Wer hat Angst vor Prigoschin und Wagner?
Yevgeny Prigoschin spricht in die Kamera in einem Bild, das aus einem Video stammt, das am 21. August 2023 auf einem mit Wagner verknüpften Telegram-Kanal veröffentlicht wurde.
Wenige Minuten oder Stunden nach dem grausigen Tod des Chefs der Wagner-Organisation russischer Militärunternehmer, Jewgeni Prigoschin, am Mittwoch, gab es eine Lawine westlicher Medienberichte, in denen Präsident Wladimir Putin als Täter beschuldigt wurde.
Es ist fast so, als wäre in einer unbekannten Kommandozentrale ein Knopf gedrückt worden, um ein neues Narrativ zu lancieren, das Putin dafür dämonisiert, dass er Prigoschin die kalte Schale der Rache serviert hat, der kürzlich einen gescheiterten Putsch in Russland inszeniert hat, um mit den Worten des CIA-Direktors William Burns zu sprechen. Niemand hat sich darum gekümmert, empirische Beweise vorzulegen.
"Wiederhole eine Lüge oft genug und sie wird zur Wahrheit" – das Gesetz der Propaganda wird oft dem Naziführer Joseph Goebbels zugeschrieben, der die Macht der Wiederholung von Unwahrheiten verstand. Jetzt ist es der Kompass des Westens im Versuch, Russland "auszuradieren".
Es stimmt, Putin hatte allen Grund, sich über Prigoschin zu ärgern – ein "Dolchstoß in den Rücken", wie er es ausdrückte –, während die Nation einen existenziellen Krieg gegen eingeschworene Feinde führte, die die Zerstückelung Russlands anstrebten. Doch drei Überlegungen bringen die Hypothese einer Beteiligung Putins in Misskredit.
Erstens: Warum eine derart plumpe Methode, die an die Ermordung des charismatischen iranischen Generals Qasem Suleimani, der Speerspitze von Teherans "Achse des Widerstands" gegen Amerika, durch den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump erinnert?
In seinem berühmten Essay von 1827 mit dem Titel On Murder Considered as one of the Fine Arts [Über den Mord als eine der schönen Künste] schrieb Thomas De Quincey: "Alles auf dieser Welt hat zwei Handgriffe. Der Mord zum Beispiel kann mit seinem moralischen Griff angefasst werden ... und das ist, wie ich zugebe, seine schwache Seite; oder er kann auch ästhetisch behandelt werden, wie die Deutschen es nennen, das heißt in Bezug auf den guten Geschmack." Die Ästhetik des Mordes an Prigoschin ist, einfach gesagt, die am wenigsten ansprechende nach dem Prinzip der Mordkennerschaft, wenn das Motiv Rache war.
Zweitens war Prigoschin ein Todgeweihter [dead man walking], nachdem ihm der Staat den Sicherheitsschutz entzogen hatte, weil er eine solch idiotische Aktion inszeniert hatte. Man stelle sich vor, Ex-Präsident Barack Obama wäre nach der Ermordung von Osama bin Laden ohne Geheimdienstschutz unterwegs gewesen – oder Mike Pompeo und Trump wären nach der Ermordung von Soleimani ohne Sicherheit herumgelaufen.
Aber Putin hat deutlich gemacht, dass Wagner noch eine Zukunft habe und die Nation sich an seine Rolle im Ukraine-Krieg erinnern werde. Putin lud Prigoschin sogar zu einem Treffen im Kreml ein. Die ersten Äußerungen Putins zu Prigoschins Tod verraten wohl eine Spur von Mitleid. (hier und hier)
Putin sagte: "Ich kenne Prigoschin schon sehr lange, seit Anfang der 1990er Jahre. Er war ein Mann mit einem nicht einfachen Schicksal. Er hat in seinem Leben einige schwere Fehler gemacht, aber er hat auch die nötigen Ergebnisse erzielt – sowohl für sich selbst als auch, wenn ich ihn darum bat, für die gemeinsame Sache. So war es auch in den letzten Monaten."
"Soweit ich weiß, ist er erst gestern aus Afrika zurückgekehrt. Er hat sich mit einigen Beamten hier getroffen. Er hat nicht nur in unserem Land gearbeitet – und zwar erfolgreich –, sondern auch im Ausland, vor allem in Afrika. Dort hat er mit Öl, Gas, Edelmetallen und ‑steinen gehandelt", fügte Putin hinzu.
In dem übertriebenen Eifer, sich auf den Mord an Prigoschin zu konzentrieren, um Putin zu dämonisieren, wird übersehen, dass derjenige, der das Verbrechen inszeniert hat, auch dafür gesorgt hat, dass Wagners gesamte Kommandostruktur ausgeschaltet wurde. Bye, bye, Afrika!
In absehbarer Zukunft wird es niemanden geben, der die Hegemonie der französischen Legion in der Sahelzone anfechten oder es mit dem riesigen Netz von 29 Stützpunkten des Afrika-Kommandos des Pentagons aufnehmen kann, die über den Kontinent von Dschibuti im Norden bis Botswana im Süden verteilt sind. Anders ausgedrückt: Der lange Arm von Russlands "intelligenter Macht" wurde mit einem einzigen Schwertstreich abgehackt. Wer profitiert davon?
