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Die Falschmünzer-Republik  – Von Politblendern und Medienstrichern


Die Falschmünzer-Republik   – Von Politblendern und Medienstrichern

Ein Buch von Volker Bräutigam

Gerade mach ich Kaffeepause vor meiner Gartenlaube hier in Deutschlands Norden, da spöttelt der Nachbar übern Zaun: „Na, wählst du dann auch die CDU?“

Der Sozi. Verdrießlich gebe ich ihm raus:

„Du meinst den Haken, an dem sich deine SPD abschleppen lässt? Gieß mal schön deine Radieschen! Du weißt ja: außen rot, und innen sch...weiß!“

In vier Wochen   – ich schreibe dies in den letzten Tagen des August   – erklimmen wir wieder einen Gipfel politischen Aberglaubens, auf dem wir ein weiteres Kreuz für das demokratische Deutschland aufrichten: die Bundestagswahl 2009. Um im biblischen Bilde zu bleiben: Die bürgerlichen Parteien betätigen sich schon lange als tüchtig nagelnde Schergen und reduzieren so die Hoffnung auf eine baldige Wiederauferstehung der Demokratie. 60% der Bundesbürger sind gegen deutsche Kriegsbeteiligungen. Unsere demokratisch gewählten Regierungen   – die Sozis immer ganz vorn mit dabei, Herr Nachbar!   – kümmert das einen Dreck. lassen deutsche Soldaten morden, gestern in Jugoslawien, heute in Afghanistan, den Menschenrechten, dem Völkerrecht und unserm Grundgesetz zum Hohn. 70% der Bevölkerung sind gegen die „Sozial“politik unserer demokratisch gewählten Regierungen. Die sitzen das aus. 80% der Bevölkerung betrachten die Verhältnisse in Deutschland als ungerecht. Unsere demokratisch gewählten Regierungen schert es nicht.

Einmal die Mistforke in der Hand, gebe ich meinem Nachbarn noch eine Gabel Schiet für den Eigenbedarf mit:

„Gefallen dir die Bankenrettung, die Armutsvermehrung, die Rente mit 67, die Rüstungsexporte, die Gesundheitsreform, der Bildungsnotstand, der Schnüffelstaat? Geh mir aus der Sonne! Diese Wahlen sind ein gänzlich demokratiefreier Formalismus, alles Gülle aus derselben Grube! Keine Alternative. Du armer Zettelfalter!“

Auch so einer, der das wachsende Demokratiedefizit nicht mal mehr bemerkt. Laut Internet-Ausgabe eines Nachrichtenmagazins bewegen den Bundeswahlleiter und selbst viele Abgeordnete von Union und SPD ganz andere Sorgen als die fortschreitende Volksverdummung: dass die Wahl durch Kurznachrichten im Online-Dienst Twitter („Zwitscherer“) unzulässig beeinflusst werden könnte. Die vormals vertraulichen Exit Polls könnten verfrüht öffentlich bekannt werden. Gemeint sind die Wählerbefragungen, die von Demoskopie-Unternehmen vor den Toren ausgewählter Wahllokale vorgenommen werden. Sie sind die Grundlage für Prognosen zum Wahlausgang. Damit wollen die Massenmedien am frühen Wahlabend Pseudospannung und Zuschauerbindung an die Wunderlampe im Wohnzimmer erzeugen, vermiesen unsereinem jedoch nur die Laune.

ARD, ZDF und Kommerzielle werden am 27. September wieder ihre Zuschauer mit gekünstelter Heimlichtuerei veralbern: Die Wahl-Prognosen der Demoskopie-Unternehmen werden erst nach dem Gongschlag 18 Uhr verkündet. Überraschung, Überraschung! Wie Kindergeburtstag. Das dazu aufgesetzte alberne Lächeln der „wissenden“ Moderatoren überschreitet stets sämtliche Erträglichkeitsgrenzen.

