Seniora.org - Kapitalismus

Albert Einstein: Mehr Verantwortungsgefühl für die Mitmenschen!

Zwei Jahre vor seinem Tod wünschte sich der berühmteste Wissenschaftler aller Zeiten mehr Sozialismus. Auch heute hochaktuell.
Christian Müller / 25.12.2021 InfoSperber
Es gibt Zufälle, die vielleicht keine sind. Klassentreffen in Bern. Gemeinsamer Besuch im  – für die meisten bisher unbekannten  – Einstein-Haus an der Kramgasse 49. Dazu ein äusserst informatives Referat von Prof. Dr. Hans-Rudolf Ott, Präsident der Einstein-Gesellschaft. Im lockeren Gespräch beim gemeinsamen Mittagessen, natürlich auch über das Gesehene und Gehörte, plötzlich die Frage: Warum sind in diesem kleinen Museum sogar familiäre Details ein Thema  – etwa dass Albert Einstein zuerst ein uneheliches Kind hatte  –, aber nirgends ist zu lesen, dass er ein Jude war? Auch das gehört doch zur Familiengeschichte! Gibt es da etwas zu verbergen?

 Albert Einstein
Albert Einstein, 1879-1955: Physiker, Nobelpreisträger, Friedensaktivist und Menschenfreund © Common

Geschätzte Seniora-Leserin, geschätzter Seniora-Leser,
Einstein spricht das grosse Thema «Individuum und Gemeinschaft» an und erwähnt auch «die soziale Natur des Menschen». Allerdings wusste er nicht, dass die irrtümliche Trieblehre Freuds («die egoistischen Triebe der Veranlagung», «die sozialen Triebe, die von Natur aus schwächer sind») durch Alfred Adler, die Neo-Psychoanalyse und die Entwicklungspsychologie inzwischen überholt worden war. Heute wissen wir mehr über die Sozialnatur des Menschen, die, wenn in der Erziehung nicht gebremst, zu erstaunlichster Hilfsbereitschaft, Mitmenschlichkeit und Empathie fähig ist. Was für ein Satz: «Ich bin überzeugt, dass es nur einen Weg gibt, diese gravierenden Übel zu beseitigen, nämlich durch die Errichtung einer sozialistischen Wirtschaft, begleitet von einem Bildungssystem, das sich an sozialen Zielen orientiert.» Wir sind der Meinung, dass die grundlegenden Überlegungen des grossen Denkers zu Kapitalismus und Planwirtschaft eine Diskussion wert sind, um die heutigen Lebensumstände von uns allen zu verbessern. Mit diesem eindrücklichen Text von Albert Einstein senden wir Ihnen unsere besten Wünsche für ein gutes, friedliches Neues Jahr 2022. Herzlich Margot und Willy Wahl

Der Kronprinz und seine Macht (II)

Der Börsengang des weltgrößten Erdölkonzerns Saudi Aramco steht unmittelbar bevor
German-Foreign-Policy.com - 05. 11. 2019
(Eigener Bericht) - Die Deutsche Bank unterstützt den kurz bevorstehenden Börsengang des weltgrößten Erdölkonzerns Saudi Aramco und trägt damit zur Zentralisierung der Macht bei dem saudischen Kronprinzen Muhammad bin Salman bei. Die zuständigen saudischen Behörden haben am Sonntag grünes Licht für den Börsengang gegeben, der in der ersten Dezemberhälfte durchgeführt werden und zweistellige Milliardensummen in den Staatsfonds PIF spülen soll. Der PIF, der eine zentrale Rolle bei der Finanzierung strategischer Investitionen im Inland sowie strategischer Konzernbeteiligungen im Ausland spielen wird, wird de facto vom Kronprinzen persönlich kontrolliert. Bin Salman ist laut der einhelligen Auffassung von Experten direkt verantwortlich für den Mord an dem saudischen Oppositionellen Jamal Khashoggi in Riads Konsulat in Istanbul. Die Deutsche Bank hat bereits zuvor die Lieferung von Waffen nach Saudi-Arabien finanziert, die im Krieg im Jemen eingesetzt wurden. In der vergangenen Woche war das Kreditinstitut neben weiteren deutschen Firmen auf einer Investorenkonferenz in Riad präsent.

Der profitabelste Konzern der Welt

Die Absahner

Who's who in Hochfinanz und Politik

Geoffrey Geuens in LE MONDE diplomatique, 08.06.2012

Europas Sozialisten wettern immer wieder heftig gegen das Finanzkapital und fordern schärfere gesetzliche Vorschriften, um die weltweite "Herrschaft der Finanzmärkte" einzudämmen. Dabei sollte man allerdings auch wissen, wovon und von wem man redet.

Die Welt von vor zwei Monaten gibt es nicht mehr

Ein Essay, das uns helfen kann, die Umstände und Folgen von COVID-19 für die Menschheit zu verstehen
Von Ignacio Ramonet
Resumen Latinoamericano - Omelio Borroto Leiseca on June 1, 2020 (Maschinen-Übersetzung)
Der Journalist, Schriftsteller und Kommunikationsexperte Ignacio Ramonet hat seine Bewegungsfreiheit eingeschränkt und befolgt strikte Maßnahmen zur sozialen Isolation in Havanna, obwohl er sich bei ausgezeichneter Gesundheit befindet. Doch während er sich scheinbar ausruht, hat er einen Essay verfasst, der bereits Auszeichnungen als ein Werkzeug erhalten hat, das uns helfen kann, die Umstände und Folgen von COVID-19 für die Menschheit zu verstehen: "Vor dem Unbekannten ... Die Pandemie und das Weltsystem".

Ramonet hat uns einige Gedanken vorgelegt, mit dem Ziel, uns dem Verständnis der Auswirkungen der weltweiten Epidemie auf die weltweite Geopolitik und die soziale Kommunikation näher zu bringen:

"Ich würde die Pandemie als eine totale soziale Tatsache definieren. Dabei handelt es sich um ein sozialwissenschaftliches Konzept, das darauf hinweist, dass ein soziales Ereignis mitunter die Fähigkeit besitzt, alle Menschen, alle Institutionen und auch alle Werte der Gesellschaft zu stören. Es gibt nur sehr wenige totale soziale Fakten, aber die Pandemie ist eine davon; sie ist nicht nur eine Gesundheitskrise. Die Frage, die wir uns heute stellen müssen, lautet: Ist es der Neoliberalismus selbst, der eine Mitverantwortung für die Gesundheitstragödie trägt?  Und wenn ja, in welchem Ausmaß?  In dem Maße, in dem der Neoliberalismus der Befürworter der Verkleinerung des Staates ist, und auch in dem Maße, in dem der Neoliberalismus versucht, die Macht auf den Markt zu übertragen und sie dem Staat wegzunehmen".

