US-Weltmachtsanspruch: Ein sehr aufschlussreicher Artikel von US-Außenminister Blinken
Der Artikel*, den US-Außenminister Blinken in Foreign Affairs veröffentlicht hat, ist ausgesprochen lesenswert. Ich habe mich jedoch entschieden, den Artikel nicht zu übersetzen, sondern stattdessen zu übersetzen, wie ein russischer Experte den Artikel in der russischen Nachrichtenagentur TASS analysiert hat.
Beginn der Übersetzung:
Die Wahlstrategie des Washingtoner Komitees: Blinken wettert gegen „Revisionisten“
Andrej Nisamutdinow über Blinkens Artikel mit Propagandahauch vor den Wahlen
US-Außenminister Anthony Blinken hat in Foreign Affairs einen großartigen Artikel mit dem Titel „Amerikas Erneuerungsstrategie: Wiederaufbau der Führerschaft für Erneuerung“ veröffentlicht.
Obwohl der Artikel außenpolitischen Fragen gewidmet ist, ist er in Wirklichkeit eindeutig wahlkampfbezogen und zielt darauf ab, den Amerikanern die Errungenschaften der Regierung des demokratischen Präsidenten Joe Biden sowie die positiven Auswirkungen dieser Errungenschaften auf die amerikanische Wirtschaft zu präsentieren. Gleichzeitig versucht Blinken, an mögliche Nachfolger zu appellieren: „Die Strategie der Biden-Administration hat die geopolitische Position der USA in den letzten vier Jahren deutlich gestärkt. Aber unsere Arbeit ist noch nicht abgeschlossen. Die USA müssen ihre Standhaftigkeit und Stärke auch unter den nachfolgenden Regierungen beibehalten, um die Überzeugungen der Revisionisten zu erschüttern. <…> Und sie haben die Pflicht, den Glauben des amerikanischen Volkes an die Macht, den Zweck und den Wert einer disziplinierten amerikanischen Führung in der Welt weiter zu stärken.“
Trotz dieses Propagandahauchs im Vorfeld der Wahlen ist der Artikel des US-Außenministers interessant, weil er all die Vorwürfe enthält, die Washington gewöhnlich an die „revisionistischen Länder“ richtet. Mit anderen Worten, jene Staaten, die die „regelbasierte Ordnung“ ablehnen und es wagen, die Vorherrschaft der USA auf der internationalen Bühne herauszufordern.
Washingtons Gegner
Blinken nennt die Hauptgegner bereits zu Beginn des Artikels: „Eine kleine Anzahl von Ländern, vor allem Russland in Partnerschaft mit dem Iran und Nordkorea, aber auch China, sind entschlossen, die grundlegenden Prinzipien des internationalen Systems zu verändern. <…> Alle diese revisionistischen Mächte wollen die autoritäre Herrschaft im eigenen Land festigen und im Ausland Einflusssphären schaffen. Sie alle wollen territoriale Streitigkeiten mit Gewalt oder Zwang lösen und nutzen dazu die wirtschaftliche und energiepolitische Abhängigkeit anderer Länder aus. Und sie alle versuchen, die Grundlagen der amerikanischen Macht zu schwächen: die militärische und technologische Überlegenheit, die dominante Währung und das konkurrenzlose Netz von Allianzen und Partnerschaften.“
Die Kernbotschaft für die Amerikaner ist also klar: Autoritäre Revisionisten wollen die Grundlagen der amerikanischen Macht untergraben. Nach dieser Einleitung soll der Leser sich nicht mehr fragen, wie Nordkorea „die wirtschaftliche und energiepolitische Abhängigkeit anderer Länder“ ausnutzen kann, wenn es seit Jahrzehnten unter von den USA initiierten Sanktionen steht.
Wie der US-Außenminister feststellt, haben sich diese „revisionistischen Mächte aggressiv gegen die amerikanischen Interessen gestellt“, und zwar bereits zu dem Zeitpunkt, als Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris gerade ihr Amt angetreten hatten (die Erwähnung von Harris in diesem Zusammenhang ist übrigens ein weiterer Beleg für den Vorwahlcharakter des Artikels). Dennoch sei es dem Tandem Biden-Harris gelungen, „die geopolitische Position der USA erheblich zu stärken“, und zwar dank „einer Erneuerungsstrategie, die beispiellose Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit der USA mit einer intensiven diplomatischen Kampagne zur Wiederbelebung von Partnerschaften im Ausland verbindet“.
