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Nawalny und Nordstream 2

Ein Kommentar
von Dirk Pohlmann, erschienen auf KenFM
16. September 2020

Die Vergiftung des nationalistischen russischen Oppositionellen Alexej Nawalny wird genutzt, um die Beendigung des fast fertiggestellten Nordstream 2 Pipeline Projektes zu fordern, als Sanktion gegen Putins Russland.

Ein Vorschlag, der bisher nicht die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung findet. 55% der Deutschen sind gegen eine Beendigung von Nordstream 2. Nur die Wähler der Grünen sind mehrheitlich der Ansicht der Spitzenpolitiker dieser Partei. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckhart war die erste Bundestagspolitikerin, die forderte, Nordstream 2 zu stoppen, andere Grüne wie der mögliche Kanzlerkandidat Habeck, seine Kollegin Annalena Baerbock und der Europapolitiker Bütikofer schlossen sich ihrer Forderungen an: „Nord Stream 2 ist nichts mehr, was wir gemeinsam mit Russland vorantreiben können.“

Es war eine Erinnerung, wie wenig die Grünen von Realpolitik halten, wie groß ihre Neigung zu außenpolitischen Masochismus ist, wie leicht sie am Nasenring durch die geopolitsche Arena geführt werden können, aber auch, wie selektiv ihre Moralität ist.

Das Verfahren gegen Julian Assange, ein Schauprozess, der die Axt an den fundamentalen Wert der Pressefreiheit legt, das erzwungene Exil von Edward Snowden, die Drohnenmorde via Ramstein,die Wiedereinführung der Folter in den USA, die Ermordung und Zerstückelung von Jamal Kashoggi in der saudischen Botschaft, extralegale Orte wie Guantanamo, eine Kette von verlogenen Regime Changes die zu gescheiterten Staaten führten, in denen nichts besser ist, als es vorher war, der katastrophale Angriff auf Libyen   – nichts davon hat die Grünen dazu bewogen, Sanktionen gegen Geschäftspartner der NATO, Verbündete und westliche Staaten zu fordern, oder ernsthaft über den Austritt aus der NATO nachzudenken. Eine Forderung, die in ihrem ersten außenpolitischen Programm stand. Sie ist den heutigen Olivgrünen bestenfalls peinlich.

Es gibt eine Menge Fragen, die man zum Fall Nawalny stellen kann, wenn man davon ausgeht, dass Putin ein kühler Realpolitiker ist. Was man guten Gewissens tun kann.

Man kann zum Beispiel fragen, warum Putin kurz vor Fertigstellung der Pipeline einen nur in westlichen Medien bedeutenden Oppositionellen ermorden lassen sollte, der in Russland weder politische Wirksamkeit noch Popularität besitzt. Die wichtigste Opposition in Russland sind die Kommunisten, die zweitstärkste Kraft die rechtspopulistische LDPR von Wladimir Schirinowski. Beide kommen in den westlichen Medien nicht vor, weil sie nicht ins Bild passen. Man kann sich fragen, warum der russische Geheimdienst eine Substanz verwenden sollte, die medial wie ein Leuchtpfeil nach Russland weist, an den Fall Skripal erinnert, obwohl es so viele andere Gifte und Methoden gibt, die besser für einen spurlosen Mord geeignet wären. Man kann sich fragen, wieso das tödlichste Nervengift der Welt so oft versagt, warum aber weder Nawalny, noch die Stewardess, noch die Krankenschwester, die den sich erbrechenden Nawalny im Flugzeug versorgten, vom tödlichsten Kampfstoff Nowitschok dahin gerafft wurden. Warum nicht andere Passagiere und das Flugzeug kontaminiert sind. Man muss annehmen, dass beim russischen Geheimdienst nur noch Stümper am Werk sind. Amateure, die aber andererseits meisterhaft Computer hacken und US-Wahlen mit minimalen Geldsummen beeinflussen können, während die Millionenspenden der US Finanzmogule wirkungslos verpuffen.