Guterres und der große Reset: Wie der Kapitalismus zu einer Zeitbombe wurde

"Um es kurz zu machen: Die Periode des Chaos, die 1971 mit der Freigabe des Dollars begann, war niemals Kapitalismus".
Von Matthew Ehret*: Er ist Journalist, Dozent und Gründer der Canadian Patriot Review. Oktober 8, 2021
uncut-news.ch Oktober 8, 2021
strategic-culture.org: Auf der 76. Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 20. September 2021 sprach UN-Generalsekretär Antonio Guterres eine eindringliche Warnung aus:

 „Ich bin hier, um Alarm zu schlagen. Die Welt muss aufwachen. Wir stehen am Rande eines Abgrunds  – und bewegen uns in die falsche Richtung. Unsere Welt war noch nie so bedroht oder so gespalten. Wir stehen vor der größten Kaskade von Krisen, die wir je erlebt haben… Überschuss in einigen Ländern. Leere Regale in anderen. Dies ist ein moralisches Armutszeugnis für den Zustand unserer Welt.“

Auch wenn diese Worte oberflächlich betrachtet sehr zutreffend erscheinen, so lohnt es sich doch zu fragen, woher der systemische Zusammenbruch der Weltwirtschaft und der potenzielle Zusammenbruch der Bevölkerungszahlen kommen, wie es ihn seit dem finsteren Zeitalter des 14. Jahrhunderts nicht mehr gab: Was sind die Hauptursachen für den Absturz in den Abgrund, über den Guterres so besorgt ist?

Minister Heils echt sozialdemokratischer Tiefschlag

Doch kein Wort davon in der Tagesschau: Wiedereinführung des 12-Stunden-Arbeitstages
Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Die Tagesschau meldet am 12. Mai:

„Am Internationalen Tag der Pflege haben Beschäftigte, Gewerkschaften und Verbände für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter geworben“.(1)

Wie süß: „geworben“, sagt der Tagesschau-Sprecher. Nicht: „ultimativ gefordert“. Die Redaktion gibt der milden Sauce noch eine Portion Sülze bei und lässt den Bundespräsidenten direkt in die Kamera säuseln:

„Sie leisten Enormes für unser Land. Dafür danke ich Ihnen aus tiefstem Herzen. Ich würde mir wünschen, dass wir alle uns auch nach der Krise daran erinnern, was Sie für diese Gesellschaft tun.“

Na bravo.

Nochmal, weil es gar so unverbindlich und gestelzt daherkommt: „...würde mir wünschen, dass wir alle uns erinnern.“ Steinmeier wirkt richtig ergriffen, besonders von sich selbst. Dass sein Parteifreund, Arbeitsminister Heil, am 7. April per Verordnung ermöglicht hatte, den „systemrelevanten“ Arbeitnehmern den 12-Stunden-Arbeitstag und die 60-Stunden-Woche abzuverlangen(2), treibt hingegen allenfalls den Ausgebeuteten selbst das Wasser in die Augen. Die Schmocks in der Tagesschau-Redaktion ließ es kalt. Sie verloren kein Wort über diesen typisch sozialdemokratischen Tiefschlag. Wundert sich hier noch jemand?

In den Nachrichtensendungen der ARD-aktuell häufen sich Meldungen über die ökonomischen Auswirkungen des Anti-Pandemie-Regimes  – und über die Forderungen der Wirtschaftslobby nach finanziellem Ersatz und Steuererleichterungen. Das sonst so gern behauptete „Unternehmerrisiko“ taucht in diesem Zusammenhang natürlich nicht auf. Wer tatsächlich die schwersten Lasten zu schultern hat, kommt in dieser Berichterstattung erst recht nicht vor. Es sind, für das kapitalistische System typisch, Mitmenschen ohne nennenswertes Eigentum: abhängig Beschäftigte in Kurzarbeit, Arbeitslose, Rentner, Sozialhilfeempfänger. Ihre Last: Um den „Dank aus tiefstem Herzen“ müssen Kurzarbeiter auf bis zu 40 Prozent ihres Einkommens verzichten und alle zusammen müssen obendrein zu ihrer Bedürftigkeit noch einen rasanten Anstieg der Lebens- und Haushaltsmittelpreise verkraften.

Die Sozialverbände forderten bisher vergeblich, im Rahmen der umfangreichen staatlichen Hilfsmaßnahmen für „die Wirtschaft“ auch den sozial Benachteiligten wenigstens einen monatlichen Zuschlag von 100 Euro zu gewähren und einmalig 200 Euro für krisenbedingte Zusatzausgaben.(3) Die große Koalition in Berlin kümmerte das nicht. Und die Tagesschau berichtete weder über die Forderung des Verbandes noch über die Ignoranz der Regierung.

Das unterscheidet Staatsfunker von seriösen Journalisten.

Bei der Agentur für Arbeit waren Ende April rund 10 Millionen Personen für “konjunkturelle Kurzarbeit” angemeldet. 30 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.

Immer auf den größten Haufen

Die Arbeitsagentur hat 26 Milliarden Euro Rücklagen. Die schmelzen gerade weg wie Schnee in der Sahara. Kurzarbeitsgeld ist allerdings kein Göttergeschenk, erst recht kein Gnadenerweis der Regierung, sondern ein Rechtsanspruch auf Rückzahlung zuvor geleisteter Beiträge an die Arbeitslosenversicherung.

Etwas geschenkt kriegen hier nur die Unternehmer, dafür aber reichlich und ohne Not: Seit Beginn der Krise erstattet die Arbeitsagentur ihnen nämlich, wie von der Bundesregierung verfügt, die kompletten Sozialabgaben auf kurzarbeitsbedingt entfallende Arbeit. Zu 100 Prozent; früher waren es nur die dem Beitragsanteil der Arbeitgeber entsprechenden 50 Prozent gewesen. Wir reden hier über ein Geschenk im Wert von rund 10 Milliarden Euro(4).

Doch kein Wort davon in der Tagesschau.

Dort herrscht die gewöhnliche Meinungsmache von Politikern und „Finanzexperten“, die sich nach Belieben spreizen und in ihren Ansichten widersprechen dürfen, zur Erkenntnisförderung des Publikums und sachlich begründetem Problembewusstsein jedoch wenig bis gar nichts beitragen.

Wie nicht anders zu erwarten, huldigt die Redaktion ARD-aktuell den von der Bundesregierung entwickelten Maximen und verwendet ihre üblichen Denkschablonen. Mit abfälligen Pauschalurteilen  – „Verschwörungsideologen!“  – zieht sie über Bürgerproteste und die alternativen Medien her(5) und betreibt Feindbildpflege. Sie ignoriert, dass sich in der oppositionellen Szene inzwischen auch nachdenkliche, diskussionsfähige und damit ernst zu nehmende Zeitgenossen äußern(6) und nicht nur die vielen orientierungslosen Spinner tummeln.

