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Wie die Öffentlichkeit in Kriege gelogen wird

17. April 2013

Wie die Öffentlichkeit in Kriege gelogen wird

Zum Buch von Becker/Beham «Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod»   – Oder über die Kolonialisierung der Medien durch die PR-Industrie

Rezensionen von Tobias Salander, Historiker und Sabine Schiffer, Institut für Medienverantwortung

Die Verfügbarkeit von sachgerechter, differenzierter und ausgewogener Information ist eine der Grundbedingungen für das Funktionieren einer Demokratie, die von freien, mündigen Bürgern getragen wird. Ohne ein gewisses Mass an Bildung und Informiertheit lassen sich nur schwer Sachentscheide fällen, die dem Gemeinwohl dienen und ein friedliches Zusammenleben gewährleisten ? zwischen Bürgern wie auch zwischen Völkern, Volksgruppen und Staaten.

80% aller Nachrichten stammen aus PR-Büros

Dass dem immer weniger so ist, belegen Studien wie die kürzlich vom Schweizer Bundesamt für Kommunikation in Auftrag gegebene (vgl. «Neue Zürcher Zeitung» vom 2. Februar), die eine vermehrte und gar dramatische Abhängigkeit der Journalisten von interessengeleiteten PR-Firmen aufzeigen. Schon Mitte der 80er Jahre zeigten Barbara Baerns in Deutschland und René Grossenbacher in der Schweiz, dass nahezu zwei Drittel aller in den Medien verbreiteten Meldungen von aussen kamen, also nicht selbständig recherchiert waren, sondern aus der Feder von Public-Relations-Agenturen stammten. Und 80 Prozent aller Nachrichten in den Medien stützen sich auf lediglich eine einzige Quelle   – ebenfalls zu orten in den Bürofluchten gewiefter PR-Agenturen. Jörg Becker und Mira Beham sprechen in der hier vorzustellenden Studie «Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod» von einer eigentlichen «Kolonialisierung der Medien durch die PR-Industrie». (S. 16) Am deutlichsten sei dies zutage getreten im Konzept des «embedded journalism», des «eingebetteten Journalismus», während des Irak-Krieges: «Man liegt miteinander im Bett   – ganz offensichtlich ungeniert, öffentlich, schamlos.»

(S. 16)

Verhältnis von Journalismus und PR: «prostitutiv»

Heute wächst der PR-Sektor ungleich schneller als der Journalismus: So gab es in den USA Anfang der neunziger Jahre rund 120 000 Journalisten, hingegen bereits 160 000 PR-Spezialisten. Der Fernsehreporter Thomas Leif wies 2001 darauf hin, dass dieses Verhältnis von Journalismus und PR «prostitutiv» genannt werden müsse und folgende Trends in der Medienberichterstattung begünstige: «Zunahme von Unwichtigem, Informationsverdünnung, Personalisierung, Unernsthaftigkeit, Nebensächlichkeiten, bewusstes Weglassen von Wichtigem, Inszenierungen und Dauer-Unterhaltung.» (zit. bei Becker/Beham, S. 16) Ein Befund, den jeder Medienkonsument wohl nur bestätigen kann.

Es ist das Verdienst von Jörg Becker, Honorarprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Magdeburg und Gastprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck, und von Mira Beham, Balkanexpertin, Publizistin und OSZE-Diplomatin aus Wien, in ihrer akribisch recherchierten Studie aufgezeigt zu haben, wie die oben beschriebenen Mechanismen sich in Zeiten des Krieges darstellen   – dargelegt am Beispiel der ex-jugoslawischen Kriege.

Homogenisierung der öffentlichen Meinung durch PR-Tricks

Beckers und Behams Befund sei vorweggenommen: Die Balkankriege der 90er Jahre hätten gezeigt, dass «Kriegsregierungen ihre Propaganda durch den Filter von PR-Agenturen und deren zahlreiche Kommunikationskanäle in glaubwürdige Botschaften verwandeln konnten. Daraus resultiert eine starke Homogenisierung der öffentlichen Meinung in den USA und in den westlichen Gesellschaften überhaupt.» (S. 35) Diversen PR-Agenturen sei es gelungen, die Propaganda der ex-jugoslawischen, nicht serbischen Kriegsparteien so zu transportieren, dass eine «praktisch identische Lesart der Balkankriege» sich in der Öffentlichkeit verfestigt habe: nämlich, dass alle Balkanvölker ausser den Serben friedliebend seien, letztere aber aggressiv   – in diesem festgefügten Deutungshorizont bewegten sich laut Becker/Beham die

«US-Regierung, amnesty international, Human Rights Watch, Freedom House, das United States Institute of Peace, die Soros-Foundation, liberale Intellektuelle und weite Kreise der Konservativen, die Vereinten Nationen, Journalisten, aber auch die Regierung in Zagreb, in Sarajevo, die Führung der Kosovo-Albaner, die UÇK».

