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Lage in der Ukraine am 25. März 2022

von Jacques Baud,* Brüssel - Schweizer Standpunkt - 4. April 2022
04. April 2022
Mit Vorurteilen lässt sich kein Krieg gewinnen: man verliert ihn, und genau das passiert zurzeit. So war die russische Koalition nie «in Bedrängnis» oder wurde durch heldenhaften Widerstand «gestoppt»: Sie griff einfach nicht dort an, wo sie erwartet wurde!… Wir wollten nicht auf das hören, was Wladimir Putin uns klar und deutlich erklärt hat. Deshalb wurden wir  – volens nolens  – zu den Hauptverantwortlichen für die sich abzeichnende ukrainische Niederlage. Paradoxerweise ist es wahrscheinlich unseren selbsternannten «Experten» und gelegentlichen Strategen in unseren Fernsehstudios zu verdanken, dass sich die Ukraine heute in dieser Situation befindet!…
Jacques Baud (Bild zvg)

von Jacques Baud,* Brüssel

(4. April 2022) Mit Vorurteilen kann man keinen Krieg gewinnen   – man verliert ihn. Leider tendiert das Bild, das wir vom Konflikt in der Ukraine haben, dazu, uns in die falsche Richtung zu drängen. Um die jüngsten Entwicklungen zu verstehen und ein klareres Bild von den möglichen Optionen für eine politische Lösung zu bekommen, brauchen wir eine objektivere Analyse der Situation.

Die operative Lage

Unsere Analyse der Lage am 25. März 2022 bestätigt die Mitte März gemachten Beobachtungen und Schlussfolgerungen.1

Die am 24. Februar begonnene Offensive gliedert sich gemäss der russischen Operationsdoktrin in zwei Stossrichtungen:

  • Ein Hauptvorstoss, der auf den Süden des Landes in der Region Donbass und entlang der Küste des Asowschen Meeres gerichtet ist. Gemäss Doktrin, liegen die Hauptziele auf dieser Linie: die Neutralisierung der ukrainischen Streitkräfte (Ziel der «Entmilitarisierung») und die Neutralisierung der ultra-nationalistischen paramilitärischen Milizen in den Städten Charkow und Mariupol (Ziel der «Entnazifizierung»). Dieser Hauptvorstoss wird von einer Koalition geführt: russische Kräfte aus dem südlichen Militärbezirk über Charkow und von der Krim, mit   – im Zentrum   – die Milizkräfte aus den Republiken Donezk und Lugansk sowie einer Unterstützung durch die tschetschenische Nationalgarde für den Ortskampf in den Grossstädten, wie Mariupol.

  • Ein Nebenvorstoss führt Richtung Kiew, mit dem Ziel die ukrainischen Streitkräfte (und die westlichen Kräfte) zu «fixieren», um sie daran zu hindern, Operationen gegen den Hauptvorstoss durchzuführen oder sogar die russischen Koalitionskräfte von hinten anzugreifen.

Diese Offensive folgt genau den Zielen, die Wladimir Putin am 24. Februar definiert hatte. Doch die westlichen «Experten» und Politiker, die nur ihren Vorurteilen trauen, haben sich in den Kopf gesetzt, dass Russlands Ziel darin besteht, die Ukraine einzunehmen und die Regierung zu stürzen.

In Anwendung einer sehr westlichen Logik sahen sie Kiew als den «Schwerpunkt» der ukrainischen Streitkräfte. Nach Clausewitz ist der «Schwerpunkt» das Element, aus dem eine Kriegspartei seine Stärke und Handlungsfähigkeit bezieht, und somit das vorrangige Ziel der Strategie eines Gegners. Aus diesem Grund hat der Westen in den von ihm geführten Kriegen systematisch versucht, die Kontrolle über die Hauptstädte zu erlangen.

Der von NATO-Experten geschulte und beratene ukrainische Generalstab wandte erwartungsgemäss die gleiche Logik an und konzentrierte sich darauf, die Verteidigung von Kiew und Umgebung zu verstärken, während seine Truppen im Donbass entlang der russischen Hauptstossrichtung hilflos zurückgelassen wurden.

