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Operation Car Wash: einer der größten Justizirrtümer der USA und Brasiliens

Ein Interview mit Brian Mier
Von BRIAN MIER 15.09.2023  – übernommen von bmier.substack.com
17. September 2023
Brian: "In Wirklichkeit handelt es sich um ein zehnjähriges internationales Projekt zur Vernichtung der brasilianischen Arbeiterpartei. Das ist es, was es wirklich war".

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Das folgende, zur besseren Lesbarkeit bearbeitete Transkript stammt aus einem Interview mit Brian Mier in der Radiosendung By Any Means Necessary.
Hören Sie es sich hier an.

Sean Blackmon: Der brasilianische Bundesrichter Dias Toffoli hat kürzlich die frühere Verhaftung des derzeitigen Präsidenten Lula da Silva als "einen der größten Justizirrtümer in der Geschichte des Landes" bezeichnet. Dies geschah, nachdem Toffoli alle Beweise annulliert hatte, die im Rahmen der Kronzeugenregelung des Bauunternehmens Odebrecht erhoben worden waren, und diese ganze Angelegenheit steht im Zusammenhang mit der Operation Car Wash, bei der Lula einige Zeit inhaftiert war. Ich frage mich also, was Sie davon halten. Es fühlt sich wie eine Art offizielle Bestätigung dessen an, was viele von uns schon seit langem über diese ganze Zeit denken.

Brian Mier: Was wir alle schon die ganze Zeit wussten, ist nun rechtlich als Tatsache bestätigt worden. Alle Mainstream-Medien und sogar einige angeblich linke Journalisten in den USA, die diesem Schwachsinn auf den Leim gegangen sind und diesen Skandal zur Förderung ihrer persönlichen Karriere genutzt haben, machen jetzt einen großen Rückzieher. Denn es war nicht nur so, dass der Richter alle Beweise aus den Kronzeugenvereinbarungen mit Odebrecht im Zusammenhang mit dem Fall Lula für ungültig erklärt hat. Er entschied auch, dass Hunderte von Inhaftierungen illegal waren. Hunderte, darunter auch andere Spitzenfunktionäre der brasilianischen Arbeiterpartei, andere Persönlichkeiten des linken Flügels in Brasilien und Personen aus der brasilianischen Geschäftswelt, und dies aufgrund der illegalen Manipulation von Beweisen durch die Staatsanwälte, die die ganze Zeit eng mit dem US-Justizministerium und dem FBI zusammengearbeitet hatten.

Jaqueline Luqman: Die Zurückweisung dieser Beweise basierte offenbar auf dem Zugang zu Akten, die eine höchst illegale Operation aufgedeckt hatten. Ich frage mich, ob Sie uns einige Details darüber geben können, worum es sich bei dieser Operation handelte und wie groß ihr Umfang war?

Brian: In Wirklichkeit handelt es sich um ein zehnjähriges internationales Projekt zur Vernichtung der brasilianischen Arbeiterpartei. Das ist es, was es wirklich war. Die Kronzeugenregelung mit Odebrecht hatte eine Geldbuße von rund 2 Milliarden US-Dollar zur Folge, die von einem amerikanischen Gericht verhängt wurde. Mit seinem Urteil stellt der Richter jetzt fest, dass diese Vereinbarung illegal zustande gekommen ist, ohne dass die brasilianische Regierung sie ordnungsgemäß geprüft hat.

Odebrecht verwendete diese Systeme namens Drousys und MyWebDay, die eigentlich versiegelt sein sollten, aber sie wurden geöffnet und manipuliert, bevor sie in den Prozess eingebracht wurden. Diese Tatsache ist gerichtlich festgestellt worden. Das gesamte Beweismaterial ist nun ungültig. Es kann künftig weder in Zivilprozessen noch in Hunderten von Verfahren verwendet werden, die noch gegen politische Zielpersonen der Operation Car Wash laufen. In seinem Urteil bezeichnet Toffoli die gesamte Operation, bei der Milliarden von Dollar an Bußgeldern zwischen der brasilianischen Regierung, der US-Regierung und der Schweiz aufgeteilt wurden, als "politische Machtergreifung", die darauf abzielte, Schlüsselfiguren aus dem politischen Leben Brasiliens zu entfernen, und er bezeichnet diese Operation als "Schlangenei", eine Art brasilianische Redewendung, die wir verwenden, wenn wir von der Geburt des Faschismus sprechen.

