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Gegen den Angriffskrieg und für den «Staatsbürger in Uniform»


Jürgen Rose plädiert für die Achtung des Rechts in der deutschen Aussen- und Verteidigungspolitik

von Karl Müller

Als ein Oberst der deutschen Bundeswehr in Afghanistan Anfang September letzten Jahres alles daran setzte, um zwei entführte Tank­lastwagen und vor allem die Menschen um diese Lastwagen herum von einem US-amerikanischen Kriegsflugzeug bombardieren zu lassen, war dies kein tragischer Ausrutscher einer sonst um rechtlich einwandfreies Verhalten bemühten Armee im Auslandeinsatz. Eher war es die Spitze eines Eisbergs, den man als schrittweise Aushöhlung der Achtung vor dem Recht in der deutschen Aussen- und Verteidigungspolitik bezeichnen muss.

Zentral zu diesem Thema hat der Oberstleutnant der Bundeswehr und langjährige «Dissident» der Truppe, Jürgen Rose, ein neues Buch vorgelegt. Es ist eine vorläufige Summe seiner langjährigen und sehr engagierten Auseinandersetzung mit einer Entwicklung, die nichts mehr mit den Voraussetzungen zu tun hat, unter denen Rose selbst Soldat geworden war: nämlich alles zu tun, um die Bundeswehr zu einer Armee in einer Demokratie zu machen, in welcher der Soldat ein «Staatsbürger in Uniform» ist; eine deutsche Armee, die sich in jedem Fall an das nationale und internationale Recht hält und deren «Ernstfall» die Kriegsverhinderung ist.

Rose hat seinem Buch* den Titel «Ernstfall Angriffskrieg» gegeben und stellt schon damit heraus, dass sich die Bundeswehr sowie ihre politischen Entscheidungsträger und militärischen Befehlshaber gegen das deutsche Grundgesetz und dessen Artikel 25 und 26 gestellt haben. Mit Artikel 25 hat sich Deutschland nämlich an das Völkerrecht gebunden, und mit Artikel 26 wird schon die Vorbereitung eines Angriffskrieges als verfassungswidrig verurteilt und unter Strafe gestellt.

Wer in Anbetracht von fast 20 Jahren offizieller Spins in Sachen deutscher Aussen- und Verteidigungspolitik den Kopf lüften und die Sachen gründlich klären will, dem kann man Roses Buch und dessen 268 Seiten nur sehr empfehlen. Denn kaum ein Buch auf dem deutschsprachigen Markt entwickelt so konsequent den Standpunkt des Rechts. Kaum ein Buch belegt die alarmierend vielen Rechtsbrüche in der deutschen Aussen- und Verteidigungspolitik der vergangenen 20 Jahre so breit angelegt, vor allem diejenigen Rechtsbrüche, die mit der deutschen Beteiligung am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Nato gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien im Jahr 1999 einhergingen; dann aber auch mit der   – klammheimlichen   – Beteiligung am Irak-Krieg und schliesslich auch am Krieg in Afghanistan.

Roses Buch hat vier grosse Kapitel. Das erste entlarvt die scheinheiligen Rechtfertigungsversuche für die westliche Kriegs­politik der vergangenen 20 Jahre als Lügen, ordnet den Wandel zur weltweiten Interventionsstrategie von Nato und Bundeswehr in den Zusammenhang der westlichen Geopolitik und Globalisierung ein und geht ausführlich auf die Verrohung, aber auch auf die Absurditäten im bundesdeutschen militärischen Denken und Handeln ein.

Hervorragend gelungen ist die gründliche Untersuchung des heutigen US-amerikanischen militärstrategischen Denkens und dessen ganz bewussten Bruches mit dem Völkerrecht. Eine Analyse, die Rose im Unterkapitel über den Jugoslawien-Krieg leistet. Hier wird deutlich, dass auch mehr als 10 Jahre später der Ruf nach einem Tribunal gegen die Verantwortlichen nicht verstummen darf; denn wer die gezielte Bombardierung von Zivilisten als Teil einer Luftkriegsstrategie formuliert und befolgt, gehört als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt.

Wie geht es einem Deutschen, wenn er lesen muss, dass auch hohe Offiziere in der deutschen Bundeswehr heute wieder ganz martialisch und gegen alle Vernunft reden, schreiben   – und handeln?

Und wenn er weiter liest, dass auch das bundesdeutsche Rechtssystem, nach dem Zweiten Weltkrieg mit besonderer Sorgfalt aufgebaut, zu verludern droht, sofern es sich   – wie der Generalbundesanwalt und zum Teil auch schon das Bundesverfassungsgericht   – weiterhin einer militarisierten Staatsräson unterordnet?

