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Die Rede des russischen Außenministers Lawrow bei der OSZE

Letzte Woche fand das Außenministertreffen der OSZE statt, bei dem der russischen Außenminister Lawrow eine wichtige Rede gehalten hat, deren Inhalt die deutschen Medien verschweigen.
3. Dezember 2023, von Thomas Röper  – übernommen von anti-spiegel.ru
04. Dezember 2023

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Der Spiegel hat einen Artikel mit der Überschrift „OSZE-Außenministertreffen   – Wie Russland eine harte diplomatische Niederlage einsteckte“ über die Rede des russischen Außenministers Lawrow veröffentlicht. Die Dreistigkeit, mit der der Spiegel darüber berichtet hat, hat mich gezwungen, die Rede Lawrows zu übersetzen, damit deutsche Leser sich mit ihrem Inhalt vertraut machen und selbst entscheiden können, ob sie sich vom Spiegel gut informiert fühlen. Über den Spiegel-Artikel habe ich in einem gesonderten Artikel berichtet, den Sie hier finden.

Beginn der Übersetzung:

Herr amtierender Vorsitzender, Frau Generalsekretärin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

in etwas mehr als einem Jahr wird sich die Schlussakte von Helsinki zum fünfzigsten Mal jähren. In diesem Zusammenhang muss ich leider feststellen, dass sich die OSZE vor diesem Jahrestag in einem beklagenswerten Zustand befindet und ihre Perspektiven unklar bleiben.

Nach dem Ende des Kalten Krieges und der damit verbundenen ideologischen Konfrontation entstand die historische Chance, dass das einigende Potenzial der OSZE optimal genutzt wird und die Organisation zu einer Plattform für eine möglichst umfassende gesamteuropäische Zusammenarbeit und zu einem zentralen Element bei der Schaffung einer umfassenden Architektur gleicher und unteilbarer Sicherheit in allen drei Dimensionen in Europa und der euro-atlantischen Region wird.

Im Rahmen des militärpolitischen „Korbes“ haben die Teilnehmerstaaten eine Reihe grundlegender Dokumente verabschiedet, die darauf abzielen, ein Europa ohne Trennlinien   – im weitesten Sinne des Wortes   – zu schaffen, und die auch festlegen, dass es unzulässig ist, die eigene Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer zu stärken. Dazu gehören die Charta von Paris für ein neues Europa von 1990, die Charta für europäische Sicherheit von 1999 und die Erklärung von Astana von 2010.

Russland hat seinerseits alle Anstrengungen unternommen, um die vorgenannten hehren Ziele zu erreichen. Unsere zahlreichen Initiativen, einschließlich des Abschlusses des Vertrags über die Europäische Sicherheit und der Schaffung eines gemeinsamen Sicherheitsraums auf der Grundlage der Zusammenarbeit, sind genau auf dieses Ziel ausgerichtet.

Leider haben die westlichen politischen Eliten, die sich das Recht angemaßt haben, die Geschicke der Menschheit zu lenken, eine kurzsichtige Entscheidung nicht für die OSZE, sondern für die NATO getroffen. Sie haben sich für die Philosophie der Eindämmung, für geopolitische Nullsummenspiele und für die Logik des „Herr-und-Sklave-Systems“ entschieden. Eines der Schlüsselelemente dieser Linie war die rasante Expansion des Blocks nach Osten, die nach der Auflösung des Warschauer Paktes begann. Und das, obwohl, wie es schien, das Ende der bipolaren Konfrontation der NATO ihre Daseinsberechtigung genommen hatte.

Die NATO- und EU-Staaten haben die militärpolitische Dimension der OSZE mit ihren eigenen Händen zerstört. Im Jahr 1999 begingen die NATO-Mitglieder einen Akt offener, dreister Aggression gegen Jugoslawien, ein Mitglied der OSZE und der Vereinten Nationen. Im Jahr 2008 wurde das Kosovo unter Verletzung der Resolution 1244 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und des in der Schlussakte von Helsinki verankerten Grundsatzes der Unverletzlichkeit der Grenzen in Europa ohne Referendum von Serbien abgetrennt.