(S. 35)

Ein einzigartiges US-Gesetz: Foreign Agents Registration Act (FARA)

Ausgangspunkt der faszinierenden Forschungsarbeit Becker/Behams ist ein weltweit einzigartiges Gesetz der USA, welches ausländische Regierungen, Gruppierungen und Privatpersonen zwingt, ihre PR-Arbeit in den USA offen zu deklarieren: der Foreign Agents Registration Act (FARA). Das FARA, verabschiedet 1938 als Schutz gegen die Nazi-Propaganda in den USA und 1966 wesentlich erweitert, verlangt von jeder US-amerikanischen PR-Firma, im US-amerikanischen Justizministerium offen zu deklarieren, für wen sie welche Propaganda ausübt, für welche Entlöhnung und welche Dauer. Die Angaben sind öffentlich zugänglich ? also auch der Forschung. Das FARA-Gesetz will zwar Propaganda für ausländische Institutionen in den USA nicht verhindern, aber transparent machen. Kritiker in den USA weisen allerdings darauf hin, dass die US-Regierung mit einem laxeren oder strengeren Umgang mit diesem Gesetz die Möglichkeit hat, bestimmte ausländische Themen in den inländischen Medien zu «pushen» oder zu unterdrücken. (S. 18) Was das Gesetz unberücksichtigt lässt, sind PR-Aufträge der US-Administration selber, auch können natürlich die Tätigkeiten der grossen nicht amerikanischen PR-Agenturen wie Havas und Euro-RSCG in Frankreich, Dentsu in Japan oder Saatchi&Saatchi in England nicht erfasst werden.

In der US-Öffentlichkeit positiv präsentieren und eigene Kriegsziele erreichen

Die Akteneinsicht Becker/Behams beim US-Justizministerium förderte nun 157 Halbjahresverträge zwischen ex-jugoslawischen Kunden und 31 verschiedenen PR-Agenturen sowie 9 Einzelpersonen für den Zeitraum der Kriege in Ex-Jugoslawien von 1991 bis 2002 zutage. Dabei handle es sich aber lediglich um die Spitze des Eisberges, vermuten die beiden Forscher. (S. 18) Während die serbischen Kriegsgegner (Kroatien, Kosovo-Albaner, Bosnien-Herzegowina und Slowenien) etwa 7,5 Millionen Dollar für ihre Kriegspropaganda ausgaben, wendete die serbische Seite mit 1,6 Millionen Dollar weniger als einen Viertel der Summe der Gegner auf. Während die serbischen Kriegsgegner renommierte, weltweit agierende US-Firmen anzuheuern in der Lage waren, mussten die Serben Vorlieb mit kleineren, von den US-Machtzentren weiter entfernteren Firmen Vorlieb nehmen.

Beide Seiten verfolgten mit ihren PR-Aktivitäten zwei Ziele: Man wollte sich in der US-Öffentlichkeit positiv präsentieren, und zweitens die eigenen Kriegsziele erreichen.

Antiserbisches PR-Ziel: «Gleichsetzung der Serben mit den Nazis»

  • Die PR-Agenturen, die für nicht serbische Klienten arbeiteten, deklarierten in den FARA-Dokumenten gemäss Becker/Beham unter anderem folgende Ziele ihrer Arbeit:
  • «die Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens durch die USA,
  • die Wahrnehmung Sloweniens und Kroatiens als fortschrittliche Staaten westeuropäischen Zuschnitts,
  • die Darstellung der Serben als Unterdrücker und Aggressoren,
  • die Gleichsetzung der Serben mit den Nazis,
  • die Formulierung des politischen Programms der Kosovo-Albaner,
  • die Darstellung der Kroaten, der bosnischen Muslime und der Kosovo-Albaner als ausschliesslich unschuldige Opfer,
  • die Anwerbung von NGOs, Wissenschaftlern und Think tanks für die Verwirklichung der eigenen Ziele,
  • das Eingreifen der USA in die Ereignisse auf dem Balkan,
  • die Darstellung der Eroberung der serbisch gehaltenen Krajina durch die kroatische Armee als legitim und legal,
  • die Aufrechterhaltung der UN-Sanktionen gegen Serbien,
  • eine günstige Entscheidung beim Schiedsspruch um die bosnische Stadt Breko,
  • die Völkermordanklage gegen die Bundesrepublik Jugoslawien vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag,
  • günstige Verhandlungsergebnisse für die albanische Seite in Rambouillet,
  • die Anklage Slobodan Milosevics vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag,
  • eine Förderung von US-Investitionen in den jugoslawischen Nachfolgestaaten.
  • die Sezession Montenegros von Belgrad.»

