Es ist mir eine Freude, auf Einladung der hier zuständigen Organisatoren zu Ihnen reden zu dürfen. Das, worüber ich zu Ihnen nun reden werde, ist allerdings alles Andere als eine Freude. Es ist eine echt traurige Geschichte!
Ein längerer – kritischer! – Leserbrief zu einem militärischen Thema an das «Badener Tagblatt» im Jahr 1964, aufgrund dessen Werner Geissberger, der damalige Regionalchef des «Badener Tagblatts», mich aufforderte, öfter und auch zu anderen Themen für das «BT» zu schreiben, wurde zum Start meines Berufes als Journalist. Im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen, die ihr Studium an der Uni abbrachen, um mehr schreiben zu können – was natürlich mehr Spass machte als Studieren –, schloss ich aber mein Studium der Allgemeinen Geschichte und des Staatsrechts mit einer sozialgeschichtlichen Dissertation ab und promovierte zum Dr.phil I, nicht zuletzt, um zum Beispiel im Bildungsbereich eine andere Tätigkeit ausüben zu können und – wichtig! – so nie aus finanziellen Gründen von einem Zeitungsverleger abhängig zu werden.
Beruflich wurde ich also Journalist, dann Redaktor, dann Ressortleiter, dann Mitglied der Redaktionsleitung und schliesslich persönlicher Stellvertreter des Herausgebers des «Badener Tagblatts» Otto Wanner, bis dieser im Jahr 1978 politisch – und nicht zum ersten Mal in seinem Leben – die Farbe wechselte und massiv nach rechts rutschte. Das war dann auch der Grund, beim «Badener Tagblatt» auszusteigen und über die Position des Chefredaktors der damaligen «Luzerner Neuste Nachrichten» LNN und später eines Medien-Managers im Hause Ringier und noch später eines selbständigen Medien-Beraters und dann als CEO einer Schweizer Medien-Gruppe meinen eigenen Weg zu beschreiten.
Warum erwähne ich diese Details aus meinem Leben? Meine sogenannte berufliche Karriere begann mit der Korrektur eines fehlerhaften Artikels. Das hat dann fast mein ganzes Leben bestimmt. Und ich kenne aufgrund meiner sogenannten Karriere auch beide Seiten: die des Journalisten und die des Verlagsmanagers, der für den wirtschaftlichen Erfolg eines Medienunternehmens verantwortlich ist. Ich war auch etliche Jahre in Prag im Einsatz, wo ich hautnah erlebte, dass in einem anderen Land eben nicht immer alles gleich abläuft wie im trauten Heimatland – nicht zuletzt im Bereich der Medien, der Vetternwirtschaft und der Korruption.
Trotz eines reichen beruflichen Werdegangs im Bereich der Medien hätte ich mir vor fünf Jahren aber noch nicht vorstellen können, wie brutal die Medienszene sich innerhalb kürzester Zeit total verändern kann – zum Negativen.
Es sind drei Punkte, die ich in aller Kürze beleuchten möchte:
- Viele junge Journalisten sind zwar «journalistisch» ausgebildete Berufsleute – man lernt da zum Beispiel, dass man zur leichten Lesbarkeit keine Sätze mit mehr als fünf Kommas schreiben soll. Diese jungen Journalisten haben aber von der Geschichte – der Weltgeschichte! – oft keine Ahnung und liegen in ihren Aussagen und Analysen, wie ein politisches Ereignis zustande gekommen ist, oft völlig falsch.
- Aus Gründen der finanziellen Abhängigkeit sind sie heutzutage bereit, auch fürchterliche Vorgaben ihrer Bosse widerspruchsfrei zu befolgen.
- Viele von ihnen haben sich auch aus dem Bereich der uns innewohnenden Mitmenschlichkeit, bei einer kriegerischen Auseinandersetzung zur Vermeidung von weiteren Kriegsopfern als erstes eine Waffenruhe zu befürworten und anzustreben, definitiv verabschiedet. Viele sind recht eigentlich zu Kriegshetzern geworden.
