Skip to main content

Die NATO eskaliert: Der Krieg tritt in eine neue Phase ein  – Colonel Douglas Macgregor und Glenn Diesen

15. September 2023 Interview von Oberst Douglas MacGregor mit Professor Glenn Diesen - youtube,com
21. September 2023

(Red.) Seniora hatte zwar schon Ausschnitte aus diesem Interview in dem letzten Artikel von indianpunchline gebracht. Aber wir haben trotzdem noch das ganze Interview transkribiert und übersetzt, weil es noch viel mehr enthält. Der norwegische Professor der Politikwissenschaften und der amerikanische Militärspezialist diskutieren die möglicherweise letzte Phase des Ukraine-Krieges. Der Ukraine und der NATO gehen die Sodaten und das Kriegsmaterial aus. Als "letzte Flucht nach vorn" werden deutsche Marschflugkörper (Taurus) und amerikanische Mittelstreckenraketen (ATACMS) vorgeschlagen. Militärisch werden die den Verlauf des Krieges nicht gross verändern, auch wenn sie natürlich trotzdem Schäden verursachen. Wie wird Russland darauf reagieren? Macgregor schildert sehr anschaulich, in welchem geistigen Zustand sich das amerikanische Führungspersonal befindet, das unseren europäischen Hampelmännern die Drehbücher für ihre unsäglichen Auftriffe schreibt. Und die russische Führung muss damit rechnen, dass die Bevölkerung langsam die Geduld verliert angesichts der bisherigen Zurückhaltung des russischen Militärs. Wir können uns wahrscheinlich nur dem Ausruf von Macgregor anschliessen: Gott helfe uns allen! (am)

Das Transkript für seniora.org besorgte Andreas Mylaeus:

Glenn Diesen:

Herzlich willkommen. Mein Name ist Glenn Diesen. Ich bin Professor für Politikwissenschaft und heute ist Colonel Douglas Macgregor bei mir. Er ist ein Mann des Militärs mit langer Erfahrung, unter anderem als Truppenführer auf dem Schlachtfeld. Er ist auch ein Intellektueller, hat mehrere Bücher über Militärstrategie geschrieben und ist auch ein politischer Mensch. Ich würde sagen, er berät Präsident Donald Trump.

Es ist schön, Sie wiederzusehen.

Douglas Macgregor:

Nun, es ist schön, Sie zu sehen. Aber ich behaupte nicht, dass ich ein Intellektueller bin. Das ist ein Vollzeitjob, den ich mir nicht leisten kann, also...

Glenn Diesen:

Ich möchte Sie aber zunächst nach dem Stand dieser Gegenoffensive fragen. Denn wir haben die Ukraine bis an die Zähne bewaffnet, um gegen Russland zu kämpfen, und wir haben unsere Hoffnungen darauf gesetzt, dass diese politische Offensive zu einem endgültigen Sieg führen würde, als einziges zugelassenes Ergebnis. Aber so gut ist es nicht gelaufen. Ich habe mich also gefragt: Können Sie den Stand der Dinge vor Ort skizzieren und sagen, was passiert ist und wohin die Reise geht? Sehen wir ein Ende des Ganzen?

Douglas Macgregor:

Nun, ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Bodenoperationen für das ukrainische Militär weitgehend beendet sind. Ihre Verluste waren entsetzlich. Ich habe Schätzungen gesehen, die von über 430.000 toten ukrainischen Soldaten ausgehen. Einige Leute gehen von höheren Zahlen aus. Im Westen hört man das nicht, weil die Medien solche Informationen natürlich zensieren. Ich habe mich immer an die Zahl von 400.000 Toten gehalten. Aber jetzt wird mir gesagt, dass das zu hoch gegriffen ist. Wie viele Hunderttausende von Verwundeten es gibt, ist schwer zu sagen. Nun, es gab einen Bericht, ich glaube von Präsident Putin, der von 71.000 getöteten ukrainischen Soldaten sprach. Das mag zutreffen. Um ehrlich zu sein, waren die Russen in Bezug auf ihre und die ukrainischen Verluste viel ehrlicher als wir. Die Amerikaner werden das nicht gerne hören, aber unsere Regierung war bei dieser ganzen Sache einfach nicht sehr ehrlich.

Ich denke also, dass der ukrainische Bodenkrieg im Grunde genommen entweder zum Stillstand gekommen oder vielleicht sogar vorbei ist. Sie suchen verzweifelt nach Leuten und versuchen, Menschen im Land in die Uniform zu zwingen, die nicht wirklich in der Lage sind, zu kämpfen. Und wie Sie wissen, versuchen sie, Ukrainer im wehrfähigen Alter aus dem Ausland zu repatriieren. Aber ich glaube nicht, dass das passieren wird. Ich glaube nicht, dass die meisten Regierungen in Europa bereit sind, Personal einzusetzen, um junge ukrainische Männer gewaltsam zu verhaften und dann abzuschieben. Vielleicht irre ich mich, aber ich glaube einfach nicht, dass das passieren wird.

Ich glaube also, wir befinden uns in einer neuen Phase. Ein Freund kontaktierte mich heute und sagte: Ich glaube, wir treten jetzt in Bidens Phase des Krieges ein. Und ich sagte: Wovon sprichst du? Er antwortete: Nun, da den Ukrainern die Bodentruppen ausgehen, die sie dem Feind entgegenwerfen können, können sie nur noch Langstreckenwaffen wie die Storm Shadow oder die Taurus-Rakete nutzen und diese dann auf die Russen schleudern. Ich glaube, das haben wir kürzlich gesehen. Da war ein großer Schlag gegen die Krim. Ich glaube, es waren insgesamt 11 Storm Shadow-Raketen, die von SU-24 gestartet wurden, die gestartet sind, ihre Raketen abgefeuert haben und dann schnell verschwunden sind, aus Angst, abgeschossen zu werden. Von den 11 Raketen wurden acht tatsächlich von der integrierten russischen Luftabwehr zerstört, aber drei kamen durch und verursachten erhebliche Schäden an Schiffen, die in einem Trockendock oder im Hafen von Sewastopol lagen. Wir haben auch den Einsatz einiger Drohnen gesehen, die unter Wasser eingesetzt werden   – wir ziehen es vor, von unbemannten Unterwassersystemen zu sprechen, aber die Leute benutzen jetzt ständig das Wort Drohne. Aber ich glaube, die waren britischen Ursprungs, ähnlich wie die Storm Shadows.

