«Im Schatten eines Olivenbaums»
Am Anfang des Staates Israel, von Ende 1947 bis Anfang 1949, stand das Unrecht der gewaltsamen Vertreibung von mehreren hunderttausend Menschen arabischer Abstammung, deren Familien jahrhundertelang in Palästina gelebt hatten – die Nakba. (Bild Wikimedia)«Versuch dich daran zu erinnern, dass das, was sie glauben, und das, was sie tun und was du ertragen musst, nicht von deiner Minderwertigkeit zeugt, sondern von ihrer Unmenschlichkeit.»
James Baldwin, The Fire Next Time, 1963
Samia, die ich noch nicht kennengelernt hatte, schickte ein Taxi, um mich von meinem Hotel abzuholen. Ich traf den Fahrer in der Nähe der Terrasse des Notre-Dame-Zentrums, einer christlichen Stätte gegenüber dem Neuen Tor – einem der sieben Haupteingänge in die Altstadt von Jerusalem.
Wir fuhren nach Norden, durch die labyrinthischen und dicht bevölkerten Strassen von Ostjerusalem, wo die meisten Araber der Stadt leben. Der Fahrer, ein freundlicher Mann, nutzte unsere gemeinsame Zeit, um sein Englisch zu üben und mir ein paar Worte Arabisch beizubringen. Das alte Taxi war nicht klimatisiert, und am späten Vormittag wurde es bereits unerträglich heiss.
Ich schickte Samia vom Auto aus eine SMS, um ihr mitzuteilen, dass ich auf dem Weg war. Als ich ankam, fand ich ein angenehmes, einstöckiges Mittelklassehaus vor. Samias junge und hübsche Assistentin öffnete mir die Tür, als ich klingelte. Sie geleitete mich ins Wohnzimmer, wo meine Gastgeberin in einem eleganten Ohrensessel sass und einen Fuss auf einen gepolsterten Hocker stellte. An dem Stuhl neben ihr lehnte ein Gehstock.
Das Zimmer war eine kühle, einladende Oase. An den Wänden hingen Familienfotos. Ein Schwarz-Weiss-Foto eines gut aussehenden Mannes mittleren Alters stach mir ins Auge: Samias Ehemann zu Lebzeiten.
Arabische Gastfreundschaft
Wir stellten uns vor. Samia hat ein intelligentes freundliches Gesicht, ein warmes Lächeln und einen wunderschönen silbernen Haarkranz. Ich fühlte mich sofort wohl. Als ich Platz nahm, trug die junge Frau ein Tablett herein und stellte es vor mich auf einen niedrigen Couchtisch. Sie stellte eine Kanne Tee und mehrere Porzellanteller mit Keksen und Zimtbrötchen bereit. Dies war meine Einführung bei Samia Naser Khoury und in die arabische Gastfreundschaft.
Als ich meine Reise nach Palästina plante, stand ich in E-Mail-Kontakt mit John Whitbeck. Whitbeck, ein international tätiger Rechtsanwalt mit Wohnsitz in Paris, war Rechtsberater des palästinensischen Verhandlungsteams in Kairo im April/Mai 1994 und später auf dem Gipfel von Camp David im Jahr 2000. Er kennt viele Menschen in ganz Palästina und schlug vor, dass ich mich mit Samia treffen sollte, die er als «Grossmutter» bezeichnete.
Grossmutter. Wie viel und wie wenig wird durch dieses oft abschätzige und sentimentale Substantiv ausgedrückt.
Ich war erst ein paar Tage zuvor aus Europa gekommen. Es war mein erstes Treffen mit einem palästinensischen Araber, einem Christen, und ich hatte keine Ahnung, was ich erwarten oder was ich fragen sollte. Ich sei nach Palästina gekommen, um Palästinenser zu treffen und ihnen zuzuhören, erklärte ich, um ihre Geschichten über das Leben unter israelischer Besatzung zu hören. Um etwas über ihre Hoffnungen und Wünsche für Palästina zu erfahren. Die Menschen im Westen wissen sehr wenig über Palästina oder die Palästinenser, denen die Menschlichkeit nur allzuoft abgesprochen wurde. Ich war gekommen, um dem entgegenzuwirken, um zu sehen und zuzuhören.