Drittens wurde die Ermordung Prigoschins an einem besonderen Tag inszeniert, der aus historischer Sicht als die beste Stunde der russischen Diplomatie seit dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion gelten muss. Die Realität eines "neuen Startpunkts für die BRICS" – wie der chinesische Präsident Xi Jinping sagte – muss sich erst noch voll entfalten, aber es steht außer Zweifel, dass Russland als Gewinner aus diesem Treffen hervorgeht.
Man sollte sich nicht täuschen lassen, dass die BRICS-Einheit standhaft geblieben ist und alle westlichen Prognosen zunichte gemacht hat; die Expansion der BRICS bedeutet, dass die Frage einer einheitlichen Abwicklungswährung auf dem Tisch liegt und das internationale Finanzsystem nicht mehr dasselbe sein wird; die De-Dollarisierung steht vor der Tür; ein neues globales Handelssystem nimmt Gestalt an, das das ausbeuterische, vier Jahrhunderte alte westliche System, das darauf ausgerichtet ist, den Reichtum in die reichen Länder zu transferieren, obsolet macht; die BRICS haben sich endlich von einem informellen Club zu einer Institution entwickelt, die die G7 in den Schatten stellen wird.
Das Gastgeberland Südafrika hat die russische und chinesische Agenda der Multipolarität im großen Stil unterstützt. Die gemeinsame Erklärung Südafrikas und Chinas sowie die Aufnahme Äthiopiens (wo der Westen einen Regimewechsel zu inszenieren versuchte) als BRICS-Mitglied unterstreichen die sich abzeichnende Annäherung in Afrika. Ergibt das nicht alles einen Sinn?
Und vor allem ist die große Botschaft von Johannesburg, dass die Regierung Biden trotz des Einsatzes aller verfügbaren Mittel [with all the king’s horses and all the king’s men – mit allen Pferden und Männern des Königs] kläglich daran gescheitert ist, Russland zu "isolieren" – das ist im strahlenden Glanz des Lächelns von Außenminister Sergej Lawrow deutlich zu erkennen. Russland krönt seine Erfolge auf den Schlachtfeldern der Ukraine mit einem herausragenden diplomatischen Sieg, indem es sich an der Seite der globalen Mehrheit auf die richtige Seite der Geschichte stellt.
Ist es nicht einleuchtend, dass Putin ausgerechnet den Mittwoch nicht gewählt hätte, um als Spielverderber aufzutreten, als das Ansehen Russlands in der internationalen Gemeinschaft so hoch war? Auch hier stellt sich die Frage: Wer profitiert davon?
Die schlichte Wahrheit ist, dass es viele Leute geben könnte, die Prigoschin physisch beseitigen wollten. Innerhalb Russlands selbst hatte Prigoschin Straftäter rekrutiert, die eine Gefängnisstrafe verbüßten, um in der Ukraine zu kämpfen und so ihre Strafe in Freiheit umzuwandeln. Er setzte sie ohne angemessene militärische Ausbildung ein, und Berichten zufolge wurden mehr als 10.000 von ihnen getötet. In Russland herrscht in dieser Angelegenheit ein tiefes Gefühl der Abscheu.
Hinzu kommen die äußeren Feinde, angefangen bei Frankreich, das praktisch aus der Sahelzone vertrieben wurde, wo es sich bis zum Auftauchen Prigoschins prächtig amüsiert hatte. Seitdem konnte Frankreich seinen Groll gegenüber Russland kaum verbergen.
In der Zwischenzeit alarmierte die sich anbahnende Krise in Niger die USA, dass Prigoschin auf der Pirsch war. Die gefürchtete stellvertretende Außenministerin Victoria Nuland, die 2014 den Staatsstreich in der Ukraine eingefädelt hatte, reiste nach Niamey, um die Putschisten zu bitten, sich nicht mit Wagner einzulassen.
Berichten zufolge hatte sich Prigoschin jedoch in das Nachbarland Mali geschlichen, wo Wagner gut etabliert ist, um Kontakte zu den neuen Machthabern Nigers zu knüpfen und ihnen die Dienste Wagners anzubieten. Es genügt zu sagen, dass Prigoschin damit drohte, mit dem Pentagon das zu tun, was er zuvor mit der französischen Legion in der Sahelzone getan hatte.
Es ist durchaus denkbar, dass die Biden-Administration beschloss, dass es genug war und Wagner enthauptet werden musste. Natürlich wird Prigoschins Abgang zusammen mit seinen hochrangigen Kommandeuren Wagner schwächen.
Innerhalb Russlands operiert der skrupellose ukrainische Geheimdienst auf verschiedenen Ebenen. Die Drohnenangriffe auf Moskau werden von Saboteuren innerhalb Russlands inszeniert. Und auch die Ukraine hat noch eine Rechnung mit Wagner offen, der in Weißrussland präsent ist.
Zweifelsohne gibt es eine Interessenkongruenz zwischen dem ukrainischen Geheimdienst und seinen westlichen Mentoren, Wagner zu vernichten und ganz vom geopolitischen Schachbrett zu entfernen.
Quelle: https://www.indianpunchline.com/whos-afraid-of-prigozhin-and-wagner/
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus
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