Skip to main content

Bhadrakumar: Indiens Solidarität mit Israel ist unhaltbar

29. Oktober 2023 M. K. Bhadrakumar - übernommen von indianpunchline.com
30. Oktober 2023

indian.jpgDie UN-Generalversammlung hielt eine außerordentliche Sitzung ab, um die Lage im Gazastreifen zu erörtern, New York, 28. Oktober 2023

Indiens muskulöse Diplomatie, ein Merkmal der gegenwärtigen Regierung, ist in eine schwierige Phase geraten. Dies zeigen die zahlreichen Tiefschläge   – der Streit mit Kanada, der Triumph der Malediven über die Vertreibung indischer Soldaten, die Normalisierung der Beziehungen zwischen China und Bhutan usw.   –, die von vielen Seiten kamen.

Hinzu kommt der jüngste diplomatische Fauxpas bei der UN-Vollversammlung im Zusammenhang mit der Lage in Gaza und ein damit zusammenhängender Schock, den Katar in der vergangenen Woche hervorgerufen hat. Doha hat acht indische Ex-Marineoffiziere zum Tode verurteilt, weil sie für Israel spioniert haben sollen.

Wie auch immer man die Erklärung zur Abstimmung über die Resolution der UN-Generalversammlung am Donnerstag zu Gaza betrachtet, Indiens Stimmenthaltung war ein Fehler. Einfach ausgedrückt: Unsere Diplomatie hat sich in unserer Solidarität mit Israel verfangen.

Für Indien hätte bei der Debatte in der Generalversammlung der Vereinten Nationen an erster Stelle stehen müssen, dass der Entwurf von den arabischen und OIC-Ländern vorgelegt wurde, zu denen Indien brüderliche Beziehungen unterhält, und zweitens, dass darin eine "sofortige, dauerhafte und anhaltende humanitäre Waffenruhe" im Gazastreifen gefordert wird, was eine dringende Notwendigkeit darstellt.

Dennoch übertraf Frankreich die indische Diplomatie, was die Notwendigkeit einer kreativeren UN-Diplomatie auf unserer Seite deutlich macht. Frankreich hat sich nicht nur dafür eingesetzt, dass der Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober in dem Entwurf erwähnt wird, sondern Präsident Emmanuel Macron hat bei seinem jüngsten Besuch in Tel Aviv sogar ein Bündnis gleichgesinnter Länder vorgeschlagen, um die Hamas militärisch zu bekämpfen.

Doch als es darauf ankam, stimmte Frankreich schließlich für die arabische Resolution und gab eine Erklärung zur Abstimmung (Explanation of Vote   – EoV) ab, in der es dies rechtfertigte. Aus französischer Sicht besteht die dringende Notwendigkeit, die Kämpfe zu beenden, und die zwingende Realität zeigt, wie wichtig es ist, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, wenn es um die Krise im Nahen Osten geht, wo viel auf dem Spiel steht. Der Punkt ist, dass letztendlich die eigentliche Abstimmung und nicht der EoV im Vordergrund steht.

Es war offensichtlich, dass der kanadische Änderungsantrag   – auf Geheiß Israels und mit Unterstützung Washingtons aus dem Hintergrund   – ein ungeschickter Versuch war, die Stimmen zu spalten, indem er dazu aufrief, "die Terroranschläge der Hamas unmissverständlich zurückzuweisen und zu verurteilen". Der pakistanische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Munir Akram, hat in einer bemerkenswerten Rede, die viel Beifall fand, auf diesen Widerspruch hingewiesen: Wenn Kanada bei seinem Änderungsantrag hätte fair sein wollen, hätte es sich bereit erklären müssen, Israel und die Hamas zu nennen. "Wir alle wissen, wer damit angefangen hat. Es sind 50 Jahre israelische Besatzung und das ungestrafte Töten von Palästinensern", argumentierte Akram, daher sei es am besten, keine der beiden Seiten zu nennen.

Es scheint, dass Indien von Akrams Intervention bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen während des Tagesordnungspunkts 70, Recht auf Selbstbestimmung, überrascht war, als er die Palästina-Frage und das Kaschmir-Problem nachdrücklich miteinander verband. Leider hat Indiens Stimmenthaltung nur Pakistan die zentrale Bühne überlassen. Das könnte Folgen haben. Ein kluger Kurs wäre gewesen, sich eindeutig mit der Haltung der arabischen Länder zu identifizieren, da es sich um ein zentrales Thema für sie handelt und es sich in erster Linie in ihrer Region abspielt.

Indien hätte einkalkulieren sollen, dass die Stimmung in der westasiatischen Region hochkocht und die US-israelische Propaganda, die arabische Welt habe die palästinensische Sache nur als Lippenbekenntnis betrachtet, nicht zutrifft. Die Wut und der Ärger unter den Staaten der Region sind unübersehbar, und es hat sich eine breite Öffentlichkeit gebildet, die eine Lösung der Palästina-Frage als unabdingbare Voraussetzung für die regionale Stabilität fordert.

