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Die direkte Demokratie der Schweiz  – ein Friedensmodell in politischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht

27. März 2013

Die direkte Demokratie der Schweiz   – ein Friedensmodell in politischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht

Zum neuen Forschungsband von Dr. René Roca: «Die schweizerische direkte Demokratie in Theorie und Praxis»

von Tobias Salander, Historiker

Die direkte Demokratie der Schweiz   – ein Erfolgsmodell, gerade auch in Zeiten der Wirtschaftskrise. Während viele Bürger in den europäischen Ländern ebenfalls Bestrebungen unternehmen, mehr Mitbestimmung zu erhalten, diese aber in mühseliger Arbeit den selbsternannten Eliten abtrotzen müssen, lohnt sich auch ein Blick in die Geschichte. Wie hat sich denn in der Schweiz dieses Modell eines Aufbaus von unten nach oben entwickelt? Und warum nennt sich die Schweiz auch «Eidgenossenschaft»? Welche Elemente spielten in der Geschichte zusammen, dass schon früh eine Mitbestimmung der Bürger Tatsache wurde, als andere Länder noch stark monarchistisch und/oder aristokratisch strukturiert waren?

Der Blick in die Forschung an Schweizer Universitäten zeigt, dass diesbezüglich erstaunlicherweise tiefe Lücken klaffen. Und dass bisher auch wenig unternommen wurde, diesen Notstand zu beheben. Die Gründe dafür sind offensichtlich: Wer ein direktdemokratisches, von unten nach oben aufgebautes und friedensliebendes Gemeinwesen in ein von oben nach unten zentralistisch von Finanzoligarchen und Lobbyisten dirigiertes Monster wie die EU eingliedern will, muss der zu unterjochenden Bevölkerung ihre Würde, ihr Selbstbewusstsein und vor allem ihr Geschichtsbewusstsein nehmen: Gelingt es in einem Land zu erwirken, dass Gelder für die seriöse wissenschaftliche Erforschung der eigenen Geschichte und ihrer Besonderheiten nicht oder nur zögerlich bewilligt werden, ist ein wichtiger Teil in diesem Gehirnwäscheprogramm geleistet … Wenn man dabei wie bis dato noch auf die willfährige Unterstützung einer einheimischen fünften Kolonne zählen darf, macht dies die Sache für die Plutokraten nur um so einfacher!

Um so erfreulicher ist es deshalb, dass im folgenden ein Forscher und sein neuestes Werk vorgestellt werden dürfen, der eine liberale Siegergeschichtsschreibung, entstanden nach dem Sieg im Sonderbundskrieg und der liberalen Bundesstaatsgründung von 1848, kritisch hinterfragt, damit implizit aber auch einer ideologiegeleiteten Pro-EU-Historie im Gefolge des Bergier-Berichts eine Absage erteilt und zu Erkenntnissen gelangt, die gerade heute wichtig sind für den Zusammenhalt der Schweiz: denn gerade auch den besiegten Katholisch-Konservativen hat es die moderne Schweiz zu verdanken, dass alte genossenschaftliche Traditionen und ein an der Würde des Menschen orientiertes personales Menschenbild im 19. Jahrhundert für die Entstehung der direkten Demokratie nutzbar gemacht werden konnten, indem auf diesem Boden den einer wahrhaften Volkssouveränität gemäss Rousseau abgeneigten Liberalen Instrumente abgerungen werden konnten, die heute unter dem Namen Referendum und Initiative Wesensmerkmale des Sonderfalls Schweiz sind. Eine Forschungsarbeit, die Mut macht, allen am Modell Schweiz Beteiligten die Würde zurückgibt, geeignet ist, eine Abwehrfront gegen den Dauerbeschuss unseres Landes von seiten der EU und insbesondere Deutschlands aufzubauen, und zu weiteren Forschungen auffordert.

Im Jahre 2007 gründete der Historiker Dr. René Roca das «Forum zur Erforschung der direkten Demokratie» und veranstaltete jedes Jahr Arbeitstagungen zum Thema. In Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Demokratie Aarau führte er im Jahr 2010 die vielbeachtete Konferenz «Wege zur direkten Demokratie in den schweizerischen Kantonen» durch, deren Resultate in einem Tagungsband publiziert wurden. (Vgl. Roca, René; Auer, Andreas [Hg.]: «Wege zur direkten Demokratie in den schweizerischen Kantonen», Schriften zur Demokratieforschung, Band 3, Zürich 2011.)

Mit der nun hier anzuzeigenden Studie von Dr. Roca mit dem Titel «Wenn die Volkssouveränität wirklich eine Wahrheit werden soll … Die schweizerische direkte Demokratie in Theorie und Praxis   – Das Beispiel des Kantons Luzern» verfolgt der auch als Gymnasiallehrer Tätige und als Gemeinderat einer ländlichen Gemeinde im Kanton Aargau Amtende   – mithin also in seiner Person Theorie und Praxis der direkten Demokratie aufs Schönste vereinend   – das Anliegen, die Wurzeln der direkten Demokratie in ihrer theoretischen und historischen Dimension zu erforschen und am Beispiel Luzerns die gewonnenen Erkenntnisse am Exempel darzustellen.

Darüber hinaus schlägt der Autor vor, mit weiteren kantonalen Studien die direkte Demokratie in der Schweiz umfassend zu dokumentieren. Der Ansatz, den René Roca wählt, ist der Hermeneutik verpflichtet, wonach möglichst quellennah durch Analyse und Interpretation die historischen Entwicklungslinien nachgezeichnet werden. Ein bewährter wissenschaftlicher Ansatz, der jüngeren Historikern kaum mehr geläufig ist, beherrschen doch der sogenannte Strukturalismus, der Dekonstruktivismus und was an «-ismen» sonst noch vorhanden ist, die universitären Lehrstühle, welche den Ideologieverdacht der genannten modernistischen Ansätze nie zu widerlegen wussten und von späteren Generationen wohl unter den Kapiteln «Peinlichkeiten» und «akademische Prostitution», wenn nicht gar «Kniefallsucht» subsumiert werden müssen.

Es spricht allein schon Bände, dass Rocas Forschungsband bis anhin noch nicht von mehreren Universitäten im Lande mit Handkuss als Habilitationsschrift entgegengenommen wurde. Da aber nach dem grossen Kladderadatsch in der Finanzbranche die Tage des neoliberalen Modells und der Durchgriff der Finanzoligarchie auf alle Lebens- und akademischen Felder gezählt sein dürften, wird die volle akademische Wertschätzung der Forschung zur direkten Demokratie lediglich eine Frage der Zeit sein.

Denn: Ein Land, welches seine historischen Wurzeln nicht aufzuarbeiten bemüht wäre, verlöre letzten Endes jede Selbstachtung und verkännte auch seine Rolle in der Staatengemeinschaft. Ganz speziell gilt dies für das Modell der direkten Demokratie, die in ihrem genossenschaftlichen Aufbau von unten nach oben vielen krisengeschüttelten Ländern, aber nicht nur denen, Vorbild sein könnte in der Gestaltung eines menschenwürdigen, am Bonum commune orientierten Politisierens und Wirtschaftens.

Lesen Sie den vollständigen Artikel hier:
http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1298

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