Die Redaktion verschweigt andererseits, dass sich viele neoliberale Wirtschafts-Exponenten mit ihren Forderungen bei den Demagogen und rechten Ultras eingereiht haben. Jene Kräfte also, deren Druck sich politische Mollusken wie der CDU-Vorsitz-Kandidat Laschet und der Grünen-Ministerpräsident Kretschmann willig beugen und bei der riskanten „Lockerung“ der Kontaktsperren miteinander wetteifern.(7) 

Einäugige Nachrichtengestaltung

Sozialen Themen widmet sich die ARD-aktuell hingegen auch in Krisenzeiten nur ausnahmsweise und noch seltener mit aufklärerischem Anspruch. Berichte über die sozialen Aspekte der Pandemiebekämpfung dienen mehr zu illustrativen als  informatorischen Zwecken. Das Leben der tatsächlich Armen bleibt daher weitgehend ausgeblendet. Vielmehr werden  – unter „gutbürgerlichen“ Aspekten  – die Irritationen wegen geschlossener Kitas oder die Umstände des Arbeitens im Home-Office abgehandelt. Da geht´s um die vermeintlichen Sorgen der gut ausgebildeten Mittelschichtler aus dem Blickwinkel des „hippen Großstadtmilieus“, wie die Linke-Politikerin Sarah Wagenknecht es nannte.(s.u.a. 8, 9, 10)

In diesem Nachrichtenangebot spielt auch das private Leben jener „systemrelevanten“ Arbeitnehmer kaum eine Rolle, denen in Krisenzeiten nun zusätzlich die Ausdehnung ihrer Wochenarbeitszeit auf 60 Stunden zugemutet wird.

Übrigens: Welche Tätigkeiten als „relevant“ betrachtet werden und warum, auch das entzieht sich dem Blick der Öffentlichkeit. Dazu trägt die ARD-aktuell mit ihrer ignoranten und ignorierenden Berichterstattung fraglos erheblich bei. Man denkt bei „systemrelevant“ ans Krankenhauspersonal, an Polizei und Feuerwehr, allenfalls noch an die Beschäftigten im Supermarkt  – und ahnt nicht einmal, dass man damit kaum die Hälfte des Spektrums erfasst. Eine vollständige Liste der fraglichen Tätigkeiten wurde von der ARD-aktuell nicht veröffentlicht, auch nicht in ihrem diskreten Internet-Portal tagesschau.de. Hier ist sie:  

Herstellen, Verpacken einschließlich Abfüllen, Kommissionieren, Liefern an Unternehmer, Be- und Entladen und Einräumen von Waren des täglichen Bedarfs, Arzneimitteln, Medizinprodukten und weiteren apothekenüblichen Waren, Produkten zur Eingrenzung, Bekämpfung und Bewältigung der COVID-19-Epidemie, Stoffen, Materialien, Behältnissen und Verpackungsmaterialien zur Herstellung und zum Transport der genannten Waren, Mittel und Produkte; Medizinische Behandlung und Pflege, Betreuung und Versorgung von Personen; Not- und Rettungsdienste, Feuerwehr und Zivilschutz, Aufrechterhalten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie der Funktionsfähigkeit von Gerichten und Behörden; Energie- und Wasserversorgungsbetrieben, Abfall- und Abwasser-Entsorgungsbetrieben; Landwirtschaft und Tierhaltung, Einrichtungen zur Behandlung und Pflege von Tieren; Sicherstellung von Geld- und Werttransporten und Bewachung von Betriebsanlagen; Aufrechterhalten der Funktionsfähigkeit von Datennetzen und Rechnersystemen; Apotheken und Sanitätshäuser im Rahmen der zugelassenen Ladenöffnungszeiten und bei erforderlichen Vor- und Nacharbeiten sowie Abhol- und Lieferdienste von Apotheken und Sanitätshäusern.(11)

Mit Lug und Trug

Dass in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem auch den „systemrelevanten“ Arbeitnehmern nichts, aber auch gar nichts geschenkt wird, was über einen feuchten Händedruck hinausgeht, zeigt sich in unseren Tagen nur dem, der sich selbst um Einblicke bemüht. Ins öffentliche Bewusstsein rückt es nicht, vor allem weil die Tagesschau ihrer Informationspflicht nicht nachkommt.

Ende März hatte Bundestagspräsident Schäuble das Parlament zu stürmischem Beifall eingeladen, zu standing ovations in Würdigung der aufopfernden Leistungen der Arbeitnehmer im Gesundheitswesen. Zur gleichen Zeit wurde jedoch unter dem täuschenden Namen „Sozialschutzpaket“ jene Gesetzesänderung vorbereitet, mit der die Exekutive ermächtigt wurde, massiv in unseren Alltag einzugreifen. Angeblich sollte das dazu dienen, Härten infolge der Corona-Krise abzumildern, daher der trügerische Titel „Sozialschutzpaket“. Orwell lässt schön grüßen.

Die Tagesschau schob ihrem zahlenden Publikum sogar die kontextfreie Nachricht unter, dass insbesondere private Krankenhäuser Kurzarbeit angemeldet hätten  – während hintenherum die 60 Stunden-Woche wiedereingeführt wurde.(12) Penetranter als in den hier angesprochenen Vorgängen und Umständen hätten sich die Menschenfeindlichkeit eines kapitalistischen Gesellschaftssystems sowie die soziale Inkompetenz und Unverfrorenheit seiner Fachminister kaum zeigen können; der Redaktion ARD-aktuell geht das trotzdem an gewissen Körperteilen vorbei.

Kurzarbeit in Krankenhäusern  – inmitten einer Pandemie? Dass der Privatwirtschaft das letzte Mittel recht ist, jeden Cent bei den sozialen Kassen abzuzocken, beweist der Asklepios-Konzern in einer Presserklärung: “Der Schutzschirm der Bundesregierung hat Löcher.”(13) Der „Schutzschirm“ sieht unter anderem vor, dass Kliniken für die sicherheitshalber freizuhaltenden Betten 560 Euro pro Tag bekommen. Das, so Asklepios, sei zu wenig.

Nicht nur dieser Konzern, sondern die gesamte Branche machte hoch angesetzte Einnahmeausfälle geltend, weil in ihren Spezialkliniken häufig aufwändige und damit teurere Eingriffe durchgeführt würden, ebensolche wie in den Uni-Krankenhäusern. ARD-aktuell berichtete zwar über die Forderungen, jedoch ohne kritische Distanz. Als handle es sich um etwas Unabänderliches  – und nicht um das vorhersehbare (und von vielen Mahnern vorhergesagte!) Ergebnis der zerstörerischen Privatisierungspolitik im Gesundheitswesen.