Eine der angebotenen Süssigkeiten war eine mit Datteln gefüllte Köstlichkeit namens ma’amoul, die in der arabischen Welt sehr beliebt ist, auch wenn ich das damals noch nicht wusste. Die gleiche Leckerei würde ich in der Altstadt von Al Khalil, dem ursprünglichen arabischen Namen für Hebron, in einer ganz anderen Situation wiederfinden. Eine andere Geschichte für ein anderes Mal. Die Kekse auf dem Teller vor mir waren alle für das Osterfest gebacken worden, das gerade vorbei war.
Samias alteingesessene Familie
Wir nippten am Tee und stellten uns gegenseitig vor, während wir uns unterhielten. Und während Samia ihre Geschichte aufrollte, wurdemir bewusst – mit einem Gefühl des Schocks, aber auch des aussergewöhnlichen und unerwarteten Glücks, dass meine 91jährige Begleiterin eine lebende Zeugin der Nakba, der Katastrophe, war, wie die Palästinenser den Feldzug der Israeli in den späten 1940er Jahren zur Vertreibung aus ihrem angestammten Land nennen. Schon bald beugte ich mich über mein Tagebuch und schrieb, so schnell ich konnte, Notizen.
Die Nasers, so erfuhr ich, sind eine grosse und prominente palästinensische Familie, deren Frauen nicht weniger erfolgreich und einflussreich sind als ihre Männer. Nabiha Naser, Samias Tante, gründete 1924 eine Mädchenschule, aus der später die wichtigste Hochschuleinrichtung im Westjordanland, die Birzeit-Universität, werden sollte.
Samias Schwester, Rima Tarazi, die ich in meinen letzten Tagen im Westjordanland kennenlernte, ist eine angesehene palästinensische Komponistin, und ihre Cousine, Sumaya Farhat-Naser, ist eine Friedensaktivistin und Schriftstellerin, die durch Europa reist und Vorträge über den palästinensischen Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit hält. Kamal Naser, der viel bewunderte palästinensische Dichter, der 1973 von israelischen Spezialkräften in Libanon ermordet wurde, war ein weiterer Cousin. Vor einem Jahrzehnt, als sie bereits 80 Jahre alt war, veröffentlichte Samia ihre Memoiren unter dem Titel «Reflections from Palestine: A Journey of Hope (Eine Reise der Hoffnung)».
Im Jahr 1948, als Samia 15 Jahre alt war, lebte ihre Familie in dem Dorf Birzeit, das nördlich von Al-Bireh und Ramallah liegt. Samia wurde in der Schule ihrer Tante eingeschrieben; ihr Vater, der sich nach einer langen beruflichen Laufbahn in Jerusalem zur Ruhe gesetzt hatte, unterrichtete dort.
Juli 1948
Samia beschrieb das, was sie erlebt hat, folgendermassen:
Es war Sommer und heiss. Juli, glaube ich. Ich sass auf einer Terrasse im Schatten eines Olivenbaums und las. Als ich aufblickte, sah ich eine lange Schlange von Menschen, die auf das Dorf zuging.
Ich wusste nicht, was ich da sah. Ich rannte den Hügel hinunter, um herauszufinden, was los war. Es war heiss, mitten im Sommer, und diese Leute waren schon seit Tagen unterwegs.