Am beunruhigendsten ist, dass sowohl US-amerikanische als auch britische und möglicherweise französische ISR-Plattformen (Intelligence Surveillance Reconnaissance), unbemannte und möglicherweise bemannte Plattformen, zur Steuerung dieser Angriffe eingesetzt wurden, und zwar sowohl die unbemannten Unterwassersysteme als auch die Storm Shadow-Raketen. Dazu würde auch ein Global Hawk gehören. Die Russen haben bereits einen Global Hawk über dem Schwarzen Meer abgeschossen, und offenbar haben wir einen weiteren Global Hawk zur Unterstützung dieses Angriffs eingesetzt. Der Grund, warum das beunruhigend ist, sollte für alle Ihre Zuhörer offensichtlich sein: Das bedeutet, dass wir in jeder Hinsicht Mitkriegsparteien sind.

Die eigentliche Frage ist, wie lange sich die Russen noch zurückhalten werden, die Quelle dieser Waffen und Fähigkeiten anzugreifen, nämlich Großbritannien, die Vereinigten Staaten, Frankreich und möglicherweise sogar Deutschland.

Also, ich kenne die Antwort darauf nicht. Der Punkt ist, dass wir uns in einer neuen Phase befinden. Wir befinden uns in einer Art Fernangriffsphase, denn die Ukrainer haben nichts anderes in die Waagschale zu werfen, und das ist eine sehr gefährliche Sache.

Ich glaube, dass die Russen jetzt endlich begreifen, dass die einzige Möglichkeit, die Situation zu beenden, darin besteht, sie militärisch zu beenden. Deshalb beobachte ich genau, ob es Vorbereitungen für eine ernsthafte Offensive gibt.

Bedenken Sie, dass einige der Angriffe auf die Russen im Schwarzmeerraum von der Küste zwischen Odessa und der rumänischen Grenze aus gestartet wurden. Das ist für die Russen nicht sehr weit weg. Man fragt sich also, wie lange die Russen warten werden, bevor sie den Dnjepr überqueren und schließlich die Kontrolle über Odessa und die Südküste übernehmen. Es ist offensichtlich in ihrem Sicherheitsinteresse, dies zu tun.

Aber wir wissen es nicht. Wir wissen es nicht. Wir wissen nicht genau, was in Moskau und im Generalstab vor sich geht. Wir wissen nicht, welche Anweisungen Präsident Putin seinen Truppen vor Ort gibt. Wir müssen also abwarten, wie es weitergeht.

Glenn Diesen:

Ja, das wollte ich auch gerade sagen. Bei diesen Angriffen auf die Krim sehen wir, dass die Ukraine NATO-Raketen einsetzt, und es ist der NATO-Geheimdienst, der die Ziele auswählt und dass dann diese von der NATO ausgebildeten Soldaten auf den Knopf drücken. Es scheint also, dass wir uns immer wieder selbst davon überzeugen, dass wir nicht an diesem Krieg beteiligt sind, aber natürlich   – wenn es umgekehrt wäre, wenn die Russen dies an der amerikanischen Grenze tun würden, wenn sie tiefe Angriffe führen und Waffen für Angriffe tief innerhalb der Vereinigten Staaten benutzen würden, dann würde unsere Seite wohl nicht das Argument akzeptieren, dass die Russen nicht beteiligt wären. Also noch einmal: Aus meiner Sicht sind wir Teilnehmer an diesem Krieg mit Russland, das nun zufällig die größte Atommacht ist.

Aber wie weit kann das noch gehen, bevor Russland gegen die NATO zurückschlägt, denn ich weiß, was die Russen einschränkt: Sie wollen keinen Atomkrieg oder gar einen konventionellen Krieg mit der NATO riskieren. Aber das Risiko, nichts zu tun, scheint weiter zu wachsen, da der Westen mit schwereren Waffen eskaliert. Zumindest höre ich das   – lauter werdende Stimmen in Moskau   – die sagen: Ja, Putin ist zu weich gewesen! Nochmals: Das ist das Argument aus Moskau, dass es, weil es nicht zurückgeschlagen hat, den Westen ermutigt zu sagen: Hey, die Russen wagen es nicht, zurückzuschlagen, wir können tun, was wir wollen.

Ich meine, was glauben Sie, wie die Russen zurückschlagen werden? Wenn ja, wen würden sie angreifen? Würden sie es auf die Polen abgesehen haben? Auf die Briten?

Douglas Macgregor:

Nun, Sie haben die Frage sehr gut formuliert. Überwiegen die Risiken direkter Angriffe auf die ukrainischen Streitkräfte, die Risiken einer umfassenden Offensive zur Beendigung dieses Krieges, die Risiken des Nichtstuns?

Ich glaube, die Menschen in Russland reagieren im Moment sehr, sehr, sehr empfindlich auf die Angriffe, die gegen Russen auf russischem Boden verübt wurden. Daran besteht kein Zweifel. Denken Sie daran: Jede Regierung hat die Pflicht, ihre Bevölkerung zu schützen. Das ist der Hauptgrund, warum wir die Streitkräfte unterhalten. Ich denke, das russische Militär hat sein Bestes getan. Aber man ist sich darüber im Klaren, dass es mehr braucht, als nur eine effektive Verteidigung aufzubauen. Ich weiß also nicht, wann die Entscheidung fallen wird. Aber ich vermute, dass im Moment ernsthafte Gespräche geführt werden.

Denken Sie daran: Es gibt 300.000 Soldaten in Reserve, die von den Russen jederzeit gegen das, was von der Ukraine übrig geblieben ist, eingesetzt werden können, wenn sie es wollen. Was wir nicht wissen, ist, wie die logistische Situation aussieht. Verfügen sie über die logistischen Voraussetzungen, um eine Offensive über den Fluss und in die Westukraine zu führen? Ich denke, das haben sie wahrscheinlich. Aber ich kenne die Antwort auf diese Frage nicht, und die Logistik bestimmt einen Großteil der operativen Entscheidungen im Krieg. Und im Moment weiß ich nicht, wie es um die logistische Bereitschaft auf russischer Seite bestellt ist.