Dieselben NATO-Mitgliedsstaaten der OSZE waren 2008 auf dem Bukarester Gipfel des Bündnisses. Tiflis und Kiew wurden in die Mitgliedschaft „gelockt“. Das Ziel war einfach und unkompliziert: sie sollten gegen Russland ausgespielt werden. Michail Saakaschwili, der infolge der vom Westen unterstützten „Rosenrevolution“ an die Macht kam, nutzte den Freibrief, der ihm in Bukarest erteilt wurde, im August 2008 sofort und befahl, die Städte Südossetiens zu bombardieren und die Stellungen der Friedenstruppen anzugreifen, die sich mit Zustimmung der OSZE dort aufhielten. Diese Provokation wurde von den USA vorbereitet, die ihr „Ausbilden und Bewaffnen“-Programm in Georgien gestartet hatten. Was Washington „lehrte“, führte Saakaschwili gehorsam aus.

Es brauchte viel mehr, um in der Ukraine einen anti-russischen Brückenkopf zu schaffen, es brauchte den blutigen Staatsstreich von 2014 und acht Jahre lang Strafoperationen gegen die Bevölkerung des Donbass mit Unterstützung des Westens und unter Verstoß gegen das vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gebilligte Minsker Abkommen. Ich möchte noch einmal an die zynischen Eingeständnisse der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Merkel und der ehemaligen französischen und ukrainischen Präsidenten Hollande und Poroschenko erinnern, dass sie das Minsker Abkommen nicht für den Frieden in der Ukraine brauchten, sondern nur, um dem Kiewer Regime Zeit zu geben, seine militärischen Fähigkeiten gegen Russland auszubauen.

Zu den vereitelten Versuchen, die akuten Probleme unseres Kontinents auf der Grundlage der OSZE-Prinzipien zu lösen, gehört das „Memorandum von Kozak“, das die Situation in Moldawien vor 20 Jahren zuverlässig hätte lösen können. Damals torpedierten die NATO und die EU in Brüssel kurzerhand das bereits von Chisinau und Tiraspol paraphierte Dokument. Jetzt machen sie das „5+2“-Format zunichte, das letzte, was von den gemeinsamen Bemühungen um eine Lösung für Transnistrien übrig geblieben ist.

Die Republik Moldawien wird das nächste Opfer des vom Westen entfesselten hybriden Krieges gegen Russland sein. Jedes Land, in dem westliche Emissäre, Stiftungen und sogenannte Nichtregierungsorganisationen aktiv sind, sollte darüber nachdenken.

Die NATO-Mitglieder haben auf Geheiß der USA das Inkrafttreten des KSE-Vertragsanpassungsabkommens blockiert und konkrete russische Vorschläge zur Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des konventionellen Rüstungskontrollregimes in Europa ignoriert. Durch ihr Vorgehen haben die Amerikaner auch den Open-Skies-Vertrag „begraben“ und eine Reihe anderer grundlegender Dokumente zur Stärkung des gegenseitigen Vertrauens im Bereich der Sicherheit entwertet.

Die wahren Absichten der westlichen Politiker zeigten sich einmal mehr, als Washington und Brüssel im Dezember 2021 Russlands Vorschläge für rechtsverbindliche Sicherheitsgarantien in Europa ablehnten. Sie wollten nicht einmal mit uns reden. Keiner von denen hat auf meine Botschaft vom 28. Januar 2022 an die Außenminister der USA und der NATO-Mitgliedsländer auch nur geantwortet, in der ich sie um eine Antwort auf die Frage bat: „Wie interpretieren Sie die auf den OSZE-Gipfeln eingegangenen Verpflichtungen, Ihre eigene Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer zu stärken?“

Stattdessen erhielten wir leere „Papierschnipsel“ vom Außenpolitischen Dienst der EU und vom Generalsekretär der NATO, die nicht einmal an die Botschaft gerichtet waren. Der Kern der westlichen Position ist: Es ist egal, was ihre Präsidenten und Premierminister in der OSZE unterzeichnet haben, nur die NATO kann rechtliche Sicherheitsgarantien bieten. So behandelt eine Gruppe von Ländern, die von einer „exzeptionellen“ Macht angeführt wird, unsere von ihnen ohnehin schon nicht mehr respektierte Organisation.

