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Ist der erweiterte BRICS-Block wirklich eine neue internationale Institution oder nur der Blockfreie Block 2.0?

Von Gilbert Doctorow 02.09.2023 - übernommen von gilbertdoctorow.com
04. September 2023

In der Woche seit dem Abschluss des 15. BRICS-Gipfels in Johannesburg gab es in den westlichen Medien viele Kommentare, die darauf abzielten, die Vorstellung zu widerlegen, dass dort etwas Wesentliches geschehen sei, das die Entstehung einer multipolaren Welt fördern werde, was die Botschaft der fünf Mitgliedstaaten in ihrer Abschlusserklärung gewesen war.

Einige Analysten haben gesagt, dass die Aufnahme von sechs neuen Mitgliedern zum 1. Januar 2024 und die Pläne für eine noch größere Erweiterung im nächsten Jahr, um mehr der 23 Nationen aufzunehmen, die ihr Interesse an einer Mitgliedschaft bekundet hatten, wenig mehr als die Neugründung der Vereinigung der Blockfreien Staaten ist, die während des Kalten Krieges nicht viel mehr als ein Gesprächskreis der Länder des globalen Südens war. Andere Kritiker weisen darauf hin, dass es gravierende Widersprüche zwischen den nationalen Interessen der Gründungsmitglieder Indien und China gibt, und dass dieses Problem auch zwischen den neuen Mitgliedern auftauchen wird, wie zum Beispiel zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, sodass die Chancen, dass die BRICS in politischen Angelegenheiten und insbesondere in geopolitischer Hinsicht zu einem Konsens kommen, gering sein werden; ihr Gewicht auf der Weltbühne werde entsprechend gering sein, sagen sie.

Was die erste Angriffslinie auf die BRICS-Staaten angeht, so werden die Änderungen bei der Gewichtung der Volkswirtschaften und der politischen Position der Länder des globalen Südens seit den 1970er und 1980er Jahren, als die Bewegung der Blockfreien Staaten ihren Höhepunkt erreichte, übersehen. Auf die BRICS-Länder entfallen gegenwärtig 37% des globalen BIP, gemessen in Kaufkraftparität, gegenüber 30% auf die G7. Wenn alle Länder, die jetzt beitreten wollen, aufgenommen werden, wird das mehr als 50 % des globalen BIP und einen noch größeren Anteil an der Weltbevölkerung ausmachen. Jede Politik, die sie der internationalen Gemeinschaft empfiehlt, ist von ihrer Stärke her nicht nur moralisch motiviert, sondern es muss mit ihr gerechnet werden.

Was die zweite Angriffslinie auf die BRICS angeht, so haben die Kommentatoren die Logik ihrer Erweiterung nicht verstanden, die genau darin besteht, Länder, die sich in Konflikten in Regionen von großer Bedeutung befanden, zusammenzubringen und sie mithilfe globaler Peers miteinander zu versöhnen. Die in diesem Frühjahr von China ausgehandelte Aussöhnung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien kann mit Unterstützung anderer BRICS-Mitglieder bei vertraulichen regelmäßigen Treffen auf Arbeitsebene sowie bei den regelmäßigen Gipfeltreffen hinter verschlossenen Türen konsolidiert werden. Dies ist die Friedensmission der BRICS-Staaten, die ad hoc als Ergänzung zu den Vereinten Nationen tätig wird.

Die Lektion ist hier eine, die die Vereinigten Staaten noch nicht begonnen haben zu lernen: dass die Einbeziehung zerstrittener Nationen ein weitaus besserer Weg ist, um politische Mäßigung und Koexistenz zu erreichen, als die Ausgrenzung und Schaffung von "Pariastaaten" durch Sanktionen.