Aber es besteht kein Zweifel daran, dass es in Moskau hochrangige Generalstabsoffiziere und Mitglieder des Beraterstabs von Präsident Putin sowie Mitglieder der Regierung gibt, die alle auf offensive Maßnahmen drängen. Daran gibt es keinen Zweifel.

Nochmals: Dieser Mann, Putin, hat, glaube ich, immer eine direkte Konfrontation mit der NATO und den Vereinigten Staaten vermeiden wollen. Er denkt wahrscheinlich, dass, wenn er noch etwas länger wartet, die wirtschaftliche Situation in Europa und die finanzielle und wirtschaftliche Situation in den Vereinigten Staaten einen Teil der Arbeit für ihn erledigen könnte. Ich meine, wir gehen davon aus, dass die Zinssätze in Europa in den nächsten Monaten auf sechs Prozent steigen werden. Europa steckt in großen Schwierigkeiten, was die Energie angeht. Deutschland natürlich... Wir kennen die Situation dort: Sie befinden sich in einer Rezession. Es sieht so aus, als könnte es zu einer Depression werden. Die Lage in Frankreich ist ebenso instabil. Vielleicht hat Putin also im Hinterkopf, dass sich die Bedingungen ändern werden, wenn er sich in Geduld übt.

Aber es gibt keine Gewissheit, denn man müsste die Regierung wechseln. In unserer Regierung wird es, wenn Sie so wollen, bis November 2024 keinen massiven Wechsel geben, vorausgesetzt, wir schaffen es ohne größere Krisen bis 2024. Ich weiß nicht, wie die Lage in Europa ist. Ich hätte schon längst mit Misstrauensanträgen in Ländern wie Deutschland oder Großbritannien gerechnet. Aber es ist nicht dazu gekommen. Dies ist also eine schwierige Frage, die die Russen beantworten müssen, und es gibt keine einfache Antwort.

Aber ich glaube, dass der Druck, zu handeln und eine Großoffensive zu starten, um diese Angriffe zu beenden und   – offen gesagt   – dem Zelenski-Regime ein Ende zu setzen, zunehmend den Siedepunkt erreicht. Ich weiß nur nicht, wann es überkochen wird.

Glenn Diesen:

Sie haben eben erwähnt, dass während der Biden-Phase, die Langstreckenraketen eingesetzt werden, denn immer wenn die Dinge nicht gut für uns laufen, neigen wir dazu, zu eskalieren, indem wir schwerere Waffen mit größerer Reichweite liefern und natürlich mit dem Ziel, sie auch jetzt gegen das Territorium der Russischen Föderation einzusetzen. Aber ich sehe, dass Biden und verschiedene politische Führer dazu neigten, zu argumentieren, dass wir bestimmte Waffen nicht liefern können, weil das zu provokativ ist. Das könnte den Dritten Weltkrieg auslösen. Aber ein paar Monate oder Wochen später lieferten sie diese Waffen dann doch. So begann es mit den HIMARS, dann kamen Abram-Panzer, F-16, Streumunition, abgereichertes Uran. Aber jetzt scheint es   – und deshalb fand ich es interessant, was Sie sagten: Es ist eine neue Phase. Denn ich bin neugierig, ob diese ATACMS, diese ballistischen Langstreckenraketen, die sie jetzt liefern, ob das eine ganz andere Art von Waffe ist?

Als Blinken zu diesen Waffen befragt wurde   – und ich habe die Pressekonferenz gehört   – wurde er auch gefragt, ob diese Waffen eingesetzt würden, um tief in Russland einzuschlagen. Und seine Antwort war: Das ist deren [der Ukrainer] Entscheidung, nicht unsere. Und nochmals: Das klingt für manche fast wie eine Kriegserklärung, denn es unterscheidet sich zumindest von früheren Aussagen, als die Ukraine versprochen hatte, russisches Territorium nicht anzugreifen. Und jetzt sind es Langstreckenwaffen und sie können zuschlagen, wo sie wollen.

Ich meine, ich weiß nicht viel über ATACMS. Aber wie ernst ist diese Eskalation von Seiten der NATO oder der Vereinigten Staaten?

Douglas Macgregor:

Nun, ATACMS ist Flugkörper, der dem Taurus-Flugkörper sehr ähnlich ist. Die Taurus-Rakete ist ein Marschflugkörper. Die ATACMS-Rakete ist eine Höhenrakete. Diese Munition hat eine Reichweite von Hunderten von Meilen. Es geht also um eine viel größere militärische Reichweite als alles, was wir bisher gesehen haben. Damit sind eine Reihe von russischen Städten im Zielgebiet, was vorher nicht der Fall war. Und wie Sie schon sagten, haben wir immer gesagt, dass wir dies nicht riskieren würden, indem wir die in ukrainische Hände geben.

Nun vermute ich natürlich, dass all diese Abschuss-Einrichtungen ohnehin größtenteils von Nicht-Ukrainern betrieben werden. Wahrscheinlich sind es Auftragnehmer oder Militärberater der NATO. Der Punkt ist, dass dies jetzt eine neue Phase ist.

Der Krieg ist vor Ort verloren. Ich denke, dass die Menschen im Westen diese Realität langsam begreifen. Also wenden sie sich dem Angriff mit Langstreckenraketen zu. Der Ball liegt sprichwörtlich in Russlands Spielfeld. Wenn die Russen weiterhin in der Defensive bleiben, werden sie angegriffen werden. Sie könnten also zu dem Schluss kommen, dass die einzige Möglichkeit, die Situation zu beenden, darin besteht, umzudrehen und sowohl am Boden als auch in der Luft mit erheblicher offensiver Kampfkraft anzugreifen.