Zur mangelnden Kenntnis der Geschichte
Ich nenne hier ein Beispiel, das leicht nachzuvollziehen ist und nicht nur einen einfachen, normalen Journalisten, sondern den Chefredaktor des im Bereich der Regionalzeitungen grössten Schweizer Medien-Konzerns und der regionalen Privatradio-Stationen, der CH-Media-Gruppe – Aargauer Zeitung, Luzerner Zeitung, St. Galler Tagblatt und etliche weitere Blätter – betrifft: CH-Media Chefredaktor Patrik Müller. Dieser schrieb am 5. Juni 2019 wörtlich: «Heute und morgen werden wir wieder schöne Reden hören, denn gefeiert wird die Landung der alliierten Truppen in der Normandie vor 75 Jahren – der Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg, der zur Befreiung Europas von Hitlers Nazi-Terror führte.» Und tags darauf, am 6. Juni, wurde in der gleichen, von Patrik Müller verantworteten Zeitung, dem gleichen Ereignis, dem sogenannten D-Day, eine ganze Doppelseite gewidmet. Headline: «Heute vor 75 Jahren begann (sic!) die Befreiung Europas von den Nazis.»
Diese beiden Aussagen sind historisch schlicht und einfach falsch. Erstmals echt geschlagen wurden die Truppen der Deutschen Wehrmacht und ihrer Verbündeten im Zweiten Weltkrieg in der Schlacht von Stalingrad vom Juli 1942 bis Februar 1943, wo beide Seiten – Wehrmacht und Rote Armee – Hunderttausende von Opfern zu verzeichnen hatten. Und vernichtend geschlagen wurden die Deutschen und ihre Verbündeten im Juli 1943 in der gigantischen Schlacht bei Kursk, bekannt unter dem Namen «Unternehmen Zitadelle», wo es erneut auf beiden Seiten zu Hunderttausenden von Toten kam – auf russischer Seite in beiden Fällen auch zu unendlich vielen zivilen Kriegsopfern. Seit diesen beiden Schlachten waren die deutschen Truppen auf dem Rückzug.
Die Landung in der Normandie der Alliierten ein Jahr später Anfang Juni 1944 – dem sogenannten D-Day – war zwar ebenfalls ein bedeutendes militärisches Ereignis im Zweiten Weltkrieg, aber alles andere als die Wende! Selbst im Januar 1945, also nur vier Monate vor Hitlers Kapitulation, bat der britische Premier Winston Churchill den Machthaber der Sowjetunion, Stalin, schriftlich darum – die Dokumente dazu sind erhalten –, den Vormarsch der Roten Armee Richtung Berlin auf keinen Fall zu stoppen, da eine dadurch möglich werdende Verlagerung der deutschen Truppen von der Ostfront an die Westfront einen erfolgreichen Einmarsch der alliierten Truppen im Westen Deutschlands in Frage stellen würde.
Ob Chefredaktor Patrik Müller von Militärgeschichte einfach keine Ahnung hat und dabei blind der westlichen Polit-Propaganda folgt, oder ob er die Geschichte sogar absichtlich verdreht, um die westlichen Mächte zu verherrlichen, bleibe dahingestellt. Eine bewusste Verherrlichung der westlichen Militärmächte ist allerdings deutlich wahrscheinlicher: Im aargauischen Birmenstorf fand auch in diesem August wieder die Grossveranstaltung «Convoy to Remember» statt, an der zur Erinnerung an den D-Day in einem Umzug ein paar hundert historische Panzer und andere Militärfahrzeuge gezeigt werden. Und auch diese Grossveranstaltung – unter Beteiligung der «Patrouille Suisse» – fand statt unter dem Motto «Im Gedenken an die Befreiung Europas» und sie erinnerte gemäss eigener Website «an die Invasion der Alliierten im Juni 1944» in der Normandie. Für den Chefredaktor der «Aargauer Zeitung» Patrik Müller wäre es die Gelegenheit gewesen, darauf aufmerksam zu machen, dass diese Darstellung der Geschichte des Zweiten Weltkrieges falsch ist. Gemacht hat er es nicht.