Man könnte sich fragen, warum der FSB zulässt, dass Nawalny in einem russischen Krankenhaus gerettet und dann noch nach Deutschland ausgeflogen wird, wenn er doch liquidiert werden soll. Warum es so essentiell verschiedene Laborergebnisse zu seiner Vergiftung gibt. Warum angesichts dieser Merkwürdigkeit nicht Proben in einem neutralen Labor verglichen werden. Im Fall Skripal fand man das hochangesehene Schweizer Labor Spiez zum Beispiel BZ2 in den Proben der Skripals, ein Kampfstoff, der 25 mal so stark wie LSD psychotropisch wirkt, dessen Wirkungen zu den beobachteten Effekten im Fall Skripal passen und der nur für westliche Streitkräfte produziert wurde. Die Erklärung der Briten für dieses erstaunliche Ergebnis war, man habe BZ2 hinzugefügt, um die Schweizer Chemiker zu testen.

Eine wichtige Person im Fall Navalny ist nach Ansicht von russischen Medien seine Vertraute Maria Pevchikh, mit der er mehr Zeit verbrachte, als mit seiner Frau, mit der er in Tomsk ein Hotelzimmer teilte, die den bewusstlosen Navalny sogar als Dolmetscherin beim Flug im Privatjet der Organisation „Cinema for Peace“ nach Deutschland begleitete. Nawalnys Frau aber flog nicht in dem Jet mit. Merkwürdig ist auch, dass nicht Cinema for Peace in russischen Medien als Charterer des Rettungsjets genannt wird, sondern der Oligarch Dimitri Zimin und sein Sohn Boris.

Maria Pevchikh, von der es im Internet so gut wie keine Spuren gibt, kennt Nawalny seit mehr als 10 Jahren, ist aber auch mit mehreren Oligarchen verbunden , darunter Michail Chodorkowski, Jewgeni Chichvarkin, Vladimir Ashurkow und über diese Männer auch mit Bill Browder, dem US Finanzmagnaten, der unter Jeltsin der größte Finanzinvestor in Russland wurde und nach dem dubiosen Skandal und dem dubiosen Tod seines Steuerberaters Sergei Magnitsky den „Magnitsky Act“ initiierte, ein US Gesetz, dass es seit 2012 ermöglicht, einzelne Personen weltweit wegen „Menschenrechtsverletzungen“ zu bestrafen und ihr Vermögen einzuziehen. Es wird vor allem bei Russen eingesetzt, die mit Putin zu tun haben. Der Film über den Fall Magnitsky, der zum Magnitsky Act führte, ist eine von Arte und ZDF beim Putinkritiker Andrej Nekrasow in Auftrag gegebene, aber nach der juristischer Intervention der Grünen Europaabgeordneten Marie Luise Beck nie ausgestrahlte ebenso unglaubliche wie meisterhafte Spurensuche. Die Veröffentlichung in anderen Ländern verhindert der US Milliardär Bill Browder, dessen Rolle in dem Film untersucht wird. Andrej Nekrasow hatte sich als zu unabhängiger und zu sehr an der Wahrheit interessierter Dokumentarfilmer erwiesen.

Maria Pevchikh, die 33 jährige geheimnisvolle Frau mit „Zugang zum Körper Nawalnys“, wie das in Russland genannt wird, hat eine rasante Karriere hinter sich, sie studierte in Moskau, dann an der Elite Uni London School of Economics, sie wurde mit 22 Jahren Assistentin eines britischen Parlamentariers. Sie besitzt heute eine Buchhandelskette in Großbritannien und Australien und hat nach Angaben der russischen Journalistin Irina Gusakova „breite geschäftliche und politische Beziehungen, unter anderem zu Chichvarkin und Chodorkowski. Nawalny und Pevchikh kennen sich seit mindestens 10 Jahren. Auf Ersuchen von Ashurkov unterstützt sie seit 2010 den Oppositionellen mit Informationen und stellt Informationen über das Vermögen hochrangiger Russen in Großbritannien für Ermittlungen zur Verfügung.“ Pevchikh werden in russischen Medien Verbindungen zum MI6 nachgesagt.

