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Ticken die Uhren nach Genf anders?

Von Willy Wimmer 3. Januar 2022
03. Januar 2022
Die Erklärungen des US-Präsidenten Biden an die Anschrift Moskaus geben Aufschluss auf das, worauf wir uns in der amerikanischen Planung einstellen müssen. Ich will ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß jede Verhandlungslösung noch möglich ist. Allerdings ist die Reihenfolge der Verhandlungen, zuerst Rus/US, dann Rus/NATO, dann OSZE nicht auf eine Lösung angelegt, da der Hühnerhaufen per se dem nicht dienen kann.

Außerdem lauten die Kernfragen:

  • Wird es gelingen, Russland zu strangulieren?
  • Wird den USA weiter die feindliche Übernahme Russlands versagt?

Abgesehen von diesen global-zentralen Fragen gibt es „Trigger-Fragen“, die sich in der Ukraine ergeben. Dazu muß man die Lage in der Ukraine und an der Grenze zu Rußland ebenso kennen, wie das von Präsident Biden aufgebaute Drohpotential. Biden spricht stets von den dramatischen Konsequenzen, wenn es zu einem russischen Einmarsch in die Ukraine kommen würde. Er spricht dabei Sanktionen, Embargos etc an. In Anbetracht eines militärischen Vorgangs eigentlich unverständliche Überlegungen.

Auf den zweiten Blick sind das aber die exakten Ziele. Sollte es zu einem russischen Einmarsch in die Ukraine kommen, hat die NATO nach der Vertragslage es nicht mit Konsequenzen zu tun. Im Gegenteil: Es muß sogar verhindert werden, dass die NATO aktiv werden kann, weil das ein Bündel von Mitsprachemöglichkeiten der Mitgliedstaaten mit sich bringen würde, bis hin zu einem Veto gegen jedwede militärische oder sonstige Operation. Die NATO ist nicht die „organisation by choice“ für amerikanische Vorstellungen.

Das, was Biden nach all seinen öffentlichen Erklärungen ansteuert, ist ein Sanktionsregime zerstörerischer Art gegen Russland, das von einer westlichen “Koalition der Empörten“ beschlossen und betrieben werden kann. Da kann man nur mitmachen oder aus dem Westen ausgeschlossen werden.

Dieses offensichtliche Ziel kann Biden nur erreichen, wenn die Ukraine gegen die Separatistengebiete militärisch vorgeht. Kein Staat, auch Russland nicht, kann unter diesen Umständen zulassen, dass seine Landsleute an der Grenze von feindlichen Truppen umgebracht werden und die eigene Armee die Hände in den Hosentaschen hält. Die Dramatik hat Präsident Milosevic in Vukovar erlebt, als die Serben auf kroatischem Gebiet in die Unabhängigkeit gehen wollten. Das dürfte für jeden Regierungschef die dramatischste Lage überhaupt sein, wenn er vor der eigenen Nation nicht als Verräter dastehen will.

Es dürfte militärisch gesehen kein Zweifel daran bestehen, dass die Armee der Russischen Föderation in Tagesfrist in Lemberg stehen dürfte und damit mitten in einen unlösbaren Sumpf militärisch/politischer Natur. Wenn man die Erklärungen des US-Präsidenten Biden zur Kenntnis nimmt, handelt es sich um das Szenario, das er anstrebt: Vorgehen der Ukraine auf ihrem Staatsgebiet gegen Separatisten, Verteidigung von russischen Landsleuten durch russische Streitkräfte auf ukrainischem Staatsgebiet, Vormarsch der russischen Streitkräfte bis Lemberg. Es würde kein NATO-Panzer nach Kiew rollen, aber der NATO-Embargo-Krieg gegen Russland würde «nuklear» werden.

Willy Wimmer mit Putin
Willy Wimmer mit dem Russischen Präsidenten Wladimir Putin
Von 1976 bis 2009 war Willy Wimmer Mitglied des Bundestages. Zwischen 1985 und 1992 war er erst verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU und dann Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung. Von 1994 bis 2000 war er Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

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