Es war ein Projekt, das mit dem Aufstieg des Faschisten Jair Bolsonaro verbunden war, so dass die Regierung weiterhin selbstmörderische neoliberale Austeritäts-Strukturanpassungen durchhämmern konnte: Privatisierungen, Lähmung aller Mittelerhöhungen für das öffentliche Gesundheits- und Bildungssystem, Abschaffung von Arbeitsgesetzen, Anhebung des Rentenalters... All diese Dinge wurden nach dem Putsch gegen Dilma Rousseff getan, um das Projekt am Laufen zu halten.

Darüber hinaus hat der Oberste Gerichtshof bereits alle Telegramm-Leaks von Gesprächen zwischen Mitgliedern des Car-Wash-Anklägerteams   – der Staatsanwaltschaft von Curitiba   –, in denen sie über ihre Treffen mit dem FBI und die anwesenden Agenten und dergleichen sprechen, als Beweismittel für zulässig erklärt. Sie trafen sich jahrelang alle 15 Tage mit einem Team von FBI-Agenten unter der Leitung von Leslie Bakshies, der sie in der Anwendung von Lawfare-Techniken nach amerikanischem Vorbild unterwies, wie z.B. erzwungene Zeugenaussagen, die in Brasilien erst kurz vor Beginn der Operation Car Wash legalisiert worden waren. Und der Richter hat die Bundespolizei angewiesen   – die dem noch nicht nachgekommen ist   –, er gab ihr 10 Tage Zeit, um alle Daten-Leaks dem Gericht vorzulegen. Das Intercept akzeptierte nur etwa 3 % der Leaks. Damals sagte Glenn Greenwald zu dem Hacker Walter Delgatti (der jetzt im Gefängnis sitzt und eine 20-jährige Haftstrafe verbüßt   – das das Intercept offenbar wenig getan hat, um seine Identität zu schützen): "Nein, nein. Wir brauchen nicht noch mehr von diesen Leaks. Wir können mit dem, was Sie uns gegeben haben, schon genug Artikel veröffentlichen."

Aber dann haben sie den Rest mit niemandem mehr geteilt. Die Bundespolizei beschlagnahmte das gesamte Beweismaterial   – es sind 6 Terabyte. Aber sie haben die Beweise offensichtlich zurückgehalten, weil die viele hochrangige Mitglieder der Bundespolizei belasten, die an der Car Wash Operation beteiligt waren. Jetzt haben sie 10 Tage Zeit, diese Daten herauszugeben. Es werden also noch viele weitere Informationen über diese Angelegenheit herauskommen, und mit Sicherheit auch viele weitere Informationen über die Verwicklung der USA und der Schweiz in die ganze schmutzige Affäre.

Sean: Ja. Und was Sie hier ansprechen, halte ich für sehr wichtig, Brian, und zwar in Bezug darauf, wie offenkundig politisch dieser ganze Angriff auf Lula da Silva war. Sie beschreiben es als eine Art internationale Anstrengung, die brasilianische Arbeiterpartei zu beseitigen und anscheinend progressive Elemente in Brasilien im Allgemeinen zu untergraben. Meine Frage ist also, warum war ein solcher Versuch notwendig? Was war der Charakter dieses Angriffs und warum war er so umfassend, wie Sie ihn beschreiben?

Brian: Erstens: Wenn man sich die Geschichte des Abhängigkeitskapitalismus in Lateinamerika ansieht, haben sie [die USA] seit dem Zweiten Weltkrieg, als sie nach dem Ausscheiden Englands zum wichtigsten Akteur in Südamerika wurden, immer die brutalsten und autoritärsten Regime gefördert, um die Strukturanpassungen durchzusetzen, von denen sie glaubten, dass sie zur weiteren Bereicherung der in der Region tätigen US-Konzerne notwendig sind.

Es war ihnen wichtig, die Arbeiterpartei auszuschalten, damit sie die Offshore-Erdölreserven privatisieren konnte, die Brasilien zu einem der fünf größten Erdölreservenbesitzer der Welt gemacht haben. Sie mussten Konzernen wie Cargill mehr Zugang zur landwirtschaftlichen Produktion gewähren, die dieses riesige Getreideterminal am Amazonas in einem Gebiet errichtet hat, das von Hunderten von Kilometern geschlossenem Regenwald umgeben war. Sie mussten durchsetzen, was sie brauchten, um die Interessen der gleichen Konzerne zu fördern, die im Grunde den politischen Prozess in den USA kontrollieren.

Außerdem gibt es, wie wir seit dem erneuten Amtsantritt Lulas im Januar gesehen haben, geopolitische Gründe, warum die USA mit der Arbeiterpartei nicht zufrieden sind. Sehen Sie sich Lulas Beziehungen zu den BRICS-Staaten an. Sehen Sie sich seine Weigerung an, im Ukraine-Russland-Konflikt Partei zu ergreifen. Schauen Sie sich an, wie er im Moment mit China umgeht, wie er mit China interagiert.

