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Die Abenddämmerung des Krieges

Die Unterhöhlung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker durch transnationale Finanzeliten wird zu Ende gehen
von Thierry Meyssan*, Damaskus
29. August 2018
Wenn man den Krieg in Syrien nicht als isoliertes Ereignis betrachtet, sondern als das Ergebnis eines 25 Jahre dauernden globalen Konflikts, dann stellt sich die Frage, welche Konsequenzen das bevorstehende Ende der Feindseligkeiten haben wird. Das Kriegsende zeigt die Niederlage der Ideologie der Globalisierung und des Finanzkapitalismus an. Die Völker, die das nicht verstanden haben, vor allem in Westeuropa, stellen sich selbst abseits vom Rest der Welt.

«Das Lager, das als Sieger aus diesem langen Krieg hervorgeht, verteidigt […] die Idee, dass die Menschen, um über ihr Schicksal entscheiden zu können, sich in Staaten organisieren müssen, die entweder durch ein Territorium oder durch die Geschichte oder durch ein gemeinsames Projekt definiert sind. Dieses Lager unterstützt deshalb die nationalen Volkswirtschaften gegen das transnationale Finanzkapital.»

Die Weltkriege enden nicht einfach mit einem Sieger und einem Besiegten. Ihr Ende zeichnet die Konturen einer neuen Welt.

Der Erste Weltkrieg endete mit den Niederlagen des deutschen, russischen, österreichisch-ungarischen und Osmanischen Reiches. Das Kriegsende war geprägt von der Schaffung einer internationalen Organisation, des Völkerbundes, der damit betraut war, die Geheimdiplomatie abzuschaffen und die Konflikte zwischen den Mitgliedsstaaten durch ein Schiedsgericht beizulegen.

Der Zweite Weltkrieg endete mit dem Sieg der Sowjetunion über das nationalsozialistische Deutschland und das japanische Kaiserreich des Hakkō ichi’u1,2, gefolgt von einem Wettrennen zwischen den Alliierten, um die Überreste der besiegten Koalition zu besetzen. Dieser Weltkrieg brachte eine neue Struktur hervor, die Organisation der Vereinten Nationen (Uno), deren Aufgabe es sein sollte, neue Kriege zu verhindern, indem sie Völkerrecht mit einer doppelten Legitimität schuf: der Generalversammlung, wo jeder Staat, unabhängig von seiner Grösse, eine Stimme hat, und einem Führungsgremium der fünf grossen Sieger, dem Sicherheitsrat.

Der Kalte Krieg war nicht der dritte Weltkrieg. Er wurde nicht durch die Niederlage der Sowjetunion beendet, sondern durch ihren Zusammenbruch. Danach wurden keine neuen Strukturen errichtet, sondern die Staaten der UdSSR in bereits bestehende Organisationen integriert.

Von Jugoslawien bis Syrien   – der dritte Weltkrieg als Kampf um …

Der dritte Weltkrieg begann in Jugoslawien, wurde in Afghanistan weitergeführt, im Irak, in Georgien, in Libyen, in Jemen, und findet nun in Syrien sein Ende. Sein Schlachtfeld umfasst den Balkan, den Kaukasus und das, was heute der «Erweiterte Nahe Osten» genannt wird. Er kostete unzählige Menschenleben von Muslimen und Christlich-Orthodoxen, ohne allzu sehr auf die westliche Welt überzugreifen. Seit dem Putin-Trump-Gipfel in Helsinki ist sein Ende greifbar.

… Machtverschiebung zugunsten transnationaler «Eliten»

Die tiefgreifenden Umwälzungen, welche die Welt in den letzten 26 Jahren verändert haben, haben einen Teil der Macht der Regierungen auf andere Organisationen übertragen, teils innerhalb der Verwaltung, teils privat, aber auch umgekehrt. Zum Beispiel haben wir eine Privatarmee erlebt, IS, die sich selbst als souveränen Staat proklamiert hat. Oder andererseits General David Petraeus, der als Chef der CIA den gröss­ten Waffenschmuggel aller Zeiten organisierte und ihn auch nach seinem Rücktritt im Auftrag eines privaten Unternehmens, des Hedgefonds KKR, weiterbetrieb.3

Diese Situation ist gleichzusetzen mit einer Konfrontation zwischen einer transnationalen herrschenden Klasse auf der einen Seite und den Regierungen, die vor ihren Völkern verantwortlich sind, auf der anderen Seite.

