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Macht Euch nicht zum Sprachrohr einer brandgefährlichen Politik!

14. März 2014

Macht Euch nicht zum Sprachrohr einer brandgefährlichen Politik!

Ein Appell an die deutschen Medien, zu einer sachlichen Berichterstattung über die russische Politik zurückzukehren

von Karl-Jürgen Müller*

Albrecht Müller, der Herausgeber der «Nachdenkseiten» (www.nachdenkseiten.de), ist kein Scharfmacher und Agitator, auch kein weltfremder Phantast. Er hat am 12. März auf seiner Website mit eindringlichen Worten vor einer neuen West-Ost-Konfrontation gewarnt und eine Kriegsgefahr nicht mehr ausschließen können.

Müller war Planungschef im Bundeskanzleramt unter den Bundeskanzlern Brandt und Schmidt. Von 1987 bis 1994 war er für die SPD Abgeordneter im Deutschen Bundestag.

Auch Willy Wimmer, der ehemalige Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium und Abgeordneter der CDU im Deutschen Bundestag von 1976 bis 2009, ist kein politischer Heißsporn. Trotzdem schreibt er in einem Beitrag für die Schweizer Wochenzeitung «Zeit-Fragen» (www.zeit-fragen.ch): «Es ist etwas Großes im Gange, das uns alle zerreißen kann.» Und in der Tat: So extrem wie schon lange nicht mehr unterscheiden sich die Stellungnahmen der westlichen Politik von denen der russischen Politik, dass man als außenstehender Bürger sofort an die alte Weisheit denken muss: «Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.»

Nun muss ich aber hinzufügen, dass das Bemühen um Wahrheit derzeit besonders in der westlichen Politik arg gelitten hat. Wer zum Beispiel unvoreingenommen die Stellungnahmen des US-amerikanischen Außenministers mit denen aus dem russischen Außenministerium vergleicht, die ja auch auf deutscher Sprache zugänglich sind (http://www.mid.ru/brp_4.nsf/deutsch), der gewinnt den Eindruck, dass der russische Außenminister um einiges glaubwürdiger wirkt.

Und wie sieht es bei den Medien aus? Hier und da gibt es sie zwar noch, die Journalisten, die sich um Sachlichkeit und Ausgewogenheit bemühen: bei Spiegel Online zum Bespiel ist es Uwe Klußmann, in einem Interview mit www.tagesschau.de war es sogar der Russland-Experte des European Council on Foreign Relations, Stefan Meister, und selbst in der ländlichen Region des südwestdeutschen Schwarzwaldes gibt es einen Journalisten des dortigen «Schwarzwälder Boten», der die westlichen Politiker in einem Leitartikel dazu aufgerufen hat, von ihrem hohen Ross zu steigen.

Aber das sind die Ausnahmen. Der Mainstream informiert nicht mehr, sondern macht Stimmung. Eine gefährliche Stimmung! Vergessen ist das, was der Deutsche Presserat als Pressekodex formuliert hat:

«Herausgeber und Journalisten müssen sich bei ihrer Arbeit der Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und ihrer Verpflichtung für das Ansehen der Presse bewusst sein. Sie nehmen ihre publizistische Aufgabe fair, nach bestem Wissen und Gewissen, unbeeinflusst von persönlichen Interessen und sachfremden Beweggründen wahr.»

Oder:

«Die Achtung der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.»

Zu denjenigen, die diese Grundsätze ganz stark vergessen haben und kaum noch über einen Kampagnenjournalismus hinauskommen, gehört leider auch das Flaggschiff der deutschen Leitmedien, die «Frankfurter Allgemeine Zeitung». Nicht nur sie, aber ganz besonders sie: in allen Redaktionsteilen, mit praktisch jedem Artikel. Alle werden bemüht, besonders gern im Feuilleton. Und ganz besonders tun sich dabei die Herausgeber selbst hervor, allen voran Berthold Kohler.

Mir ist nicht bekannt, warum Herr Kohler ein solcher Russland-Hasser und vor allem Putin-Hasser ist, aber seine Kommentare in der FAZ zu Russland sind so offensichtlich weit weg von jeder Sachlichkeit, das man sich fragt, ob die Proteste bei der FAZ nicht tausendfach eingehen. Zum Beispiel Kohlers Leitartikel vom 3. März: «Putins wahres Gesicht». Oder sein Leitartikel vom 9. März: «Über die Krim hinaus». Es gibt die sozialpsychologische Erkenntnis, dass man Lügen und Verdrehungen nicht auch noch ausführlich zitieren soll; denn es besteht die Gefahr, dass sie sich in den Köpfen festsetzen. Der geneigte Leser mag also selbst im Internet Kohlers Kommentar(e) nachlesen, falls er sich das antun möchte.

Aber man muss auch nicht bei der FAZ nachlesen. Es ist so furchtbar offensichtlich, dass die deutschen (und die westlichen) Medien eine politische Kampagne gegen die russische Politik lanciert haben, die schon seit Jahren dauert und nun eskaliert.

