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Keine Freunde im Westen

Geschichte schreiben: Der Nahostkorrespondent Robert Fisk ist tot.
Von Karin Leukefeld, 7.11.2020
09. November 2020
Robert Fisk arbeitete 40 Jahre als Nahostkorrespondent für The Times und den Independent. Er hatte die britische und irische Staatsangehörigkeit, lebte in Beirut und Dublin. Dort ist er am 30. Oktober im Alter von 74 Jahren gestorben. Als Korrespondent und Zeitzeuge legte Fisk Zeugnis über politischen Verrat und Illusionen der lokalen und regionalen Akteure ebenso ab wie über eine westliche Politik, die  – bis heute  – die Nationen und Menschen der Region in politische und militärische Katastrophen führt.

»Na, auch hier?«   – Robert Fisk und Michael Jansen, zwei Veteranen der Nahostberichterstattung, schütteln sich die Hände. Es ist Juli 2006, und es ist Krieg im Libanon. Jansen ist Korrespondentin der Irish Times, Fisk Korrespondent des britischen Independent. Beide stehen in »Smith’s Info Village« in Hamra, einem Stadtteil von Beirut. »Der einzige Ort mit Internet«, meint Fisk; er sortiert gerade Seiten beschriebenen Papiers, die vor ihm auf dem Tisch liegen. Es folgt ein knappes Gespräch, wie es zwischen Journalisten typisch ist, die sich seit Jahrzehnten immer wieder an den Frontlinien begegnen. Dann machen sich beide an die Arbeit, tippen ihre Reportagen, um sie rechtzeitig vor Redaktionsschluss per E-Mail abzuschicken.

Mit seinen unzähligen Reportagen von den Kriegsfronten in Beirut, Palästina, Syrien, Irak und Afghanistan hat Robert Fisk im wahrsten Sinne des Wortes »Geschichte geschrieben«. Im Februar 1982 war er im syrischen Hama, als der Aufstand der syrischen Muslimbruderschaft blutig niedergeschlagen wurde. Im September desselben Jahres erlebte er die Invasion der israelischen Armee in den Libanon. Er berichtete über das Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila im Süden von Beirut, wo christliche Milizen zwischen dem 16. und 18. September 1982 mehr als 2.000 Menschen ermordeten. Zustimmung hatten sie von der israelischen Armee, die die Lager umzingelt hatte.

In einer Filmaufnahme beschreibt Fisk später, was er am Tag nach dem Massaker vorfand: zerschossene und verbrannte Männer, Frauen, Kinder. »Wir waren ziemlich lange dort herumgelaufen, als wir Schüsse hörten. (…) Meine zwei Kollegen waren ein Stück vorgegangen, und (…) ich kletterte auf einen Sandhügel, um sie zu finden. Doch als ich oben war, merkte ich, wie sich der Boden unter mir bewegte. Es war, als stünde ich auf einem Schwamm. Dann merkte ich, dass das, worauf ich stand, kein Sandhügel war, sondern nur mit Sand bedeckt worden war. Ich sah unter mir ein Gesicht, einen Ellenbogen, einen Magen, ich stand auf Leichen. Erschrocken hielt ich die Luft an und sprang hinunter auf die andere Seite.«

Am 16. Dezember 1982 verurteilte die UN-Generalversammlung das Massaker von Sabra und Schatila mit der Resolution 37/123 als Völkermord. »Es ist schwer, Massaker zu vergessen, wenn du die Toten gesehen hast«, sagte Fisk, der sich mit seinen Berichten über die Grausamkeit der israelischen Armee und ihrer Verbündeten, die »mit amerikanischen Waffen kämpften«, im Westen keine Freunde machte. Fisk hatte einen Standpunkt, der vielen nicht passte. Bis heute wird er von manchen als »umstrittener« Journalist bezeichnet. Seine Reportagen, Analysen, Filme und Berichte gehören allerdings zum Besten, was aus der Kriegs- und Krisenregion des Nahen und Mittleren Osten jemals berichtet worden ist.

Als Korrespondent und Zeitzeuge legte Fisk Zeugnis über politischen Verrat und Illusionen der lokalen und regionalen Akteure ebenso ab wie über eine westliche Politik, die   – bis heute   – die Nationen und Menschen der Region in politische und militärische Katastrophen führt.

Fisk war ein Korrespondent vor Ort. An der Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan wurde er nach dem 11. September 2001 von aufgebrachten afghanischen Flüchtlingen verprügelt, weil westliche Streitkräfte ihre Landsleute ermordeten. Die Brutalität der Männer und Jungen gegen ihn sei »ausschließlich das Produkt von anderen, von uns selber«, schrieb Fisk in einer Reportage. »Wir hatten sie für den Kampf gegen die Russen bewaffnet, wir haben ihr Leid ignoriert und ihren Bürgerkrieg verhöhnt. Wir haben sie dann wieder bewaffnet und bezahlt, um im ›Krieg der Zivilisation‹ zu kämpfen. Und dann haben wir ihre Häuser bombardiert, ihre Familien zerrissen und sie ›Kollateralschaden‹ genannt.«

Nicht Facebook, Twitter oder andere »soziale Medien«, sondern Straßeninterviews mit den Akteuren im Geschehen waren der Stoff, aus dem seine Berichte entstanden. Das machte ihn zu »einem der besten Berichterstatter, den der Journalismus je gekannt« habe, schrieb der irische Präsident Michael D. Higgins in seinem Nachruf. Generationen, »nicht nur in Irland«, hätten seine kritischen und informierten Berichte gebraucht, um zu verstehen, was »in den Konfliktzonen der Welt geschieht und   – was noch wichtiger ist   – welche Einflüsse dort möglicherweise die Konflikte auslösten«.

In Deutschland wird Robert Fisk weitgehend ignoriert. Seine Bücher »Pity the Nation« über den Libanon-Krieg (1975  –1990) und »The Great War for Civilisation: The Conquest of the Middle East« wurden nie ins Deutsche übersetzt.

https://www.jungewelt.de/artikel/389934.nachruf-keine-freunde-im-westen.html

Dazu auch:

"Er galt als furchtlos und führte sogar ein Interview mit Osama bin Laden…”

https://www.berliner-zeitung.de/news/preisgekroenter-nahost-reporter-robert-fisk-gestorben-li.115829

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