Irina Gusakova schrieb in einem gründlich recherchierten Artikel in der boulevardjournalistischen Publikation pravda.ru : „In den nächsten Jahren hat (der Oligarch) Ashurkov Navalny aktiv in die globale Elite integriert. Er schuf einen Namen, ein Image und eine Marke für einen wenig bekannten Blogger. Er half bei der Aushandlung der Finanzierung, lieferte Schmutz für hochkarätige Untersuchungen und gab Anweisungen für die Erstellung seines eigenen Projekts. Und 2011 gründete Navalny zusammen mit Ashurkov die Anti-Korruptions-Stiftung. Im Jahr 2012 wurde offiziell bekannt, dass der Top-Manager der „Alfa Group“ mit der Opposition zusammenarbeitet, weshalb er seinen Posten verlassen musste. Später wurde Ashurkov offiziell in Navalnys Team aufgenommen und zum Anti-Korruptionsstiftung-Exekutivdirektor ernannt.“

Nawalny, der in westlichen Medien als Chef des „Anti-Korruptions-Stiftung“ gefeiert wird, hat am 20 Juli dieses Jahres die Auflösung der Organisation angekündigt, aber die Aktien behalten, die seine Finanziers in die Stiftung eingebracht haben, um ihm Zugang zu Aktionärsversammlung und Geschäftsberichten der Firmen zu verschaffen. Sie wollen ihr Geld zurück. Er ist mit seinen Geldgebern und Ex-Unterstützern jetzt zerstritten. Über all das wird in westlichen Medien nicht berichtet, obwohl es wesentliche Information sind.

Maria Pevchikh hat nach russischen Berichten eine Wasserflasche an die deutschen Ermittler übergeben, die mit Nowitschok kontaminiert war. Ihre zentrale Rolle beim wichtigsten Detail des Falles, der Frage, warum in Deutschland in den Proben Nawalnys Nowitschok festgestellt wurde, in den russischen Laboruntersuchungen aber nicht, aber auch, welche Substanzen noch bei Nawalny festgestellt wurden, müssen dringend ermittelt werden   – wenn der Fall aufgeklärt werden soll. Und wenn man nicht von vorneherein davon ausgeht, dass russische Behörden immer lügen und westliche immer die Wahrheit sagen.

Es gibt auf jeden Fall gute Gründe anzunehmen, dass Putin nicht der einzige ist, der etwas gegen Nawalny hat. Ausgerechnet Nowitschok gegen Nawalny einzusetzen, wäre eine grobe Eselei des FSB, für andere Akteure aber eine sinnvolles Ablenkungsmanöver der Kategorie „Haltet den Dieb!“ Die entscheidende Frage ist, wann das Nowitschok von wem wo beigefügt wurde. Nowitschok zerfällt bei Kontakt mit Wasser und im Körper nach kurzer Zeit. Reines Nowitschok einer bisher unbekannten Form in den Proben aus dem Körper Nawalnys, wovon in den westlichen Medien berichtet wird, wäre deshalb eine erklärungsbedürftige Merkwürdigkeit.

Ein Motiv für einen Anschlag auf Nawalny haben viele Akteure. Putin steht nicht an erster Stelle dieser Liste. Das er sehr viel zu verlieren und wenig zu gewinnen hätte, hätte ihm und dem FSB klar sein müssen. Man sollte Putin nicht unterstellen, dass er unfähig ist, sehr kühl und sehr rational abzuwägen und zu handeln. Und man sollte das gleiche nicht der US Außenpolitik und den US Geheimdiensten sowie ihren britischen Kollegen unterstellen.

Nordstream 2 ist seit Jahren im Visier der US Sicherheitselite. 2018 kündigten John McCain, Ted Cruz und Marco Rubio, allesamt Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, sowie 39 weitere US-Senatoren an, die Pipeline mit allen Mitteln verhindern zu wollen.

Anlass ihrer Stellungnahme war seinerzeit der Anschlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia. Ähnlich wie im Fall Nawalny wurde der ungeklärte Mordversuch als öffentlichkeitswirksames, moralisch aufgeladenes Mittel verwendet, um geostrategische Interessen der USA durchzusetzen. Putin, so war damals die Argumentation, würde sonst nach Fertigstellung der Pipeline als Iwan der Schreckliche in Osteuropa wüten, weil er nicht mehr auf die Ukraine oder Polen als Transitländer angewiesen wäre, sondern Gas direkt von Russland nach Deutschland liefern könne. Die US Politiker meinten, mit der Anschuldigung des Einsatzes von chemischen Kampfstoffen die Regierung Putin so gründlich diskreditieren zu können, dass statt nationalem Geschäftsinteresse ein finsterer Eroberungsplan Putins als Motiv hinter Nordstream 2 glaubwürdig erscheinen würde. Was man guten Gewissens als Verschwörungstheorie bezeichnen kann.

