Skip to main content

Nachtrag zu “Wir haben uns verirrt” Hüthers atemberaubende Botschaft 2018

05. Januar 2019
In seiner Weinachtsbotschaft stellte der Hirnforscher Folgendes fest: (Wir hatten bereits darüber berichtet) “Dass unser Gehirn nicht durch genetische Anlagen programmiert wird, sondern zeitlebens umbaufähig, also lernfähig bleibt, ist eine atemberaubende Erkenntnis. Sie stellt alle deterministischen Konzepte radikal auf den Kopf, die wir bisher als Rechtfertigungen für das Misslingen aller Bemühungen um Veränderung und Weiterentwicklung nicht nur in unseren Bildungseinrichtungen, auch in Politik und Wirtschaft und vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft verantwortlich gemacht hatten. Aber wirklich bemerkens- und bedenkenswert ist nicht diese neue Erkenntnis der lebenslangen Umbau- bzw. Lernfähigkeit des menschlichen Gehirns, sondern der Umstand, wie langsam sie sich ausbreitet, wie zögerlich sie von den meisten Menschen angenommen, ernst genommen und deshalb auch umgesetzt wird. Denn die wichtigste Schlussfolgerung aus der Erkenntnis der lebenslangen Plastizität des menschlichen Hirns lautet doch zwangsläufig: Wir verfügen über keine biologischen Programme, die uns zu dem machen, was wir sind. Wir müssen selbst herausfinden, was es heißt, Mensch zu sein: keiner weiß, wie es geht. Wir sind alle Suchende, überall auf der Welt.”

Bild Hüthergerald 2019
Diese Botschaft verbreitete Hüther mit einem Vorwort, das wir hier gerne nachtragen, weil so wichtige Fragen für das Überleben der Spezies Homo sapiens angeschnitten werden:

Liebe Interessierte an meinem Tun, liebe Freundinnen und Freunde,

in diesem trockenen Sommer hatte ich angesichts der ausgedörrten Natur endlich einmal genügend Zeit, darüber nachzudenken, weshalb ich all diese Bücher und Artikel schreibe, eine Akademie aufbaue, Vorträge halte, Interviews gebe, und so vieles mehr in die Welt zu bringen versuche. Es klingt sonderbar, aber ich halte es einfach nicht aus, tatenlos zuzuschauen wie eine vorübergehend irregeleitete Spezies dabei ist, die in Jahrmillionen auf unserem Planeten entstandene Vielfalt des Lebendigen zu ruinieren.

Auch wenn ich mit all meinen Bemühungen nichts daran ändern kann   – ich mache es trotzdem. Immer wieder mit aller Kraft und so gut ich es vermag, nicht weil ich dafür bewundert, belohnt oder auf irgendeine andere Weise bedeutsam werden will, sondern weil ich es tun muss. Weil ich es nur so und nicht anders tun kann. Weil ich es mir selbst so schuldig bin. Es hat etwas mit der Bewahrung meiner eigenen Würde zu tun. Dass ich so auch nicht so schnell Gefahr laufe, dement zu werden, ist ein netter Nebeneffekt.

Genauso nebenher erfreulich ist es, dass die Stimmen all jener nun allmählich verstummen, die meinten, mich diffamieren zu müssen, damit ich endlich damit aufhöre, ihnen einen Spiegel vorzuhalten, in dem sie sich nicht gern betrachten. Kritische Rückmeldungen zu dem Demenzbuch: Null, zum Würde-Buch: Null, zum jetzt erschienen Buch „Wie Träume wahr werden“: Null.

Und die andere Seite der Bilanz: hat sich durch all diese Bücher irgendetwas spürbares in unserer Gesellschaft verändert? Untergründig vielleicht, aber vordergründig: Null. In die Irre zu rennen, ist einfach, wenn fast alle anderen auch so unterwegs sind. Aber so einen Irrweg zu verlassen, ist schwer, besonders für all jene, die diesen Weg für den einzig zielführenden gehalten und seine konsequente Befolgung zu ihrem Daseinszweck, ihrem „Purpose“ gemacht haben.

Doch sind das nicht genau diejenigen, die es in Wirklichkeit zu erreichen gilt? Die etwas Anderes in ihrem Leben anstreben müssten, als nur möglichst gut zu funktionieren, sich optimal anzupassen, besonders effizient und erfolgreich zu sein? Es beschäftigt mich deshalb sehr, auf welche Weise sich diese Menschen erreichen lassen, die ja meist ziemlich erfolgreich   – und deshalb auch in den entsprechenden Führungspositionen gelandet   – sind.

Was ich bei all meinen Bemühungen dabei bisher gelernt habe: Es geht nicht, indem ich sie zum Objekt meiner klugen Ratschläge oder Belehrungen, meiner Bewertungen oder Vorhaltungen oder anderer Änderungsversuche mache. Wenn es überhaupt geht, dann geht es nur, wenn sie wieder mit sich selbst in Berührung kommen.

Genau das ist es aber, wovor sie die größte Angst haben und wogegen sie sich mit allen Mitteln zu wappnen versuchen. Man kann es nicht machen, aber bisweilen geschieht es eben. Einfach so, weil sie völlig ahnungslos beispielsweise zu einer Filmvorführung eingeladen werden. Wenn sie sich dann vielleicht „Die stille Revolution“ von Kristian Gründling oder „Alphabet“ von Erwin Wagenhofer anschauen. Da sitzen sie dann in ihren Kinosesseln und fangen an zu weinen - und sind froh, dass es im Kinoraum so dunkel ist.

Das sind Augenblicke des Erwachens und man kann nur hoffen, dass die dadurch in ihnen wiedererweckte Sehnsucht stark genug ist, um sich nicht gleich wieder in den festgefügten Beton ihres bisherigen „Ich“-Konstrukts zurückzuziehen. Denn nur aus dieser Berührung heraus passiert etwas.

Man kann Menschen nicht verändern. Das können sie nur selbst. Und nur dann, wenn sie es selbst auch wirklich wollen. Das ist es, was mir bei der Betrachtung der verdorrten Natur in diesem Sommer aufgegangen ist.

Ich habe hier einen kleinen Text dazu geschrieben, den Sie und Ihr alle gern weiter verbreiten könnt. Es ist nur ein weiterer Versuch, das zum Ausdruck zu bringen, was mir am Herzen liegt.

Ich wünsche Ihnen und Euch ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest und einen zuversichtlichen Start in das Neue Jahr.

Mit einem herzlichen Gruß, Ihr und Euer
Gerald Hüther


P.S.: Was ich alles hier nicht aufgeschrieben habe, aber nicht unerwähnt lassen will:

1. Die Akademie läuft super, wir könnten nur noch weitere Mitglieder brauchen, sich hier mit einzubringen.

2. Zum Kindertag am ersten September erscheint gleichzeitig in Deutschland und Frankreich ein kleines Booklet von mir und André Stern, ähnlich wie das „Empört Euch“ von Stephan Hussel mit dem Titel „Was schenken wir unseren Kindern“.

3. Meine Homepage wird im kommenden Jahr umgebaut. In der neuen Version soll klarer auf den Punkt gebracht werden, worum es mir geht: Mit dem, was ich tue, möchte ich auch künftig nicht so gern als „Befruchter“ und auch nicht als „Krankenpfleger“ wirken, sondern „Geburtshelfer“ sein.

Beiträge zu Alfred Adler und Friedrich Liebling