Hätte man Wladimir Putin richtig zugehört, wäre einem klar geworden, dass das strategische Ziel der russischen Koalition nicht die Eroberung der Ukraine ist, sondern die Beseitigung jeglicher Bedrohung für die russischsprachige Bevölkerung im Donbass. In Anbetracht dieses allgemeinen Ziels ist der «eigentliche» Schwerpunkt, den die russische Koalition anzustreben versucht, das Gros der ukrainischen Streitkräfte, die seit Ende 2021 im Süd-Südosten des Landes stationiert sind, und nicht Kiew.

Russischer Misserfolg oder Erfolg?

Da die westlichen Experten davon überzeugt waren, dass die russische Offensive auf Kiew abzielt, kamen sie zu dem logischen Schluss, dass a) die Russen auf der Stelle treten und b) ihre Offensive zum Scheitern verurteilt ist, da sie das Land nicht langfristig werden halten können. Die Generäle, die sich in den französischen Fernsehstudios die Klinke in die Hand gaben, scheinen vergessen zu haben, was ein Unterleutnant wissen sollte: «Kenne deinen Feind!»… Und zwar nicht, wie man ihn gerne hätte, sondern wie er ist! Mit solchen Generälen braucht man keinen Feind mehr!

Abgesehen davon ist das westliche Gerede über eine stockende russische Offensive mit mageren Erfolgen ebenfalls Teil des Propagandakriegs zwischen den beiden Seiten.

So zeigt die Abfolge der von der französischen Zeitung «Libération» seit Ende Februar veröffentlichten Operationskarten2 bis zum 18. März (Datum an dem diese Publikation seine Aktualisierungen einstellte) praktisch keinen Unterschied von einem Tag zum anderen.

So schätzte die Journalistin Elise Vincent am 23. März auf France 53 das von der russischen Koalition eingenommene Gebiet auf eine Fläche, die der Schweiz oder den Niederlanden entspricht. In Wirklichkeit ist es eher die Fläche von Grossbritannien.

Als Beispiel betrachten wir den Unterschied zwischen der von der Zeitung «Ouest-France» veröffentlichten Karte der Situation am 25. März 2022:

... und der vom französischen Heeresministerium veröffentlichten Karte:4

Darüber hinaus ist zu beachten, dass die ukrainischen Streitkräfte auf keiner der in unseren Medien veröffentlichten Lagekarten erscheinen. Die Karte des französischen Militärministeriums vermittelt zwar ein etwas ehrlicheres Bild der Realität, vermeidet aber sorgfältig die Erwähnung der ukrainischen Streitkräfte, die im Kessel von Kramatorsk eingeschlossen sind.

Lage am 25. März 2022. Die rote Linie stellt den maximalen Vormarsch der
russischen Koalitionskräfte dar, während die blaue Fläche die Position des
Grossteils der ukrainischen Armee anzeigt. (Siehe Bildunterschrift PDF)

Tatsächlich sollte die Karte mit der Lage am 25. März eher wie folgt aussehen:

Tatsächlich werden die ukrainischen Streitkräfte auf den Karten in unseren Medien nie eingetragen, da dies zeigen würde, dass sie im Februar 2022 nicht an der russischen Grenze stationiert waren, sondern im Süden des Landes für die Offensive zusammengezogen waren, deren Vorbereitungsphase am 16. Februar begann. Dies bestätigt, dass Russland lediglich auf eine Situation reagierte, die vom Westen über die Ukraine initiiert worden war, wie wir noch sehen werden. Heute sind es diese Kräfte, die im Kessel von Kramatorsk eingeschlossen sind und von der russischen Koalition methodisch zersplittert und schrittweise neutralisiert werden.

Die aufrecht erhaltene Unklarheit über die Lage der ukrainischen Streitkräfte im Westen hat noch weitere Auswirkungen. Zunächst einmal wird die Illusion eines möglichen ukrainischen Sieges aufrechterhalten. Damit versucht der Westen   – anstatt einen Verhandlungsprozess zu fördern   – den Krieg zu verlängern.

