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Im Jura blüht das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf

Das Volk von Moutier stimmte für den Wechsel zum Kanton Jura. Andere Völker warten weiter auf dieses Recht.
Von Niklaus Ramseyer / 31.03.2021
31. März 2021
Die UNO-Charta ist klar und unmissverständlich. In Artikel 1, Absatz 2 nennt sie als Ziel und Grundlage des «Weltfriedens» prominent auch die «Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und der Selbstbestimmung der Völker». Dieses Recht auf Selbstbestimmung wird auch definiert als «Freiheit von Fremdherrschaft». Und das Prinzip könnte durchaus als universelle Grundlage für direkte Demokratie gelten. Es ist je ein Recht der Völker, nicht der Herrschenden.

Einstige Grossmacht Bern bröckelt seit 220 Jahren

Es wundert denn auch wenig, dass die direktdemokratische Schweiz eines der wenigen Länder ist, in dem dieses UNO-mässig garantierte Selbstbestimmungsrecht konkret, friedlich und demokratisch umgesetzt wird. Letzten Sonntag gerade wieder im Jura «hinten»: Da hat das Stadt-Volk von Moutier mit klarer Mehrheit von 55 Prozent für den Wechsel seiner Gemeinde vom Kanton Bern zum Kanton Jura gestimmt. 

Es ist dies die vorläufig letzte in einer ganzen Kaskade von Volksabstimmungen, in denen das Staatsgebiet des ehemals grossen Kantons Bern seit langem bröckelt. Und besonders seit 1970: Damals löste sich als grösster Brocken der Nordjura von Bern und wurde ab 1979 zur autonomen «Canton et République du Jura» mit der neuen Hauptstadt Delémont. Es folgten 1994 der Wechsel des Laufentals zum Baselbiet und 1996 der Übertritt der Gemeinde Villeret in den neuen Kanton Jura. Da wird also fein differenziert auch das demokratische Selbstbestimmungsrecht der Kantons-, Bezirks- und der Gemeinde-Völker respektiert.

Laufen und der ganze (bewaldete) Jura waren 1815 auf dem Wiener Kongress   – ohne Selbstbestimmung der betroffenen Völker   – den Basler Fürst-Bischöfen weggenommen und Bern zugeschlagen worden. Dies als kleine Kompensation für die Zerschlagung der zentraleuropäischen Grossmacht Bern, zu der bis Ende des 18. Jahrhunderts auch noch die heutigen Kantone Waadt und Aargau gehört hatten.

Jura, Krim und Schottland bleiben Ausnahmen

Die Obrigkeiten der Republik Bern klagten damals, man habe ihnen die «Kornkammer Aargau» und den «Weinkeller Waadtland» weggenommen und dafür nur den «Holzschopf Jura» gegeben. Dass der jurassische «Holzschopf» demokratisch selbstbestimmt nun wieder weg ist von Bern, war wohl unvermeidlich: Die Jurassierinnen und Jurassier waren nie BernerInnen. Und der gefühlte Jura beginnt landschaftlich, atmosphärisch und sprachlich halt schon kurz hinter Biel bei Péry-La Heutte.

Die weitgehend friedliche, selbstbestimmte Jura-Abspaltung bleibt weltweit betrachtet aber eine Ausnahme. In jüngerer Zeit konnten nur etwa die Bevölkerungen der Krim oder Schottlands   – beide 2014   – über ihre Zugehörigkeit abstimmen: Die RussInnen auf der Krim sprachen sich klar für den Wiederanschluss an Russland aus. Die SchottInnen mit 55 Prozent für einen Verbleib im Vereinigten Königreich Grossbritannien.

Schottland ist insofern ein interessanter Fall, als nach dem Brexit nun EU-Politiker plötzlich ein neues Referendum für das Schottische Volk befürworten   – mit dem Ziel einer Abspaltung Schottlands von Grossbritannien und des Wiedereintritts dieses Landes in die EU.

Fremdherrschaft in Katalonien, Palästina, Kurdistan

Das Verhalten der EU im Fall Schottland kontrastiert teilweise mit ihrem Verhalten im Fall von Katalonien: Die Bevölkerung dieses nordöstlichen Teils von Spanien mit vier Provinzen hatte 2017 für die Unabhängigkeit von Madrid gestimmt. Doch die spanische Zentralregierung ging   – toleriert durch die EU   – mit Militär, Polizei und Gerichten rabiat gegen die demokratisch gewählte Regierung Kataloniens vor   – und unterdrückte die Selbstbestimmung der KatalanInnen. Da ist nichts mit Freiheit von Fremdherrschaft im Sinne der UNO-Charta.

Das Gleiche gilt in Kurdistan, wo das zusehends diktatorische türkische Erdogan-Regime von Ankara aus das Selbstbestimmungsrecht des einheimischen Volkes seit Jahrzehnten mit Waffengewalt verhindert und mit Füssen tritt. Keinerlei Recht auf Selbstbestimmung besteht auch in Palästina: Dort zerstören israelische Besatzungstruppen unter den Augen der Weltöffentlichkeit laufend Häuser und Lebensgrundlagen der indigenen, arabischen Bevölkerung   – und sichern immer mehr illegale Ansiedlungen für teils extrem religiöse Israelis.  

Willkür und Machtpolitik statt Recht und Gesetz

Andernorts herrscht unter dem Titel «Selbstbestimmung» hingegen fragwürdige Willkür: Dem Kleinststaat Kosovo wurde (auch unter Mithilfe von Schweizer AussenpolitikerInnen) kurz nach dem Jahr 2000 die Unabhängigkeit von Serbien und Autonomie gewährt. Seither wird diese Autonomie mit Waffengewalt der Nato gesichert. Und mitten in dieser albanisch geprägten Mini-Republik im Südosten Serbiens befindet sich seit 1999 und bis heute die grosse US-Militärbasis Bondsteel mit bis zu 7000 Mann Besatzungstruppen. 

Unter dem Deckmantel der Autonomie besteht hier faktisch eine Fremdherrschaft durch Nato-Truppen und US-Militärs. Vor Jahresfrist zeigte sich dies ganz konkret: Da mischten sich US-Aussenpolitiker und Diplomaten derart massiv ein und übten Druck auf das kleine Land aus, dass dessen gewählte Regierung zurücktreten musste. Auf diese Art wird das Selbstbestimmungsrecht pervertiert und für geopolitische militärische Machtentfaltung missbraucht. Das widerspricht der UNO-Charta. Denn diese garantiert die «Selbstbestimmung der Völker»   – gerade auch als Schutz vor Einmischung und Fremdbestimmung durch übergriffige Weltmächte.  

Quelle: https://www.infosperber.ch/freiheit-recht/menschenrechte/im-jura-blueht-das-selbstbestimmungsrecht-der-voelker-auf/