Immer wieder thematisiert Rose in den Unterkapiteln des ersten Kapitels auch seine politische Schlussfolgerung: die Vision von einem neuen Europa, einem von den USA emanzipierten EU-Europa mit einer eigenständigen, ans Völkerrecht gebundenen Verteidigungsidentität   – etwas ganz anderes als das, was die heute real existierende EU zu leisten vermag.

Das zweite Kapitel schildert deutsche und internationale Beispiele von Soldatinnen und Soldaten, die ihrem natürlichen Rechtsempfinden und dem Recht gefolgt sind und dafür zum Teil schwerwiegende Nachteile in Kauf genommen haben   – «Staatsbürger in Uniform» mit einem «Primat des Gewissens». Zu ihnen gehört auch Jürgen Rose selbst. Eigentlich stand ihm eine Bilderbuchkarriere in der Bundeswehr bevor: beste Ausbildung, beste Zeugnisse, beste dienstliche Beurteilungen. […]

Doch seine Gradlinigkeit und sein klares Wort liessen ihn seit Mitte/Ende der neunziger Jahre   – genauer: seit einem Zeitungsartikel Roses, der dem damaligen Bundesverteidigungsminister nicht gepasst hat   – in der Bundeswehr immer mehr zu einer persona non grata werden. Und selbst als er 2007 aus den Reihen der «archaischen Kämpfer» der Bundeswehr massiv bedroht wurde, hat sich die Armee nicht vorbehaltlos an Roses Seite gestellt. Im Gegenteil: Die Bundeswehrspitze hat alles getan, um ihm das Leben schwer und den Dienst unerträglich zu machen.

Das dritte Kapitel kritisiert die deutschen «Medienkrieger» und deren Kriegspropaganda   – eine Journalistengeneration, der die «eingebettete» Nähe zur Macht wichtiger zu sein scheint als die Liebe zur Wahrheit.

Im vierten Kapitel schliesslich wird der Ausblick formuliert: «Die Stärke des Rechts gegen die Gewalt des Angriffskrieges: völkerrechtliche, verfassungsrechtliche und strafrechtliche Perspektiven».

Rose macht Vorschläge, wie die deutschen «Schattenkrieger» des Kommandos Spezialkräfte KSK aus ihrem praktisch unkontrollierten Raum herausgeholt und demokratischer Kontrolle unterstellt werden können. Er entwirft eine Neukonzeption für den bisherigen Paragraphen 80 des Strafgesetzbuches, der schon bislang die Vorbereitung eines Angriffskrieges unter Strafe gestellt hat, aber noch nicht griffig genug formuliert ist.

Und wiederholt erinnert Rose an seinen grossen geistigen Ziehvater, den Königsberger Philosophen Immanuel Kant. Der hatte geschrieben: «Fiat iustitia, pereat mundus.» Das heisst zu deutsch: «Es herrsche Gerechtigkeit, die Schelme in der Welt mögen auch insgesamt darüber zugrunde gehen». Heute würde man sagen: Die Schelme in der Welt mögen auch insgesamt darüber ihre Macht verlieren.

Jürgen Rose

Jürgen Rose gehört zu den Deutschen, die das vorbereitet haben, was nun in bezug auf Afghanistan immer mehr prominente Stimmen für eine breite Öffentlichkeit aufgreifen. So verleihen sie der Überzeugung einer immer grösser werdenden Mehrheit der Deutschen öffentlich Ausdruck.

Zum Beispiel der Vorsitzende der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Robert Zollitsch, in einem der deutschen Regierung auch sehr entgegenkommenden Beitrag für die «Frankfurter Rundschau» am 15. Januar:

«Seit einigen Monaten findet der Afghanistan-Einsatz in der deutschen Öffentlichkeit neue Beachtung. Es ist zu Bewusstsein gekommen, dass auch die Bundeswehr immer stärker an Kampfhandlungen beteiligt ist. Das Thema Afghanistan ist nunmehr auch in Deutschland aus dem Halbschatten heraus- und ins grelle Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit eingetreten. Tatsächlich ist es höchste Zeit, dass wir in unserem Land eine breite Debatte über die Perspektiven und Möglichkeiten unserer Friedens- und Sicherheitspolitik führen. […] Heute müssen wir eine bittere Bilanz ziehen: In weiten Teilen Afghanistans herrschen kriegsähnliche Zustände. Viele Massnahmen haben nicht zu den gewünschten Erfolgen geführt. Es sind manche gravierende Fehler gemacht worden. Eine stabile Demokratie in Afghanistan liegt in weiter Ferne. Islamistische Kräfte haben an Boden gewonnen, auch im Nachbarland Pakistan. All dies zwingt zu einer neuen Bewertung der Situation und zu neuen Entscheidungen. Der Afghanistan-Einsatz verlangt eine echte Perspektive. So wie bisher kann er eigentlich nicht fortgesetzt werden. Dafür haben die Bürger ein sensibles Gespür. Neue Entscheidungen sind auch aus dem Blickwinkel einer christlichen Ethik unausweichlich, die auf einen gerechten Frieden setzt.»