Dies nur ein – wenn auch prominentes – Beispiel, wie die Geschichte von den Medien vergessen oder sogar bewusst verdreht wird.
«His Masters Voice»
Es ist nachgerade üblich geworden, dass die Eigentümer und Bosse der grossen Konzern-Medien, die Verleger, sowohl in Deutschland wie auch in der Schweiz selber in die Tasten greifen – und damit ihren Schreibsklaven öffentlich vorgeben, welche Politik sie zu vertreten und was sie zu schreiben haben. So etwa hat der Boss und Grossaktionär des deutschen Axel Springer Medien-Konzerns – zu diesem gehören unter anderem die Tageszeitung «Die Welt» für die deutsche Intelligenz und die «Bild»-Zeitung für die grosse Masse – Mathias Döpfner, selber einen Aufruf an seine Leser geschrieben. Von den zwei verbliebenen Möglichkeiten, entweder von China (zusammen mit Russland und Iran) abhängig zu werden, oder aber sich klar und deutlich nach den Vorgaben der USA zu richten, so Döpfner, komme nur diese zweite Variante in Frage: engste Zusammenarbeit im transatlantischen Bündnis mit den USA.
Welcher Redaktor oder Journalist in einem zum Axel Springer Konzern gehörenden Medium hat seither den Mut gehabt, die transatlantische Zusammenarbeit zu hinterfragen oder gar zu kritisieren?
Auch in der Schweiz gibt es ein prominentes Beispiel. Der Mehrheitsbesitzer und dadurch oberste Boss der CH-Media-Gruppe, Verleger Peter Wanner, hat am 19. März 2022, also knapp einen Monat nach Beginn des Krieges in der Ukraine, auf den Frontseiten seiner vielen marktdominierenden Regionalzeitungen einen eigenen Leitartikel platziert. Headline: «Der Westen muss klare Kante zeigen». Weil auch in Peter Wanners Medien-Imperium der rückläufigen Werbe-Erträge wegen das journalistische Personal kontinuierlich zurückgefahren wird und die Journalisten natürlich befürchten müssen, beim nächsten Personalabbau einer der Betroffenen zu sein, wagt es nun keiner mehr, eine differenziertere oder gar abweichende Meinung zu vertreten. Die Übernahme der Vorgaben des eigenen höchsten Bosses geht bis in die sprachlichen Formulierungen hinein. Peter Wanner brauchte die in der Schweiz eher unübliche Formulierung «klare Kante zeigen». Remo Hess, der CH-Media-Mann in Brüssel, über Ursula von der Leyen am 15. September – ebenfalls in der Headline: «Stets klare Kante gezeigt: Für einmal Lob für Ursula von der Leyen». Auch die Kultur-Zuständigen der CH-Media-Zeitungen wagen keine kritischen Worte mehr. Selbst wenn an einem St. Galler Musik-Festival die Oper «Die Jungfrau von Orleans» von Peter Tschaikowsky abgesetzt und durch Giuseppe Verdis «Giovanna d’Arco» ersetzt wird, weil es den Flüchtlingen aus der Ukraine nicht zuzumuten wäre, ein Stück eines russischen Komponisten – geboren notabene 1840 und gestorben 1893 – mitanhören zu müssen, wagt es kein Journalist mehr, solchen nachgerade rassistischen Schwachsinn zu kritisieren. (Die FAZ in Deutschland hat es immerhin getan.)