Warum eskaliert sie nun? Die Antwort ist sehr einfach: Russlands Regierung ist ganz und gar nicht mehr bereit, das böse Spiel des Westens mitzuspielen. Nach dem letzten Februarwochenende hat man in den westlichen Hauptstädten und Medienzentralen wohl noch klammheimlich jubiliert, die Russen mit der «Eroberung» der Ukraine entschieden geschwächt zu haben. Die Belege für die gegen Russland gerichtete Einflussnahme der USA, der Nato und der EU auf die Vorgänge in der Ukraine sind erdrückend.

Mittels sogenannter Smart Power hat man einen verfassungswidrigen Umsturz unterstützt (selbst die FAZ erfreut sich ja mittlerweile an «Revolutionen»; wenn es gegen die «Feinde» geht, dann gelten keine Regeln mehr). Russland war nicht bereit, die Machtergreifung in der Ukraine und deren Folgen passiv hinzunehmen. Russlands Präsident hat hierzu ausführlich Stellung genommen. Die Schweizer Wochenzeitung «Zeit-Fragen» hat große Teile der Pressekonferenz des russischen Präsidenten vom 4. März ins Deutsche übersetzt, so dass auch dies jeder Deutsche, der will, sehr einfach nachlesen kann.

Dass nun aber gerade diejenigen im Westen, die das Völkerrecht in den vergangenen 20 Jahren nach Belieben geachtet oder aber missachtet haben, sich zu dessen Hüter aufschwingen, könnte in eine Dürrenmattsche Groteske passen. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich der Westen nicht damit begnügt, einmal gesiegt zu haben. Wer die Vorgänge in Russland während der 90er Jahre studiert hat   – Naomi Klein hat sie in ihrem Buch «Die Schock Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus» sehr detailliert nachgezeichnet   –, der weiß, wie Russland unterworfen, geplündert und auseinandergebrochen werden sollte.

Warum nehmen die deutschen Leitmedien denn nicht ernst, was Zbigniew Brzezinski in seinem in deutscher Sprache 1999 erschienenen Buch «Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft» über die Ukraine und Russland geschrieben hat? Vielleicht aber nehmen sie es sogar sehr ernst, und zwar so ernst, dass sie immer noch darauf hoffen, dabei mitmischen zu können, dieser Strategie der Herrschaft über Russland doch noch zu einem Erfolg zu führen.

Warum merken denn die deutschen Leitmedien genauso wenig wie die Eliten des Westens insgesamt, dass man die Scheinheiligkeit dieses Westens, die kontinuierlich gegen alle Werte Europas, gegen die Werte des Christentums, des Humanismus und der Aufklärung verstößt, nur noch dort für bare Münze nimmt, wo es kein freies Denken mehr gibt.

Selbst Papst Franziskus hat geschrieben, dass unser westliches Wirtschafts- und Finanzsystem krank ist. Das muss man doch einmal ernstnehmen. Und zu einem kranken Wirtschafts- und Finanzsystem hat bisher immer in der Geschichte eine kranke Politik gehört. Aber «freies Denken» stört, deshalb darf auch nicht mehr differenziert, sachlich und ausgewogen berichtet werden.

Muss man denn, nur weil man als Westen selbst so demaskiert am Boden liegt, nun wie verrückt gegen andere Schienenbeine treten und sogar auf einen neuen Weltkrieg hinarbeiten? Glaubt man, so den von Krise zu Krise taumelnden, die innere Kohäsion verlierenden Westen noch einmal zusammen zwingen zu können? Und glaubt man denn wirklich, man könnte einem Land wie Russland immer ein Stück mehr die Schlinge um den Hals zuziehen und dann auch noch auf ein «Danke, bitte weiter so» hoffen? 2007 in München hat der russische Präsident seine Analyse der Weltlage und der westlichen Politik vorgetragen. Die Worte waren deutlich. Ich habe nichts Verkehrtes darin gefunden und empfehle nochmalige Lektüre. Aber seitdem ist er der «Staatsfeind Nr. 1».

Wäre es jetzt nicht allerhöchste Zeit, die eigene Politik, die Politik des Westens der vergangenen 25 Jahre kritisch zu überprüfen und nach Alternativen zu suchen? Oder ist die Verstrickung unserer politischen und medialen «Eliten» in die politische und wirtschaftliche Kriminalität schon so gross, dass nur noch die Sackgasse bleibt? Ich bete zu Gott, dass dies nicht der Fall ist.

Donner und Blitz gegen Russland sind die alte Linie. Sie überzeugt nicht mehr. Keiner soll später einmal behaupten, auch unsere heutigen «Eliten» seien «Schlafwandler» gewesen. Das wird dann nicht mehr überzeugen. Auch die Medienschaffenden wissen sehr genau, was sie tun.

Aber das muss nicht so bleiben! Warum nicht einfach eingestehen, dass man schwerwiegende Fehler im Umgang mit Russland gemacht hat; dass es in dieser Welt nicht mehr geht, sie alleine nach den eigenen Vorstellungen gestalten zu wollen! Dass man die Interessen und Werte eines jedes Volkes achten muss! Die Charta der Vereinten Nationen hat 1945 sehr treffend formuliert, worum es geht. Noch ist Zeit für ein Innehalten und eine Umkehr.

* Karl-Jürgen Müller ist Mitarbeiter der Schweizer Wochenzeitung «Zeit-Fragen».

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