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10. Juni 2025 Von Pepe Escobar - übernommen von strategic-culture.su
11. Juni 2025

Pepe Escobar: Wie lässt sich Techno-Feudalismus auf seine Fakten überprüfen?


Auf der anderen Seite der Dystopie gibt es vielversprechende Anzeichen. Und zwar genau hier in Russland.
Pepe Escobar - Independent geopolitical analyst, writer and journalist

(Red.) Wie kann man dem Techno-Feudalismus und der Informations-Dominanz der zerbröselnden Pseudo-Weltmacht begegnen? Es ist gut, dass darüber nachgedacht wird. Aber mehr Realitätsnähe in den Gemütern der Menschen wird sich erst einstellen, wenn die tiefenpsychologische Forschung und vor allem auch die Verbreitung von deren Erkenntnissen für die Allgemeinheit zu neuen Erziehungsmethoden führt, damit Denken statt Glauben überhand nehmen kann.(am)

Das Global Digital Forum, das letzte Woche im reizvollen Nischni Nowgorod stattfand, war ein Meilenstein auf dem Weg zu einer gerechteren Medienlandschaft im gesamten globalen Süden.

Im Mittelpunkt stand eine neue ambitionierte Vereinigung, das Global Fact-Checking Network (GFCN).

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Die letzte Sitzung des Forums konzentrierte sich im Wesentlichen darauf, wie man all die giftigen Auswüchse bekämpfen kann, die durch das postfaktische, antikulturelle Klima entstanden sind   – beispielsweise durch die Überprüfung einer Lawine von Fake News, die in den meisten Fällen von Staaten und offiziellen Institutionen stammen.

Ehrengast war die russische Sprecherin des Außenministeriums Maria Zakharova, die entspannt und gut gelaunt war und ganz im Sinne von Deng Xiaoping alle dazu aufforderte, „für die Wahrheit zu kämpfen und die Fakten zu suchen”.

Durch eine Laune des Schicksals blieben mir nur noch zwei Minuten, um unsere recht aufschlussreiche Diskussion irgendwie zusammenzufassen. Also ging ich aufs Ganze und zitierte Nietzsche: „Es gibt keine Fakten, nur Interpretationen“. Später war ich überrascht, wie sehr dies insbesondere bei den afrikanischen Delegierten einen Nerv getroffen hatte.

Der entscheidende Punkt ist, dass in der künstlich geschaffenen Post-Wahrheits-Umgebung nicht nur Fakten nur dann Fakten sind, wenn wir es sagen; sondern dass vor allem nur eine Interpretation zulässig ist   – sei es vom Imperium des Chaos, wer auch immer an der Macht sein mag, oder von einem kafkaesken Mechanismus wie der Europäischen Union (EU) oder der Europäischen Kommission (EK).

Wer von der offiziellen Interpretation abweicht, wird verfolgt. Das hat beispielsweise in Europa dazu geführt, dass Journalisten/EU-Bürger daran gehindert wurden, in ihre eigenen Nationalstaaten zu reisen, dass ihre Konten eingefroren wurden oder dass EU-Bürger daran gehindert wurden, über eine angeblich demokratische Wahl (in Rumänien) zu berichten, und sofort (aus der EU) abgeschoben wurden.

Ein erschreckender Essay über Nietzsche verstärkt die Diagnose des aktuellen kulturellen Selbstmords Europas. Nietzsche war ein „unzeitgemäßer“ Außenseiter, ein Steppenwolf, der niemandem und nichts Treue schwor, still mit der „flachen Erschöpfung der bürgerlichen Moderne“ rang und vergeblich nach „Silhouetten zwischen Schatten“ suchte.

Nietzsche war bereits im späten 19. Jahrhundert ein Symbol des Widerstands. Widerstand, wie wir ihn heute kennen   – von der Achse des Widerstands in Westasien bis hin zu orthodoxen christlichen Milizbataillonen, die für die Freiheit von Novorossiya kämpfen. Nietzsche wurde nie mit Zeremonien empfangen: Er war immer allein. Er zerstörte eine Illusion nach der anderen, während seine Einsamkeit „zur Liturgie wurde“ und „sein Körper sich in Protest verwandelte“. Er verkörperte „den Geist des Adels“. Eine aussterbende Spezies   – in der Tat.

Technologie-Visionäre wollen alles

Diese kristallklare Intuition Nietzsches   – wohl die beste Definition von Wahrheit in der Geschichte der Philosophie   – könnte uns als Leitfaden durch das Labyrinth der Post-Wahrheit dienen, in dem, um das postmoderne Meisterwerk Twin Peaks zu zitieren, „die Eulen nicht das sind, was sie scheinen“.