Die Exit-Poll-Zahlen mit Prozentangaben und Trends werden nämlich   – wer zahlt, schafft an -  „unseren“ Parteien und den TV-Sendern schon nachmittags mitgeteilt, Stunden vor der formellen Bekanntgabe in Funk und Fernsehen. "Es wäre der GAU, wenn die Wählerbefragungen vor Schließung der Wahllokale öffentlich bekannt würden", erklärte Bundeswahlleiter Roderich Egeler der Badischen Zeitung. Seine Begründung: Mit den Vorergebnissen könnten Unentschlossene mobilisiert werden.

Da glaubt einer an Schinkenernte vom Pflaumenbaum. An Heerscharen verpennter Zeitgenossen, die um 17 Uhr vom Nachmittagsschläfchen aufschrecken, weil das Handy klingelte und sie   – ganz was Neues!   – erst jetzt per Twitters SMS erfahren, dass die SPD in den Keller rauscht. An Millionen Leute, die nun rasch einen Kurzen kippen, sich schleunigst sonntäglich gewanden und zum nächsten Wahllokal stürzen: Rettet die Große Koalition!

Kein Vertreter der Politik oder der gleichgeschalteten Massenmedien kam je auf die Idee, einmal empirisch begründet und quantifiziert darzulegen, welche vom Ergebnis einer „normalen“ Wahl abweichenden Folgen eine solche wahlsonntägliche Mobilisierung hätte. Man beruft sich stattdessen nur simpel auf § 32 des Wahlgesetzes:

„Die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe (...) ist vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig.“

Ausnahmen, z.B. die gewohnte Weitergabe der Ergebnisse an Berufspolitiker und Medienleute, sieht das Gesetz nicht vor   – obwohl doch auch diese Vorab-Information eine „Veröffentlichung“ darstellt. Weshalb bekommt eine Elite von „eingeweihten“ zu wissen, was das gemeine Volk nicht erfahren darf? Und warum kümmert das den Bundeswahlleiter, die Parteipolitiker und die Medienfritzen nicht?

Stattdessen Theater ums Twittern. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht zum Heulen wäre. Welch ein glänzender Beitrag zur Thematik Informationsfreiheit  /  Demokratisches Bewusstsein / Politische Bildung / Mündiger Bürger  (Unterthematik: Parteienoligarchie / Sprachregelung / Bildungsnotstand / Gleichschaltung der Massenmedien / Zensurversuch / Stimmviehzucht)!  

Der Angstauslöser: Im Mai hatten einige Mitglieder der Bundesversammlung das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl „vorzeitig“   – also noch ehe die Blumengebinde mit Musik und Hurra  ans „Bundeshorschtl“ überreicht werden konnten   – im Twitter-Dienst gemeldet. Vergleichbares soll sich bei den Bundestagwahlen nicht wiederholen. SPD-Innenexperte Wiefelspütz: „Es könnten sich Netzwerke bilden, die mit den Ergebnissen der Exit-Polls Wähler noch in letzter Minute mobilisieren". Und weiter:

"Sollten die Ergebnisse der Wählerbefragungen getwittert werden, sind wir hilflos." Er halte es deswegen für angebracht, über "ein Verbot der Wählerbefragungen nachzudenken".

In letzter Minute mobilisierte Wähler. Hilflose Parteinasen. Verbote als Heilmittel: HILFE! Schützt uns Laubenpieper vor Sozn und anderem politischen Ungemach!

Während der Sozi nach der Verbots-Hacke grabscht, langt eine Unionspolitikerin zum Verlegenheits-Mulch: Dorothee Bär, stellvertretende CSU-Generalsekretärin und medienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, forderte, alle „Eingeweihten“ auf einen "Kodex des Stillschweigens zu verpflichten". Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Wolfgang Bosbach, steuerte sogar den Geistesblitz bei, die Umfrage-Ergebnisse sollten erst eine Stunde vor Schluss des Urnengangs an Politiker und Medien weitergegeben werden, weil dann der Zeitrahmen für Twitter-Beeinflussung knapper sei.

Wehrhafte Demokraten, im Reichstag sind sie zu besichtigen. Eintritt frei!

