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Libyen: Zweideutige deutsche Position ein absoluter Flop.


publiziert: 05. April 2013

Libyen: Zweideutige deutsche Position ein absoluter Flop.

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait zum Kommentar in Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 29.03.2011: „Nach den Bomben die Politik“ von Stefan Kornelius

von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait, Juristin und Diplomatin a.D., 40670 Meerbusch

Es ist nicht das erste Mal, dass sich europäische Mächte in einen Bürgerkrieg mit Wucht und Gewalt einmischen.

Schon im spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) stellten sich faschistische Staaten wie Italien und Deutschland mit militärischer Gewalt an die Seite von Franco. Damals existierten aber nicht die Vereinten Nationen, die gerade deshalb gegründet wurden, um solche barbarischen Interventionen und Angriffe zu verhindern. Die Vereinten Nationen erleben seit den letzten Jahrzehnten eine gravierende Verdrehung ihrer Grundsätze und Ziele durch neue Aggressoren der Weltgeschichte. Die westlichen Aggressoren stehen in Libyen nicht an der Seite der friedlichen Demonstranten, sondern sie identifizieren sich mit einer Bürgerkriegspartei. Solcher Unsinn ist nicht zu rechtfertigen und verdreht den Sinn und Zweck der Vereinten Nationen, deren Charta die Gewalt verbietet und erst recht die Intervention in einen Bürgerkrieg.

Eine militärische Parteinahme im libyschen Bürgerkrieg wäre auch ohne das Verbot der UN-Charta nach bestem Wissen und Gewissen eines jeden gesunden, zivilisierten Menschen unzulässig. Die Charta der Vereinten Nationen sieht auch keine Maßnahmen zur Erzwingung eines Regime-Wechsels vor. Der Raub von Reichtum und Ressourcen eines Landes ist auch nach jedem zivilisierten Code unzulässig. Gerade darum geht es in dieser unverschämten Intervention einiger westlicher Staaten gegen ein nordafrikanisches Land, das riesige Erdölvorräte besitzt, über die sich der Westen die Kontrolle sichern will. Frankreich ist dabei aufgrund seines Erdölkonzerns besonders engagiert. Es ist nicht das erste Mal, dass mit Hilfe der UN ein Raubkrieg angezettelt wird. Das UN-Mandat wurde dazu von interessierten Staaten verdreht und missbraucht. Die USA und einige wichtige EU-Staaten bestimmen, was getan wird. Die libyschen Städte werden aber nicht von UN-Streitkräften bombardiert, sondern von NATO-Staaten!

In der Weltstaatengemeinschaft versuchen die europäischen Aggressoren ihre schwindende Glaubwürdigkeit mit Heuchelei zu retten. Ihre Luftangriffe gegen das libysche Volk gehen mit voller Wucht weiter, während einige naive oder dumme Journalisten wie Stefan Kornelius die Öffentlichkeit glauben lassen wollen, dass dadurch, also durch Bomben und Krieg, Zivilisten zu schützen sind: Eine Beleidigung gegenüber der Intelligenz eines jeden normalen Menschen, denn grotesker und zynischer kann es kaum werden. Jede Art von Krieg erreicht genau das Gegenteil: Er führt nicht zu weniger, sondern zu mehr Opfern. Der normale Menschenverstand erkennt, dass Krieg am allerwenigsten mit und für Menschlichkeit und Menschenrechten geführt wurde und wird. Dreister kann nicht geheuchelt werden. Jahrelang war Gaddafi ein williges Werkzeug westlicher Politik. Aber vor der Gewalt der großen Mächte kapituliert der normale Menschenverstand der deutschen Öffentlichkeit. Was bleibt, sind bloße Feigheit und Dummheit, wie die SZ-Redaktion gegenüber der Aggression gegen Libyen zu erkennen gibt. Kriegsverfechter schreiben ohne jeden Sinn für Mitmenschlichkeit, ohne jeden Sinn für das Recht und für Gerechtigkeit. Manche pathologische Figuren eines angeblichen Journalismus zeigen sogar offenen Zynismus gegenüber den Opfern: Eine Abnormität, die in einem zivilisierten Journalismus keinen Platz hat.

