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'Willkommen zu BRICS 11'

"Keine Berge können den reißenden Strom eines mächtigen Flusses aufhalten." Mit der Aufnahme von sechs neuen Mitgliedern, die den einst stotternden BRICS mehr geostrategische Schlagkraft und geografische Tiefe verleihen, gewinnt die multilaterale Institution nun die nötige Dynamik, um die internationalen Beziehungen neu zu gestalten.
Pepe Escobar 25. August 2023 - übernommen von thecradle.co
26. August 2023

Foto: The Cradle

Am Ende wurde Geschichte geschrieben. Die BRICS-Staaten haben selbst die größten Erwartungen übertroffen und mit der Erweiterung der Gruppe auf BRICS 11 einen großen Schritt in Richtung Multipolarität getan.

Ab dem 1. Januar 2024 werden sich den fünf ursprünglichen BRICS-Mitgliedern Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) anschließen.

Nein, sie werden sich nicht in ein unaussprechliches BRIICSSEEUA verwandeln. Der russische Außenminister Sergej Lawrow bestätigte, dass das Lied dasselbe bleibt, mit dem vertrauten BRICS-Akronym für die multilaterale Organisation des Globalen Südens, der Globalen Mehrheit oder des "Globalen Globus", die die Konturen eines neuen Systems der internationalen Beziehungen prägen wird.

Hier ist die Johannesburg-II-Erklärung des 15. BRICS-Gipfels. BRICS 11 ist erst der Anfang. Es gibt eine lange Schlange von Ländern, die sich anschließen wollen. Ohne auf die Dutzenden von Ländern (und mehr) einzugehen, die nach Angaben der Südafrikaner bereits "ihr Interesse bekundet" haben, umfasst die offizielle Liste bisher Algerien, Bangladesch, Bahrain, Belarus, Bolivien, Venezuela, Vietnam, Guinea, Griechenland, Honduras, Indonesien, Kuba, Kuwait, Marokko, Mexiko, Nigeria, Tadschikistan, Thailand, Tunesien, die Türkei und Syrien.

Bis zum nächsten Jahr werden die meisten von ihnen entweder BRICS-11-Partner oder Teil der zweiten und dritten Welle vollwertiger Mitglieder sein. Die Südafrikaner haben betont, dass BRICS "nicht auf eine einzige Expansionsphase beschränkt sein wird".

Faktische russisch-chinesische Führung

Der Weg zu BRICS 11 während der zweitägigen Diskussionen in Johannesburg war hart und holprig, wie der russische Präsident Wladimir Putin selbst zugab. Das Endergebnis entpuppte sich als ein Wunderwerk der transkontinentalen Integration. Westasien wurde mit voller Kraft aufgenommen. Die arabische Welt hat drei Vollmitglieder, ebenso wie Afrika. Und Brasilien hat strategisch darauf hingewirkt, das in Schwierigkeiten geratene Argentinien einzubeziehen.

Die globale BIP-Kaufkraftparität (KKP) der BRICS 11 beträgt jetzt 36 Prozent (bereits größer als die der G7), und die Institution umfasst jetzt 47 Prozent der Weltbevölkerung.

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BRICS+ Länder GDP, GDP (PPP) und Verschuldung. (Foto: The Cradle)G7 Länder GDP, GDP (PPP) und Verschuldung. (Foto: The Cradle)

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G7 Länder GDP, GDP (PPP) und Verschuldung. (Foto: The Cradle)

Mehr noch als ein geopolitischer und geoökonomischer Durchbruch ist der Zusammenschluss der BRICS 11 ein echter Paukenschlag an der Energiefront. Durch den Beitritt von Teheran, Riad und Abu Dhabi werden die BRICS 11 sofort zu einer Öl- und Gasmacht, die laut InfoTEK 39 Prozent der weltweiten Ölexporte, 45,9 Prozent der nachgewiesenen Reserven und 47,6 Prozent des gesamten weltweit geförderten Öls kontrolliert.

Eine direkte Symbiose zwischen BRICS 11 und OPEC+ ist unvermeidlich (unter der Führung Russlands und Saudi-Arabiens), ganz zu schweigen von der OPEC selbst.

Übersetzung: Der kollektive Westen könnte bald seine Macht verlieren, die globalen Ölpreise zu kontrollieren, und damit auch die Mittel, seine einseitigen Sanktionen durchzusetzen.