Aber gesetzt den Fall, dass bis zum 27. 9. alles Wiefelspützige gegen Twitter unterbleibt und am 27. September schon nachmittags eine Ergebnis-Prognose verzwitschert wird: Ob dann die Iraner wohl auch "Schiebung" schreien, weil die Merkel wiedergewählt wird? Und wird sich Irans Präsident Ahmadinejad an der Kanzlerin mit der Retourkutsche rächen, eine Überprüfung der bundesdeutschen Wahl durch unabhängige ausländische Instanzen sei angebracht und mehr Demokratie und Demonstrationsfreiheit auf Deutschlands Straßen zu fordern? Wird er gar   – Obama steh uns bei!   – wegen prügelnder Polizisten in Berlin den UN-Sicherheitsrat in New York anrufen?

„Wir verurteilen aufs Schärfste die Praxis der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten“, so trötete auch Möchtegern-Kanzler Steinmeier, als die „grüne“ Opposition im Iran ihre Unzufriedenheit mit dem Wahlergebnis auf Teherans Straßen austobte. Ob Frank Walter nach seiner vorhersehbaren Wahlschlappe   – wie in solchen Fällen üblich   – die Schuld bei irregeleiteten Wählern und sonstiger Manipulation suchen wird, dem Twittern zum Beispiel? Dann könnte er doch gleich in Teheran ein paar erfolgsverwöhnte Prügel-Perser bestellen, die (als Sozis verkappt) (rote Schals!) ordentlich Randale auf Berlins Straßen machen und

„Wer hat unsere Stimmen geklaut?“

plärren? Dass Steinmeier anschließend die „Praxis der Berliner Sicherheitskräfte gegen Demonstranten aufs Schärfste verurteilen“ würde, wäre sicher nicht zu befürchten. Diese brave Truppe ist doch außerdem seit lauschigen Maiennächten bekannt für ihr Zartgefühl im Umgang mit Demonstranten.

Ach, Nachbarn! Im wirklichen Leben werdet ihr doch nicht nur wahlsonntäglich manipuliert. Sondern ganzjährig, täglich: Wenn Politiker Steuersenkungen versprechen. Oder zur Freiheitsverteidigung am Hindukusch aufrufen. Auch die Medien manipulieren, z.B. mit „Tagesthemen“ und „heute“, mit Illners und Wills   – und ganz besonders mit „Politbarometern“ und „Deutschlandtrends“. In Berichten über politische Meinungsumfragen ist ja nicht grundlos vom Einfluss „wahltaktischer Überlegungen“ aufs Wahlverhalten die Rede.  

Ergo: Nicht erst fragwürdige Twitter-„Informationen“, sondern vor allem die regelmäßigen offiziösen Veröffentlichungen von Meinungsumfragen bringen den Bürger davon ab, sich bei seiner Wahlentscheidung ausschließlich von seiner Überzeugung leiten zu lassen. Das Demoskopen-Unwesen erzielt Wirkung, die man ohne empirische Belege behaupten kann: Es trägt dazu bei, dass Wahlen sich immer auf die etablierten Parteien verengen, speziell die großen unter ihnen, und dass kleine oder neue Parteien geringere Chancen haben. Politische Besitzstandwahrung nennt man das. Damit sich in unserem Land ganz sicher nichts radikal ändert. Obwohl dies dringend nötig wäre.

Den Manipulanten sind immerhin Grenzen gesetzt. Die Nachrichtensendungen von ARD und ZDF verlieren seit Jahren Zuschauer, und zwar kräftig. Denen der Kommerziellen geht es nicht besser.

Zum Autor und Buch:

Braeutigam

Volker Bräutigam

Volker Bräutigam schreibt regelmässig für die Zeitschrift Ossietzky, Nachfolgerin der «Weltbühne», die dem deutschen Journalismus zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zur Ehre gereichte. Ossietzky orientiert sich strikt an diesem Vorbild.
(s.a. ossietzky.net)

Ein wenig Hintergrundsinfo zum Fernsehjournalisten a.D. in Wikipedia:
http://de.wikipedia.org/wiki/Volker_Br%C3%A4utigam_%28Publizist%29

Buch falschmuenzer

Scheunen-Verlag, 308 S. mit Karikaturen von Klaus Stuttmann, 12,00 €. ISBN 978-3-938398-90-6

Bestellung: (ab 23.09. 2009) unter www.scheunen-verlag.de