Samia hielt inne und erklärte dann, dass diejenigen, die sie in Richtung Birzeit gehen sah, Opfer der Nakba waren. Sie waren Flüchtlinge:
Sie stammten aus zwei Städten, Lydda und Ramle, wo sich heute der Flughafen Ben-Gurion befindet. Sie wurden mit vorgehaltener Waffe aus ihren Häusern vertrieben. Man nahm ihnen alles ab, Geld und Schmuck, und zwang, sie zu Fuss zu gehen. Ben-Gurion wurde gefragt: «Was sollen wir mit diesen Menschen tun?» Er sagte nichts. Er winkte nur mit der Hand.
Meine Tante öffnete den Vorratsraum der Schule und versorgte alle Menschen mit Essen. Sie waren tagelang ohne Essen unterwegs gewesen. Wir haben für jeden gekocht, der in dieser Zeit zu uns kam. In der Schule waren Schüler von überall her untergebracht, aus Jaffa und Haifa. Sie wurden nach Hause geschickt. Ein Junge war aus Galiläa. Er blieb in der Schule, bis das Rote Kreuz ihn nach Hause brachte.
Als sie diese Geschichte beendet hatte, sass Samia einige Zeit lang still da. In der Stille konnte ich fast die lange Reihe von Menschen sehen, die sie beschrieb. Und dann, als ob sie meine Gedanken wiederholte, sagte sie mit einer tiefen Traurigkeit in ihrer Stimme: «Dieses Bild hat mich nie verlassen.»
Nachdem ich diese Ereignisse recherchiert habe, weiss ich nun, dass Israels Angriff auf die beiden von Samia erwähnten Städte in der zweiten Juliwoche 1948 begann, zwei Monate, nachdem Israel seine Souveränität erklärt hatte. Lydda hatte die unglückliche Ehre, die erste palästinensische Stadt zu sein, die aus der Luft bombardiert wurde. Als die jüdischen Streitkräfte schliesslich in die Stadt eindrangen, zogen sich die wenigen verbliebenen Widerstandskämpfer – schlecht bewaffnet und wenig oder gar nicht ausgebildet – in die Dahamish-Moschee im Stadtzentrum zurück. Dort wurden sie schnell überwältigt und gezwungen, sich zu ergeben – und in der Moschee wurden sie prompt massakriert.
Entarabisierung des palästinensischen Landes
Israelische Truppen stürmten Lydda in einem Amoklauf. Als sie fertig waren, hatten sie 426 Männer, Frauen und Kinder abgeschlachtet – 176 davon in der Moschee. Anfang 1948, in der ersten Januarwoche – hatten Ben-Gurion und seine Kollegen, angesehene europäische Juden und rassistische Fanatiker, die die Entarabisierung des palästinensischen Landes beaufsichtigen sollten, beschlossen, keinen Unterschied zwischen Männern, Frauen und Kindern zu machen. Diese Politik ist auch heute noch in Kraft, am deutlichsten im Gaza-Streifen, wo sich die Leichen von Frauen und Kindern weiterhin stapeln.
Jüdische Soldaten räumten die Stadt Lydda schnell. Die Menschen wurden mitten in der Nacht aus ihren Häusern vertrieben, bis auf die Kleidung, die sie trugen, wurde ihnen alles weggenommen – Frauen wurden gezielt wegen ihres Schmucks angegriffen – und ohne Nahrung und Wasser zu Fuss in Richtung Ramallah geschickt, eine Entfernung von etwa 50 km. Anschliessend wurden die Häuser geplündert.
Der Angriff auf Ramle begann am 12. Juli. Am 14. Juli drangen jüdische Truppen in die Stadt ein und begannen mit der Räumung: Sie verhafteten Tausende von Zivilisten und zwangen die nicht Verhafteten, zu Fuss nach Westen zu fliehen. Dann plünderten sie alles, was übrigblieb – Häuser, Kirchen, Moscheen. Nichts wurde verschont. Die Vertreibungsbefehle für die beiden Städte wurden von keinem Geringeren als Yitzhak Rabin unterzeichnet, dem späteren Premierminister und Nobelpreisträger, der auch die Militäroperation leitete.