Ein Saudi-Arabien, das sich direkt mit Russland, China, Indien und dem Iran verbündet, stellt einen verblüffenden Kontrapunkt zur von den USA ausgelösten Ölkrise Anfang der 1970er Jahre dar, als Riad begann, sich in Petrodollars zu suhlen. Dies ist die nächste Stufe der von Russland initiierten und von China vollzogenen Annäherung zwischen Riad und Teheran, die kürzlich in Peking besiegelt wurde.

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BRICS+ Und G7 nachgewiesene Ölreserven. (Foto: The Cradle)

Und das ist genau das, was die strategische Führung Russlands und Chinas immer im Sinn hatte. Diese besondere diplomatische Meisterleistung ist voll von bedeutsamen Details: BRICS 11 wird genau an dem Tag ins Leben gerufen, an dem Russland am 1. Januar 2024 die jährliche Präsidentschaft der BRICS übernimmt.

Putin kündigte an, dass der BRICS-11-Gipfel im nächsten Jahr in Kasan, der Hauptstadt von Russlands Tatarstan, stattfinden wird, was ein weiterer Schlag gegen die irrationale Isolations- und Sanktionspolitik des Westens sein wird. Erwarten Sie im kommenden Januar eine weitere Integration des Globalen Südens/der Globalen Mehrheit/des Globalen Globus, einschließlich noch radikalerer Entscheidungen, die von der bis zur Unkenntlichkeit sanktionierten russischen Wirtschaft getroffen werden   – die jetzt übrigens mit einer Kaufkraftparität von über 5 Billionen Dollar die fünftgrößte der Welt ist.

G7 im Koma

Die G7 ist jetzt praktisch auf der Intensivstation gelandet. Die G20 könnte die nächste sein. Die neue "Global Globe" G20 könnte die BRICS 11 sein   – und später die BRICS 20 oder sogar BRICS 40. Bis dahin wird auch der Petrodollar nur noch auf der Intensivstation am Leben gehalten werden.

Der Höhepunkt der BRICS 11 hätte nicht ohne eine herausragende Leistung der "Men of the Match" erreicht werden können: Putin und der chinesische Präsident Xi Jinping, unterstützt von ihren jeweiligen Teams. Die strategische Partnerschaft zwischen Russland und China stand in Johannesburg im Vordergrund und gab die wichtigsten Leitlinien vor. Wir müssen mutig sein und expandieren; wir müssen auf eine Reform des derzeitigen institutionellen Rahmens drängen   – vom UN-Sicherheitsrat über den IWF bis hin zur WTO; und wir müssen uns von jenen Institutionen befreien, die von der künstlichen "regelbasierten internationalen Ordnung" unterjocht werden.

Kein Wunder, dass Xi den Moment als "historisch" bezeichnete. Putin ging sogar so weit, alle BRICS 11 öffentlich aufzufordern, den US-Dollar aufzugeben und die Handelsabrechnungen in nationalen Währungen auszuweiten   – und betonte, dass die BRICS "Hegemonien jeglicher Art" und "den Ausnahmestatus, den einige Länder anstreben", ablehnen, ganz zu schweigen von "einer Politik des fortgesetzten Neokolonialismus".

Weil die chinesische Belt and Road Initiative (BRI) im nächsten Monat ihr 10-jähriges Bestehen feiert, betonte Putin die Notwendigkeit, diese Initiative weiterzuführen:

"... eine ständige BRICS-Verkehrskommission einrichten, die sich nicht nur mit dem Nord-Süd-Projekt [PE: gemeint ist der INTSC-Verkehrskorridor, dessen wichtigste BRICS-Mitglieder Russland, Iran und Indien sind], sondern auch in einem breiteren Rahmen mit der Entwicklung von Logistik- und Verkehrskorridoren, interregional und global, befasst."

Aufgepasst: Russland und China sind bei den Verbindungskorridoren auf einer Wellenlänge, und sie bereiten sich darauf vor, ihre kontinentalen Verkehrsprojekte weiter zu verknüpfen.

An der Finanzfront wurden die Zentralbanken der derzeitigen BRICS-Staaten angewiesen, den Handel mit lokalen Währungen ernsthaft zu prüfen und auszubauen.

Putin äußerte sich sehr realistisch zur De-Dollarisierung: "Die Frage der einheitlichen Abrechnungswährung ist ein komplexes Thema, aber wir werden diese Probleme auf die eine oder andere Weise lösen." Damit ergänzte er die Ausführungen des brasilianischen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva, wonach die BRICS-Staaten eine Arbeitsgruppe eingesetzt haben, um die Durchführbarkeit einer Referenzwährung zu prüfen.