Frankreich hat die Aggression gegen Libyen gestartet. Libyen fordert zu Recht erneut eine Waffenruhe und eine Notfallsitzung des UN-Sicherheitsrats (28.3.11). Der UN-Sicherheitsrat ist gerade dann zuständig und verpflichtet zu handeln, wenn ein Angriff gegen einen souveränen Staat zustande kommt. Libyen steht unter einer barbarischen Aggression, die erneut einen unmenschlichen Massenmord verursacht. Die Aggressoren, Frankreich und Großbritannien, die von Anfang an identifizierbar sind, dürfen nicht straflos ausgehen. Gerade diese Aggressoren haben die Funktion des UN-Sicherheitsrats blockiert und ihn kalkuliert durch eine Resolution in die Irre geführt, die wie die bei dem Irak-Krieg zur beliebigen unzulässigen völkerrechtswidrigen Auslegung führte, denn eine UN-Resolution darf niemals entgegen Wortlaut und Geist der UN-Charta im Sinne barbarischer Gewaltanwendung oder Angriffskrieg interpretiert werden. Hier liegen das Vakuum und die Ignoranz der meisten Journalisten, die den Irak-Krieg nie richtig analysiert haben, auch nicht die Bomben-Angriffe auf Belgrad und deshalb leicht zu manipulieren sind. Rechtsethik und Völkerrecht gehören endlich in den Lehrplan aller Journalistenschulen in Deutschland. Journalisten, Redakteure, die das Völkerrecht nicht verstehen oder unbeachtet lassen, müssen gegebenenfalls wegen Volksverhetzung belangt werden können und ihren Arbeitsplatz verlieren.

Eine große Enttäuschung für die ganze Welt, nicht nur für die Arabische Welt, ist die widersprüchliche Haltung der USA unter Präsident Barack Obama. Gefangen in einem Lügen-Syndrom will er keinen weiteren Krieg anstiften und keinen Krieg gegen Libyen sehen und nichtsdestotrotz hat Obama den Krieg erlaubt und sogar die NATO-Kriegsmaschinerie dazu eingesetzt, um amerikanische Kosten zu sparen. Dadurch wurde die NATO noch einmal ein mörderisches Instrument für Aggressionen. Nach Jugoslawien und Afghanistan führt die NATO erneut Krieg, diesmal unter leitender Beteiligung von Frankreich und Großbritannien. Durch ihre Bombardierungen wird Menschenleben vernichtet, die NATO muss sich also für Massaker, Massenmord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten.

Der Leiter des Apostolischen Vikariats in Tripolis, Bischof Giovanni Innocenzo Martinelli, ein italienischer Franziskaner, hat sich strikt gegen den Krieg gegen Libyen gewandt und die Bombardierungen mehrfach verurteilt: „Die sogenannten humanitären Angriffe haben Dutzende zivile Opfer in … Tripolis getötet.“ (31.3.11). Der Papst Benedikt XVI darf nicht weiter schweigen, sondern muss sich sofort einschalten, wie schon einmal in einer ähnlicher Lage sein Vorgänger Johannes-Paul II den Angriff der USA unter George W.Bush auf den Irak entschieden und energisch verurteilte.

In diesem Zusammenhang ist die deutsche Position schmerzlich zweideutig und opportunistisch. Anstatt die UN-Resolution im UNO-Sicherheitsrat (17.3.) abzulehnen oder mindestens angesichts des verhängnisvollen Präzedenzfall Irak einen vorherzusehenden Angriff expressis verbis zu verbieten, hat sich Berlin seiner Stimme enthalten (17.3.), aber nicht aus völkerrechtlichen Gründen wie von einer Regierung eines freiheitlichen Rechtsstaates natürlich zu erwarten und wünschenswert gewesen wäre. Der deutsche Position entlarvte sich zwei Tage nach der UN-Resolutionsannahme als absoluter Flop: Als Frankreich, die USA und Großbritannien ihre barbarische militärische Aggression gegen Libyen begannen (19.3.), begrüßte der Außenminister Guido Westerwelle die Übernahme der Angriffe durch die NATO (24.3.). Auf diese Weise kommt aus Deutschland keine Hoffnung für eine Welt in Stabilität und Frieden, in der kein Volk mehr in Angst vor Krieg und Massenmord leben sollte.