Sie erwähnen immer wieder Atomwaffen, und ich denke, es ist wichtig, dass die Menschen verstehen, dass Russland kein Interesse daran hat und ich offen gesagt auch kein Interesse daran sehe, dass Washington zu Atomwaffen greift. Nun könnte man argumentieren, dass Washington bereits eine Reihe von roten Linien überschritten hat, warum also nicht auch diese Linie in Zukunft überschreiten? Ich denke, es besteht Einigkeit darüber, dass diese rote Linie Armageddon bedeutet. Und deshalb sehe ich keine Anzeichen dafür, dass die Menschen in Washington D.C. so geistesgestört sind, dass sie das Überleben unseres Landes sowie des Westens und der Zivilisation im Allgemeinen durch den Einsatz von Atomwaffen riskieren würden. Ich glaube also nicht, dass es dazu kommen wird, und ich weiß, dass die Russen nicht die Absicht haben, sie einzusetzen, es sei denn, sie werden mit Atomwaffen angegriffen.

Stattdessen haben wir es mit einer weiteren Eskalation zu tun. Wahrscheinlich wird in etwa einem Monat die bisher größte Militärübung in der Nähe von Russland im Baltikum stattfinden. Daran beteiligt sind 40, 50 sehr, sehr teure und hochmoderne Kampfflugzeuge, Jagdbomber und Bomber aus den Vereinigten Staaten sowie Flugzeuge aus anderen NATO-Staaten. Ich habe gesehen, dass insgesamt 40.000 uniformierte Mitglieder der Luftwaffe, der Marine und des Heeres der NATO in der Ostsee trainieren werden. Ich weiß nicht, warum wir das tun, außer um eine Eskalation herbeizuführen, und wir könnten dadurch in eine sehr ernste Krise geraten. Wir wissen nicht, wie die Russen das interpretieren werden. Nochmals: Die Russen haben sich sehr zurückhaltend gezeigt. Und dann gibt es natürlich noch die Möglichkeit eines Unfalls: Jemand verirrt sich in den falschen Luftraum, jemand feuert versehentlich eine Waffe ab. Es können alle möglichen Dummheiten passieren, die dann einen echten Schießkrieg zwischen der NATO und Russland auslösen. Das ist eine gefährliche Phase, und deshalb sage ich schon seit einiger Zeit, dass wir in diesem Krieg an einem gefährlicheren Punkt angelangt sind als in jedem anderen, den wir bisher erlebt haben.

Denn der Krieg vor Ort ist praktisch vorbei. Die Ukrainer können nichts anderes tun, als noch mehr Menschenleben sinnlos zu opfern. Das bedeutet, dass es sich um einen Krieg mit Langstreckenwaffen handelt. Das heißt, die NATO wird alles einsetzen, was sie hat, um die Ukraine zu unterstützen, und sie wird es vorgeblich tun, indem sie vorgibt, dass diese Waffen den Ukrainern gegeben werden, während in Wirklichkeit die NATO dahintersteckt.

Was erwarten wir also von den Russen? Wie viel Geduld werden sie noch aufbringen? Wissen Sie, ich kann diese Fragen nicht beantworten.

Glenn Diesen:

Ja, das stimmt. Sie haben mögliche Unfälle erwähnt. Aber Zelensky hat ganz klar gezeigt, dass er die NATO in diesen Krieg hineinziehen möchte. Er gibt Erklärungen ab: Natürlich sollen auch wir im Westen den Schmerz dieses Krieges spüren. Und als eine ukrainische Rakete in Polen einschlug, hat er offensichtlich sehr stark darauf gedrängt, dass dies ein russischer Einschlag gewesen sei, um die NATO in den Krieg hineinzuziehen. Das Gleiche haben wir in Rumänien gesehen. Wenn er also mit diesen Langstreckenraketen ein russisches Atomkraftwerk angreift oder Sabotagemissionen schickt, wird es für Russland sehr schwierig, nicht gegen die NATO zurückzuschlagen, wenn es auf russischem Boden zu einer nuklearen Katastrophe kommt, die auf Waffen zurückzuführen ist, die wir geliefert haben.

Ich sage das im Zusammenhang mit den Angriffen, die derzeit auf der Krim seitens des Westens stattfinden... Wir sind sehr begierig darauf, dass die gesamte russische Schwarzmeerflotte zerstört wird, und auch das ist sehr ernst, denn in diesem Krieg geht es zu einem großen Teil um die Kontrolle des Schwarzen Meeres. Ich würde sogar behaupten, dass der Sturz der ukrainischen Regierung im Jahr 2014 zu einem großen Teil auch dazu diente, die Russen aus Sewastopol zu vertreiben.

Ich bin nur neugierig, wie die Überlegungen in Washington derzeit aussehen. Sie fahren ja von Zeit zu Zeit dorthin. Was ist die Logik dort? Wenn man bedenkt, dass Zelensky zeigt, dass er die NATO einbeziehen will: Wir geben ihm die Waffen, die ihn dazu befähigen? Gibt es da keine Bedenken? Oder was ist die Logik dahinter?

Douglas Macgregor:

Nun, Logik ist ein starkes Wort, das meiner Meinung nach nicht auf das Denken in Washington zutrifft. Ich glaube, wir haben es mit Leuten zu tun, die weitgehend aus dem Bauch heraus handeln. Wenn alles, was man bisher getan hat, fehlgeschlagen ist, und das war bei den Vereinigten Staaten der Fall, was tut man dann? Man versucht etwas anderes. Aber man stellt sich nicht hin und sagt: Seht her, das hat nicht funktioniert. Also werden wir jetzt versuchen zu verhandeln, weil alles andere, was wir getan haben, gescheitert ist. Niemand wird sich in Washington hinstellen und das sagen.

Das ursprüngliche Ziel   – gehen Sie zurück und schauen Sie sich die Erklärungen an, die im Februar und März abgegeben wurden, schauen Sie sich die Vorschläge an, die die Russen im Dezember und Januar 2021 und 2022 gemacht haben. Wir haben alle diese Vorschläge abgelehnt. Sie betrafen alle die Stationierung von Truppen und Waffen an den Grenzen Russlands. Wir wollten sie nicht einmal in Erwägung ziehen. Als die Russen dann im Februar 2022 von uns zum Handeln gedrängt wurden, sagten wir: Nun, Russland muss geschädigt werden. Es muss so weit geschädigt werden, dass es keine Bedrohung mehr für uns oder irgendjemanden in Europa oder sonstwo darstellt. Später haben wir gesagt: Das Regime muss sich wirklich ändern. Dann haben wir gesagt: Nein. Wir wollen das Regime nicht ändern. Aber wir glauben wirklich, dass Putin gehen muss. Ich meine, wir haben diesen verwirrenden Weg mit vagen Zielen beschritten, die unverschämt unrealistisch sind und es immer waren.

