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Israel bombardiert den Gazastreifen mit "schweren" US-Bunkerbomben. Erdogan spricht von einem Krieg zwischen Kreuz und Halbmond.

Von Gilbert Doctorow 29.10.2023 - übernommen von gilbertdoctorow.com
31. Oktober 2023

Während Israel weiter in den Gazastreifen einmarschiert und durch seine rücksichtslose Missachtung des Lebens palästinensischer Zivilisten alle "roten Linien" der Kriegsrechts überschreitet, verurteilt sich sein wichtigster Unterstützer, die Vereinigten Staaten, selbst zum Paria-Status in der globalen Gemeinschaft der Völker und Nationen. Bei der Abstimmung der UN-Generalversammlung am Freitag über eine von Jordanien eingebrachte Resolution, in der eine sofortige Waffenruhe gefordert wurde, waren die Vereinigten Staaten in einer 10 %igen Minderheit der Mitgliedstaaten, die dagegen stimmten, während 120 dafür stimmten und 45, meist EU-Mitglieder, sich der Stimme enthielten. Dies war eine bemerkenswerte Kehrtwende gegenüber der Abstimmung im Februar dieses Jahres über eine Resolution, in der der Rückzug Russlands aus der Ukraine gefordert wurde und in der die USA eine große Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten bestochen, beschwatzt und bedroht hatten, um Russland zu tadeln.

Es ist den großen westlichen Medien hoch anzurechnen, dass sie weiterhin ausführlich über die humanitäre Katastrophe berichten, die Israel der palästinensischen Bevölkerung in Gaza zufügt. Das Ausmaß der Zerstörung in Gaza-Stadt durch Luft-, See- und Bodenbombardements in den letzten 48 Stunden lässt keinen Zweifel daran, dass ein Angriff, der als gegen die Hamas gerichtet beschrieben wird, um deren Kämpfer aus den unterirdischen Tunneln zu vertreiben, in Wirklichkeit eine Wiederholung der Nakba von 1948 ist, die die Palästinenser aus ihren Häusern in Flüchtlingslager trieb. Die Wohnviertel und die Infrastruktur des Gazastreifens werden zu Staub zermahlen, während die Bevölkerung angewiesen wird, sich in den Süden der Enklave zurückzuziehen. Nächster Halt: Sinai? Was Netanjahu und Co. tun, lässt den ethnischen Säuberer Milosevic wie einen Pfadfinder aussehen.

Die einzige Wahrheit in Netanjahus gestriger Ansprache an die Angehörigen der Geiseln war, dass Israel seinen "zweiten Unabhängigkeitskrieg" führt. Der erste war in den Haushalten der Welt nicht im Fernsehen zu sehen. Dieses Mal ist dessen schiere Hässlichkeit in den Wohnzimmern von 7 Milliarden Zuschauern täglich zu sehen. Was den Rest seiner Rede betrifft, insbesondere die Lobpreisung der israelischen Streitkräfte als "die moralischsten" der Welt, so war dies ein Haufen Lügen. Zynische Lügen, die seine politische Agenda im Nahen Osten vorantreiben, sind das Markenzeichen dieses Mannes auf der Weltbühne, seit er George Bush Jr. die Vorstellung verkaufte, dass Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen eine ernste Bedrohung für den Weltfrieden darstellten, und damit die katastrophale US-Invasion von 2003 begünstigte. Und die Invasion im Irak, die Hunderttausende von zivilen Todesopfern forderte, die von den US-Invasoren offiziell als "Kollateralschäden" bezeichnet wurden, war das Vorbild für das, was Netanjahu jetzt in Palästina anrichtet.

Zu ihrem Misskredit haben die großen westlichen Medien weniger über die Demonstrationen zur Unterstützung der Palästinenser in aller Welt berichtet. Vielleicht fürchten die Redaktionsausschüsse, die einheimischen Oppositionskräfte zu ermutigen, insbesondere ihre eigenen großen muslimischen Minderheiten.