Wie so oft lieferte das politische Kabarett mehr Information darüber als die Nachrichtensendungen. Das ZDF-Angebot Die Anstalt deckte eine Serie von Täuschungsmanövern rund um die angeblich notwendigen Krankenhaus-Privatisierungen auf und beschrieb, wie schamlos sich einflussreiche Personen und Organisationen am „Geschäft mit der Krankheit“ bereichern: 

„Durch Gerhard Schröders Reformen haben sich die Liegezeiten in deutschen Krankenhäusern erheblich verkürzt, das Pflegepersonal wurde reduziert, es gibt weniger Betten.... dennoch steigen die Kosten. Vier private Krankenhauskonzerne: (Helios, Asklepios, Rhön-Klinikum, Fresenius) haben 2018 einen Gesamtgewinn von einer Milliarde Euro gemacht, mit öffentlichen Geldern. Mit dem Geld hätte man 22 000 Pflegerinnen finanzieren können.“(14) 

Eine Ausgeburt von Verlogenheit, Heuchelei und Unmoral ist auch die aktuelle Debatte über die Zahlung einer Prämie an die “systemrelevanten” Kräfte in der Altenpflege.(15) Das Durchschnittsgehalt für die physisch und psychisch sehr belastende Arbeit in diesem Berufsfeld liegt bei weniger als 2 600 Euro brutto. Es soll, erbärmlich genug, mit einer einmaligen steuerfreien Krisen-Sonderzahlung von 1500 Euro aufgestockt werden. 1000 Euro wurden vom Gesetzgeber verfügt, zu zahlen von den Pflegekassen; wer für die noch fehlenden 500 Kröten aufkommen soll, bleibt vorerst umstritten. Wie die Pflegekassen ihre Auslage ersetzt bekommen, ebenfalls.(15)

Herrschaft des Geldadels

Von der zunehmend notwendigen Rückführung des gesamten Gesundheitswesens in die Öffentliche Hand, erforderlichenfalls mittels Enteignung der privaten Krankenhauskonzerne und Klinikbetreiber, ist keine Rede. Auch nicht von einer Reform der Krankenversicherung mit ihrer Zwei-Klassen-Realität  – nicht einmal zu Pandemiezeiten. Für die Unterdrückung eines solchen Diskurses stehen die öffentlich-rechtlichen Nachrichtenredaktionen. Sie nämlich sind systemrelevant  – für die Herrschaft des Geldadels.

Einige marginale kritische Beiträge in Funk und Fernsehen auf gar zu unauffälligen Sendeplätzen taugen nicht als Gegenbeweis. Nur dort konnte beispielsweise ein gesellschaftskritisch argumentierender junger Mann wie der 23jährige Altenpfleger Alexander Jorde zu Wort kommen, obwohl dessen treffliches Resümee weit größere Aufmerksamkeit verdient gehabt hätte:

„Derjenige, der in einem Parlament sitzt, der hat die Mittel, der hat die Möglichkeiten, etwas zu verändern, und das tut er nicht. Und sich dann hinzustellen und zu klatschen und zu sagen: ‚Das ist jetzt unsere Wertschätzung für euch.’ Die kann der behalten, die möchte ich nicht.“(16)

Jordes Fazit zeigt, wie jämmerlich es um Dankbarkeit und Anstand der politisch Verantwortlichen gegenüber den „systemrelevanten“ Malochern tatsächlich bestellt ist.

Ganz anders ihr Verhalten gegenüber den Automobil-Bossen: Die wurden sogar für voll genommen, als sie beim „Autogipfel“ per Videokonferenz mit der Kanzlerin in Berlin auch noch milliardenschwere Kaufprämien für ihre Neuwagen verlangten, unabhängig von deren Umweltverträglichkeit.(17) Die dreisten Bittsteller genießen bereits die Segnungen des Kurzarbeitergeldes und schieben trotzdem ungerührt ihren Aktionären Milliarden an Dividende in den Rachen. Und den können Superreiche wie die Familien Klatten und Quandt offenbar niemals voll genug kriegen. Davon war im Tagesschau-Bericht über den „Autogipfel“ natürlich keine Rede.(18)

Das Sein bestimmt das Bewusstsein

Dass nicht nur die Belange der Armen, sondern auch die der “systemrelevanten” Beschäftigten in den Nachrichten von ARD-aktuell weitgehend unberücksichtigt bleiben, hat böse, aber systemische Gründe. Zum einen wissen hochbezahlte Tagesschau-Redakteure nicht aus eigenem Erleben, was es heißt, sich bei sehr bescheidenen Einkünften in dieser Krisenzeit auch noch ausbeuten lassen zu müssen. Zum anderen sehen sie sich gehalten, Spurtreue im Sinne der Regierung zu zeigen. Kanzlerin Merkel haben sie als vorbildliche „Mutti der Nation“ darzustellen; undenkbar, die kleinen und großen Schweinereien von Muttis Regierung in den Nachrichtensendungen auch nur anzudeuten.

Unsere ganovenhafte politische Realität zu durchleuchten ist nicht die Sache der Tagesschau. In deren Sendungen dürfen nur Zyniker und Selbstdarsteller wie Spahn, Heil, Altmaier oder Lindner ihr verbales Wässerle abschlagen. Im Sonderfall auch mal die Kanzlerin und der Bundespräsident.

Leitmotiv: Nichts Aufklärerisches zur Primetime! Die Tagesschau ist doch ausschließlich der Information gewidmet. Basta!

Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-37055.html

(2) https://www.haufe.de/personal/arbeitsrecht/covid-19-arbeitszeitverordnung-neue-hoechstarbeitszeit_76_514024.html

(3) https://www.der-paritaetische.de/fachinfo/sozialschutzpaket-ii-paritaetischer-kritisiert-soziale-schieflage-der-staatlichen-hilfsmassnahmen-in/

(4) https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kurzarbeitergeld-kosten-ba-1.4897602

(5) https://www.tagesschau.de/investigativ/zapp/hygiene-demos-101.html

(6) https://egon-w-kreutzer.de/anti-kontaktbeschraenkungs-demonstrationen

(7) https://www.weka.de/einkauf-logistik/lockdown-oder-lockerung-umgang-mit-corona-massnahmen-in-wirtschaftskreisen-umstritten/#Scharfe_Kritik_vom_HDE

(8) https://www.tagesschau.de/inland/coronakrise-homeoffice-101.html

(9) https://www.tagesschau.de/inland/corona-homeoffice-heil-101.html

(10) https://www.tagesschau.de/ausland/interview-chatman-home-office-101.html

(11) https://www.bund-verlag.de/corona/corona-arbeitnehmer

(12) https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/krankenhaeuser-kurzarbeit-101.html

(13) s.a. https://www.merkur.de/lokales/bad-toelz/bad-toelz-ort28297/toelzer-asklepios-klinik-kritisiert-spahns-rettungsschirm-13612103.html

(14) https://www.zdf.de/comedy/die-anstalt/die-anstalt-vom-5-mai-2020-100.html

(15) https://www.mdr.de/sachsen/corona-bonus-klinik-verdi-koepping-100.html

(16) https://www.ndr.de/fernsehen/After-Corona-Club,sendung1043196.html

(17) https://www.tagesschau.de/wirtschaft/auto-industrie-kaufpraemie-103.html

(18) https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-36939.html

https://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19158.pdf (S.48-70)

Das Autoren-Team: 

Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.

Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 Mitarbeiter des NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1992 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehrauftrag an der Fu-Jen-Universität in Taipeh.

Anmerkung der Autoren:

Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert: https://publikumskonferenz.de/blog

Rainer Mausfeld zu den „Gelbwesten“, Neoliberalismus, Migration und Elitendemokratie

Jasmin Kosubek spricht mit dem Psychologie-Professor über die Bewegung der Gelben Westen in Frankreich und fordert seine kritischen Thesen zum Neoliberalismus heraus.
RTDeutsch 14. 12. 2018
Der emeritierte Professor für Psychologie, Rainer Mausfeld, begeistert mit seinen Vorträgen zu Manipulationstechniken in Medien und Politik und zieht damit ein Millionenpublikum an. So vertritt Mausfeld zum Beispiel die These, dass sich die repräsentative Demokratie der westlichen Welt zu einer neoliberalen Elitendemokratie entwickelt hat und stellt Begriffe und Systeme in Frage, die man sonst als gegeben ansieht.

Video 1:40:34 - 222.043 Aufrufe

Kapitel:
00:50 Protest der „Gelben Westen“
19:40 Eliten und Machteliten
25:45 Täter und Opfer  – Wer entscheidet?
32:35 Pflicht des Bürgers, sich selbst zu informieren
44:55 Demokratisierung der Demokratie 49.00 Direkte Demokratie als Lösung?
52:49 Frage der Repräsentanz im Parlament  – Wo sind die LKW-Fahrer?
55:10 Annegret Kramp-Karrenbauer
57:00 Migration und der Neoliberalismus
1:04:44 Rechtspopulismus, Heimat und Nation
1:10:30 Neoliberalismus
1:22:00 Kritik an Mausfeld
1:38:10 Utopie

Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=mdchIFjToG8

Streicht die Schulden!

Conrad Schuhler

Die derzeitige Schulden- und Wirtschaftskrise ist kein Betriebsunfall des aktuellen Wirtschaftssystems. Sie ist die logische Folge der Gesetze dieses Systems. Wenn wir solche Krisen überwinden wollen, müssen wir die Strukturen unserer Wirtschaft ändern.

Unbedachte Schreiber, bedenkliches Ausforschen

Zweifel an Sinn und Methodik der Kapitalismus-Studie der BBC: Manipulation und Kontrolle als Untersuchungszwecke?

von Volker Bräutigam

„Nur elf Prozent pro Kapitalismus“ schrieben die einen. Die anderen titelten „Immer mehr Menschen lehnen den Kapitalismus ab“.

Von Gorillas und Hyänen: Ein Ex-Topmanager beleuchtet die Abgründe der neofeudalen Eliten

Hans-Christian Lange gehörte selbst einmal zu den einflussreichen Kreisen, die über die Geschicke des Landes und der Welt bestimmen. Um nicht selbst zum Raubtier zu werden, wechselte er die Seiten. Mit seinem neuen Buch liefert er ein Psycho- und Soziogramm der herrschenden Geld- und Politikkaste und postuliert: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.“ Im Interview mit den NachDenkSeiten spricht der Politikaktivist über Raffzähne, die sich in Bunkern verschanzen, verstoßene „Eimermenschen“ sowie neoliberale Ökos und Fundis. Seinen Optimismus bewahrt er sich trotzdem. Mit ihm sprach Ralf Wurzbacher.

-- "(...) Wir sehen jetzt schon, dass FDP und Grüne die nächste deutsche Regierung bestimmen. Damit dominieren zwei neue Politikkasten: neoliberale Ökos und neoliberale Fundis. Sie rekrutieren sich aus den urbanen Milieus der Lifestyle-Linken und der Lifestyle-Rechten und -Reichen. (...) Ich habe einmal nachgerechnet und neben das offizielle Wahlergebnis das sogenannte „ehrliche“ gelegt, das man auf die Gesamtbevölkerung hochrechnet: Danach vertreten die Grünen nur 8,3 Prozent, die FDP nur 6,4 Prozent der Bürger in Deutschland. Diese lächerlichen 15 Prozent treiben die Mehrheit moralisch und machtpolitisch vor sich her und verpassen ihr in den nächsten Jahren einen riesigen „politischen Fußabdruck“, der bleibende Blessuren hinterlassen wird.(...)"

-- "8.000 Münchner müssen jeden Monat die Stadt verlassen, 100.000 im Jahr, eine Million in zehn Jahren, nur weil sie finanziell nicht mehr mithalten. Sie reisen allerdings aus den Billigsiedlungen und Barackenzimmern draußen vor den Toren der Stadt jeden Morgen wieder an, um den alten Wohlstandsbürgern den Hintern abzuputzen, die Krankenhäuser am Laufen zu halten und die Schickeria in den Restaurants zu bedienen  – und müssen danach schleunigst wieder aus der Stadt verschwinden.“

hanschristian lange
Zur Person
Hans-Christian Lange, Jahrgang 1957, war in den 1980er Jahren Kanzleramtsberater unter Helmut Kohl und Politikchef von Sozialminister Norbert Blüm (beide CDU), bis ihn der damalige Daimler-Boss, der führende Sozialdemokrat Edzard Reuter, engagierte. Wegen Menschenrechtsskandalen legte sich Lange in den 2010er-Jahren mit Führungsetagen der Automobilindustrie an. Für Aufsehen sorgte er als Gründer der ersten deutschen Band- und Leiharbeitergewerkschaft „Social Peace“ sowie als Aktivist der von Sahra Wagenknecht (Die LINKE) initiierten Protestbewegung „Aufstehen“, deren bayerischer Sektion er vorsteht. Von Lange erschien im Juli im Westend-Verlag: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. Ein Insider entlarvt die neue Geld- und Politikkaste“

Herr Lange, Ihr Buch widmet sich dem Schalten und Walten einer aus Ihrer Sicht alles beherrschenden „Geld- und Politikkaste“, die im Gefolge des neoliberalen Umsturzes seit bald vier Jahrzehnten den Planeten samt Menschheit ihrer Selbstsucht, Macht- und Raffgier unterworfen hat. Blicken wir auf den Ausgang der Bundestagswahl: Wer betreibt in den nächsten vier Jahren den Niedergang von Demokratie, Rechtsstaat und allgemeinem Wohlstand in Deutschland?