Im Fall Nordstream 2 beobachteten die USA mit angeblich brennender Sorge, wie sich Deutschland von russischen Energielieferungen abhängig machen würde. Was die fürsorglichen US Politiker verhindern wollten, angeblich im deutschen und europäischen Interesse. Warum die Deutschen in die Falle laufen lassen, wo doch außerdem die USA Fracking Gas im Angebot haben?

Einen neuen Hafen für die entsprechenden Tanker will man der deutschen Regierung allerdings ebenso aufzwingen, wie das US Parlament Sanktionen verhängen will, wenn die Deutschen nicht zur bedingungslosen Solidarität bereit sind. Die Geduld einer US Regierung hat Grenzen. Und: die können auch anders. US Regierungen haben es mehrfach bewiesen.

Um die brachialen Maßnahmen zu vergessen, die US Regierungen anwenden, um unpassende Erdöl und Erdgasgeschäfte zu unterbinden, insbesondere mit Russland, muss man an Geschichts-Alzheimer leiden. Es ist allerdings eine Krankheit, die sich deutschen Redaktionsstuben und Abgeordnetenbüros schneller und gründlicher verbreitet hat als COVID-19.

Ein in Deutschland wenig bekannter Fall, den aber jeder ältere Italiener kennt, ist der seltsame Tod des Managers Enrico Mattei , der am besten mit Alfred Herrhausen verglichen werden kann. Der Italiener Mattei war wie der Chef der Deutschen Bank ein brillanter Manager, der bei seinen Geschäften stets das Gemeinwohl im Auge behielt und deshalb immens populär war. Mattei sollte nach dem 2. Weltkrieg AGIP abwickeln, eine faschistische Gründung und tat das Gegenteil. Er baute AGIP in einen Energiekonzern um, eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Die ENI wurde unter der Leitung Matteis zum Hauptfaktor für die Industrialisierung Italiens. Mattei kaufte nicht nur trotz der amerikanischen und britischen Sanktionen Öl beim iranischen Premier Mossadegh, der in einem Putsch von der CIA und dem britischen MI6 beseitigt wurde, als er versuchte, die Ölförderung zu verstaatlichen. Mattei führte auch die Bohrinseln ein, wie wir sie heute kennen und baute eine eigene Tankerflotte auf. Vor allem aber wurde seine „Mattei-Formel“ im Ölgeschäft berühmt. Während die US Firmen den Wert des geförderten Öls nach dem Schlüssel 50:50 erstatteten, also die Hälfte des Wertes an das Ursprungsland zurückgaben, gerne in die Hände korrupter Monarchen, und die Förderfirmen stets amerikanisch blieben, gab Mattei 75% zurück, half neugegründeten ehemaligen Kolonialstaaten beim Aufbau der Wirtschaft nach der Unabhängigkeit und baute die Förderfirmen als Joint Ventures auf. Es war klar, mit wem die Nordafrikaner lieber Geschäfte machten. Es war auch klar, dass sich Mattei Feinde machte. US Ölmanager fragten sich öffentlich, warum er noch lebte.

1960 unterschrieb Enrico Mattei als Vorstandsvorsitzender der ENI den umfangreichsten internationalen Handelsvertrag, den Italien bis dahin jemals abgeschlossen hatte: Die UdSSR würde innerhalb von 4 Jahren 12 Millionen Tonnen Rohöl an Italien liefern, das im Gegenzug 240 tausend Tonnen Pipelinerohre und 50.000 Tonnen synthetisches Gummi bereitstellen würde.