Wir haben gesagt: Wir werden der Wirtschaft schaden. Nun, das hat nicht funktioniert, aber wir haben uns selbst schrecklich geschadet. Wir haben unserem Leben enormen Schaden zugefügt. Der vielleicht wichtigste Verbündete Amerikas in Europa ist Deutschland, und wir haben Deutschland enormen Schaden zugefügt. Wir sagen: Wir wollen nicht, dass die Deutschen und die Russen zusammenarbeiten. Aber wir schaffen Bedingungen, die die Deutschen zu dem Schluss bringen könnten, dass es besser wäre, mit den Russen zu kooperieren, als mit uns zu kooperieren.

Alles, was wir versucht haben, ist also nach hinten losgegangen. Bei einer rationalen Diskussion   – nach der Sie eigentlich fragen   –, bei der wir alle Schritte, die wir unternommen haben, noch einmal überprüfen würden und uns anschauen was die Russen getan haben, müssten wir sagen: Lasst uns reden! Lassen Sie uns alle Operationen an diesem Punkt stoppen. Wir stellen die Operationen ein. Treffen wir uns irgendwo mit Vertretern Russlands, wir, die Vereinigten Staaten, und besprechen wir, was getan werden kann, um diesen Konflikt zu beenden. Das tun wir nicht. Statt dessen haben wir gesagt: Wir werden das auf keinen Fall tun!

Das bedeutet, dass man sich das Waffenarsenal, das einem zur Verfügung steht, ansieht und sagt: Was können wir außer Atomwaffen einsetzen, was den Russen Schaden zufügt, um sie theoretisch dazu zu bewegen, mit uns zu kooperieren und zu verhandeln   – was natürlich absurd ist, denn es geht hier nicht um Waffen. Hier geht es um Territorium. Es geht um die Präsenz der NATO und der NATO-Fähigkeiten an den Grenzen Russlands.

Darüber wollen wir nicht reden. Wir wollen nicht einmal die Möglichkeit akzeptieren, dass die Ukraine etwas anderes als ein NATO-Mitglied sein könnte. Was ist also unter diesen Umständen die Grundlage für Verhandlungen? Was ist die Grundlage für Diskussionen? Was ist die Grundlage für Gespräche? Ich sehe keine.

Die Russen würden sich gerne mit jemandem zusammensetzen, der bereit ist zu prüfen, wo wir stehen. Niemand bei uns wird das tun. Deshalb nenne ich diese Phase des Krieges... Es ist nicht mehr die ukrainische Phase, es ist jetzt die Biden-Phase des Krieges. Und die Biden-Phase des Krieges sind die Angriffe mit Langstreckenwaffen.

Wie kommt man in Washington auf die Idee, dass die Zerstörung von Zielen innerhalb Russlands uns Russland irgendwie sympathisch machen und die Russen dazu bringen könnte, die Hände hochzuhalten und zu sagen: Bitte hört auf, wir wollen reden, wir geben euch, was ihr wollt. Das übersteigt meine Vorstellungskraft. Das ist das Dümmste, was ich mir vorstellen kann. Wenn überhaupt, dann wird es die Russen davon überzeugen, dass sie angreifen und entschlossen nach Westen angreifen müssen. Das ist meines Erachtens nicht in unserem Interesse oder im Interesse der NATO. Aber ich vertrete eine Mindermeinung, Glenn. Und niemand hier in Washington ist mit mir einer Meinung.

Glenn Diesen:

Nun, das scheint eine Schwäche in der Logik zu sein. Ich habe kürzlich gesehen, wie Mitt Romney ein Interview gab, in dem er sagte, dass die Investition in diesen Krieg hervorragend war, weil sie für einen kleinen Prozentsatz des Militärbudgets in der Lage waren, eine Menge Russen zu töten und das russische Militär zu schwächen. Das ist großartig, denn sie haben so viele Atomwaffen. Wir würden es also gerne sehen, wenn sie geschwächt würden.

[Macgregor verzieht das Gesicht]

Ja, ich hatte auch diesen Gesichtsausdruck, als ich das las, denn es scheint einfach... Ja, nennen wir es eine riskante Politik, einen Gegner militärisch anzugreifen und zu schwächen, der zufällig mehr Atomwaffen hat als jeder andere.

Aber im Hinblick auf diese Eskalation, diese Biden-Phase, wie Sie sie genannt haben, kann man argumentieren, dass es zwei mögliche Ziele gibt: Das eine wäre, eine stärkere Position in den Verhandlungen oder zukünftigen Verhandlungen mit Russland zu bekommen, und andere könnten darin eine Möglichkeit sehen, in einen direkten echten Krieg mit den Russen einzutreten oder Russland einfach zu schwächen.

Ist man in Washington überhaupt bereit, einen Krieg gegen Russland zu führen? Oder hofft man nur, dass wir die Russen schwächen können, ohne dass sie Vergeltung üben? Oder geht es darum, die Situation für Verhandlungen vorzubereiten?

Douglas Macgregor:

Nun, Sie haben ein paar sehr wichtige Fragen aufgeworfen. Zunächst einmal würde ich behaupten, dass es in der amerikanischen Wählerschaft keinen Appetit auf einen Krieg gegen Russland gibt. Selbst unter den Amerikanern, die aus Gründen des Kalten Krieges Russland weiterhin als etwas Böses ansehen, sehe ich dafür keine Anzeichen. Ich habe noch nie gehört, dass jemand von denen die Bereitschaft geäußert hätte, gegen Russland in den Krieg zu ziehen. Ich kann das in den Vereinigten Staaten also nirgendwo erkennen. Niemand spricht über einen Krieg gegen Russland. Keiner will einen Krieg gegen Russland. Die Menschen sind bestrebt, einen Krieg zu vermeiden, Punkt.

