Werner Rügemer: Verhängnisvolle Freundschaft
2023, 326 Seiten, 22,90 Euro, ISBN 978-3-89438-803-4
"Es ist gefährlich, Amerikas Feind zu sein. Aber Amerikas Freund zu sein, ist verhängnisvoll", so Henry Kissinger, langjähriger Berater von US-Präsidenten. So wurde die alliierte Sowjetunion sofort nach 1945 vom Freund zum Todfeind. Dies geschah auch der Volksrepublik China, die in den 1970er Jahren von Kissinger selbst umworben worden war. Die wichtigsten Unternehmen der nach 1945 umworbenen westeuropäischen Staaten wurden seit der Jahrtausendwende von US-Investoren aufgekauft, Staaten und abhängig Beschäftigte wurden verarmt, auch Regierungen werden überwacht - und die geschwächten Vasallen müssen seit Obama aufrüsten, beschleunigt durch den Stellvertreterkrieg in der Ukraine. In der EU trifft es den besten Freund Deutschland am härtesten.
Die Gene des US-Staates:
*Der Staat baute nach der Gründung Sklavennutzung und Sklavenhandel aus und praktiziert seit dem Bürgerkrieg bis heute die geopolitics of modernized slave labor rund um den Globus.
*Der Staat hat kein Außen- sondern nur ein Staatsministerium: Das "nationale Interesse" erstreckt sich tendenziell auf jede Person, Organisation, Regierung, jedes Unternehmen, jeden Staat der Erde.
*Die US-Verfassung nennt nirgends die Demokratie. Der Anspruch der "einzigen Weltmacht" wird durch "God's own Country" und "In God we trust" legitimiert – verfassungswidrig.
*Zusätzlich zu internationalen Organisationen wie Völkerbund, UNO, WTO, Internationaler Gerichtshof bauen die USA ihre eigenen "regelbasierten" Systeme auf. Wirtschaftliche und militärische Globalisierung bilden seit dem 19. Jahrhundert eine Einheit - nach 1945 imZangengriff von Marshall-Plan und NATO, seit 1990 im Zangengriff der Ost-Erweiterung von NATO und EU, mit Militär- und Geheimdienstbasen auf allen Kontinenten und in annektierten Territorien.
Die Praxis zeigte sich zunächst mit der Durchdringung der Hinterhöfe Nordamerikas, Lateinamerikas und Asiens, dann mit der finanziellen Abhängigkeit der europäischen Verbündeten im Ersten Weltkrieg. Danach förderten die USA alle faschistischen Diktaturen: Mussolini, Franco, Metaxas, Salazar, Chiang Keishek - und Hitler: die Zerschlagung der Demokratie- und Arbeiterbewegungen war die Freude der US-Kapitalisten. Hollywood machte Wahlwerbung für Hitler, schon vor 1933. NS-Deutschland war der größte Abnehmer von einvernehmlich zensierten Hollywood-Filmen. US-Konzerne machten Hitlers Wehrmacht zum modernsten Militär der damaligen Welt, auch im Weltkrieg produzierten sie weiter für Hitler-Deutschland. Die US-geführte Bank for International Settlements (BIS/Schweiz) wusch NS-Raubgold aus den besetzten Staaten. 1945 praktizierten die USA den nuklearen Erstschlag. Diese Doktrin, zuletzt bekräftigt unter Präsident Obama, bedeutet: Der mögliche Schauplatz wäre Europa, wo die guten Freunde leben.
Fake production: Die US-Kapitalisten und ihre Regierungen, Medien, Agenturen, Stiftungen sind Meister der profesionellen fake production: So wurde 1947, mit der globalen militärischen Expansion auf allen Kontinenten, das US-War Department nach 158 Jahren in Defense Department umbenannt: Kriege und ihre Vorbereitungen heißen seitdem „Verteidigung“.
Weltgesellschaft: Der Autor plädiert im Kontekt des sich kooperativ neu organisierenden „Restes“ der Weltgesellschaft für das ursprüngliche UN-Völkerrecht und die Universellen Menschenrechte einschließlich der Arbeits- und Sozialrechte. Auch die Loslösung Europas von den USA ist nur in Kooperation mit dem "Rest" der Welt möglich.
Quellen: Das Buch zieht v.a. US-Quellen heran, auch französische, die nie ins Deutsche übersetzt wurden. Die bundesdeutsche Historiker- und Medienzunft lebt von Legenden und Blindstellen.
