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Rutger Bregman: "Moralische Ambition" Wie bringt man Menschen dazu, ihren Job zu wechseln, um mehr Gutes zu tun?

Die meisten geben sich mit Mittelmäßigkeit zufrieden. Und haben falsche Vorstellungen von Karriere und Erfolg. Sagt der Historiker Rutger Bregman, der mit seinem neuen Buch "Moralische Ambition" nach Formeln sucht, wie jeder einzelne die Welt verbessern kann.
Von Ferdinand Meyen 11.11.2024 - übernommen von br.de/radio/bayern2

Wie hört man auf, sein Talent zu vergeuden? Und wie schafft man etwas, das wirklich zählt? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das neue Buch "Moralische Ambition" des niederländischen Historikers Rutger Bregman. Darin erzählt der Autor von "Im Grunde Gut" und "Utopien für Realisten" die Geschichten unterschiedlicher Pioniere, die den Lauf der Welt zum Besseren verändert haben.

RutgerBregman StephanVanfleteren
Rutger Bregman

Parallel zum Buch hat Rutger Bregman außerdem die "School For Moral Ambition" gegründet. Eine Bewegung, die Menschen dazu bringen soll, ihr Verständnis von Erfolg zu überdenken, ihre Bullshit Jobs an den Nagel zu hängen, und persönlichen Erfolg neu zu definieren.

Zündfunk: Rutger Bregman, Du hast nicht nur ein Buch veröffentlichst, sondern auch eine Bewegung gestartet, die School for Moral Ambition. Was genau ist das für eine Bewegung?

Rutger Bregman: Eine Bewegung der ambitionierten Idealisten. Wir wollen so viele Menschen wie möglich dazu bringen, an den wichtigsten Fragen unserer Zeit zu arbeiten. Sehr viele Menschen sind nämlich heutzutage in Jobs gefangen, die dazu fast nichts beitragen. Gleichzeitig stehen wir als Menschheit vor enormen Problemen. Zum Beispiel dem Klimawandel, dem Artensterben, dem Zerbrechen der Demokratie. Wir brauchen die besten und schlausten Menschen, um diese Probleme zu lösen. Und deswegen haben wir die Bewegung gestartet.

In Deinem neuen Buch "Moralische Ambition" schreibst Du: Die meisten Menschen würden sich einfach mit ihrer Mittelmäßigkeit abfinden. Was genau meinst Du damit?

Zugegeben, die Aussage ist provokant. Aber lass mich erklären, wie ich das meine: Die Anthropologin Margaret Mead hat einmal gesagt, dass man niemals die Kraft unterschätzen sollte, die von kleinen Gruppen engagierter Bürger ausgeht. Sie können die Welt verändern   – mehr noch: Nur so entsteht überhaupt Veränderung. Eigentlich sind das harte Worte. Denn damit sagt sie gleichzeitig auch, dass die meisten Menschen die Welt eben nicht verändern. Weil sie die Regeln befolgen und tun, was von ihnen erwartet wird. Sie haben vorhersehbare Meinungen und vorhersehbare Jobs. Und gehen nie Risiken ein. Mich haben als Historiker immer die anderen interessiert: Warum sind manche Menschen dazu in der Lage, die Geschichte zum Besseren oder Schlechteren zu verändern?

Du schreibst aus diesem Grund, dass man die Talentverschwendung beenden muss und dass die Menschen hauptsächlich für ihre Ideale arbeiten sollen. Aber wofür soll man heute kämpfen, wofür moralisch ambitioniert sein? Es gibt ein großes Angebot.

 

Das neue Buch von Rutger Bregman: "Moralische Ambition"

Als erstes möchte ich sagen: Der erste, der dieses Buch gebraucht hat, war ich selbst. Ich habe zehn Jahre meiner Karriere damit verbracht, die Awareness der Leute zu vergrößern, ihnen also Probleme bewusst zu machen. Ich habe Bücher und Artikel geschrieben, meine Meinung zu vielen verschiedenen Problemen geäußert. Und dann hoffst du halt, dass andere die richtige Arbeit machen und die Welt ein besserer Ort wird. Aber irgendwann habe ich realisiert, dass es eine riesige Lücke gibt zwischen Awareness und Aktion.

Und jetzt zu den Problemen. Das ist keine Raketenwissenschaft. Wir kriegen ja alle mit, was mit dem Planeten passiert. Außerdem haben wir gerade die Wahlergebnisse in den USA gesehen. Ich denke die meisten Menschen in Europa würden zustimmen, dass das sehr besorgniserregend ist. Auch, weil es ja Teil eines größeren Trends ist. Die Autokratie ist überall auf dem Vormarsch. Ich bin kein moralischer Nihilist. Es gibt eine dunkle Seite und eine helle Seite. Und viel zu viele Menschen arbeiten auf der dunklen. Die müssen wir dazu bekehren, für Gutes zu kämpfen.

Du hast gerade die Awareness angesprochen. Die wird in "Moralische Ambition" auch kritisiert, aber aus einem anderen Grund, als es die Anti-Woken oft tun. Das Argument bei dir: Viele Leute ruhen sich auf Ihrer Awareness aus. Aber dadurch verändern sie nichts.

Ja, das frustriert mich schon seit sehr langer Zeit. So viele Progressive und Linke fokussieren sich lieber darauf, wie sich Dinge anfühlen, anstatt zu handeln und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Die, die oft "woke" genannt werden, verbringen viel Zeit damit, nach den richtigen Begriffen zu suchen. Sie überlegen, wie man die Ungerechtigkeiten auf dieser Welt am besten beschreibt. Für die deutsche Version des Buchs musste ich mich zum Beispiel mit der deutschen Debatte um das Gendern auseinandersetzen.