Die Situation im „zweiten Korb“ der OSZE ist nicht weniger traurig. In dem Bemühen, die russische Wirtschaft zu Fall zu bringen, haben die USA und ihre europäischen Satelliten Tausende von Sanktionen gegen Russland verhängt und damit einer breiten praktischen Zusammenarbeit zwischen Ost und West in unserer einst gemeinsamen Region ein Ende gesetzt. Das Kiewer Regime ist eine Investition Washingtons in sein eigennütziges Interesse, Russland einzudämmen und seine eigenen Probleme auf Kosten anderer zu lösen, einschließlich der Ausschaltung wirtschaftlicher Konkurrenten, vor allem der EU. Trotz allem spielt die EU weiterhin gehorsam ihre wenig beneidenswerte Rolle, trägt die Hauptlast der Folgen des US-amerikanischen Ukraine-Abenteuers und gibt kleinlaut die Formen der Wirtschaftspartnerschaft auf, die den Wohlstand der EU jahrzehntelang gesichert haben. Man hat den Eindruck, dass die EU die ursprünglichen Ziele ihrer Gründer, das Wohlergehen der Bürger ihrer Mitgliedsländer zu verbessern, über Bord geworfen hat und sich   – vor allem durch die Bemühungen der Brüsseler Bürokratie   – in ein aggressives geopolitisches Projekt verwandelt hat.

Wenn man über das Schicksal der OSZE spricht, kommt man nicht umhin, auf die menschliche Dimension einzugehen. Dieser „Korb“ wurde mit einer Reihe von Verpflichtungen gefüllt, die sich   – ich möchte dies besonders betonen   – an alle Teilnehmerstaaten richten.

Aber auch hier stellt sich das Problem der Gleichheit und Objektivität. Das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte hat seine Arbeit ohne jegliche Regeln und Verfahren ausschließlich auf die Länder „östlich von Wien“ konzentriert. Die OSZE-Beobachter gehen mit vorgefertigten Schlussfolgerungen zu Wahlen. Zugleich verschließt das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte die Augen vor zahlreichen Menschenrechtsverletzungen im Westen. Auch der „Moskauer Mechanismus“ mit seinen parteiischen Experten arbeitet fleißig an der Erfüllung des politischen Auftrags. Der Beauftragte für die Freiheit der Medien schweigt, wenn nicht-westliche Medien unterdrückt werden.

Seit mehreren Jahren können wir uns nicht auf die Tagesordnung des Implementierungstreffens zur menschlichen Dimension einigen, auch weil einige Delegationen hartnäckig die Aufnahme des Problems des Neonazismus verhindern. Und das, obwohl Naziideologie und -praktiken sowie andere Formen rassistischer und religiöser Intoleranz in Europa, vor allem in der Ukraine und den baltischen Staaten, stark zunehmen. Hitlers Kollaborateure werden verherrlicht, Denkmäler für die Befreier werden abgerissen, und diese kriminellen Handlungen werden gesetzlich verankert.

Das in Kiew herrschende Neonazi-Regime hat sogar die baltischen Staaten in ihrem Bestreben, alles Russische per Gesetz auszurotten, „übertroffen“. Die bloße Existenz der Russen und ihr entscheidender Beitrag zur Geschichte der Ukraine werden geleugnet. Den Menschen wird verboten, in ihrer Muttersprache zu sprechen, zu lesen und zu lernen und Zugang zu russischsprachigen Medien und russischer Kultur zu haben. Es gibt viele Fakten, aber die OSZE und ihre zuständigen Institutionen schweigen. Sie schwiegen sogar, als das Kiewer Regime Ausnahmen von den eklatant diskriminierenden Rechtsvorschriften über die „Staatssprache“ nur für die Sprachen der EU und nicht für Russisch gemacht hat. Auch das „aufgeklärte“ Brüssel hat geschwiegen und sich nicht zu der Notwendigkeit geäußert, die zahlreichen Konventionen der Vereinten Nationen, der UNESCO und des Europarates zu respektieren, die allen nationalen Minderheiten gleiche Rechte garantieren.

Gerade erklärte der Vorsitzende der Werchowna Rada, Herr Stefantschuk, „blauäugig“, dass es in der Ukraine „keine russischen Minderheiten“ gebe „und auch keine geben kann“. Offenbar hat der Chef des ukrainischen Parlaments den folgenden Text nie gelesen: „Die freie Entfaltung und der Schutz des Russischen und anderer Minderheitensprachen werden gewährleistet; der Staat fördert die Festigung der Nation, die Entwicklung ihres historischen Selbstbewusstseins, ihrer Traditionen und ihrer Kultur sowie die sprachliche und religiöse Identität aller nationalen Minderheiten; der Inhalt der Rechte und Freiheiten darf nicht eingeschränkt werden; es darf keine Privilegien oder Beschränkungen aus Gründen der Rasse, der politischen, religiösen oder sonstigen Überzeugungen geben; das Recht auf Unterricht in der Muttersprache wird gewährleistet.“

Dies sind nur einige Zitate aus der aktuellen Verfassung der Ukraine, die niemand außer Kraft gesetzt hat und auf die Selensky und vor ihm Poroschenko unter dem Beifall des Westens ihren Amtseid abgelegt haben. Aber alle   – die OSZE, die Venedig-Kommission, die EU und die USA   – schweigen wieder und bemerken die Verhöhnung der ukrainischen Verfassung nicht.