Kriegspropaganda verschleiert reale Kriegsgründe

Im Gegensatz zu den Unterstellungen der Propaganda, die die Ursache der Kriege unmittelbaren Ereignissen zuschreiben, liegt deren Ursprung vielmehr in tiefsitzenden und alten Machtkämpfen oder Ambitionen. Die Staaten brauchen viele Jahre, bevor sie gegeneinander antreten. Wir vermögen die Konflikte, die uns verschlingen, oft erst viel später zu verstehen.

Sehr wenige Leute haben beispielsweise die Vorgänge bei der japanischen Invasion der Mandschurei (1931) verstanden, und viele haben erst bei der Invasion der Tschechoslowakei durch Deutschland (1938) gemerkt, dass die rassistischen Ideologien zum Zweiten Weltkrieg führen würden. Ebenso selten sind die Menschen, die bereits zur Zeit des Krieges in Bosnien und Herzegowina (1992) verstanden haben, dass das Bündnis zwischen dem politischen Islam und der Nato den Weg für die Zerstörung der muslimischen Welt ebnen würde.4

Auch heute haben viele trotz der Arbeit von Journalisten und Historikern das Ausmass der Manipulation noch nicht begriffen, der wir alle zum Opfer gefallen sind. Sie weigern sich zuzugeben, dass die Nato damals die saudischen und iranischen Handlanger auf dem europäischen Kontinent [in Bosnien und Herzegowina] koordiniert hat. Dies ist jedoch eine weitere Tatsache, die unmöglich bestritten werden kann.5

Ebenso weigern sie sich zuzugeben, dass al-Kaida, die von den Vereinigten Staaten beschuldigt wurde, die Anschläge vom 11. September begangen zu haben, unter dem Kommando der Nato in Libyen und Syrien gekämpft hat. Auch das ist eine unleugbare Tatsache.6

Der ursprüngliche Plan, die muslimische Welt gegen die orthodoxe Welt aufzuhetzen, wurde im Laufe der Zeit geändert. Es hat keinen «Krieg der Zivilisationen» gegeben. Der schiitische Iran hat sich gegen die Nato, der er in Jugoslawien gedient hatte, gewendet und sich mit dem orthodoxen Russland verbündet, um das multireligiöse Syrien zu retten.

Wir müssen unsere Augen für die Geschichte öffnen und uns auf die Morgenröte einer neuen Weltordnung vorbereiten, wo manche unserer Freunde von gestern unsere Feinde sein werden und umgekehrt.

In Helsinki waren es nicht die Vereinigten Staaten, die ein Abkommen mit der Russischen Föderation geschlossen haben. Es war nur das Weisse Haus. Denn der gemeinsame Feind ist eine transnationale Gruppe, die ihre Macht in den Vereinigten Staaten ausübt. Weil sie der Meinung ist, dass sie die USA vertrete und nicht der gewählte Präsident, hat sie sich übrigens nicht geniert, Präsident Trump sofort des Verrats zu bezichtigen.

Neoliberale Ablenkungstheorien zur Aushöhlung der Staatsmacht

Dieser transnationalen Gruppe war es gelungen, uns weiszumachen, dass die Ideologien tot und die Geschichte zu Ende seien. Sie hat behauptet, die Globalisierung, das heisst die angelsächsische Vorherrschaft durch die Verbreitung der Sprache und der amerikanischen Lebensart, sei die Folge der Entwicklung der Verkehrs- und Kommunikationstechnologien. Sie versicherte uns, ein einziges politisches System sei für alle Leute ideal, die Demokratie (das heisst die «Regierung des Volkes, durch das Volk, für das Volk»), und es sei möglich, sie jedermann mit Gewalt aufzuzwingen. Schliess­lich stellte sie die Freiheit des Personen- und des Kapitalverkehrs als Lösung für alle Probleme der Arbeitskräfte und der Investitionen dar.

Diese Behauptungen, die wir alle in unserem täglichen Leben akzeptieren, halten jedoch keine Minute stand, wenn wir darüber nachdenken.

