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Bis heute ist er für mich ein Tag der Schande geblieben.

10. April 2013

Der 24. März 1999: "Bis heute ist er für mich ein Tag der Schande geblieben".

«Was der Reichstagsbrand von 1933 für die nachfolgende Entwicklung Deutschlands und der Weltgeschichte bis 1945 war, ist der 24. März 1999 für die Entrechtlichung der Internatio­nalen Beziehungen.»

Brief von Jochen Scholz, Berlin

Bild Jochen Scholz

Jochen Scholz

Für die verdienstvolle Ausgabe Nr. 13 anlässlich des Jahrestages der Nato-Aggression gegen die Bundesrepublik Jugoslawien möchte ich Zeit-Fragen meinen herzlichen Dank aussprechen. Für mich, der als Offizier in der alten Bundeswehr gross geworden ist, gilt nach wie vor die ethische Maxime des Generals und Friedensforschers Wolf Graf Baudissin, Gründungsdirektor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und geistiger Vater der «Inneren Führung» (Staatsbürger in Uniform): Der Auftrag des Soldaten ist es, Krieg zu verhindern, er ist Soldat für den Frieden.

Insofern bin ich ganz persönlich betroffen von dem Verfassungs- und Völkerrechtsbruch der rot-grünen Bundesregierung, der sich am 24. März 1999 konkretisierte mit der Beteiligung von deutschen ECR-Tornados an der Ausschaltung der serbischen Flugabwehr. Diesen Tag musste ich ein Jahr vor meiner Pensionierung im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) erleben. Bis heute ist er für mich ein Tag der Schande geblieben.

Jenseits der persönlichen Bewertung möchte ich aber den Blick auf etwas Grundsätzliches richten. Der auch Ihnen und Ihren Lesern bekannte ehemalige Parlamentarische Staatssekretär im BMVg (1987 bis 1992) und langjährige Aussenpolitiker Willy Wimmer, CDU, hat es mit diesem Vergleich zum Ausdruck gebracht: Was der Reichstagsbrand von 1933 für die nachfolgende Entwicklung Deutschlands und der Weltgeschichte bis 1945 war, ist der 24. März 1999 für die Entrechtlichung der Internationalen Beziehungen.

Dass sich kein einziger deutscher General diesem Völkerrechtsverbrechen öffentlich verweigert hat, entlarvt das jährliche Ritual im Bendlerblock Berlin zum Gedenken an den 20. Juli 1944 als Heuchelei. (Die Offiziere des 20. Juli haben mit ihrem Leben bezahlt. Die heutige Generalität würde allenfalls mit 75 Prozent der Bezüge in den einstweiligen Ruhestand entlassen.) Denn die militärische Führungsspitze war mindestens so gut über die tatsächliche Lage im Kosovo informiert wie ich dank des Zugangs zu objektiven Lageanalysen des Ministeriums.

Die handelnden Politiker haben aus diesen Erkenntnissen das exakte Gegenteil gemacht, um Parlament und Öffentlichkeit mit Hilfe willfähriger Medien, einschliesslich der Öffentlich-Rechtlichen, zu manipulieren. Ich möchte zur Erklärung des oben Geschilderten aus dem Lagebericht des «Amtes für Nachrichtenwesen der Bundeswehr» (gibt es heute in dieser Form nicht mehr) vom 23. März 1999, einen Tag vor Kriegsbeginn, zitieren:

«Tendenzen zu ethnischen Säuberungen sind weiterhin nicht zu erkennen.»

Manchmal überwiegt der Zorn, manchmal der Ekel, häufig kommt beides zusammen, denk ich an Deutschland in der Nacht.

Jochen Scholz, Berlin

Quelle:
http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1425 2013

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