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Putin-Interview Bildzeitung  – Teil 1

Von NIKOLAUS BLOME, KAI DIEKMANN
12. Januar 2016

Frage: Sehr geehrter Herr Präsident, wir haben gerade den 25. Jahrestag des Endes des Kalten Krieges gehabt. Und im vergangenen Jahr hat es sehr viele Kriege und Krisen gegeben, wie lange nicht mehr. Was haben wir falsch gemacht?

Putin: Sie haben sofort mit der Schlüsselfrage begonnen. Wir haben alles falsch gemacht, von Beginn an. Wir haben die Spaltung Europas nicht überwunden.

Vor 25 Jahren ist zwar die Berliner Mauer gefallen, aber die Spaltung Europas wurde nicht überwunden. Die unsichtbaren Wände wurden einfach weiter nach Osten verschoben. Schon damals wurden die Vorbedingungen für die zukünftigen gegenseitigen Vorwürfe, für das Unverständnis und die Krisen gelegt. Viele kritisieren mich   – auch aus der Bundesrepublik   – wegen meiner bekannten Aktion in München auf der Sicherheitskonferenz. Und was habe ich Ungewöhnliches denn gesagt?

Nachdem die Berliner Mauer gefallen war, gab es Gespräche mit der NATO, die bestätigte, dass sich die NATO nicht weiter nach Osten ausdehnen werde. Wenn ich mich richtig erinnere, war der damalige NATO-Generalsekretär Herr Wörner, der das bestätigte, ein Deutscher. Übrigens haben einige deutsche Politiker davor gewarnt und Lösungen vorgeschlagen, wie zum Beispiel Egon Bahr.

Wissen Sie, vor einem Gespräch mit deutschen Journalisten habe ich mir schon gedacht, dass die Rede auf diesen Punkt kommen wird. Deshalb habe ich mir aus dem Archiv Aufzeichnungen von Gesprächen zwischen den sowjetischen Führern und einigen deutschen Politikern   – darunter Egon Bahr   – vom Jahr 1990 mitgenommen. Sie haben sie bisher nicht veröffentlicht.

Frage: Sind das Interviews?

Putin: Nein das sind Arbeitsgespräche zwischen den deutschen Politikern Genscher, Kohl und Bahr und der sowjetischen Führung Herrn Gorbatschow und Herrn Falin, der damals an der Spitze der Internationalen Abteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei stand. Sie sind noch nie veröffentlicht worden. Sie und Ihre Leser werden die Ersten sein, die diese Reden von 1990 zu lesen bekommen. Sehen Sie, was Egon Bahr sagt: „Wenn wir bei der Vereinigung von Deutschland nicht die entscheidenden Schritte zur Überwindung der Spaltung Europas und der feindseligen Blöcke machen, wird die Entwicklung einen sehr ungünstigen Verlauf nehmen, sie wird die UdSSR zur internationalen Isolation verdammen. Das hat er am 26. Juni 1990 gesagt.

Herr Bahr machte konkrete Vorschläge. Er sprach von der Notwendigkeit, eine neue Allianz im Zentrum Europas zu schaffen. Europa sollte nicht in die NATO gehen, sondern unter Beteiligung Ostdeutschlands   – oder ohne   – eine separate Partnerschaft unter Beteiligung der USA und der Sowjetunion bilden. Die NATO als Organisation, aber zumindest seine militärischen Strukturen, dürfen nicht nach Mitteleuropa ausgeweitet werden. Zu dieser Zeit war er schon ein Patriarch der europäischen Politik, der seine eigene Vision von der Zukunft Europas hatte. Und zu seinen sowjetischen Kollegen sagte er: „Wenn Sie   – und damit die Sowjetunion   – damit nicht einverstanden, sondern im Gegenteil mit einer Erweiterung der NATO einverstanden sind, werde ich nie mehr nach Moskau kommen. Sie sehen, er war ein sehr kluger Mensch. Er war zutiefst davon überzeugt, dass man das Format radikal verändern muss, um den Kalten Krieg zu beenden. Aber wir haben nichts getan.

Frage: Ist er dann noch nach Moskau gekommen?

Putin: Ich weiß es nicht. Es war das Gespräch am 27. Februar 1990. Es ist die Aufzeichnung des Gesprächs zwischen Herrn Falin seitens der Sowjetunion und auf deutscher Seite Herr Bahr und Herr Voigt.

Und was ist in der Realität geschehen? Es ist genau das geschehen, wovor Herr Bahr gewarnt hat. Er hat vor der Ausweitung der militärischen NATO-Strukturen nach Osten gewarnt. Er hat angemahnt, dass gemeinsam etwas geschaffen wird, das Europa vereint. Nichts dergleichen ist geschehen, das genaue Gegenteil, vor dem er gewarnt hat, ist geschehen. Die NATO setzte sich in Richtung Osten in Bewegung und hat sich erweitert.

Tausende Male haben wir das Mantra der amerikanischen und europäischen Politiker gehört „Jedes Land hat das Recht seine eigenen Sicherheitsvorkehrungen zu wählen.“ Ja, das ist wahr und das wissen wir. Aber genau so wahr ist, dass andere Länder das Recht haben, zu entscheiden, ob sie ihre Organisation erweitern oder nicht, und wie sie in Bezug auf ihre eigene globale Sicherheit handeln. Und die führenden Mitglieder der NATO hätten sagen können: „Wir freuen uns, dass Sie sich uns anschließen wollen, aber wir wollen unsere Organisation nicht erweitern, weil wir die Zukunft Europas anders sehen.“

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Quelle: Bildzeitung
http://www.russland.ru/putin-interview-bildzeitung/