Ja, das Gendersternchen. Dass man zum Beispiel "Wissenschaftler*innen" sagt, nicht "Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler".

Aber pass auf: Wir leben in einer Welt, in der gerade ein Autokrat in den USA gewählt wurde. Wir leben in einer Welt, in der jährlich fast fünf Millionen Kinder wegen leicht zu heilender Krankheiten sterben. Wir leben in einer Welt, in der die nächste globale Pandemie nur auf ihren Ausbruch wartet. Und sie könnte viel schlimmer sein als Covid. Wir leben in einer Welt, in der 80 Milliarden Tiere pro Jahr geschlachtet und unter grausamen Bedingungen gehalten werden. Und was machen wir? Wir verbringen Stunden damit, über die richtigen Pronomen zu diskutieren. Ich will nicht sagen, dass Sprache überhaupt nicht wichtig ist. Aber manchmal sollten wir besser im Priorisieren werden. So viel Energie wird für Dinge verschwendet, die keine Auswirkungen auf das Leben der Menschen haben.

Was mir an deinen Büchern gefällt, das war auch schon so bei "Im Grunde gut" und "Utopien für Realisten", Du bleibst immer optimistisch, obwohl sich in der Welt wahnsinnig viel verschlechtert. Wie gelingt das?

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Ehrlich gesagt würde ich mich gar nicht als puren Optimisten beschreiben. Wenn ich ehrlich bin, habe ich verdammt viel Angst, zum Beispiel vor dem, was gerade in den USA passiert. Ich bin erst vor ein paar Wochen nach New York gezogen. Und ich spüre einfach, wie nervös und ängstlich die Menschen sind. Was ich aber aus der Geschichte gelernt habe, ist, dass die Dinge auch anders sein können. Die Struktur unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft muss nicht so bleiben wie jetzt gerade. Es gibt keine Zwänge. Und das gibt mir Hoffnung. Ich habe mir für dieses Buch viele erfolgreiche Bewegungen der Vergangenheit angeschaut. Die Abolitionisten und die Suffragetten zum Beispiel. Was man dort sieht, ist, wie unglaublich lange sie gebraucht haben. Es hat zum Beispiel 50 Jahre gedauert, bis der Sklavenhandel abgeschafft war. Der Kampf für das Frauenwahlrecht dauerte sogar 75 Jahre. Von den 68 Frauen, die die Bewegung einst gestartet hatten, war da nur noch eine am Leben. Und am ersten Wahltag war sie auch noch krank. Die Geschichte gibt dir die Möglichkeit, einen Schritt zurückzutreten und das große Ganze zu sehen.

Wenn man sich nun dazu entscheidet, für eine bessere Welt zu kämpfen, nicht für die eigene Karriere   – wie merkt man denn, dass man auf der richtigen Seite steht? Die Mehrheit der US-Amerikaner hat gerade Donald Trump zum Präsidenten gewählt   – vermutlich ebenfalls aus moralischer Überzeugung.

Richtig. Das war in unserer Geschichte schon immer so. Die Menschen haben immer gedacht, dass sie auf der richtigen Seite stehen. Die alten Römer haben sich zum Beispiel für wahnsinnig zivilisiert gehalten. Viel zivilisierter als "diese Barbaren oben im Norden", die noch Kinder geopfert haben. Gleichzeitig hatten sie kein Problem damit, den Löwen im Kolosseum nackte Frauen zum Fraß vorzuwerfen, was wir heute für sehr barbarisch halten. Die entscheidende Frage ist also: Wie werden die Historiker der Zukunft auf uns blicken? Machen wir heute vielleicht auch etwas, was zukünftige Historiker für große Verbrechen und moralische Katastrophen halten werden?

Aber wir können uns nicht darauf ausruhen, dass wir das nicht wissen. Es gibt schon ein paar Richtlinien für moralischen Fortschritt in den letzten Jahrhunderten. Es sollte darum gehen, unseren moralischen Radius zu vergrößern. Als die Abolitionisten angefangen haben, gegen die Sklaverei zu kämpfen, haben sie genau das getan. Sie haben gesagt: "Ja, Schwarze Menschen sind ebenfalls Menschen!" Die Suffragetten konnten dann darauf aufbauen. Es ist ja kein Zufall, dass viele dieser Frauen zuvor gegen die Sklaverei gekämpft haben. Und dann entstanden noch weitere Kampagnen. Zum Beispiel die Bürgerrechtsbewegung und die LGBT-Bewegung. Wir müssen den moralischen Kreis also immer größer ziehen. Und zwar, indem wir diesen einen Fakt begreifen: Die Würde aller Menschen ist gleich. Die Rechte aller Menschen sind gleich. Und jetzt sind wir an einem Punkt der Geschichte, an dem wir begreifen, dass andere Lebewesen vielleicht auch dazugehören könnten. Tiere zum Beispiel.

Wie erfolgreich warst Du mit deiner Bewegung bislang? Konntest du schon Menschen überzeugen?

Ehrlich gesagt ist das das Aufregendste, was ich jemals gemacht habe. In den Niederlanden verbreitet sich das wie ein Lauffeuer. Hunderte Menschen machen schon mit. Zum Beispiel, indem kleine Gruppen zusammenkommen und sich überlegen, wie sie ihren Einfluss vergrößern können. Wie kann ich meinen Job wechseln, um mehr Gutes zu tun? Wir nennen uns manchmal "die Robin Hoods des Talents". Wir nehmen den Reichen und Wohlhabenden zwar nicht das Geld weg, aber das Talent. Und das spenden wir den wichtigsten Kämpfen unserer Zeit. Und ich glaube, das ist nur der Anfang. Auch in Deutschland wollen wir viele Menschen für unsere Community gewinnen.

 


Quelle: Radio Bayern2

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