Von den vielen Demonstrationen, die gestern in Europa und auf der ganzen Welt stattfanden, war die auf dem Istanbuler Flughafen sicherlich die wichtigste als Indikator für ein verändertes politisches und militärisches Gleichgewicht in der Welt. Der Hauptredner war der türkische Präsident Erdogan. Er prangerte den Westen und insbesondere die Vereinigten Staaten als diejenigen an, die wirklich für die Tragödie verantwortlich sind, die sich heute in Gaza abspielt. Er stellte die rhetorische Frage, ob der Westen nicht einen neuen Krieg zwischen dem Halbmond und dem Kreuz anstrebe. Er bezeichnete den Staat Israel als Kriegsverbrecher. Es ist nicht überraschend, dass Israel kurz darauf seine Diplomaten aus der Türkei abzog. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Türkei die diplomatischen Beziehungen zum israelischen Staat abbricht und damit enormen Druck auf Jordanien und andere sunnitisch-muslimische Staaten in der Region ausübt, dies ebenfalls zu tun.

In diesem Zusammenhang möchte ich anmerken, dass Erdogans Spagat zwischen dem Verbleib seines Landes in der NATO und seinen wiederholten Anschuldigungen gegen die Vereinigten Staaten möglicherweise unhaltbar ist. Sollte dies der Fall sein, würde die NATO ihr größtes militärisches Einzelkontingent verlieren, was sich auf die europäische Sicherheitsarchitektur auswirken würde und jede vermeintliche Stärkung der NATO durch die jüngste Aufnahme Schwedens und Finnlands in den Schatten stellen würde.

Vor achthundert Jahren gab es zwei "Augen" in der bekannten Welt: Die Türkei (damals das Osmanische Reich) als Oberhaupt der sunnitischen Muslime und der Iran (damals das Persien der Safawiden-Dynastie) als Oberhaupt der schiitischen Muslime. Diese religiöse Überlagerung des politischen Wettbewerbs in der Region hat bis heute Bestand. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass Ankara und Teheran heute mit einer Stimme darüber sprechen, dass das, was Israel in Gaza tut, völlig inakzeptabel ist.

Erinnern wir uns an die bekannten Regeln des Dramas, die von Anton Tschechow aufgestellt wurden: Wenn im ersten Akt ein Gewehr erwähnt wird, wird es im dritten Akt mit tödlicher Wirkung abgefeuert. Es scheint, als hätten Netanjahu und sein Kriegskabinett Tschechow vergessen oder   – was wahrscheinlicher ist   – nie gelesen.

Einige der oben genannten Punkte waren Gegenstand eines fünfminütigen Interviews, das ich WION gegeben habe. Beachten Sie die sehr ausgewogene Darstellung von WION in der Einleitung zu diesem Interview...

https://www.youtube.com/watch?v=nLFhjBPX5ng

Update 30.10.2023:  Krieg zwischen Israel und Hamas

Durch einen sanften Anstoß des indischen Senders WION, der mich heute früh um ein Interview gebeten hat, bin ich auf einige der jüngsten Entwicklungen im Nahostkonflikt gestoßen, die die Aufmerksamkeit der Russland-Beobachter und der internationalen Gemeinschaft verdienen. Ich habe das Interview genutzt, um diese zu erwähnen, wie Sie feststellen werden, sobald der Link unten veröffentlicht ist.

Ich habe insbesondere auf die wichtigste Nachricht in Russland heute hingewiesen: die Wiederaufnahme des Flugverkehrs auf dem Flughafen von Machatschkala in Dagestan, einer Region der Russischen Föderation nördlich des Kaukasus mit einer überwiegend muslimischen Bevölkerung, aber auch einer nennenswerten Minderheit von etwa 30.000 Juden, die sich vor allem in der alten Stadt Derbent konzentrieren, wo es seit den Anfängen der Diaspora vor vielen Jahrhunderten eine jüdische Gemeinde gibt. Der Flughafen wurde geschlossen, nachdem ein Mob ein gerade gelandetes Flugzeug aus Tel Aviv angegriffen hatte, mit dem Dagestan regelmäßige Direktflüge unterhält. Sie waren auf der Suche nach israelischen Passinhabern und Juden, von denen sie fälschlicherweise annahmen, dass sie sich gegen ihren Willen in Dagestan niederlassen würden. Der Mob geriet mit Flughafenmitarbeitern und Vollzugsbeamten aneinander, bevor er festgenommen und abgeführt wurde.