Parallel dazu hat die Neue Entwicklungsbank (New Development Bank   – NDB) der BRICS drei neue Mitglieder aufgenommen: Bangladesch, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate. Doch ihr Weg zur Prominenz wird von nun an noch steiler sein.

Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa lobte öffentlich den Bericht von NDB-Präsidentin Dilma Rousseff über die neun Jahre alte Institution, doch Dilma selbst betonte erneut, dass die Bank nur 30 Prozent der gesamten Kredite in Währungen vergeben will, die den US-Dollar umgehen.

Das ist kaum genug. Warum? Es ist an Sergey Glazyev, dem Minister für Makroökonomie bei der Eurasischen Wirtschaftskommission, die im Rahmen der von Russland geführten EAEU arbeitet, die Schlüsselfrage zu beantworten:

"Es ist notwendig, die Statuten dieser Bank zu ändern. Als sie gegründet wurde, habe ich versucht, unseren Finanzbehörden zu erklären, dass das Kapital der Bank auf die nationalen Währungen der Gründerländer verteilt werden sollte. Aber die amerikanischen Vertreter glaubten wie verrückt an den US-Dollar. Das Ergebnis ist, dass diese Bank heute Angst vor Sanktionen hat und halb gelähmt ist."

Kein Gebirge kann einen mächtigen Fluss aufhalten

Ja, die vor uns liegenden Herausforderungen sind immens. Aber der Wille zum Erfolg ist ansteckend, was vielleicht am besten durch Xis bemerkenswerte Rede bei der Abschlusszeremonie des BRICS-Wirtschaftsforums verkörpert wird, die vom chinesischen Handelsminister Wang Wentao verlesen wurde.

Es ist, als hätte Xi eine Mandarin-Version des amerikanischen Pop-Klassikers "Ain't No Mountain High Enough" ["Es ist kein Berg hoch genug"] von 1967 zitiert. Er zitierte ein chinesisches Sprichwort: "Keine Berge können den Strom eines mächtigen Flusses aufhalten." Und er erinnerte sein Publikum daran, dass der Kampf sowohl edel als auch notwendig ist:

"Ungeachtet aller Widerstände werden die BRICS, eine positive und stabile Kraft für das Gute, weiter wachsen. Wir werden eine stärkere strategische Partnerschaft der BRICS schmieden, das 'BRICS-Plus'-Modell ausbauen, die Erweiterung der Mitgliedschaft aktiv vorantreiben, die Solidarität und Zusammenarbeit mit anderen EMDCs [Emerging Markets and Developing Countries   – Schwellenländern] vertiefen, die globale Multipolarität und mehr Demokratie in den internationalen Beziehungen fördern und dazu beitragen, die internationale Ordnung gerechter und fairer zu gestalten."

Fügen Sie nun dieses Bekenntnis zur Menschlichkeit zu der Art und Weise hinzu, wie der "Global Globe" Russland wahrnimmt. Auch wenn die Kaufkraftparität der russischen Wirtschaft inzwischen höher ist als die der imperialen europäischen Vasallen, die sie zu vernichten versuchen, wird Moskau vom globalen Süden als "einer der Unseren" wahrgenommen. Die Ereignisse in Südafrika haben dies noch deutlicher gemacht, und Russlands Aufstieg zur BRICS-Präsidentschaft in vier Monaten wird dies noch vertiefen.

Es ist kein Wunder, dass der kollektive Westen, benommen und verwirrt, nun zittert, da er spürt, dass sich die Erde   – zumindest 85 Prozent davon   – unter seinen Füßen bewegt.

Pepe Escobar For theCradle.co
Pepe Escobar ist Kolumnist bei The Cradle, leitender Redakteur bei Asia Times und unabhängiger geopolitischer Analyst mit Schwerpunkt Eurasien. Seit Mitte der 1980er Jahre hat er als Auslandskorrespondent in London, Paris, Mailand, Los Angeles, Singapur und Bangkok gelebt und gearbeitet. Er ist Autor zahlreicher Bücher; sein neuestes Buch ist Raging Twenties.

Quelle: https://new.thecradle.co/articles/welcome-to-the-brics-11
Mit freundlicher Genehmigung von thecradle.co
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus

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