Autor: Seit den Veröffentlichungen 1984 zu Akteuren und Praktiken des Silicon Valley gilt Werner Rügemer als bester Kenner des Innen- und Außenlebens der USA. www.werner-ruegemer.de
Werner Rügemer, * 1941, Dr. phil., Publizist und interventionistischer Philosoph. Er veröffentlicht seit den 1980er Jahren zum politisch-moralischen Verfall der US-Gesellschaft, zum extremen Gegensatz von Arm und Reich, zur Verflechtung von Militär, Geheimdiensten und Hightech, zu Umweltzerstörung und Gesundheitsschäden für die migrantischen Niedrigstlöhner.
Dazu passt auch, erschienen im Stern 2002 (!):
Pro Memoria: Essay – Abschied von einem Freund
Lange Zeit blieb es so. Dann trat Entfremdung ein. Der Freund veränderte sich, und vielleicht veränderten wir uns auch. Wir waren 'erwachsen' geworden, wie der Kanzler es nannte, und wir sahen mit Beklemmung, wie der Freund sich entfernte von den Idealen, die er uns eingepflanzt hatte.
Er war inzwischen der mächtigste Mann der Erde, ein Weltherrscher, wie es ihn in moderner Zeit noch nicht gegeben hat. Die Macht veränderte ihn. Er brauchte, seit der alte Gegner das Handtuch geworfen hatte, auf nichts und niemanden mehr Rücksicht zu nehmen. Er wurde selbstherrlich, grobschlächtig, gebieterisch. Das Schicksal der Erde, die Verantwortung für das Leben künftiger Generationen scherten ihn nicht. Er richtete sich nur noch nach den "eigenen Interessen", wie er freimütig bekannte.
Er teilte Völker in "gute" und "böse" und rief der Welt zu: "Wer nicht auf unserer Seite steht, steht auf der Seite unserer Feinde" – ein Wort wie eine entsicherte Waffe, Drohung und Erpressung in einem. Mit Politik hatte das nichts mehr zu tun. Es war eine Kriegserklärung an alle, die sich nicht fügen wollen.
MIT GEORGE W. BUSH – und damit verlassen wie die Allegorie – betrat ein Amerika die Bühne, das uns mehr und mehr erschrecken ließ, obwohl es schon immer da gewesen war: das Amerika des "big stick', des Knüppels, den Theodore Roosevelt vor 100 Jahren schwang, um im spanischen Hinterhof Amerikas aufzuräumen und all diese aufsässigen Bananenrepubliken auf Vordermann zu bringen.
Mit dem 43. Präsidenten der USA zog der Geist des "großen Knüppels" in die Weltpolitik ein.
Wie kein anderer vor ihm verkörpert Bush einen amerikanischen Archetyp: den einsamen Sheriff mit den mahlenden Kinnbacken, der gnadenlos aufräumt mit den Banditen, Verrätern, Feiglingen, Schurken. Der den Finger immer am Abzug hat und nicht viel nach Paragrafen fragt, der selbst entscheidet, was Recht und Unrecht ist, und dessen Weg gesäumt ist mit den Gräbern der Gerichteten: 135 Todesurteile hat der Gouverneur von Texas in seiner fünfjährigen Amtszeit unterzeichnet, ein Rekord selbst im hinrichtungswütigen Amerika.
Der 11. September war die große Stunde des George W. Bush.
Der Angriff aus dem Dunkel bot ihm die Rolle seines Lebens. "Wir stehen im Krieg", verkündete er und meinte es durchaus wörtlich: Der Sheriff trat an, das Böse in der Welt auszurotten, koste es, was es wolle. Amerika lebt seither im Ausnahmezustand – in Atem gehalten durch immer neue Bedrohungsszenarien aus dem Weißen Haus. Der Sheriff kann nicht verstehen, wie diese Europäer ungerührt ihr Bier trinken und über Fußball diskutieren.
Bushs Antiterror-Krieg war bislang ein Flop gemessen an dem gigantischen Aufwand. Die Taliban mit B-52-Bombern zu verjagen war kein Kunststück. Die Zahl der Opfer haben wir nie erfahren und die Bilder der Toten nie gesehen. Es muss grauenhaft gewesen sein.
Afghanistan aber ist vom Frieden so weit entfernt wie eh und je, das Phantom al Qaeda trotz aller Erfolgsmeldungen nicht zerschlagen – wie auch: Für jeden geschnappten Gotteskämpfer springen drei neue ein. Glauben, denn darum handelt es sich, ist weder durch Bomben noch durch Folter zu erschüttern.
DER PHANTOM-KRIEG hat bisher nur eines geschafft: Er hat Amerika zu einem anderen Land gemacht. Die Institution Krieg, dieses Relikt der Steinzeit, das wir überwunden zu haben glaubten, ist rehabilitiert als legitimes Instrument der Politik: Bush hat den amerikanischen Rüstungsetat auf die Wahnsinnssumme von 379 Milliarden Dollar hochgejagt – so viel wie die Militärbudgets der nachfolgenden 14 Staaten zusammen.