Die amerikanische Demokratische Partei bevorzugte Lula gegenüber Bolsonaro, zumindest in den ersten Monaten seiner Regierung, und zwar aus deren eigenen opportunistischen politischen Gründen, die mit Bolsonaros idiotischer Parteinahme für Trump im politischen Szenario der USA und seinen Beziehungen zu Steve Bannon und solchen Figuren zusammenhängen. Hätte Bolsonaro einfach gesagt, als die Demokraten den nationalen Sicherheitsberater der USA nach Brasilien schickten, um das Land in die NATO einzuladen und ähnliche Dinge   – wenn Bolsonaro da einfach mitgespielt hätte, wäre die Wahrscheinlichkeit groß gewesen, dass sie seinen Versuch eines Autoputsches in den letzten Monaten des vergangenen Jahres unterstützt hätten.

Traurige Tatsache ist, dass die USA schon immer versucht haben, jedes Land in Lateinamerika zu zerstören, das versucht, auch nur ein Minimum an Souveränität auszuüben   – vor allem in Bezug auf die natürlichen Ressourcen, die in den USA so begehrt sind, und Rohstoffe wie Bananen in Honduras, Rindfleisch in Brasilien, Öl, Mineralien   – all diese Dinge. Jeder Versuch, die nationale Kontrolle oder auch nur eine teilweise nationale Kontrolle über diese Sektoren der lateinamerikanischen Wirtschaft zu erlangen, wird mit Blutvergießen, Putschen, bewaffneten Invasionen, Söldnerarmeen und Mordanschlägen beantwortet.

Wir haben gesehen, was in Mittelamerika in den 80er Jahren mit all den blutigen Diktatoren geschah, die von den USA unterstützt wurden. Wir haben es beim Sturz von Dilma Rousseff gesehen, beim Sturz von Fernando Lugo in Paraguay, von Manuel Zelaya in Honduras. Wir sehen die schmutzigen Hände der USA überall in Bolivien, Putschversuche in Venezuela. Ich bin sicher, dass sie sich gerade jetzt wieder in die argentinischen Wahlen einmischen   – ich bin sicher, dass das herauskommen wird. Und das ist einfach der Lauf der Dinge.

Zum Glück für die Menschen in Lateinamerika nimmt der Einfluss der USA derzeit ab. Letztes Jahr hat Brasilien dreimal mehr Geschäfte mit China als mit den USA gemacht. Der Einfluss der USA schwindet, aber sie sind immer noch eine sehr gefährliche Kraft in Lateinamerika.

Jaqueline: Ja, absolut. Und jetzt, da diese Beweise verworfen wurden und diese Entscheidung getroffen wurde, was bedeutet das für die Leute, die als Täter dieser Verbrechen entlarvt wurden? Werden sie zahlen? Wie werden sie zur Rechenschaft gezogen?

Brian: Einer von ihnen, der Leiter der Car Wash Task Force, Deltan Dallagnol, wurde seines Amtes als Kongressabgeordneter enthoben und sieht sich mit allerlei strafrechtlichen Vorwürfen konfrontiert, vor denen ihn die parlamentarische Immunität nicht mehr schützt.

Sergio Moro, der stark an Popularität eingebüßt hat, seit er als möglicher Präsidentschaftskandidat gehandelt wurde, was zum Teil auf die Telegram-Leaks und ähnliche Dinge zurückzuführen ist, droht ein Amtsenthebungsverfahren wegen Wahlbetrugs, weil er während des Wahlkampfs die Partei gewechselt und angeblich einen Teil der Wahlkampfgelder der ersten Partei zur Finanzierung seiner Wahlkampfaktivitäten verwendet hat, während er für die zweite Partei kandidierte. Er steht also kurz vor seinem Rauswurf. Wenn er aus dem Senat geworfen wird, muss er mit Dutzenden von Strafanzeigen rechnen.

Ich gehe davon aus, dass diese beiden Personen im Gefängnis landen werden, ebenso wie mehrere andere Personen, die an dieser Operation beteiligt waren. Ich weiß nicht, was mit dem US-Justizministerium und dem FBI wegen ihrer Rolle bei der Operation geschehen wird   – wahrscheinlich nichts. Was wird mit der beteiligten Schweizer Bundespolizei geschehen? Wahrscheinlich nichts. Aber zumindest drohen den brasilianischen Kompradoreneliten, die dieses imperialistische Projekt ermöglicht haben, Haftstrafen, politischer Ruin und Bankrott.

Quelle: https://bmier.substack.com/p/operation-car-wash-one-of-us-and
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus

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