(S. 28)

Serbisches PR-Ziel: «allgemeine Verbesserung des schlechten Images»

PR-Agenturen, die für serbische Klienten arbeiteten, gaben in den FARA-Dokumenten folgende Ziele ihrer Arbeit an:

  • «die allgemeine Verbesserung des schlechten Images,
  • die Verbesserung des Images der bosnischen Serbenrepublik,
  • die Anwerbung von NGOs, Wissenschaftlern und Think tanks für die Verwirklichung der eigenen Ziele,
  • Förderung von US-Investitionen in Serbien,
  • die Verbesserung der Beziehungen zu den USA nach der Abwahl Milosevics,
  • die Aufhebung der UN-Sanktionen.»

(S. 29)

Nebst PR-Agenturen kann man auch Privatarmeen mieten: Beispiel MPRI

Becker/Beham zeigen auf, dass es der nicht serbischen Gruppe weitaus besser gelang, ihre Propaganda zu verkaufen. Die grossen PR-Agenturen, deren Dienste sie kauften, «The Washington Group», «Jefferson Waterman International» und «Ruder Finn», hatten in der Chefetage oft hochrangige ehemalige Regierungsmitarbeiter sitzen, insbesondere CIA-Veteranen. Handkehrum schafften es PR-Spitzenleute oft auch, in Regierungsdienste aufgenommen zu werden. Ein eigentliches Insiderkarrussell, welches, erweitert um die Vertreter der Rüstungskonzerne und des Pentagons, oft auch via private Militärfirmen gerade noch Söldner für die propagandistisch herbei getrommelten Kriege lieferte   – so erwähnen Becker/Beham die Aktivitäten von MPRI (Military Professional Resources Inc. aus Alexandria im US-Bundesstaat Virginia) in der «Operation Sturm», in deren Verlauf die Kroaten Anfang August 1995 die serbische Wohnbevölkerung aus der Krajina vertrieben.

(S. 38)

Kosovo-Krieg: 11 000 Todesopfer statt 500 000

Die Kriege in Ex-Jugoslawien waren blutig, und es ereigneten sich Grausamkeiten auf allen Seiten. Die Zahl der Todesopfer wurde von der Uno genau festgehalten   – zum Beispiel im Kosovo-Krieg: Es waren keine 500 000 toten Kosovo-Albaner, wie das US-Aussenministerium 1999 unmittelbar vor dem Nato-Angriffskrieg in Umlauf brachte, auch keine 100 000, die der US-Verteidigungsminister Cohen im Frühjahr 1999 erwähnte, auch keine 44 000, wie die Uno anfänglich schätzte, auch keine 22 000, wie die Uno weiter korrigierte, sondern 11 000, wie die Uno abschliessend berichtete. (S. 43) Selbstredend sind das 11 000 Menschenleben zuviel, aber das sind die Fakten. 11 000 Tote, darunter viele Serben, Sinti und Roma und andere, nebst den Kosovo-Albanern. Und was hatte die Kriegspropaganda die Öffentlichkeit glauben machen wollen? Es gehe darum, einen neuen Hitler zu verhindern, ein neues Auschwitz, einen neuen Holocaust!