Das war die Brutalität, vor der die Menschen, die Samia an diesem Sommertag im Schatten ihres Olivenbaums sah, flohen.
Die Säuberung von Lydda und Ramle war eine der grössten Vertreibungen der palästinensischen Zivilbevölkerung in kürzester Zeit. Zwischen 50 000 und 70 000 Menschen wurden zur Flucht gezwungen. Viele Menschen starben auf dem Gewaltmarsch, der auch als Todesmarsch von Lydda bekannt ist, an Hitzeerschöpfung. Juden, die in den neuen Staat Israel einwanderten, liessen sich in den zurückgelassenen Häusern nieder – eine Politik, die sicherstellen sollte, dass die Palästinenser niemals zurückkehren würden.
Lydda und Ramle lagen innerhalb des Gebietes, das in einem internationalen Abkommen für den arabischen Staat Palästina vorgesehen war. Doch Ben-Gurion nutzte jede sich bietende Gelegenheit, um zusätzliches Land zu stehlen, das über das hinausging, was die Uno dem neuen Staat Israel überlassen hatte – 56 Prozent Palästinas. Als die zionistischen Milizen und die neue israelische Armee die Nakba abschlossen, waren 78 Prozent des Landes Palästina für Israel beansprucht worden – und das alles unter völliger Verletzung der UN-Resolution 181.
Die Kontakte, die ich im Laufe meiner Reise im Westjordanland knüpfte, erinnerten mich zu meiner Verbitterung daran, wie wenig sich seit der Zeit, die Samia in unserem Gespräch beschrieb, geändert hat. Während der Nakba schlichen jüdische Truppen im Dunkeln durch palästinensische Städte, brachten Dynamitstangen an den Häusern an und sprengten sie in die Luft, während die Bewohner schliefen, so dass unter den Zivilisten, vor allem aber unter den Frauen und Kindern, viele Opfer zu beklagen waren.
Viele derjenigen, die ich traf, berichteten, dass dies auch heute noch so ist. Genauso routinemässig führen die israelischen Besatzungstruppen ihre Razzien mitten in der Nacht durch, um ein Maximum an Angst und Schrecken zu verbreiten. All dies ist genau das, was wir in Gaza erleben. Und alle meine Gesprächspartner gehen davon aus, dass die Aggression im gesamten Westjordanland zunehmen wird – wenn sie nicht schon zugenommen hat.
Zerstörung langer friedlicher Koexistenz
ISBN 978-3-86489-258-5
Die Nakba war also ein Testfeld für die Strategien und Massnahmen, die Israel zur Durchsetzung seiner Besetzung und Besiedlung palästinensischen Landes anwenden würde. Daran scheint kein Zweifel zu bestehen: Was im Dezember 1947 vor Ort begann, hat sich seither ununterbrochen fortgesetzt und ist das, was wir bis heute im Gaza-Streifen und im Westjordanland erleben. Von Anfang an war Israels Projekt der ethnischen Säuberung kalt kalkuliert, überlegt und strategisch.
Der Zionismus hat, um es klar zu sagen, Samias Welt zerstört – eine säkulare, multiethnische und multireligiöse Welt, in der jahrhundertelang Ethnien und Religionen friedlich nebeneinander gelebt hatten, selbst als verschiedene Reiche um sie herum aufstiegen und fielen.
Samia sagte: «Vor 1948 war Palästina säkular. Wir hatten jüdische Nachbarn. Man konnte nicht erkennen, wer Christ, Moslem oder Jude war. Vor 1948 gab es keinen Fanatismus. Es gab keine Kleiderordnung. Die Kolonialmächte haben das zerstört. Sie haben das Land und die Religionen kolonialisiert.»
Eine bewegende Schilderung der Zerstörung von Lydda und Ramle findet sich unter anderem in Ilan Pappes Buch «Die ethnische Säuberung Palästinas» (Neuauflage im Westend-Verlag, 2024). Die Entarabisierung und anschliessende Judaisierung Palästinas war von langer Hand geplant und wartete nur auf die richtigen Bedingungen. Ohne sich dessen bewusst zu sein oder gar zu beabsichtigen, war der Teilungsplan der Vereinten Nationen das grüne Licht, auf das Ben-Gurion gewartet hatte.