Peter Wanner schrieb in seinem Leitartikel auf der Frontseite seiner Zeitungen wörtlich: «Schon jetzt hat Putin in verschiedener Hinsicht den Krieg verloren: Er hat ihn politisch verloren, weil er weltweit isoliert dasteht, er hat ihn moralisch verloren, weil er als Aggressor und Kriegsverbrecher wahrgenommen wird, er hat ihn kommunikativ verloren, weil Selenski ihm hier haushoch überlegen ist, und er hat ihn ökonomisch verloren, weil die vom Westen verhängten Sanktionen ihre Wirkung entfalten und die russische Wirtschaft in den Abgrund ziehen. Kommt hinzu, dass er mit dem Überfall auf die Ukraine nicht nur den Abwehrwillen des ukrainischen Volkes gestärkt und die ukrainische Nation geeint hat, er hat auch die Nato geeint, die USA als Leader der freien Welt auf den Plan gerufen und die Deutschen zur Aufrüstung mit 100 Milliarden gebracht – sowie zur Abkehr von ihrer naiven Ostpolitik.»
Der Faktencheck der Wannerschen Behauptungen:
Putin weltweit isoliert? Das ist Unsinn. Allein schon am Gipfeltreffen der «Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit» SOZ Mitte September in Samarkand waren die Regierungschefs von vielen Ländern anwesend, die zusammen gut und gerne 40 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Und sie alle sind tendenziell eher auf der russischen Seite als auf der Seite der USA. Praktisch ganz Lateinamerika und praktisch ganz Afrika sind überhaupt nicht interessiert an dem Krieg in der Ukraine. Die Bevölkerung der Ukraine entspricht (noch) knapp 0,7 Prozent der Weltbevölkerung, warum soll da eine «weltweite» Isolierung Putins zustande kommen?
Den Krieg moralisch verloren? Ja, das kann man so sagen, gerade eben der westlichen Medien wegen – CH-Media inbegriffen! Die Anti-Russland-Politik der USA, Grossbritanniens und der anderen NATO-Staaten mit ihren massiven Provokationen gegen Russland (NATO-Osterweiterung, Raketenbasen in Polen und in Rumänien, gigantische NATO-Manöver an der russischen Grenze und die Verweigerung von Sicherheitsgarantien für Russland im Dezember 2021, um nur einige der Fakten zu erwähnen) wird in den meisten Medien ja ganz einfach verschwiegen. Es geht den Medien genau darum, Putin als «moralisch» Alleinschuldigen zu positionieren.
Den Krieg kommunikativ verloren? Ja, weil die westlichen Medien Wolodymyr Selenskyj zum modernen Heiligen erklärt haben und seine eigenen Missetaten – zum Beispiel seine Verweigerung der Erfüllung der Minsk II Verträge, die Schliessung aller oppositionellen Medien in der Ukraine, vor allem aber auch die seit acht Jahren andauernde Beschiessung des Donbass – einfach verschweigen.
Ökonomisch verloren? Das ist völliger Unsinn. Die Russland-Sanktionen schaden der Wirtschaft in der EU deutlich mehr als Russland. Ganz Westeuropa leidet bereits unter der nachgerade suizidalen Anti-Russland-Wirtschaftspolitik der EU.
Die ukrainische Nation geeint? Und was ist mit dem Donbass im Südosten der Ukraine, der seit 2014 von ukrainischen Truppen immer wieder beschossen und bombardiert wird, mit mindestens schon 15‘000 Toten? Auch das wird in den westlichen Medien konsequent verschwiegen.
Die NATO geeint? Noch immer weigert sich die Türkei, der Aufnahme Schwedens und Finnlands in die NATO zuzustimmen – droht aber ihrerseits dem NATO-Mitglied Griechenland deutlicher als je zuvor mit einem Krieg und der Besetzung der ägäischen Inseln. Eine geeinte NATO?