Ich habe dazu eine provokante Vorhersage: Wir sehen jetzt schon, dass FDP und Grüne die nächste deutsche Regierung bestimmen. Damit dominieren zwei neue Politikkasten: neoliberale Ökos und neoliberale Fundis. Sie rekrutieren sich aus den urbanen Milieus der Lifestyle-Linken und der Lifestyle-Rechten und -Reichen. Beide vertreten einen hohen Macht- und Moralanspruch  – mit dem unverschämt großen CO2-Fußabdruck der Bessergestellten. Sie haben in der Corona-Krise kräftig von dem Boom an Betongold und Aktien profitiert  – was ebenfalls typisch ist für eine „Gauche caviar“.

Aber sie sind totale Minderheiten. Ich habe einmal nachgerechnet und neben das offizielle Wahlergebnis das sogenannte „ehrliche“ gelegt, das man auf die Gesamtbevölkerung hochrechnet: Danach vertreten die Grünen nur 8,3 Prozent, die FDP nur 6,4 Prozent der Bürger in Deutschland. Diese lächerlichen 15 Prozent treiben die Mehrheit moralisch und machtpolitisch vor sich her und verpassen ihr in den nächsten Jahren einen riesigen „politischen Fußabdruck“, der bleibende Blessuren hinterlassen wird…

Meinen Sie nicht eigentlich „Arschtritt“? Aber so eine Gangart ist einem Kuschelbär wie Grünen-Co-Chef Robert Habeck doch gar nicht zuzutrauen.

Habeck passt voll in das Schema der „Gauche caviar“. Warum? Diese Kaste ist kosmopolitisch orientiert und dadurch separatistisch veranlagt. Das heißt: Sie koppelt sich, wenn es eng und der Boden heiß wird, skrupellos vom Heimatstandort ab. Dazu passt Habecks Sich-Outen: „Ich wusste mit Deutschland noch nie etwas anzufangen (…). Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen.“

Das sehen meine Bandarbeiter anders: Sie gehen notgedrungen mit ihrem Land durch dick und dünn. Sie malochen schon die ganze Krise über für das deutsche Sozialprodukt  – eng gedrängt am Band oder in den Fleischfabriken  – aber sie hoffen auf diesen Staat. Sie haben keinen Alternativstandort oder einen besseren Alternativjob im Ausland. Sie sind das „petit peuple“, keine entfesselte Elite  – die sich wie das entfesselte Kapital jederzeit über Grenzen absetzt. Noch schlimmer: Diese privilegierte kosmopolitische Elite hat das „petit peuple“ in der Krise in ihren kleinen engen Wohnungen und Baracken eingesperrt, während sie sich selbst im Homeoffice abgeschirmt oder mit Privatjets überallhin abgesetzt hat. Für die Bandarbeiter ist Habeck ein Separatist  – und er hat in ihren Augen gut lästern …

Und was ist mit Olaf Scholz und seiner Sozialdemokratie? Der ist ja der „kleine Mann“ seit Urzeiten ans Herz gewachsen, zumindest im Umfeld von Wahlen. Diesmal hat die SPD sogar der Linkspartei haufenweise Wählerinnen und Wähler abgejagt. Ist das „petit peuble“ nur zu vergesslich? Oder einfach zu doof?

Zu Scholz sage ich nur: Er hat mit Gerhard Schröder das neoliberale Hartz-IV durchgepaukt, sein Staatssekretär Jörg Kukies ist ein „Chicago-Boy“ und ehemaliger Goldfinger, womit ich seine Vergangenheit als Goldman-Sachs-Manager meine. Die Erfolgsbilanz beider umfasst unter anderem: Cum-Ex und Wirecard, was die offensichtliche Verstrickung in die Finanzoligarchie und das entgrenzte Kapital aufdeckt. Auch wenn Scholz sich mit Ach und Krach und wegen kollabierender Konkurrenten als Erster ins Ziel gerettet hat, so wird er im weiteren Verlauf das halbtote Pferd SPD vollkommen zu Tode reiten.

Hat sich die „Berufung“ von Gestalten wie Scholz, Habeck und Baerbock schon biographisch abgezeichnet?

Ja, nehmen wir das Beispiel Annalena Baerbock. Sie ist so neoliberal geprägt, wie Maggie Thatcher es war. Baerbock studierte an der London School of Economics  – einer Kaderschmiede des Großmeisters der Neoliberalen, Friedrich von Hayek. Der war für Thatcher das Vorbild ihrer kapitalistischen Revolution. Kein Wunder, dass Baerbock sich im Wahlkampf mit der Wallstreet-affinen Hillary Clinton vergleicht. Und tatsächlich: Die Grünen unter Habeck/Baerbock treiben für ihren Wahlkampf die größten Einzelspenden aller Parteien ein  – die natürlich nicht von Leiharbeitern stammen, sondern von einem Milliardär. Das entlarvt diese Partei aus Sicht der kleinen Leute mehr als alles andere. Wie mein Buchtitel bereits warnt: An ihren Taten sollt Ihr sie erkennen!

Dann könnte es schon zu spät sein. Oder auch nicht: Schließlich werden sich wenigstens Baerbock und Habeck ordentlich fürs Klima ins Zeug legen. FDP-Chef Christian Lindner vielleicht nicht ganz so…

Sie alle werden eine Umwelt- und Klimapolitik durchdrücken, die sich die besseren Schichten locker leisten können, die aber die unteren umso härter trifft. Das heißt: Miet- und Energiepreise und Treibstoffwucher heizen die Inflation weiter an, die schon einmal in der deutschen Geschichte Unter- und Mittelschichten enteignet hat. Neoliberale Ökos und neoliberale Fundis werden den Osten Deutschlands besonders hart abstrafen, weil er nicht grün und gelb genug gewählt hat, und ihm die Braunkohle rasch abschalten  – auch wenn China pro Monat acht neue Kohlekraftwerke aufmacht.