Diese hässliche Entwicklung unterstreicht die Bedeutung des gestrigen Treffens von Präsident Putin mit den Oberhäuptern aller offiziell anerkannten Religionen in der Russischen Föderation, das in keinem Zusammenhang steht. Er rief angesichts der Provokationen aus dem Nahen Osten zu gegenseitigem Respekt und zur multinationalen und multikonfessionellen Solidarität im heutigen Russland auf. Aus Gründen des inneren Friedens wahrt Russland im Konflikt zwischen der Hamas und Israel Neutralität.

Wie ich in dem Interview erwähne, können die Spannungen, die durch Israels anhaltende Gräueltaten im Gazastreifen entstehen, ethnische und religiöse Unruhen in allen Ländern mit gemischter Bevölkerung auslösen. Das betrifft Europa, das sich mit einigen Ausnahmen bei der Abstimmung der UN-Generalversammlung am vergangenen Freitag, bei der eine sofortige Waffenruhe gefordert wurde, der Stimme enthalten hat, und auch Indien, das dasselbe getan hat. Und zwei dieser europäischen Ausnahmen haben bedauerlicherweise mit den Vereinigten Staaten gegen den Resolutionsentwurf gestimmt.

Was die Lage vor Ort im Nahen Osten betrifft, so hat sich in den letzten 24 Stunden wenig geändert. An der libanesischen Grenze schlägt die Hisbollah nur sporadisch auf israelische Aufklärungstürme ein. Auch an der syrischen Grenze ist keine nennenswerte Zunahme der Gewalt zu verzeichnen.

Israel setzt seine intensive Bombardierung des Gazastreifens fort, wobei der Schwerpunkt auf Gaza-Stadt liegt, und seine Bodentruppen rücken angeblich in die Enklave vor. Der jüngste Alarm wegen drohender Kriegsverbrechen und humanitärer Katastrophen konzentriert sich auf das Al-Quds-Krankenhaus im Norden des Gazastreifens, dessen Evakuierung die Israelis vor einem geplanten Bombenangriff angeordnet haben, die aber nach Angaben der Krankenhausbehörden aufgrund der großen Zahl von Patienten in kritischem Zustand, die an lebenserhaltenden Geräten hängen und nicht transportiert werden können, sowie der Tausenden obdachlosen Zivilisten, die dort Zuflucht gefunden haben, unmöglich ist.

Wir haben gelesen, dass Präsident Biden die Israelis nachdrücklich aufgefordert hat, humanitäre Hilfe in die Enklave zu lassen, und dass davon die Rede ist, die tägliche Durchfahrt von Lastwagen nach Gaza auf 100 zu erhöhen. Bislang ist das nur Gerede.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich UN-Generalsekretär Antonio Gutteres für seine mutige Kritik an den israelischen Behörden wegen des Leids, das sie den Palästinensern während der jahrzehntelangen Besetzung ihres Landes zugefügt haben, und für seine wiederholten Aufrufe zur Wiederaufnahme der Lieferungen von Lebensmitteln, Wasser und Treibstoff in den Gazastreifen loben. Eine solche Haltung gegenüber dem von den Vereinigten Staaten geführten kollektiven Westen haben wir seit den Tagen von Dag Hammarskjold nicht mehr erlebt, und wir alle wissen, was Hammarskjolds Mut ihm gebracht hat. Es ist schade, dass Gutteres in Bezug auf die im Vorfeld des russisch-ukrainischen Krieges getöteten Zivilisten im Donbass und insbesondere in Bezug auf die ukrainischen Angriffe auf das Atomkraftwerk in Saporoshje im vergangenen Jahr völlig kleinlaut war.

Ich habe bereits erwähnt, dass Russland derzeit nicht in den Nahostkonflikt hineingezogen werden möchte. Ungeachtet der offenen Feindseligkeit des Iran gegenüber Israel hält sich Teheran vorerst ebenfalls zurück. Diese Zurückhaltung setzt natürlich voraus, dass der Krieg nicht weiter eskaliert, sondern unter dem Druck Chinas, Russlands und des globalen Südens zum Stillstand kommt. Im Moment kann niemand mit Sicherheit sagen, was als nächstes kommt.

Quelle: https://gilbertdoctorow.com/
Mit freundlicher Genehmigung von Gilbert Doctorow
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus

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