Als ich Samia, einer lebenden Zeugin der Nakba, zuhörte, erschien es mir besonders tragisch, mir erneut ins Gedächtnis zu rufen, dass Generationen von amerikanisch-jüdischen und israelischen Kindern in ihren Kindergärten mit einer völlig falschen und historischen Erzählung aufgewachsen sind: dass das Land Palästina leer war, als die europäischen Juden dorthin einwanderten. Irrationalerweise wurde ihnen auch beigebracht, dass Israel einen heldenhaften Krieg für die Unabhängigkeit geführt hat, während in Wirklichkeit Israels Gründerväter die Palästinenser durch schreckliche Gewaltakte aus ihrer Heimat vertrieben haben. Diese Geschichte wurde absichtlich aus dem israelischen Bewusstsein getilgt. Dieser Indoktrinationsprozess flösst gleichzeitig tiefe Angst und Hass auf Araber ein.
Die Palästinenser sind sich dessen natürlich sehr wohl bewusst. «Israelischen Kindern wird gesagt: ‹Die Araber werden euch töten›», sagte Samia. «Der Lehrplan in den israelischen Tagesschulen ist ein System der Gehirnwäsche für Kinder und die gesamte Bevölkerung, in Israel und auch im Westen.»
Indoktrinierung der israelischen Jugend
Dieser Indoktrinationsprozess untergräbt, wie beabsichtigt, jede Chance auf einen sinnvollen Frieden, weil die Israeli – ganz zu schweigen von ihren amerikanischen Unterstützern – nicht in der Lage sind, die Realität zu sehen und zu verstehen, wie sie ist. Sie kennen nicht einmal ihre eigene nationale Geschichte. Sie besteht nur aus Mythen und Lügen.
Das macht den Palästinensern die Hoffnung schwer, weil sie wissen, dass sie es mit irrationalen Akteuren zu tun haben – zwei Nationen, die sich auf rohe Gewalt verlassen, um ihren Willen durchzusetzen. Ich war überrascht, wie oft ich die ältere Generation der Palästinenser mit echter Betroffenheit das Verhalten Israels und der Vereinigten Staaten mit der Frage kommentieren hörte: «Warum tun sie das?» Und: «Wer verhält sich so?»
Viele der jüngeren Palästinenser, die ich getroffen habe, wollen nicht mehr versuchen zu verstehen, so schien es mir jedenfalls. Sie wissen, dass es irrational ist, in der amerikanischen Aussenpolitik und im Verhalten Israels nach einer Logik zu suchen, die über die Imperative des nackten imperialen Ehrgeizes hinausgeht. In der Tat fühlen sie sich von der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Fatah-Partei völlig verraten.
Ich hatte mehrfach die Gelegenheit, IDF-Soldaten an Kontrollpunkten im Westjordanland zu beobachten und mit ihnen zu sprechen. Sie wirken wie extrem ignorante und verängstigte Kinder. Sie sind jung, bewaffnet, arrogant und ängstlich. Eine gefährlichere Kombination kann ich mir nicht vorstellen. Das sind die Leute, die die Macht über Leben und Tod der Palästinenser haben.
Ich war überrascht, wenn auch nicht gänzlich, mit welcher Vehemenz Samia über diese Themen sprach und mit welcher Subtilität sie die Beziehungen zwischen Tel Aviv und Washington analysierte. «Israel ist ein Vorposten der USA im Nahen Osten, aber Israel ist der Boss», sagte sie. «Niemand hat den Mumm, Israel zu sagen: ‹Nein!› Vor allem nicht die Kolonialmächte, die Israel geschaffen haben.»