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Mehrere politische Beobachter im Westen haben auf die vor einigen Tagen von den chinesischen Behörden angekündigte Entscheidung hingewiesen, dass Präsident Xi nicht an der nächsten G20-Konferenz in Indien teilnehmen werde. Wie Wladimir Putin scheint Xi in seiner viel beschäftigten Agenda keinen Platz für eine Institution gefunden zu haben, die seit 2009 als effektiveres und weithin akzeptiertes Gremium für globale wirtschaftliche und politische Steuerung und Koordination propagiert wurde als die G7.

Westliche Beobachter haben diese Herabstufung der G20 noch nicht in den Kontext der neuen BRICS-Staaten gestellt. Lassen Sie uns das jetzt tun.

Lassen Sie uns zunächst einen Schritt zurück zu der im März 2014 von den G7-Mitgliedern getroffenen Entscheidung gehen, nicht an dem geplanten G8-Treffen in Sotschi teilzunehmen und Russlands Mitgliedschaft in ihrer Gruppe auszusetzen. Damit sollte Russland dafür bestraft werden, dass es nach dem von den USA inszenierten Staatsstreich in Kiew im Februar 2014 die Kontrolle über die Krim übernommen und diese annektiert hat.

Bestrafung? Ich glaube, es war für Wladimir Putin eine absolute Erleichterung, nicht gezwungen zu sein, sich den sieben anderen Mitgliedern dieses Clubs des kollektiven Westens anzuschließen. Russland war während der G8-Beratungen, die in den Jahren seit Boris Jelzin als Beschwichtigung für die Nichtaufnahme in die NATO die G8-Mitgliedschaft aufgedrängt wurde, stattfanden, auf Schritt und Tritt in der demütigenden Minderheit. Diese Suspendierung ersparte Putin die Notwendigkeit, als erster die zutiefst unangenehmen und unproduktiven Sitzungen zu beenden.

Das letzte G20-Treffen in Indonesien im November 2022 hat gezeigt, dass dieser Club stark unter den geopolitischen Bruchlinien zwischen Russland und China auf der einen Seite und den Mitgliedern des Westens auf der anderen Seite litt. Die Verbitterung und Politisierung aller Themen auf der Tagesordnung haben den Nutzen solcher Treffen gefährdet. Ist es daher eine Überraschung, dass sowohl Russland als auch China demonstrativ entschieden haben, ihre obersten Beamten nicht zum Gipfel zu entsenden, und dass diese Entscheidung in der Folge des sehr erfolgreichen BRICS-Treffens in Südafrika getroffen wurde?

Die BRICS-Staaten sind genau die Institution, in der sich der Globale Süden formuliert, ohne Zeit und Mühe zu verschwenden und sich gegen den Druck zu verteidigen, den die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten bei jedem internationalen Treffen ausüben, an dem sie teilnehmen.

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Als eine der beiden Supermächte in der bipolaren Welt der Tage des Kalten Krieges war Russland natürlich kein Mitglied der Vereinigung der Blockfreien Staaten, obwohl es dort Freunde suchte. Die UdSSR gewährte den Unabhängigkeitsbewegungen in den europäischen Kolonien, insbesondere in Afrika, erhebliche finanzielle und militärische Unterstützung. Und die neu befreiten Staaten schickten ihre talentierten Jugendlichen zum Studium nach Moskau. Ihre Führer hatten oft eine starke ideologische Affinität zum sowjetischen Marxismus.

Moskaus führende Rolle bei der Gründung und Erweiterung der BRICS-Staaten erklärt sich als viel mehr als der Verlust seines Status als Supermacht und eine zwingende Notwendigkeit, Freundschaft im globalen Süden zu pflegen.

In einem Artikel, der vor einigen Tagen veröffentlicht wurde, erwähnte ich, dass ich gelegentlich neuartige Perspektiven auf Russland und die Weltpolitik von dem einen oder anderen Diskussionsteilnehmer in Russlands Talkshows im staatlichen Fernsehen aufgegriffen habe. Das ist die Quelle dessen, was ich jetzt sagen werde, wenn ich auf den vorstehenden Punkt eingehe, nämlich dass Russlands Herangehensweise an den globalen Süden heute dramatisch anders ist als der Ansatz der UdSSR gegenüber den Blockfreien Staaten und gegenüber den Entwicklungsländern im weiteren Sinne.