Zum Beispiel die Bischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland EKD, Margot Kässmann, in ihrem Neujahrsgottesdienst in Dresden:

«Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden. […] Wir brauchen Menschen, die nicht erschrecken vor der Logik des Krieges, sondern ein klares Friedenszeugnis in der Welt abgeben, gegen Gewalt und Krieg aufbegehren und sagen: Die Hoffnung auf Gottes Zukunft gibt mir schon hier und jetzt den Mut, von Alternativen zu reden und mich dafür einzusetzen. Manche finden das naiv. Ein Bundeswehroffizier schrieb mir, etwas zynisch, ich meinte wohl, ich könnte mit weiblichem Charme Taliban vom Frieden überzeugen. Ich bin nicht naiv. Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan. Wir brauchen mehr Phantasie für den Frieden, für ganz andere Formen, Konflikte zu bewältigen. Das kann manchmal mehr bewirken als alles abgeklärte Einstimmen in den vermeintlich so pragmatischen Ruf zu den Waffen.»

Jürgen Rose hat als Soldat diese «Phantasie für den Frieden» beibehalten. Sein sorgfältig begründetes Buch und er selbst sollten die Gelegenheit bekommen, über die Hintergründe, die Zusammenhänge und die Folgen der bundesdeutschen Kriegspolitik viele Menschen aufzuklären   – vor allem auch junge Menschen.

Jede Schule in Deutschland sollte Roses Buch in ihrer Bücherei haben. Schulen und Klassen können Jürgen Rose zu Vorträgen und Lesungen einladen. Das wird ein wertvoller Beitrag zur grundlegenden staatsbürgerlichen Bildung sein. (Hervorhebungen: seniora.org)

Quelle: Nr.3 vom 18.1.2010
www.zeit-fragen.ch 

© 2009, Genossenschaft Zeit-Fragen

Buchempfehlung: Ernstfall Angriffskrieg   – Frieden schaffen mit aller Gewalt?

von Jürgen Rose

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Taschenbuch, 268 Seiten, ISBN 978-3-9808137-2-3 20,00 EUR

Angriffskrieg ist das schwerste aller Verbrechen. Das vereinigte Deutschland ist daran beteiligt   – und belügt sich selbst darüber. »Wir führen keinen Krieg«, behauptete Kanzler Schröder 1999 an dem Tag, als der Bombenkrieg gegen Jugoslawien begann, und seit Jahren gilt diese Sprachregelung auch für den immer verlustreicheren Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan. Der Generalbundesanwalt hat Klagen gegen die verantwortlichen Politiker mit der Begründung zurückgewiesen: Es sei zwar strafbar, einen Angriffskrieg vorzubereiten, nicht aber, ihn zu führen   – eine Zumutung für Moral und Verstand.

Jürgen Rose, Oberstleutnant der Bundeswehr, verweigertjede Mitwirkung an Angriffskriegen und widersetzt sich mutig der verlogenen Propaganda der Angriffskrieger, die er unumwunden Friedensverräter nennt. Dem Leitbild des »Staatsbürgers in Uniform« verpflichtet, setzt er sich in diesem Buch mit gefährlich reaktionären Tendenzen in der Bundeswehr auseinander   – den gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahren zum Trotz. Im Kampf für das Grundrecht des Einzelnen auf Meinungsfreiheit und für das Völkerrecht, das militärische Gewalt bändigen soll, steht er nicht allein: Rose stellt andere Soldaten vor, die wie er ihr Gewissen nicht am Kasernentor abgegeben haben. Ein aufrüttelndes Buch gegen die Uniformierung des Denkens.

Taschenbuch, 268 Seiten, ISBN 978-3-9808137-2-3 20,00 EUR / zzgl. Versandkosten. Diesen Titel bestellen bei Jürgen Rose j-rose@t-online.de