Ruder Finns Bluff: Tudjmans wundersame Wandlung

Pikanterweise war es die PR-Agentur Ruder Finn, die sich dieser Holocaust-Verharmlosung schuldig machte. Pikanterweise deshalb, weil Mitbegründer David Finn stets auf seine jüdische Herkunft verwies und mit dieser den hohen ethischen Anspruch von Ruder Finn begründete. Deren Vertreter James Harff brüstete sich in einem Interview damit, wie es gelungen sei, die Geschichte auf den Kopf zu stellen und der jüdischen Öffentlichkeit in den USA einen bekennenden Antisemiten, den kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman, als guten Menschen darzustellen, die Serben hingegen zu dämonisieren, die Serben, die doch im Zweiten Weltkrieg wie kein anderes von den Nazis besetztes Volk den jüdischen Mitbürgern geholfen hatten. (S. 40) Dabei scheute man sich auch nicht, Tudjmans antisemitisch-revisionistisches Buch «Irrwege der Geschichte» unter dem Titel «Horrors of War» in einer für den US-Markt gesäuberten Form neu aufzulegen. Man strich aber die umstrittenen Passagen nur in der Ausgabe für die USA.

Ruder Finn setzt Auschwitz gegen Serbien ein

Der Ruder-Finn-Mann James Harff sagte zu diesen Abläufen in einer vielen PR-Strategen eigenen unverblümten, arroganten Direktheit:

«Die jüdischen Organisationen auf seiten der Bosnier ins Spiel zu bringen, war ein grossartiger Bluff. In der öffentlichen Meinung konnten wir auf einen Schlag die Serben mit den Nazis gleichsetzen. [?] Sofort stellte sich eine bemerkbare Veränderung des Sprachgebrauchs in den Medien ein, begleitet von der Verwendung solcher Begriffe, die eine starke emotionale Aufladung hatten, wie etwa ethnische Säuberung, Konzentrationslager usw., und all das evozierte einen Vergleich mit Nazi-Deutschland, Gaskammern und Auschwitz. Die emotionale Aufladung war so mächtig, dass es niemand wagte, dem zu widersprechen, um nicht des Revisionismus bezichtigt zu werden. Wir hatten ins Schwarze getroffen.»

(S. 41)

Selbst jüdische Stimmen konnten Serbien nicht mehr helfen

Ob solcher Chuzpe stockt dem Leser der Analyse von Becker/Beham der Atem, gleichzeitig wird man sich aber selbst erforschen müssen, wieweit man dieser Manipulation aufgesessen ist und sich zum Deppen und Tanzbären abgefeimter PR-Strategen hat machen lassen.

Selbst Vertreter der jüdischen Gemeinschaft wie Nobelpreisträger Elie Wiesel fanden damals kein Gehör: «Die Verfolgung der Albaner, so schrecklich sie ist, ist kein Holocaust», betonte Wiesel 1999, und die Jewish World Review mahnte an, dass in Nazideutschland keine jüdische Untergrundarmee existierte, die einen eigenen jüdischen Staat auf deutschem Boden verfocht, auch hätten Juden nie Mordanschläge auf deutsche Polizisten und Soldaten verübt, um jene zu gewaltsamen Gegenaktionen zu provozieren, bei denen die eigene Bevölkerung in Mitleidenschaft gezogen wurde   – genau das habe aber die kosovo-albanische UÇK getan. Zudem wurde angeführt, dass noch während des Nato-Bombardements in Nordserbien und im Gebiet von Belgrad 200 000 Albaner sicher und komfortabel leben konnten   – was bei einem Völkermord nie der Fall gewesen wäre.

(S. 44)

PR-Aufträge auch im eigenen Land transparenter machen

Es ist Becker/Beham gelungen, dem Leser die Sinne zu schärfen für laufende Vorgänge in der Medienwelt, wenn plötzlich wie zufällig gehäuft Berichte auftauchen und kampagnenmässig ein Feld besetzen, Meinungen kanalisieren und in eine Richtung lenken wollen.

Es wäre wünschenswert, wenn auch andere Staaten ein Gesetz wie das FARA erlassen würden   – und warum sollten die Bürger aller Länder nicht fordern, dass auch die PR-Aufträge ihrer eigenen Regierungen deklarationspflichtig werden? Insbesondere, wenn da die eigenen Steuergelder verschleudert und missbraucht werden, um die Stimmbürger zu desinformieren, statt dem Informationsauftrag nachzukommen? Insofern ist der Studie von Becker/Beham nicht nur weite Verbreitung zu wünschen, sondern sie verdient auch eine breitangelegte Diskussion unter Bürgern,  wie dies in der Schweiz etwa die Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» angestossen hat.   

Werbung f.Krieg-Tod

Becker, Jörg/Beham Mira, Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod. Baden-Baden 2006. ISBN 3-8329-1900-7.

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