Also wird wieder eine Minderheit Klimaschutz und höhere Moral wie eine Monstranz vor sich hertragen, während der Rest durch den Rost fällt. Deshalb haben die Arbeiter schon vor Corona auf unseren Demos in München einen angeblichen Ausspruch von Königin Marie Antoinette abgewandelt: „Wenn Ihr kein Geld fürs Dieselauto habt, kauft Euch doch einen Elektroporsche!“

Das zweite Kapitel Ihres Buches prophezeit „Grausame statt goldene 20er-Jahre“ und liefert eine Abgrenzung zwischen den oberen Zehntausend und dem gemeinen Fußvolk, nicht nur entlang finanzieller und damit verbundener Trennlinien. Sie bringen daneben biologische Abweichungen ins Spiel und schreiben von „Ratten“, „Krebs-“ und „Eimermenschen“. An dieser Stelle dachte ich: Jetzt treibt es Lange zu weit …

Wir stehen am Anfang neuer 20er-Jahre. Sie ähneln denen des vergangenen Jahrhunderts, als apokalyptische Reiter unterwegs waren: Auch damals wütete eine Pandemie, die Spanische Grippe, auch damals schwelgten und protzten Kriegs- und Krisengewinnler wie Jeff Bezos und Elon Musk öffentlich und provozierten beim Rest der Gesellschaft Ressentiment und Hass. Das schlug damals genauso in Verschwörungstheorien und Vergiftung des politischen Klimas um. Auch damals verrieten die Parteien der Mitte am Schluss ihre Klientel und die Demokratie  – und die Linke versagte.

Sie haben recht: Tatsächlich greife ich im Buch krasse Phänomene politischer Diskriminierung und sozialer Perversion auf. Zum Beispiel halten sich heute die Milliardäre unseres Landes Leiharbeiter als sogenannte Eimermenschen. Unsere liberale Öffentlichkeit schaut aber lieber weg und pflegt Orchideenthemen wie „Gendersprache“, was es den Untersten in der Nahrungskette des Kapitalismus noch schwerer macht, ihre Anliegen auszudrücken.

In Ihrem Buch schildern Sie, wie die Reichen und Mächtigen ihr Möglichstes tun, sich den Anblick des Elends, das sie selbst erschaffen haben, zu ersparen, etwa mit „neuen deutschen Schutzbunkern“. Wie erfolgreich sind sie dabei?

Sehr erfolgreich! Die Finanz – und Immobilienmärkte boomen durch das Wahlergebnis noch mehr als zuvor schon. Ihre Teilhaber, die rechte wie linke Bohème, bereichern sich automatisch von Tag zu Tag und sozusagen im Schlaf  – während der Rest der Bevölkerung um den Schlaf gebracht wird. Im ersten Jahr der Corona-Krise haben die Konzerne fast 300.000 Leiharbeiter entlassen  – ohne Entschädigung und ohne Arbeitslosengeld. Ich gebe zu: Innerhalb dieser verzweifelten Massen von Ohnmächtigen und politisch Unsichtbaren, die besonders häufig von Covid-19 befallen wurden, kursieren üble Verschwörungstheorien gegen die Oberen.

Ich weiß aber, dass die obersten Kreise noch krimineller vorgehen: Zuerst vergiften sie das Klima ihres Landes. Aktuelle Enthüllungen überführen Facebook und Co. eines neuen Klassenkampfs: Reiche und Einflussreiche verbreiten, unterstützt von den Algorithmen der Tech-Konzerne, ungehindert Hass, während diese den Normalbürgern solche Botschaften weglöschen. Dadurch vergiften sie die Gesellschaft von oben.

Was aber für sie selbst nicht ohne Folgen bleibt?

Richtig. Die Privilegierten werden logischerweise zum Opfer ihrer eigenen Botschaften: Vor der Bundestagswahl haben die deutschen „Onepercenter“, also das oberste Prozent, aus Paranoia und Panik neue Rekordsummen ins Ausland transferiert, in diesem Jahr erneut rund 100 Milliarden Euro, obwohl Deutschland das Geld nach der Krise dringend benötigt. US-Amerikanische Investoren bieten für reiche Separatisten sogar Luxusappartments in Bunkerbauten an  – auch in Deutschland. Das zeigt: Diese Klientel hat klare Schlussfolgerungen aus der bisherigen Pandemie gezogen. Sie will sich bei der nächsten Krise oder möglichen sozialen und politischen Verwerfungen möglichst risikolos absetzen und sich gegen sogenannte Querulanten und Aktivisten genauso wie gegen Viren immunisieren. Darum wird sie sowohl Beatmungsgeräte wie medizinisches Personal, aber auch Bodygards gleich mit in ihre Refugien nehmen.

Das lässt sich doch durchaus optimistisch wenden: Wenn sich dem, wie Sie schreiben, „Klassenkampf von oben“ dann doch einmal eine soziale Revolution widersetzt, muss man die dann Entmachteten nicht mal mehr verjagen.

Das mag sein, aber so weit sind wir noch nicht. Bis dahin wird der Kampf von Oben gegen Unten geführt. Im neuen deutschen Bonzenzentrum München nimmt die neofeudale Schickeria den Arbeitern jetzt nicht nur die Arbeit, sondern auch das Zuhause weg. Sie selektiert in den Hotspots der „Nouveaux riches“ skrupellos Normalverdiener aus. Das Pikante daran: In Schwabing, dem ehemaligen Revoluzzer-Quartier der Arbeiter und Anarchisten, in dem Lenin zur Jahrhundertwende untertauchte und Kurt Eisner die „Bolschewistische Sowjetrepublik Bayern“ ausrief, bekämpfen heute weder kapitalistische Wohnkonzerne noch eine rechte Guerilla die Arbeiter. Das sind vielmehr Lifestyle-Linke und -Rechte, die das schmutzige Geschäft erledigen. Sie besetzen unorthodox via Wucherwettbewerb die Häuser und Wohnungen, um sie dann sogar teilweise leerstehen zu lassen. Denn Mieter bringen zu wenig Rendite und wohnen den teuren Bestand nur ab.

Linksliberale Bourgeoisie und Bohémiens, die „Bobos“, tauschen so das „petit peuple“ Stück für Stück sozialdarwinistisch aus: 8.000 Münchner müssen jeden Monat die Stadt verlassen, 100.000 im Jahr, eine Million in zehn Jahren, nur weil sie finanziell nicht mehr mithalten. Sie reisen allerdings aus den Billigsiedlungen und Barackenzimmern draußen vor den Toren der Stadt jeden Morgen wieder an, um den alten Wohlstandsbürgern den Hintern abzuputzen, die Krankenhäuser am Laufen zu halten und die Schickeria in den Restaurants zu bedienen  – und müssen danach schleunigst wieder aus der Stadt verschwinden.

Wie tief gehen Ihre persönlichen Einblicke in die Kreise der herrschenden Geld- und Politikkasten?

