Präsident Assad im Interview: «Barack Obama ist schwach»

04. September 2013

Präsident Assad im Interview: «Barack Obama ist schwach»

Tages-Anzeiger Zürich, 04. 09. 2013

Bashar al-Assad warnt den Westen davor, mit einem Militäreinsatz «Feuer an das Pulverfass Naher Osten zu legen». Keiner würde mehr die Situation unter Kontrolle haben, sagt der syrische Diktator gegenüber «Le Figaro». (Übersetzung Tages-Anzeiger)

Mit Bashar al-Assad sprach Georges Malbrunot («Le Figaro») in Damaskus

Können Sie beweisen, dass Ihre Armee am 21. August keine chemischen Waffen in den Vororten von Damaskus eingesetzt hat?

Es ist an jenen, die diese Anklage erheben, Beweise vorzulegen. Wir haben die USA und Frankreich aufgefordert, auch nur einen Beleg zu präsentieren. Die Herren Obama und Hollande waren dazu nicht in der Lage. Auch nicht gegenüber der eigenen Bevölkerung. Zudem, wie logisch sind diese Vorwürfe? Wieso sollten wir Chemiewaffen einsetzen, wenn wir doch militärisch sehr viel besser dastehen als noch vor einem Jahr? Wieso sollte eine Armee, in welchem Land auch immer, zu Massenvernichtungswaffen greifen, wenn sie mit konventionellen Waffen auf dem Vormarsch ist? Damit sage ich nichts darüber aus, ob die syrische Armee über Chemiewaffen verfügt oder nicht. Nehmen wir aber an, unsere Armee wollte Massenvernichtungswaffen einsetzen: Würde sie es in einem Gebiet tun, wo sie selbst stationiert ist und wo Soldaten der syrischen Armee durch Giftgas nachweislich verletzt wurden, wie die UNO-Inspektoren feststellten, die sie im Spital besucht haben? Wo bleibt die Logik? Und im Übrigen: Ist es überhaupt möglich, in einem Vorort von Damaskus Massenvernichtungswaffen einzusetzen, ohne Zehntausende von Menschen zu töten? Die Gase werden doch durch den Wind verbreitet. All diese Anklagen beziehen sich auf Behauptungen von Terroristen und irgendwelche Videos, die im Internet verbreitet werden.

Die USA wollen das Telefongespräch eines hohen syrischen Funktionärs abgehört haben, in dem dieser den Einsatz von Chemiewaffen gesteht.

Wenn die Amerikaner, die Franzosen oder die Briten über auch nur einen Beweis verfügen würden, hätten sie ihn schon am ersten Tag vorgelegt.

Ist es möglich, dass Offiziere Ihrer Armee einen Giftgaseinsatz ohne Ihre Zustimmung befohlen haben?

Wir haben nie gesagt, dass wir Chemiewaffen besitzen. Ihre Frage unterstellt mir Dinge, die ich nicht gesagt habe, und die wir als Staat weder bestätigt noch dementiert haben. Aber im Normalfall wird der Entscheid in jenen Ländern, die solche Waffen besitzen, von der Zentrale gefasst.

US-Präsident Barack Obama hat einen möglichen Militäreinsatz gegen Syrien vertagt. Wie interpretieren Sie diesen Schritt?

Gewisse Leute haben in ihm den starken Chef einer Grossmacht gesehen, weil er angedroht hat, einen Krieg gegen Syrien auszulösen. Wir hingegen sind der Meinung, dass nicht jener ein starker Mann ist, der den Krieg anheizt, sondern jener, der ihn verhindert. Wenn Obama wirklich stark wäre, hätte er öffentlich erklärt: «Wir verfügen über keine Beweise, dass der syrische Staat Chemiewaffen eingesetzt hat.» Er hätte öffentlich erklärt: «Der einzige Weg führt über die Inspektionen der UNO. Lasst uns also alle zurückkehren in den Sicherheitsrat.» Aber Obama ist schwach , weil er unter innenpolitischem Druck steht.

Was ist Ihre Botschaft an die Mitglieder des US-Kongresses, die über den Militäreinsatz entscheiden müssen?

Wer immer diese Entscheidung fällen will, muss sich vorher fragen, was denn die letzten Kriege den USA und Europa gebracht haben. Was hat die Welt in Libyen gewonnen? Was durch den Irakkrieg? Was wird die Welt von einer Stärkung des Terrorismus in Syrien haben? Die Mitglieder des US-Kongresses müssen die Interessen ihres Landes wahren. Was wäre denn das Interesse der USA an einer noch grösseren Instabilität und einem Erstarken des Extremismus im Nahen Osten? Was wäre das Interesse der US-Parlamentarier, das Werk von George W. Bush fortzusetzen und noch mehr Kriege in der Welt anzuzetteln?

Wie werden Sie auf einen Militärschlag reagieren?