Fast die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung (Gallup-Umfrage: 47%) bleibt bei Sinnen und lehnt die Luftangriffe gegen Libyen ab. Der Kongress in Washington fühlt sich übergegangen, und die Kritik an Obama wird zu Recht immer lauter. Dieser Präsident hatte eine Wende der internationalen Politik und die Wiederherstellung des Völkerrechts versprochen, eine weltweite notwendige anzustrebende Wende, die mit den vergangenen kriminellen US-Handlungen brechen wollte. Stattdessen hat sich Präsident Obama für die Aktivitäten von CIA-Agenten in Libyen schon vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten festgelegt, wie die New York Times am 30.3. bestätigt.

Die von Saudi-Arabien angeführten Golfstaaten haben sich für die Militärintervention zugunsten der libyschen Rebellen stark gemacht. Dadurch wurde die Handlungsfähigkeit der Arabischen Liga geopfert. Jedoch blieb der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, mit Würde von der Londoner Libyen Konferenz (22.3.11) fern, genauso wie die Afrikanische Union, als dort die Aggressoren sich anmaßten, über die Zukunft Libyens zu entscheiden und unter sich das Land wie eine Beute zu teilen.

Der Außenminister Guido Westerwelle könnte von der klaren Fernhaltung des Generalsekretärs der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union die Würde arabischer und afrikanischer Politiker lernen, die trotz allem die Falschheit und Bosheit des Westens erkannt haben. Darüber hinaus hatten die Afrikanische Union und das südamerikanische ALBA-Bündnis noch vor Beginn der Kampfhandlungen den südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma beziehungsweise den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez als Vermittler vorgeschlagen. Die libysche Regierung hatte beiden Vorschlägen zugestimmt, aber die Rebellen, von ihren westlichen Unterstützern aufgehetzt, lehnten sie ab. Deutschland hätte sich für eine Vermittlungs- und Verhandlungslösung einsetzen müssen, statt sich an die USA zu hängen.

Ein Bürgerkrieg wie in Libyen kann nicht beendet werden, wenn westliche Staaten zugunsten einer Seite intervenieren. Im Gegenteil wird dadurch die Eskalation des Bürgerkriegs vorprogrammiert und aufgeheizt. Der Sicherheitsrat ist aufgerufen, die Aggression zu beenden. Zu begrüßen ist die Entscheidung Tripolis, mit Zustimmung der nicaraguanischen Regierung von Präsidenten Daniel Ortega, Miguel D'Escoto als Botschafter von Libyen vor den Vereinten Nationen zu nominieren (22.3.). Miguel D'Escoto war sandinistischer Außenminister Nicaraguas und ein Jahr lang ab September 2008 amtierender Präsident der UN-Vollversammlung. Er kennt die Vereinten Nationen wie seine eigene Hand. Als Präsident der UN-Vollversammlung zeichnete sich Miguel D'Escoto als erhobene Stimme der von den Großmächten meist ignorierten weltweiten Staatenmehrheit aus. Vor seiner Abreise nach New York sagte er, Nicaraguas Präsident Daniel Ortega habe ihn beauftragt „in effektivster Weise dafür zu kämpfen, damit das Massaker in Libyen gestoppt wird. Dies ist eine Demonstration der Solidarität mit dem großartigen libyschen Volk, damit es über Gerechtigkeit und auf friedlichen Weg den Frieden finden möge.“ US Präsident Barack Obama übertreffe mit seiner imperialen Praxis mittlerweile seinen Amtsvorgänger George W. Bush und sei „zur schlimmsten Bedrohung für den Frieden und die internationale Sicherheit geworden.“

Bemerkenswert ist, dass die Nominierung des neuen Botschafters Libyens vor den Vereinten Nationen mit der Londoner Libyen Konferenz (22.3.) zusammenfällt. Sie wirkt als diplomatische Antwort des betroffenen Landes auf die britischen Anstrengungen, die Regierung in Tripolis zu desintegrieren. Die Abwesenheit in London des Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, und der Afrikanischen Union sprechen für sich selbst über eine aktive Diplomatie hinter den Kulissen, um die Aggression zu stoppen. Gerade diese wichtige ägyptische Persönlichkeit, Amr Mussa, möglicher zukünftiger Präsident von Ägypten, zeigt London die kalte Schulter. Gewiss ist er zusammen mit anderen großen ägyptischen politischen Persönlichkeiten wie El Baradei, ehemaliger Generalsekretär der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), überhaupt nicht mit der Aggression gegen sein Nachbarland einverstanden. Dass westliche Medien darüber schweigen, bedeutet nur, dass es nicht zur westlichen Interessenlage und NATO-Aggression passt, über öffentliche Erklärungen und Schritte dieser Politiker zu berichten. Auch über Ägypten ist momentan nichts in deutschen Medien zu vernehmen.