Die USA als Leader der freien Welt auf den Plan gerufen? Die Realität ist genau umgekehrt: Die USA haben schon 2014 auf dem Kiewer Maidan massiv eingegriffen, mit sehr viel Geld und sogar mit einem persönlichen Auftritt des republikanischen US-Senators John McCain, der die Protestierenden von der Maidan-Rednerbühne herab aufforderte, durchzuhalten. Und die seither alles getan haben, um die Ukraine militärisch aufzurüsten und das militärische Personal im Umgang mit modernen Waffen zu schulen. Die USA sind nicht erst durch den Krieg in der Ukraine auf den Plan gerufen worden, sie sind selber Mitverursacher dieses Krieges.
Rhetorische Frage: Hat jemand in den 30 Wochen seit Verleger Peter Wanners Frontseiten-Leitartikel mit diesen Behauptungen in den von ihm verantworteten Zeitungen einen Artikel lesen können, in dem diese seine Behauptungen differenziert, relativiert oder gar als falsch dargestellt wurden? Die bittere Realität der heutigen Medien ist, dass wenn der Chef gesprochen hat, alles so kommuniziert wird, wie dieser es vorgegeben hat – Fakten hin oder her.
Doch warum rede ich bis jetzt nur von den CH-Media-Zeitungen? Ich könnte das gleiche auch in der NZZ aufzeigen. NZZ-Chefredaktor Eric Guyer schrieb am 27. August ebenfalls auf der Frontseite der Zeitung schon in der Headline: «Putin hat verloren». Und auch er behauptet, die NATO sei jetzt stärker denn je. «Der Westen ist im Rahmen seiner Möglichkeiten geeint. Die wegen Trumps Maulheldentum schon für hirntot erklärte Nato steht robuster da denn je. In einem konventionellen Schlagabtausch stellt Russland für die Allianz keine Bedrohung dar.» Auch hier kein Wort über die Probleme innerhalb der NATO.
Der Aufruf zum Krieg
Was aber besonders erschreckend ist, sind die Kommentare der Journalisten, in denen sich diese ausdrücklich gegen Verhandlungen der Ukraine mit Russland aussprechen und klar sagen, dieser Krieg müsse auf dem Schlachtfeld ausgetragen und gewonnen werden – mit dem Ziel der militärischen und politischen Schwächung Russlands. Normales menschliches Verhalten wäre ein Aufruf für einen Waffenstillstand, um weitere Kriegsopfer – notabene auf beiden Seiten – zu vermeiden.
Ich habe von verschiedenen privaten Seiten einen guten Vergleich gehört: Zwei Buben, ein 16- und ein 8-jähriger, streiten sich und schlagen aufeinander ein. Da kommt die Mutter der beiden dazu – und was macht sie? Sie geht auf die beiden zu, versucht die beiden zu trennen und ruft «hört auf, euch zu schlagen!» Keine Mutter und auch kein anderer Mensch würde dem kleineren Buben ein Messer oder gar ein Beil in die Hand geben, um den grösseren und stärkeren wirksamer schlagen oder gar umbringen zu können. Aber was die westlichen Länder jetzt tun, ist genau das: sie liefern dem Schwächeren, der Ukraine, Waffen und Munition – und was für welche! –, um den stärkeren besser schlagen und schädigen zu können! Sie rufen zum Krieg auf, mit Zehn- oder gar Hunderttausenden von Opfern, militärischen und auch zivilen. Das ist ein absolut unmenschliches Verhalten!
Aber diese Aufrufe zum Krieg sind real! Wenn der Chef Aussenpolitik der EU, Josep Borrell, dazu aufruft, diesen Krieg in der Ukraine auf dem Schlachtfeld zu beendigen, dann ist – dies ist meine klare Meinung – auch das ein Kriegsverbrechen. Aber wenn sogar Journalisten dazu aufrufen, diesen Krieg nicht mit Verhandlungen, sondern auf dem Schlachtfeld zu beenden, was ist es dann? Und solche Aufrufe sind bittere Realität. Als Österreichs Kanzler Karl Nehammer Mitte April nach Moskau reiste, um mit Putin reden zu können, kritisierte Fabian Hock, der zuständige Ausland-Chef der CH-Media Zeitungen, Nehammer am 11. April scharf: «Dieser Besuch ist nicht nur sinnlos, sondern gefährlich. Und er ist ein absurdes Beispiel westlicher Fehleinschätzungen gegenüber dem Kriegstreiber im Kreml.» Fabian Hocks Schlussfolgerung wörtlich: «Es gibt nur einen Weg, wie Putin zurückgebunden werden kann: Russland muss militärisch geschlagen werden.»