So beschreibt Blinken die wichtigsten „Revisionisten“: „China ist das einzige Land, das die Absicht und die Mittel hat, das internationale System umzugestalten. Präsident Biden hat deutlich gemacht, dass wir Peking als eine ‚wachsende Bedrohung‘ für die USA und als unseren ernsthaftesten langfristigen strategischen Rivalen behandeln werden. <…> Was Russland betrifft, so haben wir uns keine Illusionen über die revanchistischen Ziele von Präsident Wladimir Putin oder die Möglichkeit eines „Neustarts“ gemacht. Wir haben uns ohne Zögern und mit Entschiedenheit gegen die destabilisierenden Aktivitäten Moskaus ausgesprochen, einschließlich seiner Cyberangriffe und seiner Einmischung in die amerikanischen Wahlen. <…> Ebenso nüchtern und realistisch haben wir uns im Umgang mit Iran und Nordkorea gezeigt. Wir haben den diplomatischen Druck erhöht und die militärische Macht der USA gestärkt, um Teheran und Pjöngjang einzudämmen und zu zügeln.“
Abgedroschene Anschuldigungen
Der US-Außenminister wiederholt in seinem Artikel die mehrfach widerlegten und unbegründeten Behauptungen, dass China, der Iran und Nordkorea Russland seit dem Beginn der Militäroperation militärische und technische Hilfe geleistet haben und Russland im Gegenzug Militärtechnologie zur Verfügung gestellt hat. Die Zusammenarbeit mit China habe sich „in allen Bereichen ausgeweitet, und die beiden Länder führen zunehmend aggressive und groß angelegte Militärmanöver durch, auch im Südchinesischen Meer und in der Arktis.“
Blinken behauptet, dass „die destabilisierenden Auswirkungen des wachsenden revisionistischen Durchsetzungsvermögens und Zusammenhalts weit über Europa und Asien hinausreichen“. In Afrika beispielsweise habe Russland „seinen Agenten und Söldner freie Hand gelassen, um Gold und wichtige Mineralien abzubauen, Desinformationen zu verbreiten und diejenigen zu unterstützen, die versuchen, demokratisch gewählte Regierungen zu stürzen“. Darüber hinaus „verschärft es den Konflikt“ im Sudan. In der Zwischenzeit „haben der Iran und seine Vertreter das Chaos genutzt, um illegale Waffenhandelsrouten in der Region wiederzubeleben und Unruhen zu schüren“, und Peking „wendet seinen Blick von Moskaus Kriegstreiberei in Afrika ab, während es neue Abhängigkeiten fördert und mehr Länder mit untragbaren Schulden belastet.“
In Südamerika „leisten China, Russland und der Iran der autoritären Regierung von Nicolas Maduro in Venezuela militärische, wirtschaftliche und diplomatische Unterstützung und bestärken ihn in dem Glauben, dass sein Regime gegen Druck resistent ist.“
Schließlich sei „die revisionistische Allianz im Nahen Osten noch deutlicher zu erkennen“. Insbesondere Russland „fördert das iranische Atomprogramm und die destabilisierenden Aktivitäten Teherans“ und hat auch „die Beziehungen zur Hamas verstärkt“.
Wie bereits erwähnt, sind all diese Vorwürfe nicht neu. Der Artikel des US-Außenministers macht jedoch deutlicher, worauf Russland seine Bemühungen konzentrieren muss, um die Propagandaangriffe Washingtons abzuwehren.
Die Strategie der Weltherrschaft
Was die „Erneuerungsstrategie“‚ anbelangt, die der Autor in der Überschrift seines Artikels anführt, so enthält sie nichts Neues, sondern läuft auf die Jahrhunderte alte Praxis hinaus, „jemanden zu seinem Glück zwingen“. Und im Rahmen dieser Praxis lassen die USA ihre Partner schamlos fallen, obwohl Blinken versucht, diese Seite der „Erneuerungsstrategie“ in seinem Artikel nicht zu erwähnen. So lobt er beispielsweise die Länder der EU für ihre „Entschlossenheit“, ihre Abhängigkeit von russischen Energieträgern zu überwinden. Aber er sagt nichts über die Tatsache, dass die Folge der anti-russischen Sanktionen, die auch auf Druck Washingtons verhängt wurden, war, dass Europa in eine andere Abhängigkeit geriet – in die von amerikanischem Flüssiggas. Und das ist wesentlich teurer als das „undemokratische“ russische Gas. Und nun, während die Leute in Übersee die Gewinne zählen, schrumpft die europäische Industrie direkt vor unseren Augen, und die Preise steigen extrem.
Oder nehmen wir ein anderes Beispiel. „Wir haben eine trilaterale Verteidigungspartnerschaft, AUKUS, ins Leben gerufen, in der sich Australien, Großbritannien und die USA zusammengeschlossen haben, um Atom-U-Boote zu bauen und ihre wissenschaftliche, technologische und industrielle Zusammenarbeit zu vertiefen“, prahlt Blinken. Aber er verschweigt natürlich, dass Australien deshalb den Vertrag über die Lieferung von 12 französischen U-Booten für die stolze Summe von 66 Milliarden Dollar gekündigt hat. Was kann man dazu sagen? Es ist nichts Persönliches, es geht nur ums Geschäft.
Generell macht ein genauer Blick in Blinkens Artikel deutlich, dass das, was er als „Weltführerschaft“ bezeichnet, in Wirklichkeit Weltherrschaft ist. Mit anderen Worten: Die USA tun genau das, was sie ihren „revisionistischen“ Gegnern vorzuwerfen versuchen. Aber wenn man Blinken das sagt, wird er zweifellos antworten: Sie verstehen nicht, das ist etwas anderes.
Ende der Übersetzung
*America’s Strategy of Renewal
Quelle: https://anti-spiegel.ru/2024/ein-sehr-aufschlussreicher-artikel-von-us-aussenminister-blinken/
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