Aus diesem Grund haben die Europäische Union und einige ihrer Mitgliedsländer Waffen geschickt und ermutigen so die Zivilbevölkerung und Freiwillige aller Art, in den Kampf zu ziehen   – oft ohne Ausbildung und ohne wirkliche Kommandostruktur, mit tödlichen Folgen.

Wir wissen, dass in einem Konflikt jede Partei dazu neigt, so zu informieren, dass ein positives Bild von ihrer Aktivität entsteht. Das Bild, das wir von der Situation und den ukrainischen Streitkräften haben, beruht jedoch ausschliesslich auf Daten, die von Kiew geliefert wurden. Es verschleiert die tiefgreifenden Mängel der ukrainischen Führung, obwohl diese von Nato-Militärs ausgebildet und beraten wurde.

So hätte die militärische Logik verlangt, dass sich die im Kessel von Kramatorsk eingeschlossenen Kräfte beispielsweise auf eine Linie am Dnepr zurückziehen, um sich neu zu formieren und eine Gegenoffensive zu führen, doch Präsident Zelensky verbot ihnen den Rückzug. Bereits 2014 und 2015 zeigte sich bei genauer Betrachtung der Operationen, dass die Ukrainer «westliche» Muster anwandten, die den Umständen völlig unangemessen waren, da der Gegner einfallsreicher, flexibler und mit schlankeren Führungsstrukturen ausgestattet war. Heute ist das gleiche Phänomen zu beobachten.

Schliesslich hat uns die einseitige Sicht auf das Schlachtfeld, die uns unsere Medien vermitteln, unfähig gemacht, der ukrainischen Führung dabei zu helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Sie hat uns zu der Annahme verleitet, dass das offensichtliche strategische Ziel Kiew war, dass die «Entmilitarisierung» auf den Nato-Beitritt der Ukraine abzielte und die «Entnazifizierung» auf den Sturz Zelenskys.

Diese Legende wurde durch Wladimir Putins Aufruf zum Ungehorsam an das ukrainische Militär genährt, der (aufgrund von viel Fantasie und Vorurteilen) als Aufruf zum Sturz der Regierung interpretiert wurde. Dieser Aufruf richtete sich jedoch an die im Donbass stationierten ukrainischen Streitkräfte, damit sie sich kampflos ergeben. Die westliche Interpretation veranlasste die ukrainische Regierung, die russischen Ziele falsch einzuschätzen und ihr Potenzial falsch einzusetzen, um zu gewinnen.

Mit Vorurteilen lässt sich kein Krieg gewinnen: man verliert ihn, und genau das passiert zurzeit. So war die russische Koalition nie «in Bedrängnis» oder wurde durch heldenhaften Widerstand «gestoppt»: Sie griff einfach nicht dort an, wo sie erwartet wurde!…

Wir wollten nicht auf das hören, was Wladimir Putin uns klar und deutlich erklärt hat. Deshalb wurden wir   – volens nolens   – zu den Hauptverantwortlichen für die sich abzeichnende ukrainische Niederlage. Paradoxerweise ist es wahrscheinlich unseren selbsternannten «Experten» und gelegentlichen Strategen in unseren Fernsehstudios zu verdanken, dass sich die Ukraine heute in dieser Situation befindet!…

Kriegsführung

Was den Verlauf der Operationen betrifft, so stammen die Analysen in unseren Medien meist von Politikern oder sogenannten Militärexperten, die die ukrainische Propaganda weitergeben.

Lassen Sie uns hier folgendes klarstellen: Ein Krieg, egal welcher, ist eine Tragödie. Das Problem hierbei ist, dass unsere Krawattenstrategen eindeutig versuchen, die Situation zu überzeichnen, um jegliche Verhandlungslösung auszuschliessen.5

Diese Entwicklung bringt einige westliche Militärs dazu, sich zu Wort zu melden und ein differenzierteres Urteil abzugeben. So stellt ein Analyst der Defense Intelligence Agency (DIA), dem amerikanischen Pendant zur französischen Direction du renseignement militaire (DRM), im US-amerikanisches Nachrichtenmagazin Newsweek fest,6 dass «Russland in den 24 Tagen des Konflikts etwa 1400 Luftangriffe durchgeführt und fast 1000 Raketen abgeschossen hat (zum Vergleich: die USA haben am ersten Tag des Irakkriegs 2003 mehr Luftangriffe durchgeführt und mehr Raketen abgeschossen)».

