes out the window.

Susan Tehran:

Yeah, well, uh, we'll see whether NATO goes out the window or not. We'll be watching very closely. But I just want to follow up on what you were saying. It is very interesting to read between the lines also for the one fact that we never hear NATO or the United States talk about Ukraine's victory, moving forward. They usually talk about how even providing weapons ultimately is so Ukraine would have the upper hand in negotiations with Russia and now we hear that the United States wants to provide cluster munitions and then there is that deal with the F-16s. We'll see where that goes. So can you talk about that? Do you think that with everything that Ukraine has it will be in a better position to negotiate with Russia not to mention the fact that Ukraine says that Russia needs to pull out all of its troops from Ukraine including Crimea?

Gilbert Doctorow:

Well, Ukraine entered into the counter-attack under massive pressure from the United States and other NATO countries to prove that their investment in Ukraine was justified. But today and for that reason they proceeded prematurely in a counter offensive, so to speak, when they had no air cover. According to all normal military doctrine that was fated to fail. To do what they wanted to do, you have to have air cover. They didn't have it. And to say that they're going to get F-16s in early next year… There won't be an Ukraine to talk about in the early next year, if this war continues. The Russians will continue moving until they reach the Polish border unless the Ukrainians agree to be a neutral country without NATO.

But let us turn to one other question that came up in your introduction to this interview and that was Mr. Zelensky speaking with great gratitude that the various NATO members are going to give bilateral security agreements to protect Ukraine. This is a substitute for NATO.

Let's be clear about one thing: The United States cannot do that. The United States Congress will not approve giving security guarantees to Ukraine and without the United States giving the security a guarantee, all of the other member countries of NATO or outside of NATO in the G7 who may want to give security guarantees to Ukraine   – they are worthless. It is only the American guarantee, that has any validity and the United States absolutely will not and cannot give such a guarantee.

Susan Tehran:

Mr. Doctorow, thank you so much for joining us and for your thorough insight on the situation. I look forward to speaking to you again very soon and of course we'll be watching these developments very closely.

Gilbert Doctorow:

My pleasure. Thanks for having me.

 

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