Das neue Strategiepapier, das Bush jetzt dem Kongress vorgelegt hat, dokumentiert die dramatische Wende der amerikanischen Politik. Unverhüllt plädiert der Präsident darin für den Präventivkrieg, 'Die alte Strategie von Eindämmung und Abschreckung seit den vierziger Jahren – ein Eckstein der amerikanischen Politik – ist tot", schreibt die "New York Times". Stattdessen fordert das Weiße Haus jetzt das Recht, "zur Verteidigung unserer Interessen im In- und Ausland die Bedrohung zu zerstören, bevor sie unsere Grenzen erreicht. Wir werden nicht zögern, notfalls allein zu handeln, um unser Recht auf Selbstverteidigung durch Präventivmaßnahmen auszuüben."
Das ist nichts anderes als die Absage an das oberste Friedensgebot, das die Völkergemeinschaft seit dem Zweiten Weltkrieg hoch und heilig beschworen hat. "Die Entfesselung eines Angriffskrieges ist das größte internationale Verbrechen, das sich von anderen Kriegsverbrechen nur dadurch unterscheidet, dass es in sich alle Schrecken vereinigt und anhäuft." Woher das stammt? Aus der Urteilsbegründung des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals, maßgeblich verfasst vom Anklagevertreter der Vereinigten Staaten. All das soll nun Makulatur sein, einschließlich der Charta der Vereinten Nationen, durch die sich die Mitgliedstaaten verpflichten, jede "Androhung oder Anwendung von Gewalt" zu unterlassen.
Begreiflich, dass Washington den neuen Internationalen Strafgerichtshof sabotiert, der unter anderem das "Verbrechen der Aggression" verfolgen will. US-Bürger aber sollen nach dem Willen des Weißen Hauses von jeder Strafverfolgung ausgenommen sein. Gleiches Recht für alle? Schnee von gestern.
In beispielloser Weise proklamiert Bush den dauerhaften Anspruch Amerikas auf die Weltherrschaft: "Der Präsident", so heißt es in der neuen Strategie, "beabsichtigt nicht, irgendeiner ausländischen Macht zu gestatten, den ungeheuren Vorsprung (in der Rüstung) aufzuholen, den die Vereinigten Staaten seit dem Fall der Sowjetunion errungen haben." Das bedeutet die Absage an jede Art von Rüstungskontrolle und an alle Abkommen, die einst unter jahrzehntelangen Mühen ausgehandelt wurden und die Welt sicherer machten.
Der Sheriff wähnt sich als Werkzeug des Guten.
Wer seine Entschlüsse nicht gutheißt, ist ein gottverdammter Feigling, wenn nichts Schlimmeres. Seit Schröders Nein zum Irak-Krieg werden wir als Feindstaat behandelt, ausgestoßen aus der Kampfgemeinschaft. Will man uns übel nehmen, dass wir, nach den Katastrophen unserer Geschichte, möglicherweise eine größere Sensibilität für das Wort Krieg entwickelt haben? Und dass wir uns dafür weder schämen noch beschimpfen lassen müssen? Wenn wir etwas zu verteidigen haben, dann ist es dies.
Ein Ozean an Verständnislosigkeit trennt uns heute von dem einstigen Freund. Die Lage ist paranoid. In einem schwäbischen Hinterzimmer im vertrauten Kreis fällt ein harsches Wort über den Präsidenten der Vereinigten Staaten – und die Weltmacht flippt aus. Der deutsche Regierungschef wird zur Unperson erklärt, der Verteidigungsminister auf flegelhafte Weise gedemütigt, und der Herr im Weißen Haus lässt dunkle Drohungen verlauten wie gegen einen straffällig gewordenen Untergebenen, den man dringend zur Räson bringen muss – so sieht die kafkaeske Realität aus, in der wir leben. Man müsste mal bei Krenz nachfragen, viel anders kann es im Warschauer Pakt nicht gewesen sein.
Wenn das Nein eines Mitgliedstaates zu einem Krieg mit unabsehbaren Folgen das Bündnis "vergiftet" (so Condoleezza Rice, die Einpeitscherin im Weißen Haus), dann ist etwas faul im Staate Dänemark. Dann signalisiert diese Reaktion ein totalitäres Denken, das nichts mehr zu tun hat mit der offenen Gesellschaft, die wir verteidigen wollten.
Der Freund, den wir einmal hatten, erklärte uns damals, dass unser Kardinalfehler der blinde Gehorsam gewesen war. Er hatte Recht. Wir haben die Lektion gelernt.
Uns trennt ein Ozean an Verständnislosigkeit
Quelle: Stern Nr. 41, Seite 40 vom 02. 10. 2002
Heinrich Jaenecke
Heinrich Jaenecke 1928-2014 (Foto: Nele Braas)
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