Replik: Die bedenkliche Rolle der Schweizer Politik im Syrien-Konflikt.

Waffen höhlen das Vertrauen aus
von Geri Müller*
29. März 2013
Es sei richtig, «ungefährlich und unverfänglich», dass die Schweiz Treffen der syrischen Opposition finanziell unterstütze, um so für Demokratie und Menschenrechte in Syrien einzutreten. Dies schreibt Daniel Woker, ehemaliger Schweizer Botschafter in Kuwait, unter dem Titel «Gib, damit dir gegeben wird» (TA vom 10. 8.). Diese und andere Positionen, die Woker vertritt, dürfen nicht unwidersprochen bleiben.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Konflikte im Nahen Osten weniger mit Religionskriegen als mit der Sicherung der Energiequellen zu tun haben. Die Abhängigkeit des Westens von Erdöl und -gas ist eklatant. Die Versorgung besteht noch immer aus mindestens 70 Prozent fossiler Energie. Das einfach zu gewinnende Oberflächenöl neigt sich dem Ende zu; künftiges Öl braucht riesige Investitionen.

1945 sicherte Präsident Roosevelt den USA den Zugang zu den nahöstlichen Quellen mit der Gründung der Aramco (Arab-American Oil Company). Nach Khomeinis islamischer Revolution 1979 boykottierten die USA und ihre europäischen Partner den Iran. Dessen Öl fliesst seither primär nach China.

Es geht um die Energiequellen

Mit ihrem Engagement für die Gespräche der Opposition unterstützt die Schweiz letztlich die amerikanisch-saudiarabische Achse. Deren Hauptzweck ist hinlänglich bekannt: Es geht um die Vormachtstellung im Nahen Osten, welche die Saudis beanspruchen   – und um die Schwächung der iranisch-syrischen Achse.

Vordergründig wird beabsichtigt, Präsident Bashar al-Assad zu stürzen und in Syrien ein sunnitisches Regime einzurichten. Hintergründig geht es freilich auch darum, dem Westen den Zugang zu den Energiequellen zu sichern. Abgesehen davon stellt sich die Frage, ob die absolutistischen Herrscher in Saudiarabien, Katar und Jordanien geeignet sind als Bannerträger eines demokratischen Wandels.

Woker fordert, die Schweiz solle Angehörige der Armee nach Syrien entsenden, um «Terroristen von al-Qaida, Hizbollah und Hamas» daran zu hindern, dort «Chemiewaffen» zu behändigen. Die verfassungsmässig festgelegte Neutralität kümmert ihn nicht. Er erklärt sie vielmehr «für tot». Seit dem Mauerfall von 1989 gebe es keine neutrale Position mehr, nur noch Interessenpolitik.

Reine Interessenpolitik ist aber ein sehr kurzfristiges Denken. Was heute von Interesse ist, kann morgen bereits ins Gegenteil umschlagen. Das erleben wir gerade mit der lange Zeit «bewährten » Steuerhinterziehungspolitik. Die Neutralität hingegen hat stets Vertrauen in die Schweiz geschaffen, gerade im Nahen Osten. Eine Parteinahme für die westliche Aggressionspolitik in dieser Gegend und Waffenlieferungen an Diktaturen wie Saudiarabien oder Katar höhlen dieses aus.

Ein runder Tisch für alle

Merkwürdig mutet an, dass der Ex-Botschafter glaubt, eine vertiefte Zusammenarbeit mit der Nato könnte der Schweiz helfen, den eskalierenden Steuerstreit beizulegen. Man stelle sich vor: Dubiose Machenschaften von Schweizer Banken werden mittels Aufgabe der Neutralität «reingewaschen». Eine Ungeheuerlichkeit. Im Übrigen ist es schwer vorstellbar, dass die USA bei einem solchen Spielchen mitmachen würden.

Die Neutralität hat international stets Vertrauen in die Schweiz geschaffen.

Höchste Zeit für eine sorgfältige politische Analyse. Die Landkarte des Nahen Ostens wurde von den europäischen Kolonialmächten nach eigenen Interessen gezeichnet; ein filigranes Herrschaftskonstrukt wurde dabei zerstört. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Nahe Osten zum Öllieferanten. Die Herrschenden wurden belohnt, Aufstände niedergeschlagen. Bis heute. Keiner spricht über die Übergriffe der königlichen Polizei- und Militärtrupps in Saudiarabien und Bahrain. Oder darüber, dass die erzkonservative Islam-Auslegung der saudischen Sunniten mit Söldnern verbreitet wird   – einst in Bosnien, heute in Syrien, Libyen und Pakistan.

Der Schweiz kommt da vor allem eine Aufgabe zu: einen runden Tisch für alle Gruppen im Nahen Osten einzurichten, um den Menschen dort eine Perspektive zu geben.

*Der Autor ist grüner Nationalrat; er sitzt in der Aussenpolitischen Kommission.

Quelle: Tages-Anzeiger vom 27. August 2012, Seite 9 ANALYSE

Als ich diesen Bericht im Tages-Anzeiger las, schrieb ich Herrn Geri Müller spontan folgendes Mail:

Lieber Herrr Müller,

Ihr Beitrag im heutigen Tages-Anzeiger ist für mich der Aufsteller des Tages. Vielen Dank. Es tröstet mich, dass noch wenigstens EIN Schweizer Politiker einen klaren, integren und selbstständig denkenden Kopf behalten hat und Mut zeigt, den ätzenden Aussagen des Herrn Daniel Woker mit klaren Fakten etwas entgegen zu setzen.

Bei mir hatte schon die Zahlung der Schweiz von fünfzigtausend Euro an Gespräche der Syrischen Opposition zum Thema „The day after“, wie es also nach dem Sturz des Regimes weitergehen soll, grosses Erstaunen hervorgerufen. Haarsträubend finde ich die Stellungnahme des Herrn Bernauer: „Dabei ist die Sache für Thomas Bernauer, Professor für internationale Beziehungen an der ETH Zürich völlig klar. Eine solche Geldzahlung ist für den Neutralitätsexperten (sic) absolut unbedenklich.“

Der folgende Link steht nicht mehr zur Verfügung, wurde aber der Vollständigkeit halber erhalten

Quelle:
http://www.drs.ch/www/de/drs/tagesthema/261086/354350.schweiz-unterstuetzt-gespraeche-der-syrischen-opposition.html

Haben solche Intellektuellen bereits das Sagen beim EDA? (Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten).

Ich hoffe, Sie erhalten grosse Unterstützung für Ihre Mahnung, das internationale Vertrauen in die Schweizer Neutralitaet nicht zu untergraben!

Mit herzlichem Gruss
Willy Wahl

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