Die meisten Mitbürger haben dort leider zu wenig Einblicke in die oberen Etagen und was da abgeht. Als ich in die streng abgeriegelten innersten Zirkel der Wirtschafts- und Finanzelite Deutschlands und Europas vorgestoßen bin, war das für mich wie eine Expedition in ein hermetisch abgeriegeltes Biotop, in dem sich eine seltene Spezies aufhält. Ich erlebte dort, wie oberste Kreise von Reichen und Einflussreichen sich durch Herrschaftswissen ungeheure Vorteile gegenüber der Normalbevölkerung verschaffen  – die Grundlage für ihre heutige Machtzusammenballung. Dort begegnete ich mehreren Exemplaren einer neuen Spezies: nämlich derjenigen des radikalen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts.

Einer von ihnen war der als „Hyäne“ bezeichnete CEO von Daimler-Benz, Jürgen Schrempp, ein anderer der „Gorilla“ und Boss von Lehman Brothers, Richard Fuld. Die Wallstreet-Insider betitelten ihn so wegen seiner besonders rüden Managementmethoden. Fuld verkörperte in den USA, wofür inzwischen auch eine neue Generation deutscher Manager steht: Den Typus des sozialdarwinistisch geprägten Unternehmensanführers.

Die Frage muss man Ihnen einfach stellen: Versuchen Sie in Ihrer Rolle des Sozial- und Politaktivisten Ihre eigene Vergangenheit als früherer Topmanager und Politikberater abzuschütteln? Als eine Art Wiedergutmachungstour?

Nein, ich schließe nur an früher an, als ich mit Schichtarbeit mein Studium verdiente, als ich als junger Typ zum Betriebsrat gewählt wurde und literarische Preise für sozialkritische Texte bekommen habe. So habe ich immer wieder versucht, den Stummen und Ohnmächtigen eine Stimme zu geben. Aber ich bin auch auf Abwege geraten, als ich in die oberen Etagen vorgedrungen bin. Dort habe ich versucht, gemischte Raubtiergruppen in Schach zu halten. Dabei wendet man aber automatisch niedere Instinkte an, um zu überleben, ja man wird teilweise selbst zum Raubtier. Ich erlebte eine Welt von Menschenverachtung, Skrupellosigkeit und Null-Solidarität. Wer angebissen wird, wird schleunigst entsorgt. Auch ich wurde angebissen und habe mir schwere Blessuren zugezogen. Es waren die Arbeiter, die mich mit ihrer Solidarität gerettet haben. Ihnen bin ich bis heute verbunden. Und darum versuche ich, all die abstoßenden und bitteren Erfahrungen und Einsichten weiterzugeben.

Ihren Worten, so wie auch Ihrem Buch, merkt man eine große Wut und Verbitterung an. Sie haben wirklich Angst vor dem, was in vielleicht schon naher Zukunft bevorsteht. Richtig?

Ich rechne in der Tat damit, dass irgendwann die Verschwörungstheorien von oben und unten und die toxischen Reaktionen in politische Realität umkippen  – so wie in den 1920er-Jahren. Dann werden die deklassierten unteren Schichten und die ausgequetschten Mittelschichten selbst zu apokalyptischen Reitern und kehren zurück, um mit Hass und Gewalt die Lifestyle-Zonen und -Verstecke zu zerstören  – so wie Teile der Gelbwesten vor drei Jahren das Zentrum von Paris demoliert und fast den Élysée-Palast gestürmt haben.

Übrigens geht in diesen Tagen wieder Angst im Palast des Monsieur Macron um. Der Grund: Die Energie- und Heizkosten schießen in Frankreich durch die Decke. 2018 hatte die CO2-Steuer schon einmal die Massen zum monatelangen Aufstand aufgeputscht. Jetzt muss Macron wieder mit dem Gespenst der Gelbwesten zu Bett gehen  – weil ihn das die Wahl im nächsten Jahr kosten kann. Die neoliberalen Kasten müssen sich etwas einfallen lassen  – oder sich in ihre Verstecke flüchten. Wir müssen uns ebenfalls etwas einfallen lassen und uns neu von unten organisieren.

Bisweilen hatte ich beim Lesen den Eindruck, dass Sie, gerade mit Blick auf Deutschland, die nach meinem Empfinden äußerst kümmerliche Protest- und Widerstandskultur ein Stück weit verklären. Woher nehmen Sie den Optimismus, dass die Deklassierten in absehbarer Zukunft das Heft des Handelns an sich reißen?

Von Oskar Lafontaine habe ich gelernt, dass man nicht mit dem Finger schnippen kann und damit prompt eine Widerstandsbewegung formiert. Das läuft so nicht in der Politik  – wie die Geschichte lehrt. Aber einiges weist darauf hin, dass die Lage sich von allein zuspitzt. Wenn ich die Situation der Arbeiter betrachte, dann rumort es stark unter der Oberfläche  – auch deshalb, weil sich noch niemals in der Geschichte der Menschheit eine kleine Kaste derart vom Rest der Menschheit abkoppeln und abschirmen konnte.

Das geht nur noch eine Weile gut. Denn Inflation und Missmanagement, Verschuldung und Korruption mobilisieren nicht nur bereits Deklassierte, sondern ebenso die Mittelschichten. In ihren Augen versagen die Politik- und Geldkasten angesichts immer neuer apokalyptischer Reiter: Sie haben vor der Corona-Krise versagt, dann in der Flutkatastrophe und aktuell beim Fall von Kabul. Und sie werden die soziale Frage wieder nicht lösen.

Wo bleibt bei all dem Raum für Hoffnung?

Sie fragten, woher ich meine Zuversicht nehme? Aus der Tatsache, dass noch 2019 die größten Protestwellen weltweit seit dem 2. Weltkrieg ausgebrochen sind  – die erst die Viruswelle und der Ausnahmezustand unter sich begraben haben. Wir werden jetzt daran gehen, einen neuen Gemeinsinn, eine neue Solidarität und einen neuen Widerstand von unten aufzuziehen. Das heißt, kommunitaristische Werte den neoliberalen, separatistischen Werten knallhart entgegenzustellen. Darum bauen wir die Arbeitergewerkschaft Social Peace jetzt zu einer größeren politischen Plattform aus. Dann wird sich zeigen, wer auf welcher Seite der Barrikade steht. Wenn wir das nicht tun, werden sich Hass und Gewalt weiter wie ‚unguided missiles‘ in die Gesellschaft hineinbohren und sie vergiften und spalten.

Buch: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. Ein Insider entlarvt die neue Geld- und Politikkaste“, Westend Verlag, 256 Seiten

Quelle: https://www.nachdenkseiten.de/?p=76956

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