Errol Musk, Elons Vater, tauchte Anfang dieser Woche in Moskau zum Forum „Future 2050“ auf.

Daddy Musk überschüttete Russland überschwänglich mit Lob als „Altes Rom 2.0“ und Moskau selbst als „Hauptstadt der Welt“. Beides trifft den Nagel auf den Kopf.

Aber was wirklich zählt, ist, warum Daddy Musk in Russland ist. Das könnte mit einer Strategie zusammenhängen, mächtige Sektoren des Silicon Valley dazu zu bewegen, Geschäfte mit Russland zu machen. Die Hauptakteure/Teilnehmer wären Tech-Visionäre, die früher Teil der berüchtigten PayPal-Mafia waren: Elon Musk und Peter Thiel.

Das könnte eine Reihe schwerwiegender Probleme mit sich bringen. Martin Armstrong hat maßgeblich dazu beigetragen, diese Gruppe von Tech-Visionären als allgegenwärtige neue Oligarchie darzustellen: aktiv in den sozialen Medien, in der Biotechnologie, in der Raumfahrt, in der Überwachungsindustrie, in der Politikgestaltung und mit ihrem kompromisslosen Risikokapitalismus einflussreich in den Währungssystemen, ganz zu schweigen von ihrer Gestaltung weltweit einflussreicher Narrative.

Die neue Tech-Elite glänzt durch die Liebesaffäre zwischen Trump und Musk, die sich zu einem inszenierten Zickenkrieg entwickelt hat. Aber ihre Tentakel reichen viel weiter. J.D. Vance ist Peter Thiels perfekt positionierter Kandidat für das Amt des nächsten US-Präsidenten. Palantir, kontrolliert von Thiel und dem Totalitaristen Alex Karp, hat einen riesigen Auftrag zur Entwicklung einer zentralisierten Datenbank für die US-Bundesregierung erhalten, die mit hochentwickelten KI-Modellen arbeitet.

Trumps „Big Beautiful Bill“* legt großen Wert auf KI   – einschließlich eines zehnjährigen Moratoriums, während dessen US-Bundesstaaten und Kommunalverwaltungen keine KI regulieren dürfen. Dies wird Deepfakes und Big Tech freie Hand lassen, ahnungslose Verbraucher nach Belieben zu manipulieren.

Das ist also die entscheidende Frage. Wie kann man die Tech-Elite einer Faktenprüfung unterziehen? Wie kann man den vielfältigen Ausprägungen des Techno-Feudalismus entgegenwirken   – wenn Tech-Unternehmen Regierungen mit Informationen versorgen, unbegrenzte Mittel für politische Operationen bereitstellen und Zensurplattformen einrichten, die als „Demokratie“ getarnt sind und mit KI-generierten Fake News überschwemmt werden?

Geh nach Osten, nach Sibirien, junger Mann

Zumindest gibt es auf der anderen Seite der Dystopie vielversprechende Anzeichen. Und zwar hier in Russland. Dies ist ein faszinierendes Interview von Nora Hoppe und Tariq Marzbaan mit dem legendären Prof. Sergey Karaganov, Ehrenvorsitzender des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik (Russlands führende öffentliche Organisation für Außenpolitik) und akademischer Leiter der Higher School of Economics in Moskau.

Willkommen zu einer Fahrt auf dem fliegenden Teppich (a magic carpet ride) durch die tiefen Wurzeln des russischen Erbes. Angefangen bei den Skythen: „Jetzt entdecken wir in uns selbst diese Wurzeln wieder, die uns mit den Völkern Eurasiens verbinden.“

Bis hin zu Byzanz: „Die russischen Fürsten, die Russland tauften, wählten Byzanz   – damals das reichste, am weitesten entwickelte und intellektuell blühende Land in Zentraleurasien, weitaus entwickelter als Europa (...) Die kluge Entscheidung der russischen Fürsten für Byzanz bestimmte weitgehend die russische Kultur, die russische Architektur und natürlich die russische Religion, also unsere Orthodoxie.“

Und dann die Pax Mongolica: „Das Mongolische Reich hat auch in der russischen Geschichte tiefe Spuren hinterlassen, weil es multikulturell und religiös sehr tolerant war, und hier liegt meiner Meinung nach (auch wenn sich die Historiker in dieser Frage nicht ganz einig sind) der Ursprung der einzigartigen kulturellen, religiösen und nationalen Offenheit der Russen   – der dominierenden Bevölkerung im ehemaligen Russischen Reich und in der UdSSR.“

Karaganov fordert nachdrücklich, alles Positive an der Pax Mongolica neu zu betrachten, um „die Einheit Eurasiens zu untermauern“. Und „wir müssen uns ebenso sehr auf das Erbe der Skythen stützen, die die Vorfahren so vieler Völker in Großzentraleurasien waren“.

