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Die Macht der schwachen Strahlung

Buch von Cornelia Hesse-Honegger
Rezension von Dr. med. Ursula Knirsch, FMH Neurologie, und Dr. med. Thomas Lippmann, FMH Psychiatrie
24. November 2016
zf. Cornelia Hesse-Honegger ist Wissenschaftszeichnerin. In strahlenbelasteten Gebieten weltweit, darunter auch der Schweiz, suchte sie nach Insekten, die Missbildungen aufwiesen. Diese dokumentierte sie in wissenschaftlich präzisen und künstlerisch hervorragenden Zeichnungen. In ihrem Buch geht sie der These nach, dass niedrige ionisierende Strahlendosen aus Atom­anlagen, insbesondere aus Atomkraftwerken, die Tag und Nacht Strahlung im niedrigen Dosisbereich emittieren, gefährlich sind  – für Mensch und Natur.

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Die Macht der schwachen Strahlung   – Cornelia Hesse-Honegger

Cornelia Hesse-Honegger legt mit ihrem informativen Buch «Die Macht der schwachen Strahlung» eine äusserst lehrreiche, spannende und erfolgreiche Vereinigung von Kunst und Wissenschaft vor. Ausgangspunkt der vertieften Beschäftigung mit den Risiken dauerhafter radioaktiver Strahlenexposition war für die Autorin die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986. Das Buch ist somit auch der Lebensbericht einer engagierten Kunstschaffenden, die sich das Wirken für Mensch und Natur zur Herzensangelegenheit gemacht hat.

Die Autorin begann ihre fundierte Ausbildung als wissenschaftliche Zeichnerin an der Universität Zürich. Während vieler Jahre sammelte sie anschliessend Kenntnisse und Erfahrungen in verschiedenen naturwissenschaftlichen Instituten, nicht zuletzt mit durch Toxine oder Strahlung genetisch mutierten Insekten. Durch Akribie und geschärften Blick, mit denen sie schliesslich ihr künstlerisches Schaffen fortgesetzt hat, war es ihr möglich, zu entdecken und anschaulich darzulegen, dass es in der Natur sichtbare Nachweise für dauerhafte Niedrigstrahlung gibt.

«Die Macht der schwachen Strahlung» nimmt uns mit auf die Reise in das Gebiet der Strahlenbiologie zu den Blattwanzen, die als Bioindikatoren zeigen können, wo dauerhafte Strahlung biologisch wirksam ist, und zwar definitiv und unabhängig vom Paradigma von Grenzwerten.

Die Befunde sind ernstzunehmen, auch (oder gerade weil) die Autorin fast wie in einem Krimi zu schildern versteht, wie Protagonisten der Atomlobby oder damit verstrickte Institutionen immer wieder versuchten, Publikationen von ihr zu marginalisieren.

Sie zeigt damit gleichzeitig einen Weg, wie von Sponsoreninteressen freies wissenschaftliches Arbeiten funktioniert und welche Entbehrungen es dann auch mit sich bringt.

Auch für jemanden, der keine Gelegenheit hatte, Medizin zu studieren oder sich vertiefte Kenntnisse in Physik oder Biologie anzueignen, ist es möglich, sich anschaulich, gut nachvollziehbar und gleichzeitig wissenschaftlich exakt ein Bild von der Problematik zu machen.

Das Buch ist in drei grosse Überkapitel gegliedert. «Kunst als Forschung» zeigt die Anfänge der Auseinandersetzung anhand der Folgen von Tschernobyl und den Beginn der Arbeiten mit Bioindikatoren auf. Das Kapitel «Zwischenruf ‹Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit›» bringt Begriffe wie den Petkau-Effekt und die Problematik der willkürlich festgelegten Grenzwerte näher. Auch werden hier Kritiker der Atomenergie und deren Arbeiten gewürdigt. Das gröss­te Überkapitel «Straflose Verstrahlung» geht auf folgende Themen ein: Uranabbau, Atombomben, Atomkraftwerke und Atommüll.

So stellt es die Folgen von Uranabbau für ortsansässige Bevölkerungsgruppen anhand verschiedener Regionen der Welt dar. Die direkte und unmittelbare Verzahnung von Atomenergie und Atomwaffenproduktion kann in diesem Kapitel nicht überlesen werden.

Hier wird auch klar, welche Anstrengungen Lobbyisten unternehmen, um die Folgen radioaktiver Verstrahlung, sei es durch Atomwaffenexperimente (auch direkt am Menschen), Atomwaffeneinsatz (Hiroshima und Nagasaki), Reaktorunglücke, Störfälle oder vermeintliche Endlager, zu verniedlichen. Der Anhang erlaubt übersichtlich Einblick in physikalische Begriffe.

Der Abschnitt «Die Tapferen», ebenfalls im Anhang, ist dann so etwas wie ein «Who is Who» von Wissenschaftlern, Ärzten und Publizisten, die sich kritisch mit Atomenergie und all ihren Facetten auseinandersetzen. Es wird klar, dass hier nicht eine Handvoll ­naiver oder politisch radikaler Aktivisten unterwegs ist, sondern namhafte Persönlichkeiten, deren Wort wir dringend mehr Gehör schenken sollten.

So möchten wir die Rezension mit einem Zitat von Ernst Bloch, das Cornelia Hesse-Honegger in ihrem Buch abdruckt und das sie ganz offensichtlich inspiriert hat, abschliessen:

«Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir widerspruchslos hinnehmen».

Wir wünschen diesem Buch viele Leser.

Hesse-Honegger, Cornelia. Die Macht der schwachen Strahlung   – was uns die Atomindustrie verschweigt. Solothurn 2016, ISBN: 978-3-9523955-5-4


Quelle: Zeit-Fragen
http://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2016/nr-27-22-november-2016/die-macht-der-schwachen-strahlung.html