In einem Memo, das im CIA Archiv einzusehen ist, bezeichnete ihn die US Ölindustrie daraufhin ihn „als einen noch größeren Schurken als die UdSSR selbst.“ Mattei starb beim Absturz seines Privatjets, nachdem es bereits vorher einen Anschlag auf sein Flugzeug gegeben hatte, der in letzter Minute verhindert werden konnte. Jemand hatte einen Schraubenzieher im Lufteinlass der Turbine des Viersitzers angebracht, der sich im Flug gelöst hätte. Der Investigativjournalist Mauro di Mauro, der telefonisch bekanntgab, dass er herausgefunden habe, wer hinter dem Mord an Mattei stecke , verschwand bis heute spurlos. Offiziell handelte es sich bei seinem Tod bis 1997 um einen Unfall. Aber in den Knochen der 4 Opfer des Absturzes wurden bei einer Exhumierung Metallsplitter gefunden, die von einer Bombe herrühren müssen. Jedem, der bei klarem Bewusstsein war und der nicht aus politischen Gründen lügen musste, war klar, warum und in wessen Auftrag Mattei beseitigt worden war.

In der Regierungszeit der Sozialdemokratie in Deutschland wurde das Erdgas Röhren Geschäft mit der UdSSR abgeschlossen. Es begann 1970. Die Sowjets lieferten Erdgas, deutsche Firmen die Pipelinerohre und die Deutsche Bank gab die dafür nötigen Kredite. Das Geschäft wurde bereits Ende der 50er Jahre geplant, scheiterte aber 1962 am Röhren-Embargo der USA. Bundeskanzler Helmut Schmidt baute es Ende der 70er Jahre, nach den Erfahrungen der Energiekrise von 1973, als es ein Sonntagsfahrverbot wegen Benzinknappheit gab, noch aus. Die deutsche Seite schätzte die absolute Vertragstreue der Sowjets, Schmidt hoffte auf eine gesicherte Energieversorgung für Deutschland.

Mit dem Machtantritt von Ronald Reagan, der einen Zusammenbruch der UdSSR plante, geriet Schmidt ins Visier der USA. Die Strategie Reagans um die UdSSR auf die Knie zu zwingen, war, mit Hilfe der Saudis den Ölpreis zu senken, um die Devisen-Einnahmen der UdSSR zu senken. Mit Rüstungsprogrammen erhöhte er andererseits die Ausgaben der Sowjets, die ein vielfaches der Wirtschaftsleistung in die Rüstung stecken mussten, etwa 15% oder auch mehr, während die USA 4% des Bruttosozialproduktes für Rüstung ausgaben. So sollte die UdSSR in die Pleite getrieben werden. Außerdem schürte man, wo immer möglich, Konflikte wie Afghanistan und Nicaragua und unterstützte interne Gegner im Ostblock.

Schmidts Erdgas-Röhren-Geschäft war ein Vergehen gegen die Strategie der Minimierung der Gas und Öleinnahmen der Sowjetunion. Worauf Reagan Schmidt bei einem 4 Augen Gespräch 1981 in Ottawa hinwies. Die Szene wird von dem US NeoCon Peter Schweitzer in seinem Buch „Victory“ beschrieben. Nach dieser Version sah Schmidt wortlos aus dem Fenster, als Reagan ihn aufforderte, den Kurs zu wechseln. Reagan war entrüstet über Schmidts Arroganz. Damit war der treue Transatlantiker in Ungnade gefallen, trotz des von ihm selbst vorgeschlagenen Nachrüstungsbeschlusses, der Stationierung von nuklearen US Mittelstreckenraketen in Deutschland. Schmidt war bis dahin nicht als typischer Sozialdemokrat eingestuft worden, ab nach Ottawa hatte sich das geändert. Die Reagan Regierung fragte sich: Warum Schmidt ertragen, wenn man Kohl haben konnte?

Die USA begannen, die europäische Sozialdemokratie zu bekämpfen, die auf Entspannungspolitik setzte, auf „Wandel durch Annäherung“, statt auf Konfrontation bis zum Zusammenbruch der UdSSR. Das betraf Olof Palme, Willy Brandt und Egon Bahr, Bruno Kreisky und Harold Wilson in Großbritannien. Es betraf nach Ottawa aber auch Helmut Schmidt.