Denn sie schauen sich an, was an unserer Südgrenze passiert. Sie sehen sich an, was innerhalb des Landes passiert, wohin das Geld fließt. Millionen von Dollar gehen an Leute, die nicht einmal Amerikaner sind, Milliarden! Wissen Sie, wir haben 37 Millionen Menschen, die in den Vereinigten Staaten leben, die amerikanische Staatsbürger sind, und unter der Armutsgrenze leben. Das muss man sich einmal vor Augen halten. 11 Millionen Kinder, die jeden Abend hungrig ins Bett gehen.

Die Frage, die sich die Amerikaner stellen, lautet also: Warum tun wir nicht etwas dagegen? Warum stecken wir Hunderte von Milliarden Dollar in einen potenziellen Krieg, den wir eigentlich gar nicht führen wollen? Ich glaube, das wird immer akuter, was erklärt, warum immer mehr Menschen aufstehen und hinterfragen, was in der Ukraine passiert. Und wenn ich sage, mehr Menschen, dann meine ich den durchschnittlichen amerikanischen Bürger.

Die Medien berichten nicht darüber, weil die Medien zu 100 Prozent auf Linie sind mit den Leuten, die unsere Regierung und den Finanzsektor kontrollieren. Die wollen einen Krieg gegen Russland. Das ist eine kleine Minderheit, aber sie sind sehr gut finanziert. Wenn Herr Romney also den Mund aufmacht und diese lächerlichen Behauptungen aufstellt, gibt er in Wirklichkeit die Meinung seiner Spender wieder. Er mag zwar Milliardär sein, aber er gehört zum Club der anderen Milliardäre, die den Krieg mit Russland wollen.

Und dann gibt es natürlich jemanden wie Elon Musk, der die Geistesgegenwart hat zu sagen: Wir wollen keinen Krieg mit Russland, das ist eine sehr dumme Idee. Deshalb hat er erklärt, was er getan hat, als er die Starlink-Verbindung in der Ukraine abgebrochen hat, um zu verhindern, was er als eskalierenden Angriff auf die russische Flotte im Schwarzen Meer befürchtete. Und natürlich wird er daraufhin an den Pranger gestellt, angegriffen und verbal attackiert, aus allen möglichen Gründen, und die Leute beschimpfen ihn von links und rechts. Aber er ist einer der führenden Milliardäre, aber er ist auch einer der ganz wenigen, die sich nicht der Kriegspartei anschließen.

Washington befindet sich also in den Händen der Kriegspartei. Sie besitzen es. Sie haben Appetit, aber sie verstehen nicht, was zum Teufel sie tun. Sie wissen nicht einmal, was Krieg bedeutet. Wissen Sie, wie viele Menschen, die durch diesen Krieg oder durch diesen Krieg in der Ukraine und in Russland verwundet wurden, sich nie wieder erholen werden? Nun, ich kann es Ihnen sagen: Auf der ukrainischen Seite ist die Zahl sehr hoch. Wenn man von 200.000 / 300.000 Verwundeten ausgeht, wird mehr als die Hälfte der Schwerverwundeten nie wieder auf das Schlachtfeld zurückkehren, weil die Ukrainer nicht einmal alle Schwerverwundeten rechtzeitig evakuieren können, um ihr Leben zu retten. Sie können sie nicht medizinisch versorgen, um ihre Gliedmaßen, ihr Gehirn oder ihr Augenlicht zu retten. Die Russen können das. Sie sind viel besser organisiert und in der Lage, das zu tun. Aber die Ukrainer können das nicht.

Werden wir uns dem anschließen? Sind wir bereit, uns dem anzuschließen? Ich glaube nicht! Und noch einmal: Schauen Sie sich die Zahl der US-Streitkräfte, der Bodentruppen in Polen, Rumänien und den baltischen Staaten an. Es gibt dort nicht genug, um eine ernsthafte Offensive in der Ukraine zu starten. Und natürlich wären wir dem Risiko von Gegenangriffen ausgesetzt   – Gegenangriffen der Russen, nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Weißrussland. Wir würden also mehrere Fronten eröffnen, die wir unmöglich abdecken und aufrechterhalten können.

Es gibt also kein rationales Denken. Es ist alles impulsiv. Es ist alles Gefühl. Es basiert nicht auf einer ernsthaften Analyse.

Glenn Diesen:

Nun, wenn es zu dem von Ihnen erwähnten direkten Krieg käme, ob zufällig oder absichtlich, sind wir in keiner guten Position. Wie wäre die Fähigkeit der Vereinigten Staaten, einen direkten Krieg mit Russland zu führen? Ich erinnere mich, ich glaube, es war Obama, der sich besorgt geäußert hat, wenn man an der Grenze zu Russland kämpfen würde   – dessen Logistik wird offensichtlich besser sein, da es näher dran ist. Wie sieht die derzeitige Infrastruktur der Vereinigten Staaten aus? Was wären ihre wichtigsten Stärken und Schwächen, wenn sie gegen Russland kämpfen würden?

Douglas Macgregor:

Denken Sie daran: Die NATO ist ein Bündnis aus 32 Nationen. Wie viele dieser Nationen, die Mitglieder des NATO-Bündnisses sind, sind begeistert von der Aussicht, von russischen Angriffen aus der Luft pulverisiert zu werden: Marschflugkörper, Raketen, was auch immer? Ich meine, wollen sie sich alle in die Schlange einreihen, um Luftwaffenstützpunkte, vorgeschobene Betankungspunkte, vorgeschobene Aufrüstungspunkte für die NATO-Streitkräfte in Polen, in Ungarn, in der Slowakei, in Rumänien, in Litauen, Lettland und Estland bereitzustellen? Mit anderen Worten: Das ist es, was Sie tun müssten. Deutschland würde praktisch zu einer logistischen Festung werden. Klar gesagt: Man müsste mehrere Millionen Soldaten haben. Denn Sie brauchen nicht nur eine Million Mann an der Front. Man bräuchte eine weitere Million in der Infrastruktur, um alles zu erhalten. Keine der europäischen Mächte ist auf so etwas vorbereitet. Es würde Jahre dauern, die Grundlagen dafür zu schaffen, was ich gerade beschrieben habe.