Während die westlichen Armeen das Schlachtfeld mit intensiven und langwierigen Bombardierungen «vorbereitet», bevor sie ihre Bodentruppen losschickt, bevorzugen die Russen einen weniger zerstörerischen, dafür aber truppenintensiveren Ansatz. Im französischen Fernsehsender France 5 stellt die Journalistin Mélanie Tarvant7 den Tod von Generälen auf dem Schlachtfeld als Beweis für eine Destabilisierung der russischen Armee dar.

Dies zeugt jedoch von einer grossen Unkenntnis der Traditionen und Funktionsweisen der russischen Armee. Während Kommandanten im Westen dazu neigen, von hinten zu führen, neigen ihre russischen Kollegen dazu, an der Spitze ihrer Männer zu führen: Im Westen sagt man «Vorwärts!», in Russland sagt man «Mir nach!».

Dies erklärt höhere Verluste in den oberen Führungsebenen, die bereits in Afghanistan zu beobachten waren, aber auch die Tatsache, dass die Auswahl der Führungskräfte viel sorgfältiger ist als im Westen.

Der DIA-Analyst8 stellt ausserdem fest, dass «die grosse Mehrheit der Luftangriffe über dem Schlachtfeld stattfindet, wobei russische Flugzeuge den Bodentruppen ‹Luftnahunterstützung› bieten. Der Rest   – laut US-Experten weniger als 20%   – zielt auf Militärflugplätze, Kasernen und Unterstützungsdepots».

So scheint der Satz «wahllose Bombardierungen, [die] die Stadt verwüsten und alle töten», der von den westlichen Medien im Chor vorgetragen wird, dem US-Geheimdienstexperten zu widersprechen, der erklärt: «Wenn wir uns damit begnügen, uns davon zu überzeugen, dass Russland wahllos bombardiert, oder dass es nicht in der Lage ist, mehr Schaden anzurichten, weil sein Personal nicht mithalten kann oder technisch unfähig ist, dann sehen wir den Konflikt nicht so, wie er wirklich ist.»

In der Tat unterscheiden sich die russischen Operationen grundlegend vom westlichen Konzept. Die Besessenheit des Westens, keine Toten in den eigenen Reihen zu haben, führt zu Operationen, die hauptsächlich durch sehr tödliche Luftschläge geführt werden. Bodentruppen greifen erst ein, wenn alles zerstört ist.

Aus diesem Grund töten die westlichen Staaten in Afghanistan9 oder in der Sahelzone10 mehr Zivilisten11 als die Terroristen. Deshalb veröffentlichen die westlichen Länder, die in Afghanistan, im Nahen Osten und in Nordafrika engagiert sind, keine Bilanz der zivilen Opfer mehr, die durch ihre Luftschläge verursacht wurden. Denn in Wirklichkeit gehen die Europäer, die sich in Regionen engagieren, die ihre nationale Sicherheit nur sehr marginal betreffen   – wie die Estländer in der Sahelzone   –, dorthin, um sich «Praxis zu erwerben».

In der Ukraine ist die Situation ganz anders. Ein Blick auf eine Karte der Sprachgebiete genügt, um festzustellen, dass die russische Koalition fast ausschliesslich im russischsprachigen Gebiet operiert, also inmitten von Bevölkerungsgruppen, die ihr im Grossen und Ganzen wohlgesonnen sind.

Dies erklärt auch die Aussage eines Offiziers der US-Luftwaffe:12 «Ich weiss, dass die Medien ständig behaupten, Putin lasse auf Zivilisten schiessen, aber es gibt keinerlei Hinweise, dass Russland dies absichtlich tut.»