Der Sprecher der deutschen Bank Friedrich Wilhelm Christians, der bis 1987 für das Russlandgeschäft der Deutschen Bank leitete, beschreibt in seinem Buch „Wege nach Russland“, wie er eine Delegation der Reagan Administration empfing, die ihn zu den Geschäften mit Russland sozusagen verhörte. Christians meinte, die Amerikaner damit besänftigt zu haben, dass er Ihnen die Treue der BRD zu den USA klar machte, dass es bei dem Russland-Deal nur ums Geschäft ginge, nicht um eine Distanzierung von den USA. Eine Aussage, die einem Banker eigentlich nicht zustand, und deren Wert für die US Regierungspolitiker zweifelhaft war. Aber der Banker war von seiner Bedeutung überzeugt, er meinte, in der politischen Schwergewichtsklasse zu boxen. Was dann mit der Yamal Pipeline passierte, deren Finanzierung er abgesichert hatte, erwähnt Christians nicht.

Reagan gab Auftrag, die Pipeline zu sabotieren. Der Leiter der CIA Operation war der Amerikaner Gus Weiss. Sie gelang mit Hilfe von gefälschten Computerchips, die über den korrupten Leiter der Beschaffungsstelle im KGB nach Russland gebracht wurden, den KGB Oberst Wladimir Wetrow, dessen „Abteilung X“ für den Erwerb oder den Diebstahl von Computertechnologie verantwortlich war. Wetrow war Agent des französischen Geheimdienstes und der CIA. Die in die UdSSR gebrachten Fake-Chips sorgten dafür, dass eine Pumpanlage der Pipeline 1982 durch immense Drucksteigerungen in die Luft flog. Es war die größte nicht-nukleare Explosion, die es bis dahin überhaupt gegeben hatte, sie wurde von Frühwarnsatelliten der USA entdeckt und entsprach einer kleinen Kernwaffe. Weiss ging sofort in das Lagezentrum der Satellitenaufklärung in Washington und stellte klar, dass es sich um eine CIA Operation handelte, keine sowjetische Nuklearexplosion.

Die USA kennen keine Freunde, wenn es um den Lebenselixiere der Weltwirtschaft geht, wozu Öl und Gas immer noch gehören. Wenn die Ölversorgung zusammenbräche, bräche die Weltwirtschaft zusammen. Öl und Gas sind ein strategisches Gut, der Zugriff darauf ist mit allen Mitteln zu sichern, seine Verteilung zu kontrollieren.

Ein Alexej Nawalny ist angesichts der strategischen Erfordernisse weniger als ein Bauer auf dem Schachfeld, wahrscheinlich ist er nur ein nützlicher Idiot.

Zu glauben, dass es beim Thema Nordstream 2 um das Leben und die Gesundheit eines Dissidenten gehe, ist Naivität, die, wenn sie von Politikern geäußert wird, fundamentale Mängel der Analysefähigkeit offenbart.

Die Bereitschaft deutscher Politiker, jetzt eilfertig eine Beendigung des Nordstream 2 Projekts zu fordern, könnte eher damit zu tun haben, dass der Fall Nawalny eine Art goldene Brücke ist, über die Transatlantiker gehen können. Die USA haben immensen Druck ausgeübt, um Nordstream 2 zu verhindern. Es ist klar, dass Unbotmäßigkeit bestraft und Gehorsam belohnt werden wird. Durch den Fall Nawalny können Politiker den USA zu Diensten sein und es gleichzeitig wie ihren eigenen Willen aussehen lassen, ohne Gesichtsverlust. Im Gegenteil, sie können „Entschlossenheit“ simulieren, „Mut“ und „außenpolitisches Profil“ vortäuschen, mit diesen Begriffen werden Berichte über sie ausgestattet.

Die Sanktionen gegen Sassnitz, die deutsche Endstation von Nordstream 2 hingegen hatten sogar CDU Politiker auf den Plan gerufen, die sich gegen die Bevormundung wehren wollten.

Der Fall Nawalny treibt die Transatlantiker wieder zur Herde zusammen, die Schafe können sich dabei als Löwen gerieren. Insofern ist er zielführend.

Und das soll Putin beabsichtigt haben?

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Der Originalbeitrag ist in der Wochenzeitung ‚Demokratischer Widerstand No19‘ am 12. September 2020 sowie online unter  https://demokratischerwiderstand.de/ erschienen.

Er wurde vom Autoren für KenFM erweitert und überarbeitet.

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Quelle: KenFM
https://kenfm.de/nawalny-und-nordstream-2-von-dirk-pohlmann/