Es ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wir spielen also ein sehr gefährliches Spiel. Wir bluffen! Aber bei diesen Dingen kann man nicht bluffen! Und denken Sie daran, dass Sie irgendwann Ihre Truppenpräsenz verstärken müssen, ebenso wie Ihre Munition und Ihre medizinische Versorgung. Alles muss verstärkt werden. Wie kann man in einem Krieg gegen Russland den Atlantik überqueren? Das kann man nicht! Sie werden alle Schiffe, die Sie nach Europa schicken wollen, schnell verlieren. Die werden sie versenken. Die werden sie mit ihrer U-Boot-Flotte außer Gefecht setzen. Und dann haben sie Flugzeuge, die auch angreifen können. Mit anderen Worten: Alles, was wir tun, hängt von unserer Fähigkeit ab, Macht zu projizieren, was logistische Unterstützung über Tausende von Meilen über den Ozean einschließt. Wie wollen Sie das machen?

Wie lange würde Norwegen in einem solchen Umfeld überleben? Norwegen liegt in unmittelbarer Nähe zu Russland, und wenn Norwegen sagt: Oh, wir werden der NATO alles auf einmal zur Verfügung stellen. Wie lange würden die Russen brauchen, um jede einzelne militärisch nützliche Stellung in Norwegen zu pulverisieren? Wie lange würden sie brauchen, um alle Hafenanlagen in Norwegen, Schweden und Finnland zu zerstören? Ein paar Tage? Ein paar Wochen? Und dann? Wie repariert man sie? Wie erholt man sich? Wie startet man dann offensive Operationen?

Die Menschen denken nicht über diese Dinge nach. Ich kann Ihnen garantieren, dass der russische Generalstab diese Dinge durchdacht hat. Ich kann Ihnen garantieren, dass alles mit hochentwickelter konventioneller Präzisionsmunition beschossen wird.

Ist das wirklich der Weg, den wir einschlagen wollen?

Wir haben noch gar nicht über die langfristigen strategischen Folgen für den Westen, Russland und die Welt gesprochen: Die wirtschaftlichen Verwerfungen, die schon jetzt schwerwiegend sind, aber schnell noch viel schlimmer werden. Ich denke also, dass es in Washington an rationalem Denken mangelt und dass aus Berlin, Paris oder London keine große Hilfe kommt. Ich habe nichts gehört. Auch aus Oslo, Stockholm oder Helsinki habe ich noch nichts Vernünftiges gehört. Gott helfe uns allen, denn das macht Alles keinen Sinn!

Glenn Diesen:

Nein. Ich stelle das gleiche Fehlen von Logik fest. Ich denke, das liegt zum Teil an der Art und Weise, wie die Medien arbeiten. Wenn die Leute einfach ganz offensichtliche Fakten nennen würden: Russland betrachtet die NATO als eine existenzielle Bedrohung. Sie werden keinen Rückzieher machen. Sie werden nur weiter eskalieren. Man darf dieses Argument gar nicht vorbringen, weil man damit Russlands Invasion legitimieren würde. Man stößt also auf eine sehr merkwürdige Mauer, an der man kein Argument formulieren kann, das das, was getan wird, kritisiert. Es ist also eine seltsame Position.

Aber wie könnte Russland Ihrer Meinung nach auf andere Weise reagieren? Denn aus Russland höre ich immer wieder, dass dies eine andere Art von Krieg mit anderen Regeln ist, da es sich um einen Stellvertreterkrieg handelt. Die Amerikaner und die NATO bringen sich in die Lage, in der sie Russen töten und die russische Armee schwächen können, aber Russland kann gegen sie nicht zurückschlagen. Und das ist natürlich das Problem: Es gibt dann keinen Anreiz für die westliche Seite und oder für Washington, weil   – na ja, in Europa tun wir, was Washington uns sagt   – es gibt keinen Anreiz für Washington, mit den Russen zu verhandeln.

Russland muss also einen Weg finden, Amerika so zu schaden, dass dieses sich nicht straflos verhalten kann, wenn Sie so wollen. Gibt es noch andere Möglichkeiten, wie Russland die Vereinigten Staaten außerhalb der Ukraine treffen kann, über die die Russen vielleicht schon nachgedacht haben?

Douglas Macgregor:

Nun, eines der Dinge, vor denen viele von uns, die nicht auf der Seite dieses Krieges stehen, vom ersten Tag an seit Januar 2022 gewarnt haben, ist, dass die Russen das Potenzial oder die Fähigkeit zur horizontalen Eskalation haben. Das heißt Kuba, Mexiko, Nicaragua, Kolumbien, Venezuela — das sind Orte, wo die Russen Freunde und Verbündete haben, wo sie Fähigkeiten und Ressourcen positionieren können, die gegen uns eingesetzt werden können. Wenn ich "Fähigkeiten und Ressourcen" sage, suchen Sie sich etwas aus. Man kann fast alles, was man will, in Mexiko, Kuba oder im größten Teil Lateinamerikas einsetzen und gegen die Vereinigten Staaten loslassen. Es ist niemand da, der sie aufhalten kann.

Die Kartelle werden insbesondere dann mit den Russen zusammenarbeiten, wenn sie glauben, langfristig davon profitieren zu können. Strategisch sind Kriminelle immer bereit, mit jedem zusammenzuarbeiten, wenn sie denken, dass dies ihre Position verbessern wird. Darüber hinaus, denken Sie daran: Wir lassen Millionen von Menschen in unser Land, über die wir nichts wissen. Wir haben unkontrollierte Grenzen. Wir haben offene Häfen. Unsere Küstengewässer werden nicht ständig überwacht. Wir haben hier in den Vereinigten Staaten echte Probleme, die auf vielfältige Weise ausgenutzt werden könnten. Das ist also ein Teil der Antwort.

Die Bereitschaft der Russen, Nordkorea mit modernen Teilen für Interkontinentalraketen, Raketenkörpern und Raketentechnologie zu versorgen, haben Sie schon gesehen. Nordkorea ist jetzt in der Lage, von Nordkorea aus Interkontinentalraketen mit Atomsprengkopf abzufeuern, der die Vereinigten Staaten erreichen können.

Das war in der Vergangenheit nicht der Fall, denn Präsident XI hatte sich unter allen Umständen jedem Versuch widersetzt, diese Fähigkeit Nordkoreas in die Tat umzusetzen. Sie wollten es nicht. China wollte es nicht. Aber China hat eingelenkt und beschlossen dies jetzt zu erlauben, denn auch China fühlt sich von uns bedroht.