Auf der richtigen Seite der Geschichte
Die Palästinenser achten sehr genau darauf, was in der Welt passiert: Das habe ich immer wieder festgestellt. Und sie wissen, auch wenn viele andere es nicht wissen, dass sich die Situation langsam zu ihren Gunsten verändert. Das ist ein Zeichen der Zeit: Es gibt jetzt Lehrpläne und Abteilungen für Palästinastudien an den Universitäten, was dazu beigetragen hat, dass der Kampf für die Rechte und die Freiheit der Palästinenser an Sichtbarkeit und Legitimität gewonnen hat. Viele junge Juden lehnen den Zionismus zunehmend ab und unterstützen aktiv die Rechte der Palästinenser, insbesondere in den Vereinigten Staaten. Dies sind bedeutende Entwicklungen. Das ist noch wichtiger: Ein Land, das einen Völkermord begeht, kann keinen Bestand haben, und viele Palästinenser glauben, dass Israel eines Tages aufhören wird zu existieren.
Sie müssen überleben und den Zionismus überdauern und dabei ihre Familien und ihre Kultur intakt halten. Das ist die Aufgabe, wie viele Palästinenser sie verstehen, so scheint es mir jedenfalls. Das Wissen, dass sie auf der richtigen Seite der Geschichte stehen, erklärt, so glaube ich, die würdevolle Geduld, die ich bei Samia und vielen anderen Palästinensern, die ich getroffen habe, feststellen konnte. Das und die arabische Praxis des summt, was mit «Standhaftigkeit» übersetzt wird.
Vor allem haben die Palästinenser bewiesen, dass sie widerstandsfähig sind – und zwar in kreativer Weise. Sie leisten weiterhin Widerstand gegen Besatzung und Auslöschung. Sie sind nicht verschwunden. Auch die Israeli wissen, wenn auch unbewusst, dass die Frage zum Teil auf eine Frage der Ausdauer hinausläuft. Die Israeli wissen, dass Israel zerbrechlich ist, was einen Grossteil ihres Verhaltens erklärt, einschliesslich des ansonsten unerklärlichen Bedürfnisses, das Existenzrecht Israels immer wieder zu bestätigen.
Ich mag mich irren, aber ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass viele Israeli verstehen, dass Israel zutiefst illegitim ist, auch wenn sie es nicht zugeben können. Diese psychische Zerrissenheit des Einzelnen und der Gesellschaft treibt die israelische Gewalt und die Beschleunigung der Beschlagnahmung und Besiedlung von Land im Westjordanland an.
Alle Apartheidstaaten gehen irgendwann unter. Wird Israel die USA mit sich reissen? Diese Frage beantwortete Samia, ohne dass ich sie zu stellen brauchte. «Israel wird der Untergang der Vereinigten Staaten sein», sagte sie. «Es wird zu spät sein, wenn die Vereinigten Staaten überhaupt aufwachen.» •
Quelle: https://thefloutist.substack.com/p/in-the-shade-of-an-olive-tree
vom 30. Juni 2024
(Übersetzung Zeit-Fragen)
* Cara Marianna ist Autorin und Mitherausgeberin von The Floutist, einem Online-Newsletter, den sie zusammen mit ihrem Mann Patrick Lawrence herausgibt (thefloutist.substack.com). Cara Marianna gibt ihren eigenen Newsletter heraus namens Winter Wheat (winterwheat.substack.com). Sie ist Künstlerin und hat in Amerikanistik promoviert. Im Frühjahr 2024 bereiste sie Palästina und begann ihre Serie «Stimmen aus Palästina». Unterstützen Sie ihre Arbeit mit einem Abonnement von Winter Wheat oder mit einer Spende (paypal). Kontakt: winterwheat7@gmail.com.
Quelle: https://www.zeit-fragen.ch/archiv/2024/nr-14-9-juli-2024/im-schatten-eines-olivenbaums
Mit freundlicher Genehmigung von Zeit-Fragen.ch
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