Mit Rückendeckung durch diese Lügen hat die transnationale Gruppe systematisch die Macht der Staaten ausgehöhlt und grosse Vermögen angesammelt.

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker widersteht transnationaler Finanzherrschaft

Das Lager, das als Sieger aus diesem langen Krieg hervorgeht, verteidigt im Gegensatz dazu die Idee, dass die Menschen, um über ihr Schicksal entscheiden zu können, sich in Staaten organisieren müssen, die entweder durch ein Territorium oder durch die Geschichte oder durch ein gemeinsames Projekt definiert sind. Dieses Lager unterstützt deshalb die nationalen Volkswirtschaften gegen das transnationale Finanzkapital.

Wir haben gerade die Fussball-Weltmeisterschaft erlebt. Wenn die Ideologie der Globalisierung gewonnen hätte, hätten wir nicht nur unsere Nationalmannschaft unterstützen müssen, sondern auch die aus anderen Ländern, auf der Grundlage ihrer Mitgliedschaft in gemeinsamen supranationalen Organisationen. Beispielsweise hätten die Belgier und die Franzosen einander mit dem Schwenken der EU-Fahnen gegenseitig anfeuern müssen. Aber niemand kam auf diese Idee. Hier begreifen wir die Kluft zwischen der uns aufgedrängten Propaganda, die wir brav nachplappern, und unserem spontanen Verhalten. Trotz allem äusseren Schein hat der oberflächliche Sieg des Globalismus nicht verändert, was wir sind.

Es ist natürlich kein Zufall, dass Syrien, wo vor mehreren tausend Jahren die Idee des Staates ersonnen und ausgestaltet wurde, das Land ist, wo dieser Krieg endet. Weil die Syrer einen wirklichen Staat hatten, der nie aufgehört hat zu funktionieren, konnten Syrien, sein Volk, seine Armee und sein Präsident der grössten, aus 114 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen bestehenden Koalition der Geschichte standhalten.  

Thierry Meyssan
* Thierry Meyssan ist politischer Berater, Gründer und Präsident vom Voltaire Netzwerk (Reseau Voltaire).

1     Hakkō ichi’u (Die acht Ecken der Welt unter einem einzigen Dach) ist die Ideologie des japanischen Kaiserreichs. Sie setzt die Überlegenheit der japanischen Rasse und ihres Rechts auf die Vorherrschaft in Asien fest.
2     Die sowjetischen Armeen überrollten die Mandschurei in der Annahme, dass Tokio daraufhin seine Kapitulation gegenüber Moskau erklären werde. Aber Präsident Truman setzte die zweite Atombombe in Nagasaki ein und zwang so die Japaner, sich General McArthur zu unterwerfen, so dass das Pentagon das Land besetzen konnte.
3     Meyssan, Thierry. «Des milliards de dollars d’armes contre la Syrie» (Milliarden von Dollars für Waffen gegen Syrien), Réseau Voltaire, 18 juillet 2017
4    Labévière, Richard. Les Dollars de la terreur: Les États-Unis et les islamistes (Dollars für den Terror: Die Vereinigten Staaten und die Islamisten), Grasset 1999
5     Elsässer, Jürgen. Wie der Dschihad nach Eu­ropa kam. Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan, Kai Homilius Verlag, 2006. Version française: Comment le Djihad est arrivé en Europe (préface de Jean-Pierre Chevènement), Xenia, 2006
6     Meyssan, Thierry. Sous nos yeux. Du 11-septembre à Donald Trump (Unter unseren Augen. Vom 11.September bis Donald Trump), Demi-Lune 2017

(Übersetzung: Horst Frohlich, Korrekturlesen: Werner Leuthäusser und Zeit-Fragen)

Quelle: Voltaire Netzwerk vom 3.8.2018
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Seymour Hersh: «Es gibt null Evidenz»

«Glauben Sie bloss nicht, dass die Russen dran [am Wahlsieg Donald Trumps] schuld waren. Das ist verrückt. Wir sind sehr gut im Nachrichtendienst. Wir wissen, wer’s war, und wenn’s die Russen gewesen wären, dann hätten wir das klar gesagt. Aber es gibt null Evidenz.»

Seymour Hersh in einem Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 25.8.2018
Quelle: https://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2018/nr-20-28-august-2018/die-abenddaemmerung-des-krieges.html

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