Der Nahe Osten ist ein Pulverfass, dem das Feuer immer näherkommt. Wir sollten nicht nur darüber reden, was die syrische Reaktion sein wird. Vielmehr geht es darum, was darüber hinaus nach einem ersten Militärschlag in Gang gesetzt werden könnte. Niemand kann das genau vorhersagen. Aber es ist klar, dass keiner mehr die Kontrolle über die Situation haben wird, wenn das Pulverfass explodiert. Chaos und Extremismus werden sich ausbreiten. Es droht ein Flächenbrand.

Wäre Israel Ziel eines syrischen Gegenschlags?

Sie erwarten nicht im Ernst, dass ich Ihnen hier im Detail verrate, welches genau unsere Reaktion sein wird.

Was ist Ihre Botschaft an Jordanien, wo Rebellen für einen Einsatz in Syrien trainiert werden?

Jordanien hat bereits angekündigt, dass es nicht als Stützpunkt für irgendwelche militärischen Einsätze gegen Syrien zur Verfügung stehen wird. Aber wenn es uns nicht gelingt, den Terrorismus in unserem Land auszumerzen, wird er sich natürlich auf andere Länder der Region ausbreiten.

Sie warnen also Jordanien und die Türkei?

Wir haben es mehrfach wiederholt und ihnen unsere Botschaft sowohl direkt als auch indirekt zukommen lassen. Jordanien hat es begriffen, trotz des enormen Drucks, der auf das Land ausgeübt wird, um es zu einem Durchgangsland für Terroristen zu machen. Was hingegen den türkischen Premierminister Tayyip Erdogan betrifft, glaube ich nicht, dass er weiss, was er tut.

Wie werden Ihre Alliierten reagieren, die Hizbollah, der Iran?

Ich will nicht in deren Namen sprechen. Sie haben aber ihren Standpunkt hinlänglich klargemacht. Keiner wird einen Keil zwischen die Interessen Syriens, des Irans und der Hizbollah treiben können. In Syrien steht die Stabilität der ganzen Region auf dem Spiel.

Was schlagen Sie vor, um das Blutbad in Syrien zu stoppen?

Am Anfang hätte man wohl eine Lösung durch Dialog und politische Massnahmen finden können. Heute ist die Lage anders. Wir kämpfen jetzt gegen Terroristen. 80 bis 90 Prozent jener, die wir bekämpfen, gehören dem Terrornetzwerk al-Qaida an. Die interessieren sich weder für Reformen noch für Politik. Der einzig richtige Weg, ihnen die Stirn zu bieten, besteht darin, sie zu liquidieren. Erst danach werden wir über politische Lösungen sprechen können. Zuerst müssen wir aber verhindern, dass weitere Terroristen ins Land gelangen, dass ihnen Waffen geliefert werden und finanzielle oder andere Unterstützung zukommt. Das geschieht vor allem durch Saudiarabien, aber auch durch die Türkei, durch Jordanien, Frankreich, Grossbritannien und die USA.

Wären Sie bereit, die Vertreter der Opposition einzuladen, für deren Sicherheit zu garantieren und mit ihnen Verhandlungen zu führen?

Im Januar haben wir eine Initiative gestartet, die genau das beinhaltete, was Sie erwähnen; sogar noch mehr. Doch die Opposition, von der Sie sprechen, wurde im Ausland zusammengebastelt, sie hat keinen Rückhalt in der syrischen Bevölkerung. Sie ist «made in France», «made in Katar», aber sicher nicht «made in Syria». Sie folgt den Befehlen jener, die sie fabriziert haben. Es wurde den Vertretern dieser Opposition deshalb auch nicht erlaubt, positiv auf unseren Appell zu antworten oder auf die politischen Lösungen, die wir zur Überwindung der Krise vorgeschlagen haben.

Frankreich war Ende der Nullerjahre ein Alliierter Syriens. Jetzt hat es die Seiten gewechselt und will mit den USA militärische Gewalt gegen Ihr Regime einsetzen. Wie interpretieren Sie diesen Seitenwechsel?

Die Beziehung, die ich in der Vergangenheit zu Frankreich hatte, war keine Freundschaftsbeziehung. Es war der Versuch Frankreichs, die Ausrichtung der syrischen Politik zu ändern, und zwar auf Geheiss der USA. Das war uns von Anfang an klar, und ab 2008 hat sich das unter dem Einfluss Katars fortgesetzt. Um es klar zu sagen: Die französische Politik gegenüber Syrien war völlig bestimmt durch Katar und die USA.

Die französischen Parlamentarier werden sich am Mittwoch versammeln, um über einen Militäreinsatz gegen Syrien zu beraten. Welche Botschaft übermitteln Sie ihnen nach Paris?