Ins gleiche Kapitel gehört der Aufruf, nicht nur Putin, sondern die Russen schlechthin zu stoppen. Der gleiche Fabian Hock, Ausland-Chef aller CH-Media-Zeitungen und besonders treuer Gefolgsmann des Verlegerschen Aufrufs, «harte Kante» zu zeigen, an anderer Stelle in der Diskussion über die Visa-Vergabe an russische Touristen, wörtlich: «Es ist nicht nur Putins Krieg. Es ist Russlands Krieg. Ein Teil der mindestens gleichgültigen Bevölkerung verbringt die Ferien dank Touristen-Visa wie selbstverständlich in Europa. Das ist schlicht inakzeptabel.» Dieser Spruch von Fabian Hock ist, nebenbei bemerkt, auch ein typisches Beispiel massiver europäischer Selbstüberschätzung. Es gibt wahrlich auch ausserhalb der EU wunderschöne Orte, um Ferien zu machen!
Auch in diesem Punkt können zahlreiche Beispiele auch aus der NZZ erwähnt werden. Am 30. August, um ein Beispiel zu erwähnen, publizierte die NZZ einen ganzseitigen Beitrag von einem deutschen Autor Namens Jörg Himmelreich mit der bezeichnenden Headline: «Russlands asiatisches Gewalterbe». Und schon im Vorspann stand der Satz: «Nach 1989 glaubte man daran, dass Moskau im europäischen Haus Platz finden könne.» Und dann kommen die Erklärungen, warum Russland eben kein Vertreter «europäischer Werte» sei und sein könne. Der ganze lange Artikel strotzt von Rassen- und von Russenhass. Auch in der NZZ vom 25. Oktober findet sich ein langer Artikel: «Die Russen verharren in Passivität». Auch hier: die Russen …
Unfassbares konnte man auch auf der Frontseite der NZZ vom Samstag, 15. Oktober, lesen, geschrieben von Chefredaktor Eric Guyer persönlich: «Eine glaubwürdige Abschreckung ist deshalb auch heute das beste Mittel, um den Einsatz von Atomwaffen zu unterbinden.» Und an anderer Stelle: «Wer Waffenlieferungen ablehnt und dies mit dem wachsenden Risiko eines Atomkriegs begründet, irrt. Das Gegenteil ist der Fall. Standfestigkeit in der konventionellen Sphäre ist der beste Schutz gegen eine atomare Eskalation.» Und der Schlussabschnitt von Eric Guyers Leitartikel auf der NZZ-Frontseite: «Wer dies nicht verstanden hat, sind wieder einmal viele Europäer und besonders die Deutschen. Die vier Merkel-Kabinette verweigerten den Kauf neuer Flugzeuge, die den deutschen Beitrag zur Nato-Abschreckung darstellen. Gegen diese ‹nukleare Teilhabe› sprachen sich vor dem Ukraine-Krieg auch die drei Parteien der Ampelkoalition aus. Zudem liebäugelten sie mit der Idee eines Verbots von Atomwaffen. Russland und Nordkorea hielten sich gewiss daran. Diesem Hirngespinst jagte auch das Schweizer Parlament nach, das sich in der Aussenpolitik für das Wahre, Schöne und Gute in der Welt zuständig fühlt. – Europa ist seit Putins Angriffskrieg ein gefährlicher Ort. Damit er nicht noch gefährlicher wird, ist mehr Realismus erforderlich – auch im Umgang mit Atomwaffen.»