Umgekehrt hat die Ukraine genau aus diesem Grund   – aber im Gegensatz zu den Russen   – ihre ultra-nationalistischen paramilitärischen Kämpfer in Grossstädten wie Mariupol13 oder Charkow14 stationiert: Ohne emotionale oder kulturelle Bindungen mit der lokalen Bevölkerung können diese Milizen ohne Rücksicht auf hohe Verluste in der Zivilbevölkerung kämpfen.

Die Gräueltaten, die derzeit aufgedeckt werden,15 werden von den französischsprachigen Medien aus Angst, die Unterstützung für die Ukraine zu verlieren, noch immer verschwiegen, wie dies auch von den Republikanern nahestehenden Medien16 in den USA berichtet wird.

Nach «Enthauptungsschlägen» in den ersten Minuten der Offensive bestand die russische Operationsstrategie darin, die städtischen Zentren zu umgehen, um die ukrainische Armee, die von den Kräften der Donbass-Republiken «fixiert» wurde, zu umschliessen.

Es ist wichtig klarzustellen, dass der «Enthauptungsschlag» nicht darauf abzielt, die Generalstäbe oder die Regierung zu vernichten (wie unsere «Experten» dies gerne interpretieren), sondern die Führungsstrukturen zu unterbrechen, was ein koordiniertes Manövrieren der Streitkräfte verhindert. Das Ziel ist eher, die Führungsorgane zu erhalten, um über einen Ausweg aus der Krise verhandeln zu können.

Nachdem Russland am 25. März 2022 den Kessel von Kramatorsk abgeriegelt, den Ukrainern jede Rückzugsmöglichkeit genommen und den grössten Teil der Städte Charkow und Mariupol eingenommen hatte, sind seine Ziele praktisch erreicht, und es muss sich nur noch auf die Reduzierung der Widerstandsnester konzentrieren.

Entgegen den Behauptungen der westlichen Presse handelt es sich also nicht um eine Neuausrichtung oder Redimensionierung seiner Offensive, sondern um die methodische Umsetzung der am 24. Februar angekündigten Ziele.

Rolle der Freiwilligen

Ein besonders beunruhigender Aspekt dieses Konflikts ist die Haltung europäischer Regierungen,17 die es ihren Bürgern erlauben oder sie dazu ermutigen,18 sich zum Kampf in die Ukraine zu begeben. Volodymyr Zelenskys Aufruf, sich der von ihm gerade gegründeten Internationalen Legion für die territoriale Verteidigung der Ukraine19 anzuschliessen, wurde von den europäischen Ländern begeistert begrüsst.

Ermutigt von den Medien, die von einer russischen Armee in Auflösung sprechen, brechen viele dieser jungen Leute auf und stellen sich vor, dass sie   – im wahrsten Sinne des Wortes   – auf einen Jagdausflug gehen. Vor Ort angekommen ist die Ernüchterung jedoch gross.

Die Zeugenaussagen zeigen, dass diese «Amateure» oft als «Kanonenfutter»20 enden, ohne einen wirklichen Einfluss auf den Ausgang21 des Konflikts zu haben. Die Erfahrungen aus den jüngsten Konflikten zeigen, dass ausländische Kämpfer nichts zu einem Konflikt beitragen, ausser dass seine Dauer und Letalität erhöht wird.22

Darüber hinaus sollte die Ankunft von mehreren hundert islamistischen Kämpfern23 aus der Region Idlib   – einer Gegend in Syrien, die unter der Kontrolle und dem Schutz der westlichen Koalition steht (und in der zwei Anführer des Islamischen Staates von den Amerikanern getötet wurden)   – unsere Besorgnis wecken. Denn die Waffen, die wir sehr freizügig in die Ukraine liefern, sind zum Teil bereits in den Händen von kriminellen Personen und Organisationen und beginnen bereits, ein Sicherheitsproblem für die Behörden in Kiew selbst darzustellen. Ganz zu schweigen davon, dass die Waffen, deren Wirksamkeit gegen russische Flugzeuge angepriesen wird, längerfristig auch unsere militärischen und zivilen Flugzeuge bedrohen könnten…