Nach dem Einmarsch in den Irak 2003 hat Frankreich beschlossen, seine Unabhängigkeit aufzugeben und sich zum Gehilfen der amerikanischen Politik zu machen. Das gilt sowohl für Jacques Chirac als auch für Nicolas Sarkozy und heute für François Hollande. Die Parlamentsdebatte wird nun zeigen, ob die Franzosen ihre Unabhängigkeit in der Entscheidungsfindung zurückgewinnen. Wir wünschen uns das sehr. Wir hoffen, dass die Parlamentarier im Interesse Frankreichs entscheiden. Und deshalb frage ich die Abgeordneten: «Können Sie den Extremismus und Terrorismus unterstützen?» Können sie sich auf die Seite von Leuten wie Mohamed Merah stellen, die in Frankreich Unschuldige getötet haben? (Mohamed Merah, ein 23-jähriger muslimischer Franzose algerischer Herkunft, hatte im März 2012 in einer Anschlagsserie sieben Menschen umgebracht, darunter vier Personen vor einer jüdischen Schule, drei der Opfer waren Kinder; Anm. der Red.) Wie kann Frankreich in Mali den Terrorismus bekämpfen und ihn gleichzeitig in Syrien stärken? Wird Frankreich dem Beispiel der USA folgen und je nach Land und Situation mit zwei verschiedenen Ellen messen? Wie werden die Parlamentarier ihre Mitbürger davon überzeugen können, dass Frankreich ein laizistischer Staat ist, wenn es gleichzeitig andernorts den religiösen Extremismus unterstützt? Wie kann ein Staat, der sich selbst demokratisch nennt, zu seinen Hauptalliierten ein Land wie Saudiarabien zählen, das immer noch im Mittelalter steckt.Ist Frankreich für Syrien zu einem feindlichen Land geworden? Jeder, der die Terroristen finanziell oder militärisch unterstützt, ist der Feind des syrischen Volkes. Jeder, der gegen die Interessen Syriens und seiner Bürger agiert, ist ein Feind. Das französische Volk ist nicht unser Feind, aber die Politik seines Staates ist dem syrischen Volk gegenüber feindlich gesinnt. Und in dem Masse, als die Politik des französischen Staates feindlich gegenüber dem syrischen Volk ist, wird dieser Staat auch dessen Feind sein. Diese Feindlichkeit wird enden, sobald der französische Staat seine Politik ändert. Es wird aber gewiss negative Rückwirkungen auf die französischen Interessen geben.

Wie weit sind Sie bereit, in Ihrem Kampf zu gehen?

Wir haben zwei Optionen: Wir können kämpfen und unser Land gegen den Terrorismus verteidigen, oder wir können kapitulieren. Da es eine Frage des Patriotismus ist, steht fest, dass wir kämpfen werden. Jeder opfert sich fürs Vaterland   – egal, ob Präsident oder einfacher Bürger.

Weite Teile des Landes sind nicht mehr unter Ihrer Kontrolle. Wie wollen Sie sie zurückerobern?

Unser Problem ist nicht die Kontrolle des Landes. Es gibt keinen Ort, in den die Armee nicht eindringen konnte, als sie das wollte. Das wirkliche Problem ist das fortgesetzte Einsickern von Terroristen an unseren Grenzen; und in den Veränderungen auf sozialer Ebene, welche die Terroristen in jenen Gebieten durchgesetzt haben, in denen sie eingedrungen sind.

Mehrere französische Journalisten werden in Syrien gefangen gehalten. Was wissen Sie darüber? Sind sie in staatlichem Gewahrsam?

Wenn sie Geiseln der Terroristen sind, müssen Sie sich bei den Terroristen nach ihrem Wohlbefinden erkundigen. Wenn hingegen die Behörden jemanden wegen illegaler Einreise festgenommen haben, sind die betreffenden Personen der Justiz übergeben worden.

Bashar al-Assad cropped

«Die Opposition ist made in France, made in Katar»: Syriens Präsident Bashar al-Assad.

Das Interview «Entspannt»

Ohne Leibwächter empfing Bashar al-Assad den französischen Journalisten Georges Malburnot am Montag zum Interview. Laut Malburnot zeigte sich der syrische Präsident «entspannt und entschlossen, auf alle Fragen zu antworten». Der Journalist wurde nach seiner Ankunft in Damaskus vom Präsidium aufgefordert, fünf Fragen an Bashar al-Assad einzuschicken. Stellen konnte er ihm dann deutlich mehr. Auf die Kritik, dass das Interview kurz vor der Debatte über einen Luftschlag heute im französischen Parlament stattfand, entgegnet Malburnot: «Ich kenne keinen Journalisten, der abgelehnt hätte. Ausserdem weiss das syrische Regime, wer ich bin: Bis vor zwei Jahren war mir die Einreise wegen kritischer Artikel verboten.»

Übersetzung aus dem Französischen von Luciano Ferrari.

Quelle:
http://www.tagesanzeiger.ch/service/archiv/ 04.09.13

Weitere Beiträge in dieser Kategorie