Der tiefe Unterschied ist in den Reden von Wladimir Putin vor den afrikanischen Delegationen erkennbar, die hochrangige Gespräche in Moskau führten, bevor die meisten nach Südafrika zur BRICS-Konferenz reisten. Man sieht es wieder in der Rede, die Putin vor dem BRICS-Wirtschaftsforum hielt. Man sieht es in der Sprache der Erklärung, mit der der BRICS-Gipfel abgeschlossen wurde.

Um diesen Unterschied zu verstehen, muss man genau hinschauen und die Denk-Mütze aufsetzen. Es sind nicht nur westliche Medienkommentatoren, die am Thema vorbeigehen. Ich glaube, dass auch der Vorsitzende der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation, Gennadi Sjuganow, das nicht versteht. Wenn er von allen Gästen aus der Dritten Welt umringt ist, die nach Moskau anreisen, scheint er zu denken, dass die guten alten Zeiten der Sowjetunion zurückgekehrt sind.

Das sind sie nicht. Etwas sehr Neues ist im Gange.

Die Ideologie der UdSSR kam aus dem Westen. Der Marxismus, mit oder ohne die Ergänzungen oder Verzerrungen des Leninismus, war tief in das westliche Denken über die Menschheit und die menschliche Gesellschaft eingebettet. Der gemeinsame Nenner ist hier, dass alle Menschen gleich sind, dass die gesellschaftliche Entwicklung im Laufe der Zeit überall auf der Erde den gleichen Weg geht.

Dieses Konzept passt gut zum Globalismus und zum wirtschaftlichen Neoliberalismus. Es passt auch gut zur neokonservativen geopolitischen Ideologie, die niemanden überraschen sollte, da die ursprünglichen neokonservativen Denker in New York ehemalige kommunistische Sympathisanten waren, wie uns Francis Fukuyama in seiner Geschichte der Bewegung erzählt.

Unter dem Druck der 2014 im Namen "der internationalen Gemeinschaft" erstmals eingeführten und seit Beginn der militärischen Sonderoperation 2022 drastisch erhöhten Sanktionsregime lehnt der Kreml nun die Globalisierung dieser von den USA dominierten internationalen Gemeinschaft entschieden ab. Die Entscheidung, die WTO zu verlassen, ist eine Bestätigung dafür.

Russland lehnt heute die Vorstellung eines einheitlichen Entwicklungspfades für die gesamte Menschheit rundheraus ab. Stattdessen sagt Russland, jedes Land solle sich im Einklang mit seinen nationalen Traditionen und Werten entwickeln. Jeder muss seinen eigenen Weg zur Realisierung seines wirtschaftlichen und menschlichen Potenzials finden. Dies ist eine neue und umfassendere Version des Konzepts, dass jeder Staat seine eigene Religion hat, die Nachbarn nicht stören dürfen, wie es im Westfälischen Frieden von 1648 verankert ist. Wie wir wissen, setzen sich Russland und China seit langem auf der Weltbühne für das Prinzip der Nichteinmischung in die Angelegenheiten souveräner Staaten ein. Nota bene: Westfalen hat eine Welt souveräner Staaten angenommen, während Europa dies beiseitegeschoben hat, als die Europäische Gemeinschaft zur Europäischen Union wurde.

Russland erwartet, dass dieser neue Ansatz gegenüber dem globalen Süden als Verteidiger der Souveränität und Eigenart jeder Nation sie und die BRICS zu einem viel attraktiveren Partner für den globalen Süden macht, als es die UdSSR zu ihrer Zeit war, oder als es der kollektive Westen mit seiner Arroganz und neokolonialen Vorurteilen heute sein kann.

Quelle: https://gilbertdoctorow.com/
Mit freundlicher Genehmigung von Gilbert Doctorow
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus

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