Wenn man in Peking sitzt und insgesamt sechs Atom-U-Boote hat und hört die USA von der enormen chinesischen Aufrüstung reden und dass sich die USA auf einen Kampf gegen China vorbereiten sollten, dann entscheidet man sich schliesslich: Wir haben nur sechs Atom-U-Boote, der Rest unserer U-Boote ist Diesel elektrisch und auf Küstengewässer beschränkt, mehr als 100 unserer 300 Schiffe sind reine Küstenwachschiffe für Küstenwasserpatrouillen, der Großteil unserer Flotte ist nicht in der Lage, Langstreckenoperationen durchzuführen, unsere Armeen sind nicht organisiert, um irgendwo hinzugehen und zu kämpfen. Nun, ich denke, wir sollten die Russen unterstützen, denn wenn Russland aus irgendeinem Grund versagt, stehen wir als Nächstes auf der amerikanischen Speisekarte.

Verstehen Sie, was ich sage? Mit anderen Worten: Die Menschen hören zu, was wir sagen. Sie schauen sich an, wofür wir unser Geld ausgeben, und sie schauen sich an, was wir ihnen anzutun bereit sind. Das ist eine Katastrophe! Wir bauen Bündnisse gegen uns auf. Wir veranlassen die Menschen, Maßnahmen zu ergreifen, die sie sonst nicht ergreifen würden, wie das, das wir gerade in Nordkorea gesehen haben.

Jetzt lehnen sich einige Leute zurück und sagen: Nun, die Nordkoreaner sind nicht verrückt. Sie werden keine solche Rakete abfeuern, denn falls sie uns mit einer Atomwaffe angreifen würden, würden wir Nordkorea vernichten. Ich denke, das stimmt, aber trotzdem erschreckt mich die Aussicht, dass ein Staat wie Nordkorea so leistungsfähig ist. Ist das ein Unfall oder Versehen? Natürlich ist das kein Zufall. Das ist ein klares und eindeutiges Signal von Präsident Putin: Wir haben das in Nordkorea getan. Wo sonst noch könnten wir ähnliche Dinge tun? Was für Dinge können die Russen im Nahen Osten unternehmen? Sie haben Freunde im Iran. Sie haben Freunde in vielen Ländern des Nahen Ostens.

Erinnern Sie sich: Die BRICS nehmen nun die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien auf. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate werden mit etwas anderem als Dollars Geschäfte machen. Was bedeutet das für den Petrodollar?

Mit anderen Worten: Wir haben uns selbst enormen Schaden zugefügt, über die gesamte Bandbreite menschlicher Aktivitäten hinweg. Wir scheinen dem überhaupt keine Beachtung zu schenken. Wir denken nicht darüber nach. Wir tun es ab. Wir sind emotional darauf eingeschworen, Russland zu zerstören.

Das ist Wahnsinn, denn wenn man irgendetwas aus einer rationalen Perspektive betrachtet und die Ukraine auf der Karte betrachtet, ist die erste Schlussfolgerung, zu der man kommt: Mensch, das ist wundervoll. Lassen Sie uns eine neutrale Ukraine einrichten. Wenn der Ort neutral ist, bedeutet das Hunderte von Meilen zwischen den NATO-Truppen in Osteuropa und den russischen Truppen in Europa. Ist das nicht eine gute Sache? Natürlich ist es das!

Aber was haben wir getan? Wir haben diese Option zerstört. Wir haben uns gegen diese Option gewehrt, weil das Ziel nicht darin besteht, den Frieden zu fördern, nicht Stabilität zu schaffen, nicht ein Gleichgewicht der Kräfte und Interessen zu finden, mit dem jeder leben kann. Stattdessen geht es uns darum, ein anderes Land zu zerstören. Und warum sollten wir überrascht sein, dass die Russen so reagiert haben, wie sie es tun?

Das ist Wahnsinn. Ich würde genauso reagieren, wie es die Russen mit uns getan hätten, und ich denke, wir sollten von den Russen erwarten, dass sie unsere neuen Angriffe angesichts deren grosser Reichweite in gleicher Weise beantworten.

Glenn Diesen:

Nun, bevor wir aufhören, haben Sie irgendwelche Vorhersagen? Was wird in dieser Biden-Phase passieren? Oder ist das von jetzt an reine Unvorhersehbarkeit?

Douglas Macgregor:

Nun, die Biden-Phase ist wahrscheinlich die letzte Phase, denn die Ukrainer werden nicht mehr viel vor Ort tun können. Die Biden-Phase der Angriffe mit Mittelstreckenraketen mit grosser Reichweite, an der die amerikanischen, französischen, deutschen und britischen Kräfte beteiligt waren und sind: das war es dann wahrscheinlich. Das ist ungefähr alles, was es jetzt noch gibt, und was es wahrscheinlich für eine ganze Weile sein wird. Die Frage ist also: Was machen die Russen dagegen? Und nochmals: Ich weiß es nicht. Aber ich denke, der Anreiz Zurückhaltung zu üben, wie es bisher geschehen ist, ist nicht mehr so groß. Ich denke, der Anreiz zum Handeln ist enorm. Also erwarte ich Taten.

Wo wird das geschehen? Wird es unten in der Gegend um Odessa sein? Wird es in und um Charkow sein? Wird es in der Nähe von Kiew selbst geschehen? Wenn ich von Taten spreche, meine ich russische Streitkräfte. Ich weiß es nicht. Sie haben dort zahlreiche Streitkräfte. Derzeit mangelt es nicht an russischen Soldaten oder militärischen Kapazitäten. Also gehört das Schachbrett im Grunde ihnen.

Glenn Diesen:

Das war sehr aufschlussreich. Vielen Dank für Ihre Zeit, Colonel, und ich glaube, wir sind immer sehr pessimistisch. Aber ich denke, das ist in diesem Krieg gerechtfertigt, also danke nochmals, Colonel, wir schätzen das sehr.

Douglas Macgregor:

Alles Gute, danke gleichfalls.

Weitere Beiträge in dieser Kategorie