So rufen all diese Schweizer Zeitungen nicht nur dazu auf, mit Russland keine Verhandlungen zu führen, sondern diesen Krieg auf dem Schlachtfeld zu gewinnen und deshalb Waffen und immer noch mehr Waffen und immer noch bessere Waffen an die Ukraine zu liefern. Und die gleichen Zeitungen rufen damit auch zum Rassenhass auf, zum Hass gegen alle Russen, vergleichbar zum Hass auf die Juden, zu dem die damaligen Nazis aufgerufen haben. Auch solche Journalisten müssten eigentlich als Kriegsverbrecher vor Gericht gebracht werden können. Justiziabel ist solche Kriegshetze aber leider noch nicht – Stoff für künftige Historiker aber ist es alleweil.
Sie hier, hoch geschätzte Anwesende, die meisten von Ihnen Mitglied einer Organisation, die sich für den Frieden engagiert, haben vollkommen recht: Wo immer mit Waffengewalt Krieg geführt wird, von wem und mit wem auch immer: Es ist nicht nur das absolut wichtigste, einen Nuklear-Krieg zu verhindern, der zur Vernichtung der ganzen Menschheit führen kann. Wir müssen auch gegen jeden kleineren Krieg ankämpfen – nicht mit Waffen notabene, sondern mit unseren Stimmen und mit unserer Schreibe. Und wir müssten es soweit bringen, dass nicht nur die militärischen Kriegsherren als Kriegsverbrecher vor Gericht gebracht werden können, sondern auch die Eigentümer und die Bosse jener privaten Medien-Konzerne, die zum Krieg – zumal zum Krieg in einem anderen Land – aufrufen. Und auch jene Journalisten, die ihren kriegsgeilen Bossen widerstandslos Folge leisten!
20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, im Jahr 1965, schrieb der damals bestbekannte deutsche Journalist Paul Sethe: «Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.» Dieser sein Spruch gilt heute wie damals, nur sind es heute im deutschsprachigen Raum wohl nur noch 20 und nicht mehr 200 reiche Leute wie damals, die «die Freiheit haben, ihre Meinung zu verbreiten». Unsere neoliberale Wirtschaftsordnung führt nicht nur dazu, dass der Mittelstand immer kleiner wird, dass immer mehr Menschen verarmen und dass das Geld aufwärts fliesst – aufwärts zu den Reichen. Auch die Meinungsfreiheit geht in den mittleren und unteren Schichten immer mehr verloren und wird immer mehr zum Privileg jener, die volle Kassen haben. Die US-amerikanischen Neocons zeigen uns gerade wieder brandaktuell, wie die neoliberale Wirtschaftsordnung und die Meinungsmanipulation zugunsten der weltweiten Hegemonie der USA eng ineinander verwoben sind.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Quelle: https://globalbridge.ch/so-rufen-schweizer-medien-zu-noch-mehr-krieg-auf/
Mit freundlicher Genehmigung und Dank an Christian Müller
Wichtige Information: Die Tagung in Solothurn wurde organisiert und finanziell ermöglicht von den vier Schweizer Organisationen «Fondation GIPRI», «Schweizerische Friedensbewegung», «Vereinigung Schweiz-Cuba» und «ALBA SUIZA». Alle diese vier Organisationen setzen sich für den Frieden ein und leben ausschliesslich von den Beiträgen ihrer Mitglieder und von Spenden aus der Bevölkerung, um deren Friedensarbeit zu unterstützen. Initiantin, Organisatorin – mit etlichen Helferinnen und Helfern – und Moderatorin der Tagung mit Referaten und Diskussionen in Deutsch, Französisch und Englisch war Natalie Benelli, die dafür grossen Dank verdient.
Auch der Artikel «Die Rolle der Medien in bewaffneten Konflikten» von Karin Leukefeld, der am 17. Oktober 2022 auf globalbridge.ch online ging, entstand als Referat an dieser Tagung.