Der Freiwillige, den das französischsprachige belgische Fernsehen (RTBF) am 8. März 2022 in den Nachrichten um 19.30 Uhr stolz präsentierte   –ein Bewunderer des «Corps Franc Wallonie», der belgischen Freiwilligen, die sich im Dritten Reich engagierten   –, veranschaulicht die Art Publikum, das sich von der Ukraine angezogen fühlt. Letztendlich wird man sich fragen können, wer mehr davon profitiert, Belgien oder die Ukraine…

Das wahllose Verteilen von Waffen könnte die EU   – volens nolens   – zu einem Unterstützer des Extremismus24 oder sogar des internationalen Terrorismus machen. Das Ergebnis: Wir fügen Unglück zu Unglück, um die europäischen Eliten zufriedener zu machen25 als die Ukraine selbst.26

Schlussfolgerungen

Die westlichen Geheimdienste werden von den politischen Entscheidungsträgern ignoriert

Militärische Dokumente, die bei den ukrainischen Generalstäben27 im Süden des Landes gefunden wurden, bestätigen, dass die Ukraine kurz vor einem Angriff auf den Donbass stand und dass die von den OSZE-Beobachtern seit dem 16. Februar beobachteten Schüsse auf den Donbass auf einen Ausbruch in den nächsten Tagen oder Wochen hindeuteten.

Hier stellt sich für den Westen eine entscheidende Frage: Entweder haben seine Geheimdienste nicht realisiert, was vor sich geht, dann sind sie sehr schlecht, oder die politischen Entscheidungsträger haben bewusst beschlossen, nicht auf sie zu hören.

Wir wissen, dass die russischen Geheimdienste über weitaus bessere analytische Fähigkeiten verfügen als die westlichen Geheimdienste. Wir wissen auch, dass die US-amerikanischen und deutschen Geheimdienste die Situation seit Ende 2021 sehr gut verstanden hatten und wussten, dass die Ukraine einen Angriff auf den Donbass vorbereitete.

Daraus können wir schliessen, dass die politischen Führer der USA und Europas die Ukraine absichtlich in einen Konflikt hineingetrieben haben, von dem sie wussten, dass er nicht gewonnen werden konnte, einzig um Russland einen politischen Schlag zu versetzen.

Der Grund, warum Zelensky seine Streitkräfte nicht an der russischen Grenze aufmarschieren liess und wiederholt behauptete, sein grosser Nachbar werde ihn nicht angreifen, war wahrscheinlich, dass er davon ausging, sich auf die Abschreckung des Westens verlassen zu können. Am 20. März sagte er der CNN,28 dass ihm klar gesagt worden sei, dass die Ukraine nicht Teil der NATO sein würde, dass man jedoch öffentlich das Gegenteil behaupten würde.

Die Ukraine wurde also instrumentalisiert, um Russland zu treffen. Das Ziel dabei war die Verhinderung der Inbetriebnahme der Nord Stream 2-Pipeline, was Joe Biden während des Besuchs von Olaf Scholz am 8. Februar angekündigt hatte,29 und was sich danach in ein Sanktionen-Gewitter verwandelte.

Gescheiterte Diplomatie

Offensichtlich hat der Westen seit Ende 2021 keinerlei Anstrengungen unternommen, um die Minsker Vereinbarungen zu reaktivieren, wie aus den Protokollen von Besuchen und Telefongesprächen, insbesondere zwischen Emmanuel Macron und Wladimir Putin,30 hervorgeht.

Frankreich als Garant des Minsker Abkommens und als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen hat seine Verpflichtungen nicht eingehalten, was zu der Situation geführt hat, in der sich die Ukraine heute befindet. Man hat sogar das Gefühl, dass der Westen seit 2014 Wege gesucht hat, Öl ins Feuer zu giessen.