Ebenso zu beachten ist die Spaltung der NATO bei der Unterstützung der Rebellen. Das lässt ahnen, dass die Türkei zusammen mit anderen Ländern mit der kriegerischen Allianz gar nicht einverstanden ist. Es gibt keine westlich-arabische Koalition. Diese Desinformation ist von interessierten westlichen Medien gezielt lanciert, um das mörderische Vorhaben des Westens vor den arabischen Staaten zu vertuschen. Lediglich ein Paar reaktionäre arabische Monarchien   – Saudi-Arabien und die Golf-Emirate   – spielen das mörderische Spiel der westlichen Aggressoren. Solche Reaktionäre sind überhaupt nicht repräsentativ für die arabische Welt, sondern leicht zu steuernde Marionetten des Westens.

Es ist an der Zeit, dass die Arabische Liga ihre Unabhängigkeit vom Westen wiedererlangt und ihren Kopf wieder über die reaktionären Staaten erhebt. Die Golfstaaten konnten die friedlichen Protestbewegungen in ihren Ländern brutal niederschlagen, ohne die Intervention aus Washington, Paris, Rom und London fürchten zu müssen.

Russland kritisierte erneut die Luftangriffe auf Libyen als „unerlaubte Militärintervention“. Es wäre aber wünschenswert und konsistenter gewesen, hätten sich Russland und China eindeutig gegen eine zweideutige UN-Resolution gestellt und mit ihrem Veto opponiert, vor allem nach der verhängnisvollen Erfahrung mit dem Irak- und Afghanistan-Krieg, wo UN-Resolutionen ebenso willkürlich und skandalös missbraucht wurden. Deutschland hätte auch seine richtige Einstellung solider und entschiedener auf Basis des Völkerrechts vor der Weltöffentlichkeit darstellen müssen, vor allem weil es darum geht, sich von zwei europäischen Aggressoren fernzuhalten. Aggressoren müssen isoliert werden. Der französische Kriegspräsident ist eine Schande für das französische Volk, auch für Europa, eine Schande, die weit über die Korruption des inkompetenten Franzosen hinausgeht.

Libyen unterhält derzeit diplomatische Beziehungen mit der Mehrheit der Weltstaatengemeinschaft. Deutschland zählt offiziell zu dieser Mehrheit.

Mit freundlicher Genehmigung der Autorin macht seniora.org diesen beeindruckenden Brief einer grösseren Leserschaft sehr gerne zugänglich.

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait

Luz María de Stéfano Zuloaga de Lenkait ist chilenische Rechtsanwältin und Diplomatin (a.D.). Sie war jüngstes Mitglied im Außenministerium und wurde unter der Militärdiktatur aus dem Auswärtigen Dienst entlassen. In Deutschland hat sie sich öffentlich engagiert für

  1. den friedlichen Übergang der chilenischen Militärdiktatur zum freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat, u.a. mit Erstellen von Gutachten für Mitglieder des Deutschen Bundestages und Pressearbeit,
  2. die Einheit beider deutschen Staaten als ein Akt der Souveränität in Selbstbestimmung der beiden UN-Mitglieder frei von fremden Truppen und Militärbündnissen,
  3. einen respektvollen rechtmäßigen Umgang mit dem vormaligen Staatsoberhaupt der Deutschen Demokratischen Republik Erich Honecker im vereinten Deutschland,
  4. für die deutsche Friedensbewegung,
  5. für  bessere Kenntnis des Völkerrechts und seine Einhaltung, vor allem bei Politikern, ihren Mitarbeitern und in Redaktionen.

Publikationen von ihr sind in chilenischen Tageszeitungen erschienen (El Mercurio, La Epoca), im südamerikanischen Magazin "Perfiles Liberales", und im Internet, u.a. bei Attac, Portal Amerika 21, Palästina-Portal.Einige ihrer Gutachten (Irak-Krieg 1991) befinden sich in der Bibliothek des Deutschen Bundestages.