Das ist der Kern eines echten multipolaren Russlands in Aktion   – was zu dem faszinierenden Konzept der „Sibirisierung“ führt: eine „geistige, kulturelle, politische und wirtschaftliche Entwicklung Russlands in östlicher Richtung zum Ural und nach Sibirien. Die westliche Ausrichtung unserer Politik und unserer wirtschaftlichen Beziehungen hat düstere Aussichten.“

Karaganov, dessen Analysen von Präsident Putin sehr geschätzt werden, ist überzeugt: Es handelt sich um einen „Zivilisationskampf gegen Techno-Barbarei und Techno-Heidentum“ und „gegen Entmenschlichung“. Im Wesentlichen gegen Techno-Feudalismus.

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* Anmerkung des Übersetzers:

Was ist der „One Big Beautiful Bill“?

Ein umfassender Haushalts- und Steuersenkungs-Gesetzentwurf (H.R. 1), der im Mai 2025 vom Repräsentantenhaus verabschiedet wurde welt.de+13congress.gov+13en.wikipedia.org+13. Er kombiniert:

  • Steuersenkungen (dauerhafte Verlängerung der 2017er Trump-Steuersenkungen, neue Abzüge für Familien, Wegfall von Steuern auf Trinkgeld, Überstunden, Autokreditzinsen etc.) waysandmeans.house.gov.
  • Investitionen in Familien: 1.000 $ „Trump Accounts“ für Neugeborene (2025  –2028), steuerlich begünstigte Anlageinstrumente mit bis zu 5.000 $ Eigenbeiträgen jährlich timesofindia.indiatimes.com+6cbsnews.com+6washingtonpost.com+6.
  • Arbeits- & Sozialvorschriften: Schärfere Arbeitsanforderungen für SNAP-Foodstamp-Empfänger (Erhöhung auf 18  –64 Jahre) cbsnews.com.
  • Immigrations- und Sicherheitsausgaben: Massive Erhöhung des Budgets für ICE-Agenten, Deportationen, Grenzmauer (~46 Mrd $) .
  • Medicaid-Kürzungen und Einschränkungen bei Sozialhilfeprogrammen .
  • Militärausgaben: z. B. $150 Mrd für das Pentagon und neue Verteidigungssysteme („Golden Dome“) whitehouse.gov+6apnews.com+6welt.de+6.

Gesamtfassung: über 1.000 Seiten.

Finanzielle Auswirkungen

  • Defizitauswirkungen: Das Congressional Budget Office (CBO) prognostiziert ein Defizitplus von etwa $2,4 Bio in zehn Jahren washingtonpost.com+2apnews.com+2welt.de+2. Eine andere Schätzung spricht sogar von $3,8 Bio welt.de+1apnews.com+1.
  • Uneinigkeit in der GOP: Führende Republikaner wie Thune und Johnson verteidigen das Gesetz   – andere wie Rep. Massie lehnen es wegen der Defizitlast ab washingtonpost.com.

Hauptkritikpunkte

  1. Defizitexplosion: Analysten warnen vor langfristiger Verschuldung. Auch Elon Musk kritisiert den Gesetzentwurf als „abhorrent“ und schuldenerhöhend und trat deshalb als Trump-Berater zurück welt.de.
  2. Soziale Härten: Kürzungen bei Medicaid, striktere SNAP-Regeln, studentische Förderungen   – mehr Menschen verlieren soziale Unterstützung.
  3. Ungerechtigkeitsvorwurf: Kritiker sagen, der „Trump Account“-Ansatz begünstige einkommensstärkere Familien, da sie mehr beitragen können aljazeera.com+11time.com+11apnews.com+11.

Aktueller Stand

  • Haus verabschiedet: Mai 2025, mit knapper Mehrheit (215  –214) timesofindia.indiatimes.com+8congress.gov+8vox.com+8.
  • Senatsdebatte läuft: Der Entwurf befindet sich derzeit im Senat   – mit Widerstand auch innerhalb der eigenen Partei.
  • White House Verteidigung: Trump betont Job- und Steuerersparnisse („bis zu $13 300 im Einkommen einer Familie, $11 600 bei Lohnsteigerungen“) welt.dewaysandmeans.house.gov.

Fazit

Der „One Big Beautiful Bill“ ist Trumps ambitionierter Versuch, Steuerentlastungen, Familienförderung, Sozialreform und Grenzsicherung in einem einzigen Mammut-Gesetz zu kombinieren. Befürworter loben angebliche Lohn- und Steuergewinne, während Kritiker die Defizit-Zunahme und sozialen Einschnitte anprangern.