Die Versetzung der Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft durch Wladimir Putin am 27. Februar wurde von unseren Medien und Politikern als irrationaler Akt oder als Erpressung dargestellt. Was dabei übersehen wird, ist, dass sie auf die kaum verhüllte Drohung folgte, die der französische Aussenminister Jean-Yves Le Drian drei Tage zuvor ausgesprochen hatte, als er andeutete, dass die Nato Atomwaffen einsetzen könnte.31 Es ist sehr wahrscheinlich, dass Putin diese «Drohung» nicht ernst nahm, sondern die westlichen Länder   – und insbesondere Frankreich   – dazu bringen wollte, eine übertriebene Sprache aufzugeben.

Die Anfälligkeit der Europäer für Manipulationen steigt

Heute ist die von unseren Medien propagierte Wahrnehmung, dass die russische Offensive ins Stocken geraten ist, dass Wladimir Putin verrückt, irrational32 und daher zu allem bereit sei, um aus der Sackgasse, in der er sich befinde, herauszukommen.

In diesem völlig emotionalen Kontext stellt der republikanische Senator Marco Rubio bei der Anhörung von Victoria Nuland33 vor dem Kongress eine seltsame Frage: «Wenn es in der Ukraine einen Zwischenfall oder einen Angriff mit biologischen oder chemischen Waffen gibt, haben Sie dann irgendeinen Zweifel, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Russen dafür verantwortlich sind, 100% beträgt?» Natürlich antwortet sie, dass es keinen Zweifel gibt.

Es gibt jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass die Russen solche Waffen einsetzen könnten. Ausserdem haben die Russen ihre Bestände 2017 vollständig vernichtet,34 während die Amerikaner sie noch nicht vernichtet haben...35

Vielleicht hat das nichts zu bedeuten. Aber in der aktuellen Stimmung sind alle Voraussetzungen für einen Vorfall gegeben, der den Westen dazu bringen könnte, sich in irgendeiner Form stärker im Ukraine-Konflikt zu engagieren («False-Flag»-Ereignis).

«Poutine, maître du jeu?»
(Ist Putin der grosse Meister?).
Verlag Max Milo, März 2022.
ISBN 978-2-315-01026-4
«Gouverner par les Fake News»
(Mit Fake News regieren),
Verlag Max Milo, 2020.
ISBN 978-2-315-00956-

* Jacques Baud hat einen Master in Ökonometrie und ein Nachdiplomstudium in internationaler Sicherheit am Hochschulinstitut für internationale Beziehungen in Genf absolviert und war Oberst der Schweizer Armee. Er arbeitete für den Schweizerischen Strategischen Nachrichtendienst und war Berater für die Sicherheit der Flüchtlingslager in Ost-Zaire während des Ruanda-Krieges (UNHCR   – Zaire/Kongo, 1995  –96). Er arbeitete für das DPKO (Departement of Peacekeeping Operations) der Vereinten Nationen in New York (1997  –99), gründete das Internationale Zentrum für Humanitäre Minenräumung in Genf (CIGHD) und das Informationsmanagementsystem für Minenräumung (IMSMA). Er trug zur Einführung des Konzepts der nachrichtendienstlichen Aufklärung in Uno-Friedenseinsätzen bei und leitete das erste integrierte UN Joint Mission Analysis Centre (JMAC) im Sudan (2005  –06). Er war Leiter der Abteilung «Friedenspolitik und Doktrin» des Uno-Departements für friedenserhaltende Operationen in
New York (2009-11) und der Uno-Expertengruppe für die Reform des Sicherheitssektors und die Rechtsstaatlichkeit, arbeitete in der NATO und ist Autor mehrerer Bücher über Nachrichtendienste, asymmetrische Kriegsführung, Terrorismus und Desinformation.