Unter diesem Schweigen und mit Ermutigung des Westens hat das Kiewer Regime eine widerliche Kampagne gegen die ukrainisch-orthodoxe Kirche entfesselt, einschließlich der Beschlagnahme von Kirchen, der Verfolgung von Gläubigen und körperlicher Angriffe auf Geistliche.

Ich weise besonders auf folgendes hin: All diese Verbrechen gegen die Menschenrechte begannen nicht im Februar 2022, sondern unmittelbar nach dem blutigen Staatsstreich im Februar 2014, als Neonazis die Macht ergriffen und das am Tag zuvor unter den Garantien Deutschlands, Polens und Frankreichs, die diese Demütigung schnell akzeptierten, unterzeichnete Abkommen zur Beilegung des Konflikts zerrissen haben.

Vor diesem Hintergrund ist der Zynismus der Beschwörungsformeln der Brüsseler Regierungschefs, dass Selensky bei all seinen Handlungen „europäische Werte verteidigt“, frappierend. Jetzt wollen sie dem Kiewer Regime beschleunigt die Tür zur EU öffnen. Wie man so schön sagt, werden Nazis außer der Reihe aufgenommen. Das ist beschämend.

Es stellt sich die Frage: Wozu brauchen wir mangelhafte Menschenrechtsinstitutionen, die zu einem Werkzeug derer werden, die den Weg der Privatisierung der Sekretariate internationaler Organisationen für ihre eigenen Bedürfnisse eingeschlagen haben? Welchen Interessen der gesamteuropäischen Sicherheit und Zusammenarbeit dient so eine OSZE?

Die derzeitige Situation ist eine unmittelbare Folge der hartnäckigen Versuche unserer westlichen Nachbarn, ihre Vorherrschaft zu sichern, indem sie die OSZE schamlos zur aggressiven Förderung engstirniger Eigeninteressen benutzen und das Grundprinzip des Konsenses und die eigentliche Kultur der Diplomatie bewusst zerstören. Jedem unvoreingenommenen Menschen ist klar, dass dies nicht der Weg ist, um europäische Sicherheitsfragen ernsthaft und ehrlich zu lösen. Doch die westlichen Hauptstädte „töten“ die Chancen der OSZE auf eine Wiederbelebung mit beneidenswerter Besessenheit. Sie haben bereits eine „europäische politische Gemeinschaft“ ohne Russland und Weißrussland geschaffen. Auf diese Weise wurde eine weitere Trennlinie auf unserem Kontinent gezogen und der Raum der OSZE zerstört. Die Initiatoren dieser Idee sollten gründlich darüber nachdenken, wie sich ihre Idee zu den hehren Idealen verhält, die die Gründerväter des Helsinki-Prozesses und die Verfasser der Charta von Paris für ein neues Europa geleitet haben.

Traditionell ist es üblich, die Erklärungen bei unseren Treffen mit einer optimistischen, positiven Note zu beenden. Gegenwärtig gibt es jedoch keinen besonderen Grund für Optimismus. Die OSZE wird im Wesentlichen zu einem Anhängsel der NATO und der EU gemacht. Die Organisation steht   – das müssen wir ganz offen sagen   – am Rande des Abgrunds. Es stellt sich die einfache Frage, ob es sinnvoll ist, in die Wiederbelebung der Organisation zu investieren. Wird sie jemals in der Lage sein, sich an die objektiven Realitäten der globalen Entwicklung anzupassen und wieder zu einer Plattform für die Behandlung regionaler Sicherheitsfragen zu werden, die auf den Grundsätzen der Schlussakte von Helsinki beruht, vor allem auf dem Grundsatz der Gleichheit aller teilnehmenden Länder? Bislang gibt es weit mehr Fragen als Antworten.

Doch das Leben steht nicht still. Die Prozesse der eurasischen Integration und der gleichberechtigten Zusammenarbeit auf der Grundlage eines fairen Interessenausgleichs entwickeln sich auf unserem Kontinent in konstruktiven Formaten, ungeachtet des immer tieferen Eintauchens der OSZE in die ihr aufgezwungene konfrontative Agenda.

Ende der Übersetzung

Quelle: https://www.anti-spiegel.ru/2023/die-rede-des-russischen-aussenministers-lawrow-bei-der-osze/

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