Lasst uns in Frieden leben
Toni Locher
Martin Zimmermann
Die Broschüre
Die Jugend in Asmara feiert am Vorabend des Unabhängigkeitstages am 23. Mai 2015 in der Hauptstrasse beim City-Park: "Wir sind stolz Eritreer zu sein" (Foto: Toni Locher)
Es sind eindrückliche Bilder aus Asmara/Eritrea: Am 20. Juni 2015 ziehen über 10 000 junge Menschen durch die Strassen der Hauptstadt und gedenken – unterstützt vom berühmten Olympia-Läufer Zerisenay Tadesse – der Gefallenen des Unabhängigkeitskampfes von 1961-1991 und des "Grenzkrieges" Äthiopiens gegen Eritrea von 1998-2000. Tausende von Kerzen brennen, in stiller Trauer gedenken die Menschen in Eritrea der Toten.
22. Juni 2015 in Genf: Demonstration gegen den COI-E-Bericht (Foto: Nahom Meheret)
Zwei Tage später, am 22. Juni 2015, versammeln sich 6000 EritreerInnen aus der Diaspora Europas in Genf vor dem UNO-Gebäude: Auch sie gedenken der Toten und fragen die UNO, warum Äthiopien immer noch Teile Eritreas besetzt hält, warum die Sanktionen gegen Eritrea nicht aufgehoben werden und warum der UN-Menschenrechtsrat, beziehungsweise die Commission of Inquiry on Eritrea (COI-E) einen dermassen einseitigen Bericht veröffentlicht hat. Sie sind wütend, dass ihr Land, das sie selber gut kennen, weil sie fast jeden Sommer ihre Verwandten besuchen, von einer UN-Kommission als "Land des Grauens" bezeichnet wird.
Wir treffen in Genf eine junge Eritrea-Deutsche, Abinet Debesai. Sie sagt uns: "Wenn ich einen Bericht wie diesen UNBericht an meiner Universität eingereicht hätte, wäre er von meinem Professor wegen fehlender Beweiskraft zurückgewiesen worden". Am 24. Juni 2015 behandelt der UN-Menschenrechtsrat den umstrittenen Eritrea-Bericht: die westlichen Mitglieder der "internationalen Gemeinschaft" sind voll des Lobes für die harte Arbeit der COI-E. Der deutsche Präsident der aktuellen Session, Botschafter Rücker, kanzelt in verhaltenem Zorn den Delegationsleiter Eritreas, Botschafter Tesfamichael Gerahtu ab, dieser habe die Würde der COI-E verletzt , indem er den Bericht als "Hohn auf die Gerechtigkeit" bezeichnet hatte, der
„nichts mit der Realität in Eritrea zu tun habe“.
Am 26. Juni 2015 können in Asmara 416 Studenten des College of Health Studies ihr Diplom entgegennehmen: Es sind 416 Hebammen, Pflegefachleute, Anästhesie-Pfleger, die mithelfen werden, dass Eritrea die Millennium Developement Goals (MDG) auch über 2015 hinaus erreichen kann, dass weniger Mütter bei der Geburt sterben und mehr Kinder gut überleben als in allen Nachbarländern Eritreas. Am nächsten Tag erhalten 446 Studenten der Denden Commercial School ihre Zeugnisse als Buchhalter und Büro-Fachkräfte. Das sind in einem Land im Aufbau zentrale Menschenrechte: Das Recht auf Bildung und auf Gesundheit. Von dem, was acht Teilorganisationen der UNO lobend berichten, die im Land selbst tätig sind, war im grossen UNO-Palast in Genf nichts zu hören, dort ging es um die
"Würde einer UNO-Teilorganisation und ihrer COI-E".
Einige der jungen Diplomierten werden vermutlich dem Ruf des Westens folgen und sich auf den gefährlichen Weg ins Paradies Europa machen. In Libyen werden sie die Hölle erleben, im Mittelmeer vielleicht ertrinken. Wenn sie Italien erreichen, werden sie zuerst desinfiziert wie Ebola-Kranke, obwohl sie nur die Krätze haben – es sind verstörende Bilder des latenten Rassismus in Europa gegenüber Flüchtlingen. Wenn Eritrea seitens des Westens nicht immer schlecht geredet würde, könnten sie – auch wenn der Lohn sehr tief ist – stolz sein auf das, was ihr junges Land in 24 Jahren erreicht hat. Der einzige Vorteil des COI-E-Berichts liegt darin, dass die Menschenschmuggler daraus jetzt ein präzises Handbuch für junge eritreische Asylsuchende machen werden, damit diese ihre zu 90 % erfundenen Fluchtgründe gut und glaubhaft den Asylbehörden in Europa präsentieren können. Das wird aber die echte Willkommenskultur für junge Asylsuchende aus Eritrea nicht verbessern.