Grundsätzlich haben sich die tektonischen Platten in der regionalen Politik nach der saudi-iranischen Annäherung unter Vermittlung Chinas verschoben, was wiederum ein neues Denken in Westasien ausgelöst hat, das die Konzentration auf die Entwicklung vorantreibt. Ebenso ziehen es die Staaten der Region vor, ihre Probleme zunehmend aus eigener Kraft und ohne Einmischung von außen zu lösen. China und Russland haben dies verstanden, aber die USA weigern sich, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

Daher wird es sich als schädlich für unsere Interessen erweisen, wenn sich der Eindruck herauskristallisiert, dass die Inder "carpetbaggers" (politische Abenteuerer   – Trittbrettfahrer) sind. Die indisch-israelische Verschmelzung im letzten Jahrzehnt ist in den muslimischen Ländern nicht unbemerkt geblieben. Vielleicht nehmen sie es übel, aber es wird vielleicht nicht ins Auge springen, weil die Araber ein gastfreundliches Volk sind. Dennoch könnte ihr Unmut aufkommen, wenn es hart auf hart kommt und ihre Kerninteressen betroffen sind.

Der Versuch der USA und Israels, die wachsende strategische Autonomie der Region zu unterbinden, ist ein solches Kernproblem. Es ist keineswegs so, dass die Staaten der Region   – ob Katar, Iran, Ägypten, Syrien oder sogar die Türkei   – nicht verstehen, dass die großspurige Idee der Biden-Administration eines Wirtschaftskorridors zwischen Indien, dem Nahen Osten und Europa in Wirklichkeit ein Keil ist, der die aufkeimenden Einigkeitstendenzen zwischen den Staaten der Region stören soll, um Israel in die regionalen Prozesse einzuschleusen und die Flamme der sektiererischen Spaltung und der geopolitischen Gräben neu zu entfachen, die die USA in der Vergangenheit immer ausgenutzt haben, um ihre Hegemonie in Westasien durchzusetzen.

Deshalb wird das Spionage-Debakel Katar-Indien-Israel, das niemals hätte passieren dürfen, zu einem Lackmustest für die gegenseitigen Absichten in der Geopolitik der Region. Damit es nicht in Vergessenheit gerät: Katar und Israel hatten seit Mitte der neunziger Jahre zusammengearbeitet, um die Hamas als islamistisches Gegenmittel zur säkular orientierten PLO unter Jassir Arafat zu unterstützen.

In einem Interview mit der Deutschen Welle erklärte der frühere israelische Premierminister Ehud Olmert kürzlich unter anderem: "Wir wissen, dass die Hamas mit Hilfe Israels finanziert wurde   – jahrelang   – mit Hunderten von Millionen Dollar, die aus Katar kamen, mit Hilfe des Staates Israel, mit vollem Wissen und Unterstützung der israelischen Regierung unter Netanjahu."

Diese Annäherung   – oder besser gesagt der faustische Pakt   – endete 2009 nach dem dreiwöchigen Gaza-Massaker durch Israel, woraufhin sich Doha Teheran annäherte. Trotzdem wurden die pragmatischen Beziehungen fortgesetzt, und 2015 vermittelte die katarische Regierung Gespräche zwischen Israel und der Hamas in Doha, um einen möglichen fünfjährigen Waffenstillstand zwischen den beiden Parteien zu erreichen. Es genügt zu sagen, dass die indische Diplomatie in haifischverseuchten Gewässern schwimmt. Die Nachrichten aus Doha in dieser Woche sind ein Weckruf.

Auch unser öffentlicher Diskurs über die Hamas als terroristische Organisation und unsere Brandmarkung dieser nationalen Befreiungsbewegung ist, gelinde gesagt, surreal. Auch wenn es der Regierung heute schwerfallen mag, offen mit der Hamas umzugehen, sollte es nicht daran liegen, dass uns ein angemessenes Verständnis des Islamismus fehlt. Sollte es jemals zu einer Einigung in Palästina kommen, wird die Hamas als Quelle des Widerstands eine führende Rolle darin spielen. Die politische Elite Indiens muss sich dieser Realität bewusst sein.

Es ist nicht mehr möglich, die Hamas aus der politischen Landschaft zu verdrängen, da sie in der palästinensischen Bevölkerung eine große Unterstützung genießt, was die aufeinanderfolgenden Wahlen im Gazastreifen und im Westjordanland bewiesen haben.

Quelle: ttps://www.indianpunchline.com/indias-solidarity-with-israel-is-untenable/
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus

Weitere Beiträge in dieser Kategorie