Zurück zum Nebel des Krieges
Auf diesen Seiten habe ich in den letzten Wochen die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass der Krieg in der Ukraine bald zu Ende geht. Ich hatte da an einen bevorstehenden militärischen Sieg Russlands und die ukrainische Kapitulation gedacht. Ich kam zu diesem Schluss, kurz nachdem der russische Verteidigungsminister Shoigu öffentlich gesagt hatte, dass die Ukrainer ihre gesamten Reserven an Menschen und Material aufgebraucht hätten. Abgesehen davon, aber mit dem Hinweis in die gleiche Richtung, gab es Berichte aus glaubwürdigen Quellen, dass die Ukrainer in dem Konflikt bisher 400.000 Tote erlitten haben, plus ein Vielfaches dieser Zahl an Verletzten und Hospitalisierten. Zusammengenommen ließ dies darauf schließen, dass die Russen nun gefahrlos ihre eigene massive Offensive starten und die Sache vom Tisch bringen könnten.
In der Zwischenzeit scheinen viele Kommentatoren in den USA und in Europa, angefangen bei CNN und Bild, anzuerkennen, dass die ukrainische Gegenoffensive ein Fehlschlag war und dass die Ukraine unmöglich das Gebiet zurückerobern kann, das sie im Donbass verloren hat, ganz zu schweigen von der Krim. Die Ukrainer scheiterten einvernehmlich mit ihrem Blitzkriegsversuch und befinden sich nun wieder in einem Zermürbungskrieg, für den die russische Überlegenheit bei der Zahl der Männer und Artilleriegeschütze denen die Oberhand verschafft.
Was fehlt, ist ein Zeitplan für den russischen Sieg in einem Zermürbungskrieg.
Tatsache bleibt, dass selbst unter den Bedingungen katastrophaler ukrainischer Verluste an Menschen und Material in den letzten zwei Monaten immer noch ukrainische Soldaten jeden Tag bei vielen Einsätzen an verschiedenen Punkten der Front aktiv kämpfen. Die russischen Kriegskorrespondenten, die ihre Panzeroffiziere besuchen, und diejenigen, die die Artillerie und die Mehrfach-Raketenwerfer (Grad) bedienen, erlauben uns zu hören, dass die Russen schnell sein müssen, die Position ihrer Ausrüstung innerhalb von Minuten nach dem Abschuss zu ändern, damit sie nicht Opfer von Gegenangriffen duch Artilleriefeuer von ukrainischer Seite werden. Die Berichte aus dem Feld klingen sehr so, als ob noch immer ein ernsthafter und tödlicher Krieg im Gange sei und nicht eine Schlappe für eine Seite.
Der für beide Seiten verlustreiche Krieg ist noch immer im Gange
Zudem gibt es ein weiteres quälendes Problem, das die Vorstellung in Frage stellt, dass Russland kurz vor einem Sieg steht. Das Problem ist, dass ich mir, nachdem ich jeden Tag die Artillerieduelle, bei denen die Russen ukrainische Artillerie und Mehrfach-Raketenwerfer amerikanischen, polnischen und anderen Ursprungs in den Regionen Donezk und Lugansk, in den Regionen Saporoschje und Cherson zerstören und die Auflistung der zerstörten Ausrüstung und die Anzahl der ukrainischen Soldaten angeschaut habe, die an jedem Ort getötet wurden, dann Berichte darüber anhöre, wie die Ukrainer gerade Wohnviertel der Stadt Donezk bombardiert haben. Ja, jeden Tag gibt es mehrere Artillerie- und HIMARS-Angriffe auf die Stadt, mit Zerstörung von Gebäuden und täglichen Toten und Verletzten. Wie kann das sein? Die Ukrainer feuern aus nur wenigen Kilometern Entfernung von der Stadt. Warum sind die Russen nicht in der Lage, diese ukrainischen befestigten Gebiete jenseits der Grenze zu lokalisieren und zu zerstören, wenn es ihnen anderswo auf der tausend Kilometer langen Konfrontationslinie so gut zu gehen scheint?
Abschließend möchte ich feststellen, dass wir weiterhin im Nebel des Krieges stecken und nichts als selbstverständlich angesehen werden kann.
Quelle: https://gilbertdoctorow.com/
Mit freundlicher Genehmigung von Gilbert Doctorow
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus
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