Zwei aktuelle Publikationen von Jacques Baud

1 https://cf2r.org/documentation/la-situation-militaire-en-ukraine/

2 https://www.liberation.fr/international/europe/guerre-en-ukraine-la-carte-des-bombardements-russes-20220224_BULDIVVKBVGS5CBDLTMWWSVPO4/

3 https://youtu.be/ThzBH5cbH0A?t=1372

4 https://www.defense.gouv.fr/ukraine-point-situation

5 https://www.francetvinfo.fr/monde/europe/manifestations-en-ukraine/guerre-en-ukraine-vladimir-poutine-ne-veut-rien-negocier-il-veut-exterminer-l-ukraine-affirme-un-specialiste-de-l-europe_5006026.html

6 https://www.newsweek.com/putins-bombers-could-devastate-ukraine-hes-holding-back-heres-why-1690494

7 https://youtu.be/KV39YTyQpqQ?t=669

8 https://www.newsweek.com/putins-bombers-could-devastate-ukraine-hes-holding-back-heres-why-1690494

9 https://edition.cnn.com/2019/07/30/asia/afghanistan-nato-taliban-intl-scli/index.html

10 https://www.franceinter.fr/monde/les-armees-regulieres-seraient-tout-aussi-meurtrieres-voire-plus-que-les-terroristes-au-sahel

11 https://www.rtbf.be/article/sahel-les-populations-craignent-plus-les-bavures-des-forces-de-protection-que-les-attaques-djihadistes-10740544

12 https://www.newsweek.com/putins-bombers-could-devastate-ukraine-hes-holding-back-heres-why-1690494

13 https://www.dw.com/en/the-azov-battalion-extremists-defending-mariupol/a-61151151

14 https://www.youtube.com/watch?v=REKHrhfQQOc

15 https://edition.cnn.com/europe/live-news/ukraine-russia-putin-news-03-27-22/h_6e158d3fc5bc5efe7fc3f10b69b7aeee

16 https://theconservativetreehouse.com/blog/2022/03/27/zelenskyy-worried-about-western-financial-support-after-video-surfaces-showing-ukraine-military-torturing-russian-pows/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=zelenskyy-worried-about-western-financial-support-after-video-surfaces-showing-ukraine-military-torturing-russian-pows

17 https://www.bbc.com/news/uk-60544838

18 https://euobserver.com/democracy/154473

19 https://warontherocks.com/2022/03/making-the-most-of-foreign-volunteers-in-ukraine/

20 https://www.telegraph.co.uk/world-news/2022/03/17/wanted-us-cannon-fodder-say-british-medical-volunteers-tricked/

21 https://www.jpost.com/middle-east/article-701412

22 https://www.politico.com/news/magazine/2022/03/10/foreign-fighters-are-heading-to-ukraine-thats-a-moment-for-worry-00016084

23 https://thecradle.co/Article/news/7669

24 https://www.adl.org/blog/white-supremacists-other-extremists-respond-to-russian-invasion-of-ukraine

25 https://unherd.com/2022/03/how-western-elites-exploit-ukraine/

26 https://www.bloomberg.com/opinion/articles/2022-03-11/are-foreign-fighters-a-blessing-or-a-curse-for-ukraine-in-russia-s-invasion

27 https://t.me/rybar/29677?single

28 https://edition.cnn.com/europe/live-news/ukraine-russia-putin-news-03-20-22/h_7c08d64201fdd9d3a141e63e606a62e4

29 https://www.france24.com/en/video/20220208-biden-vows-to-end-nord-stream-2-pipeline-if-russia-invades-ukraine

30 https://www.elysee.fr/emmanuel-macron/2022/02/20/entretien-telephonique-avec-vladimir-poutine-president-de-la-federation-de-russie-1

31 https://www.bfmtv.com/international/ukraine-le-drian-rappelle-a-poutine-que-l-alliance-atlantique-est-aussi-une-alliance-nucleaire_AD-202202240685.html

32 https://www.tf1.fr/tmc/quotidien-avec-yann-barthes/videos/invite-inarretable-irrationnel-michel-eltchaninoff-nous-explique-qui-est-vraiment-vladimir-poutine-79621347.html       http://www.slate.fr/story/225399/blog-sagalovitsch-poutine-le-fou

33 https://youtu.be/SWAgSBfU3xk?t=255

34 https://www.armscontrol.org/act/2017-11/news/russia-destroys-last-chemical-weapons

35 https://www.armscontrol.org/events/2021-09/us-chemical-weapons-stockpile-elimination-progress-update

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